England: Gab es vor den Gewerkschaften ein Versichertensystem

P

Paulberta

Gast
Hallo Freunde,
leider versteht google meine Sprache/Intension nicht und spuckt nur dummes Zeug aus. Meine Frage ist, insbesondere bezüglich England, ob es vor Zeiten von Gewerkschaften schon ne Art Sozialversicherungssystem gab (und in diesem speziellen Fall egal ob von Staat oder Gewerkschaft getragen).
Ist denn der Sozialstaat aus gewerkschaftlichen Bewegungen entstanden?
nicht schimpfen....sich weiß da war was mit französischer Revo, und so...
ABER welchen Verwandtschaftsgrad haben Gewerkschaft und Sozialstaat?
Wenn jemand einen Link hätte, wäre es toll.

Vielen Dank!
 
Bei Zusammenschlüssen von Arbeitern zur Interessenvertretung liegt nahe, dass diese auch als Solidargemeinschaft benutzt werden:

Knappschaft ? Wikipedia

Das setzt "Betriebe", und natürlich eine gewisse Größe und Stabilität/wenig Fluktuation voraus, wenn eine solche Versorgungs-Gemeinschaft funktionieren soll. Daher ist wenig überraschend, dass die Anfänge im Bergbau liegen, der lange Tradition hat.
 
(Ich hoffe mich erschlägt niemand dafür, dass ich mal eben die Disziplin wechsel)

Die modernen Sozialsysteme in Form von Wohlfahrtsstaaten kann man in drei Gruppen unterteilen:

Da ist zunächst der Sozialdemokratische Wohlfahrtsstaat. Er ist auf umverteilung bedacht und möchte allen, unabhängig von Arbeitskraft und Ausbildung einen Anteil am gesamtwohlstand zusichern. Dieses Konzept entstand im 19jhd. in der aufkommenden Arbeiterbewegung (Gewerkschaftne, Sozialistische Parteien), wurde aber nur in den Skandinavischen Staaten voll entwickelt.

Der Konservative Wohlfahrtsstaat basiert auf der christlichen Vorstellung der Nächstenliebe und entwickelte sich ideologisch aus der christlichen politischen Bewegung. Er legt seinen Fokus vor allem auf Grundsicherung für alle, basiert aber auch auf konservativen Strukturen wie Kirche und Familie. Deshalb wird im konservativen Wohlfahrtsstaat ein Akzent auf Kindergeld- und Rentenversicherung gelegt.

Der liberale Wohlfahrtsstaat hingegen versucht möglicht wenige Leistungen bereizustellen. Er entwickelte sich aus dem Amerikanischen Leistungsdenken und soll lediglich die absolute Grundversorgung sicherstellen. Hier erhalten die meisten Gering- und Normalverdiener keine Leistungen. Die meisten Sozialversicherungen müssen privat hinzugenommen werden.

Bei der betrachtung der Verwandtschaft zwischen Sozialstaat und Arbeiterbewegung muss man also immer im Auge haben welchen Typus eines Sozialstaates man vor sich hat.

Im 19. Jhd. waren zudem auch die Arbeitgeber teilweise an der Lösung der sozialen Frage interessiert und führten Betriebliche Alters- und Invaliditätsversicherungen ein.
 
Vertiefung

Danke Euch für die Antworten.
Mir geht es vor allem um den Begriff "invisible hand " von Adam Smith.
Ich möchte begründen, dass Smith keine Ahnung von einem Sozialstaat und Gewerkschaften hatte und deshalb seine Argumentation (dass eine unsichtbare Hand den Markt steuert) nicht auf die heutige Zeit angewendet werden kann, da Markt und Sozialstaat heute ineinander greifen. Bzw. die Gründung von Gewerkschaften als Lösung vor kapitalistischer Ausbeutung ja schon wiederlegt hat, dass eine Gesellschaft/ein Markt sich allein auf Grund der Umverteilung von Reich zu Arm alleine reguliert.
Finde das eine interessante Sache...

Liebe Grüße,
paula
 
Ich muss mit Schrecken feststellen, wie wenig ich über die Entwicklung des Sozialstaats in anderen Ländern weiß; peinlich, peinlich...

Und was findet man beim googeln? Das erste schien passend, betraf aber die USA. :S

Social Security Online History Pages:

Der Abschnitt welfare state Britain (Sozialstaat Britannien) der englischen Wiki:

Welfare state - Wikipedia, the free encyclopedia

Hier der wichtigste legislative Schritt, gleiche Quelle:

National Insurance Act 1911 - Wikipedia, the free encyclopedia

Quellen auf Deutsch findest Du bestimmt auch dazu. Hier wäre der Politiker, der besagtes gesetz 1911 durchsetzte, und das war kein Gewekrschafter oder Labour-Politiker... ;)
 
Danke Euch für die Antworten.
Mir geht es vor allem um den Begriff "invisible hand " von Adam Smith.
Ich möchte begründen, dass Smith keine Ahnung von einem Sozialstaat und Gewerkschaften hatte und deshalb seine Argumentation (dass eine unsichtbare Hand den Markt steuert) nicht auf die heutige Zeit angewendet werden kann, da Markt und Sozialstaat heute ineinander greifen. Bzw. die Gründung von Gewerkschaften als Lösung vor kapitalistischer Ausbeutung ja schon wiederlegt hat, dass eine Gesellschaft/ein Markt sich allein auf Grund der Umverteilung von Reich zu Arm alleine reguliert.
Finde das eine interessante Sache...

Liebe Grüße,
paula

1. Gewerkschaften sind private Organisationen, also Marktteilnehmer im Smith´schen Sinne
2. Gewerkschaften bündeln Interessen (hier die der Arbeitnehmer), wie es alle Oligopole tun, um ihre Marktmacht zu stärken. Smith hätte das Prinzip der Gewerkschaften mit Sicherheit verstanden.
3. Sozialversicherungen kann man auch reinrassig marktwirtschaftlich im Smith´schen Sinne organisieren. Nicht vergessen: es sind Versicherungen, keine Behörden.
4. wie oben schon geschrieben, kannte Smith mindestens das Zunftwesen als nichtstaatliche und über Jahrhunderte funktionierendes SV-System

Fazit: m.E. können sowohl Gewerkschaften wie SVs ohne Änderungen am Smithschen System (insbesondere ohne Verzicht auf die invisible Hand) in dasselbe integriert werden
 
Fazit: m.E. können sowohl Gewerkschaften wie SVs ohne Änderungen am Smithschen System (insbesondere ohne Verzicht auf die invisible Hand) in dasselbe integriert werden

Dann wären es jedoch weder Gewerkschaften mit der heutigen Relevanz noch Sozialversicherungen mit denselben sozialen Standards wie wir sie heute in Deutschland haben.

Nur zwei Beispiele: Welche Krankenversicherung würde einen Krebskranken aufnehmen, wenn sie nicht gesetzlich dazu verpflichtet wäre? Was würde einen Arbeitgeber daran hindern, einen Streikenden zu entlassen ohne die bestehenden Gesetze zum Kündigungsschutz?
 
.. Hier wäre der Politiker, der besagtes gesetz 1911 durchsetzte, und das war kein Gewekrschafter oder Labour-Politiker... ;)
Auch in Deutschland war es kein Gewerkschafter, der die gesetzliche Sozialversicherung einführte - aus den gleichen Gründen. Weil Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung eben nicht kompatibel mit Smiths Modell waren, aber möglichst viel von eben diesem gerettet werden sollte.

Mit der Industrialisierung zerbrachen die traditionellen (groß)familiären und nachbarschaftlichen "Solidaritätsnetze" für Krankheit und Alter.
(Zwar sehr dürftig, der Artikel, aber immerhin Ausgedinge ? Wikipedia ).
Deshalb musste Ersatz her, damit nicht die u.a. von Marx prognostizierte Verelendung großer Bevölkerungsteile eintrat.
 
1. Gewerkschaften sind private Organisationen, also Marktteilnehmer im Smith´schen Sinne
2. Gewerkschaften bündeln Interessen (hier die der Arbeitnehmer), wie es alle Oligopole tun, um ihre Marktmacht zu stärken. Smith hätte das Prinzip der Gewerkschaften mit Sicherheit verstanden.
3. Sozialversicherungen kann man auch reinrassig marktwirtschaftlich im Smith´schen Sinne organisieren. Nicht vergessen: es sind Versicherungen, keine Behörden.
4. wie oben schon geschrieben, kannte Smith mindestens das Zunftwesen als nichtstaatliche und über Jahrhunderte funktionierendes SV-System

Fazit: m.E. können sowohl Gewerkschaften wie SVs ohne Änderungen am Smithschen System (insbesondere ohne Verzicht auf die invisible Hand) in dasselbe integriert werden


Die Ausführungen von Steffen04 sind allesamt nicht bzw. nur partiell zutreffend:

Zu 1. Gewerkschaften sind wie a l l e Organisationen und Individuen auch Teilnehmer am Marktgeschehen, sofern sie über eigene Finanzmittel verfügen.
Sie sind aber nicht im Smith'schen Sinne (primär) auf Gewinnsteigerung orientiert, auch wenn sie natürlich mit Geld operieren und ihre (Streik-)Kassen füllen wollen.
Zu 2. Ziel der Gewerkschaften ist natürlich keine Interessenbündelung, um mit einer starken Marktmacht ökonomische Konkurrenten vom Markt zu verdrängen. Von daher sind Gewerkschaften keine Oligo-oder Monopole; das hätte Smith gewiss verstanden.
Zu 3. Sozialversicherungen sind keine Gewerkschaften. Sie müssen an den Staat gebunden sein, um die Versicherten entsprechend dem Solidaritätsprinzip möglichst gerecht zu unterstützen.
Wenn sie privatisiert und kommerzialisiert werden, können sie ihren eigentlichen Aufgaben nicht mehr gerecht werden, weil sie gerade - auch auf Kosten ihrer Mitglieder, z.B. durch Leistungskürzungen oder -verwei-gerung - in der liberalen Marktwirtschaft Gewinne machen m ü s s e n, um konkurrenzfägig zu bleiben. Eine Privatisierung von Sozialversicherungen führt also zwangsläufig zu einer Pervertierung.
Zu 4. Gewerkschaften sind Organisationen von lohnabhängig Beschäftigten, die nicht Teilinteressen wie z.B. manche Beamtenorgaisationen vertreten. Insofern hatten Zünfte nichts mit Gewerkschaften zu tun; die traten bekanntlich erst mit der Industrialiserung in Erscheinung.
Und Gewerkschaften sind keine Sozialversicherungen, auch wenn sie anfangs Unterstützungskassen und Konsumvereine (auf Gegenseitigkeit und nicht kommerziell) organisiert hatten.
Außerdem: Zugespitzt gesagt muss jeder, der eine Zunft für eine Art Sozialversicherung hält, auch im BDI und in der BDA eine Sozialversicherung sehen. Auch jede Familie war und ist in Steffens Sinn ein Sozialversicherungssystem.
 
cool :)

Vielen Dank an Euch für die interessanten Beiträge!
Persönlich denke ich auch, dass Gewerkschaften eher einen Gegenpart zum Smithschen System gebildet haben (dabei gehe ich nicht persönlich gegen Smith der auf sein Art sehr gut war, sondern gegen das, was aus dem System politisiert wurde).
Würde man krass nach der Marktlogik vorgehen, gebe es heute wahrscheinlich "Ein gesundes Leben" neben OBs und Glarspüler im Aldi zu kaufen...

Alles Gute Euch!
paulberta
 
Klaus P. schreibt: "Zu 1. Gewerkschaften sind wie a l l e Organisationen und Individuen auch Teilnehmer am Marktgeschehen, sofern sie über eigene Finanzmittel verfügen.
Sie sind aber nicht im Smith'schen Sinne (primär) auf Gewinnsteigerung orientiert, auch wenn sie natürlich mit Geld operieren und ihre (Streik-)Kassen füllen wollen.
Zu 2. Ziel der Gewerkschaften ist natürlich keine Interessenbündelung, um mit einer starken Marktmacht ökonomische Konkurrenten vom Markt zu verdrängen. Von daher sind Gewerkschaften keine Oligo-oder Monopole; das hätte Smith gewiss verstanden.
Zu 3. Sozialversicherungen sind keine Gewerkschaften. Sie müssen an den Staat gebunden sein, um die Versicherten entsprechend dem Solidaritätsprinzip möglichst gerecht zu unterstützen.
Wenn sie privatisiert und kommerzialisiert werden, können sie ihren eigentlichen Aufgaben nicht mehr gerecht werden, weil sie gerade - auch auf Kosten ihrer Mitglieder, z.B. durch Leistungskürzungen oder -verwei-gerung - in der liberalen Marktwirtschaft Gewinne machen m ü s s e n, um konkurrenzfägig zu bleiben. Eine Privatisierung von Sozialversicherungen führt also zwangsläufig zu einer Pervertierung.
Zu 4. Gewerkschaften sind Organisationen von lohnabhängig Beschäftigten, die nicht Teilinteressen wie z.B. manche Beamtenorgaisationen vertreten. Insofern hatten Zünfte nichts mit Gewerkschaften zu tun; die traten bekanntlich erst mit der Industrialiserung in Erscheinung."

Aber selbstverständlich sind Gewerkschaften Interessenbündelungen! Sie machen doch nichts anderes, als einen Lohn für ihre Mitglieder auszuhandeln, der über den Marktpreis liegt. Unterstützt wird dies vom Staat, wie das vom 11.1.1952 verabschiedete "Mindestarbeitsbedingungsgesetz", welches bestimmt, dass der Lohn und Arbeitsbedingungen durch Kollektivverträge von Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften festgelegt werden. Somit wurde den Gewerkschaften praktisch ein Monopol zur Aushandlung der Löhne gegeben. Damit schotten sie ihre Mitglieder auch vor dem Wettbewerb ab, indem Gewerkschaftsmitglieder somit Arbeiter/innen, die nicht organisiert sind und/oder ihre Arbeitskraft zu einem niedrigeren Lohn anbieten würden, nicht fürchten müssen.
Anders funktionieren Gewerkschaften auch nicht. Man sieht immer nur die (tollen) Leistungen, welche die Organisation für ihre Mitglieder erreichen, aber die wenigsten fragen sich, wie das zustande kommt bzw. wer dafür zahlen muss. Ähnlich funktionierten auch die Zünfte im Mittelalter. Z.b. im Handwerk durfte niemand das Gewerbe betreiben, wenn er nicht Mitglied einer solchen Zunft war. So ist es auch nicht verwunderlich, dass gerade die Zünfte die erbittertsten Gegner der im 19. Jahrhundert aufkommenden Gewerbefreiheit waren.
Adam Smith scheint wenig von solchen Vereinigungen wie die der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer gehalten zu haben, wie man es im 1. Buch 8. Kapitel in seinem Werk "Der Wohlstand der Nationen" lesen kann. Er schrieb auch in diesem Kapitel, dass der größte Schutz der Arbeitnehmer der ist, wenn die Nachfrage nach ihnen auf dem Arbeitsmarkt groß ist. Auch über Zünfte schien er wenig gehalten zu haben, wie man es im 1. Buch 10 Kapitel lesen kann: "Wie das Eigentum, das jedermann an seiner eigenen Arbeit hat, die ursprüngliche Grundlage alles anderen Eigentums ist, so ist es das Heiligste und Unverletztlichste. Das Erbteil eines armen Mannes liegt in der Kraft und Geschicklichkeit seiner Hände, und ihn daran zu hindern zu wollen, diese Kraft und Geschicklichkeit so anzuwenden, wie er es passend findet, ohne dadurch seinen Nächsten zu kränken, ist geradezu eine Verletzung dieses heiligsten Eigentums."

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