Weberaufstand 1844 - Rage Against The Machine?

iamNex

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Die gängigsten Bilder vom schlesischen Weberaufstand 1844 sind ja entweder, dass des "Maschinensturms", also eine, sich gegen Industrialisierung und Mechanisierung richtende Revolte, ein Hungeraufstand - oder der Weberaufstand als angeblicher früher Klassenkampf der Arbeiterbewegung.
In ihrem Buch Aufstand der Weber geht Christina von Hodenberg anderen Gründen des Weberaufstands 1844 nach.

Eine Hungerrevolte kommt nicht in Frage, die Weber waren gar nicht so arm wie vermutet, sie waren vielmehr "auf dem absteigenden Ast", nicht aber schon ganz unten.
Interessant ist auch, dass der Aufstand relativ unspektakulär war, er unterschied sich kaum von anderen Protestbewegungen dieser Zeit.

Für die Autorin sind 4 Punkte zu beachten: Der Aufstand war traditionell, lokal, religiös und paternalistisch beeinflusst.
1) Lokal, da die Weber nur in lokalen Dimensionen dachten. Sie hielten als Dorfgemeinde zusammen, die meisten von ihnen verliesen ihr Dorf fast ein Leben lang nicht. Der Aufstand bezog sich keineswegs auf die wirtschaftliche Situation im Deutschen Bund, sondern ausschließlich auf Peterswaldau und Langenbilau. Die lokale Sichtweise wird auch darin deutlich, dass den Webern die Anstellung auswärtiger Arbeiter in den Fabriken für die sie arbeiteten, zuwieder war.

2) Der religiöse Aspekt wird im von den Webern beim Aufstand gesungenen "Spottlied Blutgericht" deutlich. Der Text ist an vielen Passagen deutlich sakral eingefärbt und weist auf eine Art Vertröstung auf das (faire) Jenseits hin. Der Aspekt wird außerdem darin deutlich, dass die involvierten Pfarrer bei den Aufständischen höchste Autorität genossen. Sie übernahmen häufig eine Vermittlerrolle und halfen den Webern auch vor Gericht.

3) Der Aufstand war traditionell, da die Weber sich vor Gericht stark darüber empörrten, dass die Verleger Zwanziger die ständische Ordnung missachteten. Die Brüder Zwanziger waren neurreiche Aufsteiger, dass die Wut der Dorfgemeinde provozierte. Die Weber hatten einerseits das Gefühl, die Verleger würden die Gemeinde im Stich lassen, andererseits empörrten sie sich darüber, herablassend behandelt worden zu sein. Man empfand die Missachtung ständischer Traditionen als eine Art Verbrechen.

4) Außerdem war der Weberaufstand von 1844 paternalistisch. Es galt den Webern der "Leitwert der guten Obrigkeit", d.h. der Aufstand war keinesweis gegen Obrigkeit und Monarchie gewandt, sondern vielmehr hofften die schlesischen Weber auf ein Machtwort des Königs zu ihren Gunsten. Sie vertrauten stark auf die Fürsorge der Monarchie.

Insgesamt, ist der Weberaufstand laut Hodenberg also geprägt von einem Festhalten an lokalen, alten Werten. Diese galt es notfalls mit Gewalt zu verteidigen. Trotzdem kann man den Webern keinen blinden Konservativismus vorwerfen, vielmehr waren sie "sozialkonservativ".
Der Weberaufstand hatte also keine antiindustriellen Gründe, sondern vielmehr rationale Gründe (gutes Lohnniveau), versehen mit traditionellen Vorstellungen von Gerechtigkeit.

Was haltet ihr vom Ansatz der Autorin?
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von Hodenberg, Christina: Der Aufstand der Weber, Bonn 1997.
 
Ihr Schurken all, ihr Satansbrut
ihr höllischen Dämone

O, Euer Geld und Euer Gut, das wird dereinst vergehen
wie Butter an der Sonne Gluth ,wie wird`s dann um Euch stehen
Wenn ihr dereinst nach dieser Zeit, nach diesem Freudenleben
Dort, dort in jener Ewigkeit, sollt Rechenschaft abgeben


Doch ha, sie glauben keinen Gott noch weder Hölle, Himmel,
Religion ist nur ihr Spott, hält sich an´s Weltgetümmel.


Ichfinde, dass klingt schon recht religiös eingefärbt.

Zu Punkt 3 noch, in Verbindung zu dem Lied: Die Weber sangen das Lied bezeichnenderweise nicht auf eine Revolutionsmelodie (wie etwa die Marseillaise), sondern auf die Untertanenweise "Es liegt ein Schloss in Österreich."
 
Heute abend kann ich das Thema nur anreißen.
Zu 1. lokal, Ja, dieser spezielle Weberaufstand war lokal, die Weber waren nicht vernetzt. Ohne Hauptmanns Schauspiel Die Weber ? Wikipedia wäre er ein lokaler Aufstand unter vielen gewesen und längst aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden wie die anderen lokalen Weberaufstände vorher. Weberaufstand ? Wikipedia
Der lokale Aufstand hatte jedoch globale Ursachen, denn die Maschine stand noch nicht in Schlesien sondern in England. Inwieweit den Webern die Gründe für den Preisverfall bewußt waren, kann ich nicht einschätzen. Sie haben sich in erster Linie gegen die Ausbeutung durch die Verleger gewehrt, von denen sie abhängig waren und nicht unbedingt gegen die Spinn- und Webmaschinen.
Die Webfabriken wurden dort erst später gebaut. Friedrich Dierig ? Wikipedia

zu 2. religiös - Das sehe ich immer noch nicht als besonders hervorstechend. Klar bedroht man einen Gegner mit dem jüngsten Gericht und macht ihm ein schlechtes Gewissen, wenn man keine anderen Waffen hat. Es ist ein Apell.

zu 4. Es war kein politischer Aufstand , es ging konkret um die örtlichen Lebensbedingungen. Die französische Revolution lag 1844 2 Generationen zurück. Ob der Weberaufstand und andere Aufstände der deutschen vorindustriellen Phase Einfluß auf 1848 hatten, ist mir nicht bekannt.
Marx und Engels Theorien hat er auf jeden Fall beeinflußt.
 
Der religiöse Punkt ist, soweit ich das sehe, auch nicht als Grund des Aufstandes zu sehen, sondern mehr um die Mentalität der Weber zu erklären.
Sie fühlten sich im Recht, vertrauten auf die Dorfpfarrer, und sahen sich als Verteidiger des Rechtes gegen die sündigen Verleger.

Am interessantesten finde ich jedoch den traditionalistischen Punkt.
 
stattgegeben


Da gab es vorher, damals tagesaktuell, noch Heine.
Die schlesischen Weber
Stimmt, nur was sagt uns das?

Ich hatte auf eine lebhafte Diskussion gehofft.
Haben nun Heine oder die bürgerlich-Liberalen den Weberaufstand genutzt? Und wo blieben die Weber und andere Verlierer der frühen Industriealisierung und Globalisierung 1848?
Mussten Sie auf Marx, Engels und Lasalle warten?
Gab es Wortführer aus den eigenen Reihen bei den Webern und was ist aus ihnen geworden?

Der religiöse Punkt ist, soweit ich das sehe, auch nicht als Grund des Aufstandes zu sehen, sondern mehr um die Mentalität der Weber zu erklären.
Sie fühlten sich im Recht, vertrauten auf die Dorfpfarrer, und sahen sich als Verteidiger des Rechtes gegen die sündigen Verleger.

Ich habe das Buch nicht gelesen und kann mich deshalb nur auf deinen Beitrag 1 beziehen. Meinst du diese christlich-lutherische Ablehnung von Handel, da das "Brot im Schweiße des Angesichts" erarbeitet werden soll und Zins und Wucher des Teufels sind?

Am interessantesten finde ich jedoch den traditionalistischen Punkt.
Meinst du im Sinne von Besitzstandswahrung?

Wer hat den Text vom Blutgericht geschrieben, bisher habe ich keinen Autor gefunden?
 
Der lokale Aufstand hatte jedoch globale Ursachen, denn die Maschine stand noch nicht in Schlesien sondern in England.

Die Weberaufstände hatten auch erhebliche überregionale Bedeutung, weil sie die regierende Bürokratie und die bürgerliche Oberschicht erstmals auf die Möglichkeit einer proletarischen Erhebung aufmerksam machten und ein vielfältiges Echo in der zeitgenössischen Presse fanden.
 
Das stimmt so nicht ganz. Denn die Bürokratie die bürgerliche Oberschicht hatten bereits seit dem Einsetzen des mitteleuropäischen Pauperismus erhebliche Angst vor einer solchen Erhebung.
Der Weberaufstand war nur eine Episode in dieser Übergangszeit, die Angst vor den "ungebildeten Massen" und deren Erhebung bestand schon vorher.
 
@iamNex

Ich habe einmal ein bißchen im Archiv gestöbert. Einfach weil ich das Thema des Threads sehr interessant finde (u.a. Rezeption des "Weberaufstandes" bei Marx, Heine etc.).

Die Verlinkung mit den Findbüchern ist offensichtlich nicht möglich, warum auch immer, aber wenn Du in der verlinkten website als Suchbegriff "Schlesien, 1844" eingibst, erhälst Du ca. 40 Treffer, darunter auch "Polizeiangelegenheiten", "Verbote..." etc. Suboptimale Lösung, geht aber nicht anders.

http://www.gsta.pk.findbuch.net/php/main.php?ar_id=3676&action=rech


M.
 
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