"Schuld" an Bismarcks Rücktritt, anfängliche Außenpolitik Wilhelms

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Hallo liebe Forengemeinde,
bisher schien es mir so, dass Wilhelm II. sich Bismarck entledigen wollte (wohl noch etwas vom Bismarck-Mythos vorbelastet). Doch nun habe ich gelesen, dass Bismarck selbst für seinen Niedergang verantwortlich war, da er schließlich die Zusammenarbeit (Intrigen usw.) mit Wilhelm II verweigerte. So blieb ja Wilhelm letztendlich keine andere Wahl ihn zu entlassen. Wie war denn nun wirklich der Stand der Dinge?
War das Rücktrittsgesuch eigentlich nur ein letztes Druckmittel Bismarcks (das hatte er ja auch oft bei Wilhelm I genutzt) oder wollte er wirklich zurücktreten?

Und noch eine zweite Frage: Waren Wilhelms außenpolitische Ansichten immer so gegensätzlich mit denen Bismarcks oder waren sie anfänglich der ähnlichen Meinung? Hatten Wilhelms Berater vielleicht seine radikale Meinung heraufbeschworen?

Ich weiß, dass das keine einfachen Fragen sind, doch wenn mir hier niemand helfen kann, wo sonst ;-)
Vielen Dank
 
Hallo liebe Forengemeinde,
bisher schien es mir so, dass Wilhelm II. sich Bismarck entledigen wollte (wohl noch etwas vom Bismarck-Mythos vorbelastet). Doch nun habe ich gelesen, dass Bismarck selbst für seinen Niedergang verantwortlich war, da er schließlich die Zusammenarbeit (Intrigen usw.) mit Wilhelm II verweigerte. So blieb ja Wilhelm letztendlich keine andere Wahl ihn zu entlassen. Wie war denn nun wirklich der Stand der Dinge? ...

Es gibt zu diesen Fragen etwas hier im Forum.
Außerdem kann man auf den einschlägigen Seiten leicht die Zusammenhänge - nach Bedarf kurz und knapp oder ausführlich - nachlesen.
 
War das Rücktrittsgesuch eigentlich nur ein letztes Druckmittel Bismarcks (das hatte er ja auch oft bei Wilhelm I genutzt) oder wollte er wirklich zurücktreten?


Darf man erfahren, woher du diese krasse Fehlinformation hast? Bismarck wurde von Willhelm II. ultimativ zum Rücktritt aufgefordert.

Waren Wilhelms außenpolitische Ansichten immer so gegensätzlich mit denen Bismarcks oder waren sie anfänglich der ähnlichen Meinung?

Die Einschätzungen, Ansichten und Meinungen über den künftigen Kurs der Außenpolitik unterschieden sich doch erheblich. Hast du dich denn schon überhaupt mit dieser Thematik näher beschäftigt?
 
Am 18. März 1890 bat Kaiser Wilhelm II. Reichskanzler Bismarck, sein Rücktrittsgesuch einzureichen, da die Differenzen in der Arbeiterfrage unüberbrückbar geworden waren. (Wilhelm II. | Dokumente |)

Neben einem Grund für seine Entlassung erklärt der zitierte Bildtext, dass Wilhelm II. als Kaiser des Deutschen Reiches von seinem Recht Gebrauch machte und Bismarck zum Rücktritt aufforderte. Der Verfasser verwendet in seiner Ausführung den Ausdruck "bat", Bismarck hatte aber de facto keine Entscheidungsfreiheit (wie bei einer Bitte üblich), schließlich war er gemäß Verfassung weisungsgebunden :) .

Wens interessiert, hier der Text des Gesuches: http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/pdf/deu/742_Bismarcks Englassungsgesuch_247.pdf .

Gruß!
 
Zuletzt bearbeitet:
Neben einem Grund für seine Entlassung erklärt der zitierte Bildtext, dass Wilhelm II. als Kaiser des Deutschen Reiches von seinem Recht Gebrauch machte und Bismarck zum Rücktritt aufforderte. Der Verfasser verwendet in seiner Ausführung den Ausdruck "bat", Bismarck hatte aber de facto keine Entscheidungsfreiheit (wie bei einer Bitte üblich), schließlich war er gemäß Verfassung weisungsgebunden :) .

Wens interessiert, hier der Text des Gesuches: http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/pdf/deu/742_Bismarcks Englassungsgesuch_247.pdf .

Gruß!


Dem gibt es nichts hinzuzufügen.:winke:
 
Bismarck war darüber hinaus gewissen Herren, beispielsweise den Generalstabschef Waldersee oder den Geheimen Rat des AA Holstein mit seinen außenpolitischen Vorstellungen, nämlich zu Russland unbedingt den Frieden zu bewahren, ein Dorn im Auge. Waldersee hat ununterbrochen bei Wilhelm gegen Bismarck gehetzt und ihm auch den "Floh ins Ohr gesetzt" Wilhelm solle doch sein eigener Kanzler sein. Waldersee wollte diesen Job für sich, aber erst nach dem sich der eine oder andere Nachfolger verschlissen hat. Waldersee wollte auch unbedingt Krieg gegen Russland führen, je eher, desto besser. Holstein lag mit Waldersee weitesgehend auf einer Linie.
 
So hat Holstein beispielsweise in der großen Orientkrise (Bulgarien) versucht aktiv einen Krieg zu fingern. Er betrieb quasi eine Nebenaußenpolitik, die diametral der Bismarcks widersprach. Bismarck wollte Frieden, Holstein den Stein ins Rollen, also Krieg, bringen. Er hat immer wieder den deutschen Botschafter in London Hatzfeld angeraten, Salisbury möge doch den Battenberger direkt unterstützen. Oder als die Russen die Herrscahft des Coburgers Ferdinand bei allen europäischen Großmächten für illegal erklären lassen wollten, baten sie um entsprechende deutsche Unterstützung. Bismarck entsprach dem in einstrechenden Erlassen an die Botschafter. Holstein hingegen war eifrig bemüht, dies durch entsprechende Schreiben, Telegramme zu hintertreiben. Als Herbert von Bismarck in London war, um im Auftrag seines Vaters für den erhalt des Friedens zu werben, notierte Königin Victoria, was für ein falsches Doppelspiel Bismarck da eigentlich treibe.

Holstein spielte da ein ganz übles Spiel.
 
Die zeitgemäßen sozialpolitischen Wünsche des Kaisers, die von Boetticher unterstützt worden waren, dürften ebenfalls eine erheblich Rolle gespielt haben.

Wilhelm II. hatte Bismarck mehrfach aufgefordert eine entsprechende Novelle zur Besserung der Situation der Arbeiter auszuarbeiten. Darin sollte etwa der Sonntag arbeitsfrei sein, Kinder und Frauenarbeit, insbesondere die von schwangeren Frauen, eingeschränkt werden. Bismarck war vehement dagegen, da er die Auffassung vertrat, man könne doch den Menschen das arbeiten nicht verbieten. Und es sei doch sehr fraglich, ob die Arbeiter diese Ausfälle überhaupt leisten könnten. Auf die Idee, die Arbeiter besser zu bezahlen, ist Bismarck überhaupt nicht gekommen. Jedenfalls hatte Bismarck sich konsequent der Aufforderung seines kaiserlichen Herrn konsequent widersetzt.

Bezeichnend ist daher auch sein Verhalten 1889 beim organisierten Massenstreik der Bergarbeiter im Ruhrgebiet. Während Wilhelm II. Verständnis für die Streikenden äußerte und entsprechend Partei ergreifen wollte. Die wollte Bismarck nicht.

Auch in der Frage des Sozialistengesetztes war Bismarck unerbittlich und wollte dort eine Passage untergebracht wissen, nach der es möglich ist, die Sozialdemokraten, die gegen die Bestimmungen dieses Gesetzes verstießen, des Landes zu verweisen. Das Gesetz ist krachend im Reichstag gescheitert.

Auch in der Frage der Publikation des Kriegstagbuches des gerade verstorbenen Kaiser Friedrich zwang Bismarck Wilhelm II. seinen Willen auf. Bismarck behauptete wider besseren Wissen, das Tagebuch sei eine Fälschung.

Bismarck hatte ganz offenkundig erheblich Schwierigkeiten mit der Tatsache, das er nicht mehrt praktisch Alleinherrscher war. So bot er Wilhelm II. an, das er künftig auf das Handelsministerium verzichte; dann wäre für den Kaiser die Bahn in der Sozialpolitik frei. Wilhelm II. akzeptierte freudig, aber Bismarck setzte trotzdem alle Hebel gegen Wilhelm II. Sozialpolitik in Bewegung.

Dann bot er Wilhelm sogar an, das er die preußische Ministerpräsidentschaft aufgeben wolle. In Wahrheit wollte Bismarck gebeten werden, zu bleiben und das man ihm eben sagte, er sei nicht ersetzbar. Nur, das kam von Wilhelm II. nicht und so wie Bismarck seinen noch jungen, unreifen und unerfahrenen Kaiser reizte, war das auch nicht zu erwarten.

Im März war das Fass dann voll. Für Eingeweihte war das keine große Überraschung. Wie Bismarck hinterher überall Verrat und Untreue, beispielsweise bei seinem Paladin Boetticher witterte, war schon ziemlich unfair. Es war eben von Bismarck auch ein sehr großer Fehler, das er von Mai 1889 bei Ende 1889 nicht in Berlin präsent war.

Bismarck war innenpolitisch gewissermaßen vollkommen aus der Zeit gefallen.
 
Bismarck war innenpolitisch gewissermaßen vollkommen aus der Zeit gefallen.

Schön formuliert. Bismarck war, das lässt sich m.E. bei vielen Langzeit-Herrschern aller Schattierungen und Richtungen nachvollziehen, selbstverständlich davon überzeugt, unersetzlich zu sein, fast alles zu können und zu dürfen und ebenso aktuelle und richtungsweisende Politik durchzuführen, obwohl Letzteres meist auf inzwischen erstarrten und fixierten sowie immer stärker überholten Vorstellungen und Prioritäten aus immer weiter zurück liegenden Phasen beruht.
 
Die Entlassung Bismarcks war letzten Endes eine Machtfrage. Wie sagte Wilhelm II. doch am 11.Mai 1890 in Düsseldorf: „Es gibt nur einen Herrn im Lande und das bin ich.“ (1) Waldersee berichtet auch beispielsweise unter dem Datum des 25.01.1890 in seinen Erinnerungen, „ Der Kaiser ist verletzt darüber, daß Bismarck in seiner Presse immer von der Politik des Kanzlers sprechen läßt; er wünscht selbst als der betrachtet zu werden, der die Politik im großen dirigiert.“ (1)

Oder Hahnke erzählte Herbert von Bismarck am 25.02.1890, „[…] Er (der Kaiser, Anmerkung von mir) wünsche nur, daß S.D. Ihm noch mehr den Eindruck bereite, daß Er allein regiere, daß alle Maßregeln von I H M ausgingen etc. . Waldersee und Verdy hätten am vorigen Abend wieder sehr zu hetzen versucht, S.M. sei aber diesmal nicht darauf eingegangen. (2)


(1) Waldersee, Denkwürdigkeiten Band 2, S.200

(2) Waldersee, Denkwürdigkeiten Band 2, S.97

(3) (2) GW, Band XV, S.597, Anhang VII
 
Bekanntermaßen ist ja auch Herbert von Bismarck ein paar Tage später zurückgetreten. Es heisst häufig, aus Solidarität zu seinem Vater. Aber es gab noch mehr Gründe. Diese hatte Herbert in einem Gespräch mit Graf Carl von Wedel offengelegt:

Herbert führte gegenüber Wedel aus, das er körperlich vollkommen fertig sei. Wenn er bleiben würde, so müsse er preußischer Minister des Auswärtigen werden, müsse damit im Bundesrat treten, mit dem er sich bisher nie befaßt habe, und diese Steigerung der Geschäftslast sei seine Gesundheit nicht gewachsen. Er bedürfe absoluter Ruhe, und auch einen längeren Urlaub lehne er ab, wegen der Zerreißung des Zusammenhangs der Geschäfte. Er betonte dabei mehrmals und bat mich (Wedel) , dies auch den Kaiser zu sagen: das er mir sein Ehrenwort für seine völlige köörperliche Unfähigkeit zur Weiterführung so bedeutend gesteigerter Geschäfte verpfände.

Auch Caprivi wurde als Begründung genannt. Caprivi sei entscheiden derjenige, der nach Charakter und Begabung am ersten berufen sei, sein Vater zu ersetzen, aber Caprivi sei auch empfindlich und schwer zu behandeln. Bei der Stellung, die er bei seinem Vater gehabt, könne er sich nicht entschließen der Untergebene des neuen Kanzlers zu werden. Caprivi sei auch kein Freund von Kolonien, ebenso wenig wie er (Herbert). Aber er müsse dann vor dem Reichtstag die Kolonialpolitik verteidigen und seine Feinde würde wie eine Meute über ihm herfallen.

Der Kaiser sei vorschnell und unüberlegt. Vor fünf Jahren anläßlich des englischen-russischen Streites bezüglich Afghanistan wäre der Beschluß zur englischen Kriegserklärung bereits gefaßt gewesen und habe nur noch der Bestätigung der Königin bedurft. Damals habe der Kaiser als Prinz Wilhelm mehrere Briefe an Fürst Dolgorruki geschrieben (die dieser noch heute besitzt) in denen er gesagt habe, es wäre jetzt Zeit und Gelegenheit mit England abzurechnen. Als der Zar das erfahren habe, sei er mißtrauisch geworden und habe in der Überzeugung Deutschland den russisch-englische Krieg zum Nachteil Russlands wünsche, einlenkt und die englischen Forderungen akzeptiert.

Wedel, Zwischen Kanzler und Kaiser
 
Der Fürst Dolgorruki den ich meine, war Flügeladjutant des Zaren und in der fraglichen Zeit als Militärbevollmächtiger des Zaren Kaiser Wilhelm I. zugeteilt.
 
Interessant ist auch, das Bismarck die Erhebung zum Herzog von Lauenburg ablehnte, Briefe. die so adressiert waren, wurden zurückgeschickt, aber die Beförderung zum Generaloberst der Kürassiere, die hat er angenommen.
 
Der unmittelbare Anlass, nicht Ursache, für den Hinauswurf Bismarcks war eine Kabinettsordre aus dem Jahre 1852.
Sie besagte u.a. inhaltlich, das ein Minister, welcher dem König unmittelbar Vortrag über eine Angelegenheit halten will, so hatte der Minister den Ministerpräsidenten vorher zu unterrichten. Der Ministerpräsident hatte dann die Möglichkeit bei Vortrag des Minister anwesend zu sein. Ausgeklammert war ausdrücklich der Kriegsminister.

Wilhelm II. verlangte bekanntermaßen von Bismarck ultimativ die Aufhebung dieser Ordre, wozu sich Bismarck mit dem Hinweis auf die Einheitlichkeit der Geschäfte nicht bereit war.

Sehr schnell erkannte dann sein Nachfolger Caprivi, die Berechtigung dieser Ordre. Unter dem Datum des 14.April 1890 gab es einen neuen Erlaß von Wilhelm II. der den alten von 1852 sehr ähnlich, bei den strittigen Punkte praktisch identisch ist.
 
Über Caprivi gibt es auch einiges zu berichten. Bismarck schreibt zu der Amtsübergabe an seinem Nachfolger,

"[...] über den Stand der Staatsgeschäfte, die zu übernehmen er im Begriffe stand über die bisherigen Ziele und Absichten der Reichsregierung und die Mittel zu deren Durchsetzung keine Art von Frage oder Erkundigung an mich gerichtet hat. (...) Es ist mit nie vorgekommen, daß eine Pachtübergabe nicht eine gewisse Verständigung zwischen dem abziehenden und anziehenden Pächter erfordert hätte; in der Regierung des Deutschen Reiches mit all ihren komplizierten Verhältnissen ist ein analoges Bedürfnis nicht hervorgetreten. [...] Meine Erfahrung in unserer Politik reichte 40 Jahre zurück, und durch den Amtswechsel war mein Nachfolger nicht vertrauter mit der politischen Lage geworden, als er in der Front des 10.Corps gewesen war. (1)

Hervorhebungen durch mich.

Bekanntermaßen hatte Wilhelm II. ja seinen Erzieher Hinzpeter am 22.März geschrieben, "der Kurs bleibt der alte; Volldampf voraus." Genau an diesem tage wurde die Entscheidung getroffen, das eben der Kurs nicht der alte bleibt. Caprivi war von der Unumgänglichkeit eines neuen Krieges durchdrungen. (2)

Der General war bis zu seiner Ernennung zum Reichskanzler 40 Jahre im militärischen Dienste gewesen. Im Januar 1892 ließ er im privaten Kreise verlauten, im Falle einer russischen Revolution müsse Deutschland danach trachten , das mächtige Reich zu zertrümmern, also auch vor einem Wagnis nicht zurückschrecken. (3)

Bismarcks außenpolitischer Kurs - die Erhaltung des Friedens in Europa - wurde durch seinen Nachfolger durch eine Vorbereitung auf den Krieg ersetzt.

Caprivi brachte im Reichstag am 23.11.1892 zum Ausdruck, das sich jede politische Frage, auf einen militärischen Faktor reduziert. (4)

Der preußische Finanzminister Miquel, ganz sicher kein Fan von Bismarck, äußerte sich über Caprivi, "[...] daß er schwer begreife und trotzdem so leicht von Entschluß sei; über die einschneidendsten Fragen treffe C. Entscheidungen in Handumdrehen, ohne Nachdenken, wägen sei gar nicht C.`s Sache, immer nur mulitärisch daraufloskommandieren. (5)

So ein Mann wurde Nachfolger Bismarcks.


(1) Bismarck, Gesammelte Werke, Band 15, S.537
(2) Lucius notierte, Caprivi sehe einen Krieg mit Rußland an wie ein unabwendbares Ereignis, was nur unglückliche Folgen für beide haben könne. Lucius, S.260
(3) Röhl, Wilhelm II. Band 2, S.541
(4) Hildebrand, Das vergangene Reich, S.164
(5) Bußmann, Staatssekretär Herbert von Bismarck, Dokument Nr.424, S.580
 
Werfen wir noch ein Blick auf die Person, die das Auswärtige Amt künftig als Staatssekretär des Äußeren leiten sollte. Das war nach dem Abgang von Herbert von Bismarck für die kommenden 7
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Jahre Adolf Freiherr Marschall von Bieberstein.

Marschall war in Baden ein Jahr Staatsanwalt in München. Ab 1883 war Bieberstein der badische Gesandte am Bundestag. Diesen Posten hatte er bis 1890 innen.

Marschall war maßgeblich an dem Sturz Bismarcks beteiligt. Er ließ sich hierbei von innenpolitischen Motiven leiten. Die soziapolitischen Pläne des jungen Kaisers fanden seine volle Billigung.

Bismarck notierte das Folgende über ihn:

„Ich sprach Marschall, der mir als badischer Gesandter ganz gut gefiel, bei mir kurz vor meiner Abreise aus Berlin, da er sich als Staatssekretär des Auswärtigen Amtes vorstellte. Ich wunderte mich über seinen Mut, dieses Amt zu übernehmen, und sagte ungefähr:“ Glauben Sie nicht, daß das eine leichte Bürde sei. Ich betreibe das Metier schon an die 40 Jahre, und doch macht es mir unausgesetzt Sorge, und dabei hatte ich in letzter Zeit noch immer meinen Sohn zur Seite, der sich tüchtig in die Geschäfte eingearbeitet hat und sich ihnen mit viel Fleiß widmet. Wissen Sie was mir Marschall geantwortet hat? Ich bin doch auch schon sechs Jahre lang Diplomat.“ Die Stellung als badischer Gesandter im Bundesrat hielt er für eine diplomatische – als ob diese Herren Politik zu machen hätten. Die Bevollmächtigten zum Bundesrat sind doch im Grunde nichts als […] von ihrer Regierung nach Berlin geschickte hohe Verwaltungsbeamte.“ (1)

Gemäß Radowitz wurde die Ernennung von Marschall mit Kopfschütteln aufgenommen. (2I

Lerchenfeld hingegen meinte, das die Wahl einen guten Eindruck macht. (3)

Brauer schreibt, „Überall in der politischen Welt, nicht bloß in Deutschland, erregte die Wahl großes Erstaunen. Ein Außenseiter, ein der internationalen Welt völlig Unbekannter, ein ehemaliger Staatsanwalt und Gesandter eines deutschen Kleinstaates, sollte der Berater des Reichskanzler des Reichskanzlers für auswärtige Angelegenheiten werden, also der Berater eines Generals, der selbst eingestanden hatte, von auswärtiger Politik nichts zu verstehen.

Caprivi und Marschall hatten also keine Ahnung und davon jede Menge. Es war die Clique um Waldersee, Holstein, Eulenburg etc. die Wilhelm II. diese Personalien nahelegten.

Für die auswärtige Politik bedeutete diese, das zumindest bis 1897 Holstein die auswärtige Politik maßgeblich gestaltete, ab 1897 dann gemeinsam mit Bülow.


(1) Bismarck, Gesammelte Werke, Band 9, S.474

(2) Radowitz, Band2, S. 323

(3) Lerchenfeld, S.171

(4) Brauer, Im Dienste Bismarcks, S.331
 
Unter dem Datum des 23.Mai 1889 hatte Holstein, die graue Eminenz des Auswärtigen Amtes, an Eulenburg das Folgende geschrieben:

"[...] Daß gegen S.D.gearbeitet wird, habe ich gehört und mich am Freitag darüber ganz offen mit Waldersee ausgesprochen. Er stimmte mir ganz darin bei. Daß es bei etwaigen Kriegsläuften ein schwerer Verlust und eine Erschwerung seiner eigenen Stellung sein würde, wenn S.D. sich unzufrieden zurückzöge. Aber Waldersee fügte hinzu, Maybach (Handelsminister Preußens; Anmerkung von mir) ,müsse fort, seine Art von Verwaltung sei eine Gefahr für das Reich. In der Tat stehen die Kabbeleien wegen Maybach jetzt obenan. Nochmals Adieu."

Nachzulesen bei Röhl, Eulenburgs Politische Korrespondenz Band 1
 
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