der "linke" Flügel der NSDAP

thanepower

Aktives Mitglied
Sorry, da muss ich widersprechen.

So vertraute Goebbels, der 1923 eine Broschüre im Verlag der NSDAP über das Vaterland aller Werktätigen - die Sowjetunion - vefasst hatte, in der er den Arbeitern der NSDAP die Freundschaft aller nationalen Sozialisten mit der Sowjetunion nahelegte, seinem Tagebuch an, er verstünde den Irrsinn des Führers nicht, als dieser sich gegen den "jüdischen Bolschewismus" und für einen Lebensraum im Osten auf dem Boden der Sowjetunion aussprach. Er verstand die NSDAP wie auch Goering als "marxistische Partei, die den nationalen Gedanken mit dem Marxismus zu versöhnen sucht" und nicht als Kettenhund des Kapitalismus gegen den sowjetischen Bolschewismus.

Das Stichwort ist schon oben gefallen: "Sorry, da muss ich widersprechen".

Die dargestellte Sichtweise von Goebbels entspricht absolut nicht seiner überwiegenden Sichtweise, angesichts der zahlreichen Äußerungen in den Tagebüchern. Und man sieht, dass ein deutliches anti-jüdisches Weltbild bereits 1924 augeprägt ist [1].

Für gewisse Strömungen innerhalb des Sozialismus (Luxemburg & Bebel) empfindet er zwar ein gewisses Verständnis, um dann jedoch das Verdikt am 07.07. 1924 zu sprechen:

" Später ist der Sozialismus jüdisch verseucht worden. Wie passen zu einem deutschen Spießer die blutrünstigen Weltkatastrophenideen eines Karl Marx, eines Lenin und eines Trotzki?" [1,S. 95].

Und es kommt die Assoziation von Jüdisch = Marxistisch deutlich zum Vorschein, die in den folgenden Jahren die ideologische Leitmelodie von Goebbels werden sollte.

Die Vermutung, dass Goebbels oder Göring (noch nicht mal Strasser-Gebrüder!!) die NSDAP als eine "marxistische Partei" angesehen haben, ist abwegig (vgl. Link)

Nationaler Sozialismus ? Wikipedia

Bereits die Gleichsetzung von Marxismus = Sozialismus ist in diesem Zusammenhang unzutreffend, da lediglich der Begriff des "Sozialismus" durch die NSDAP adaptiert wurde.

Dabei hat der Begriff in seiner Adaption durch die NSDAP ideengeschichtlich wenig mit dem Sozialismuskonzept gemein, sondern orientiert sich eher an der Ständegesellschaft des Mittelalters und ist somit eine "Retro-Ideologie", die tendenziell sich technikfeindlich aufführte.

Betrachtet man Hitler, dann merkt man die geringe Qualität seines theoretischen Wissens (vor der Festungshaft und vor seinen beiden Kampfschriften. Allerdings wurde sein Niveau auch hinterher nicht deutlich besser). So vermerkt Kershaw für 1920 !!! bei Hitler am Rande eines Redemanuskripts "Verbrüderung nach Osten" [2, S. 111] und in diesem Jahr greift er in einer Rede in Rosenheim auch den Marxismus nicht direkt an.

Um dann aber bereits für das Jahr 1922 anzumerken, dass die NSDAP aufgrund einer deutlichen antimarxistischen Haltung und eines dezidierten anti-Bolschewismus in nicht unerheblichem Maße Spendengelder einsammeln konnte.

[1] Josepf Goebbels: Tagebücher, Bd. 1, 1924-1929, München, Piper, S. 88ff
[2] Ian Kershaw: Hitler. 1889-1945, München, DVA, 2009
 
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Gefragt wurde mE nach Belegen :grübel:.

Bisher war es in diesem Forum nicht unbedingt Usus, lediglich Quellen bzw fachwissenschaftliche Literatur anzuerkennen, sondern es wurden auch immer Artikel aus Zeitschriften akzeptiert. Deshalb ist fraglich, warum gerade in diesem Fall der Korb derart hoch gehängt wird.

Als ich noch Moderatorin war - und meines Wissens hat dies seitdem keine Änderung erfahren -, war das Forum immer bestrebt, alle Geschichtsinteressierten, unabhängig von Geschlecht, Alter und Bildungsgrad anzusprechen und ihnen eine aktive Beteiligung zu ermöglichen.

Aus dem verlinkten "Blättchen"
Dieser Blick ist geprägt durch die Entwicklungen und Ereignisse nach 1945: den Stalinismus, der, so oder so, alle betraf; den Konflikt zwischen Ost und West; Anpassung und wenig Widerständigkeit; Hoffnungen nach dem Mauerbau

damit ist für mich "der Kittel geflickt"
 
Aus dem verlinkten "Blättchen"
damit ist für mich "der Kittel geflickt"

Falls du damit dem neuen Forenfreund unterstellen willst, er sei Stalinist, liegst du mE aber schon seeehr falsch. Im übrigen sieht sich die Zeitschrift in der Tradition der Weltbühne, konkreter in der von Ossietzky und Tucholsky, denen du ebenfalls keine Sympathien für den Stalinismus unterstellen kannst. Ein simplifiziertes Weltbild nebst Schubladen erleichtert allerdings nur vordergründig das Leben.
 
Das Stichwort ist schon oben gefallen: "Sorry, da muss ich widersprechen".

Die dargestellte Sichtweise von Goebbels entspricht absolut nicht seiner überwiegenden Sichtweise, angesichts der zahlreichen Äußerungen in den Tagebüchern. Und man sieht, dass ein deutliches anti-jüdisches Weltbild bereits 1924 augeprägt ist [1].

Göring sagte im Nürnberger Prozess aus, er sei einer Partei beigetreten, "die den Marxismus mit dem nationalen Gedanken versöhnen wolle". Siehe dazu die Tonbandprotokolle der Aussagen Görings. Göring fuhr fort: "Er sei der Partei seinerzeit niemals beigetreten, wenn die Partei nicht diese Ausrichtung gehabt hätte". Die Broschüre über die positive Einschätzung der Sowjetunion von einem Dr. Goebbels habe ich selbst in einem Exemplar schon in den Händen gehalten (war Bestandteil eines Nachlasses, der den Freien Humanisten Hamburg zur Verfügung gestellt wurde).

Karl Marx verstand sich als Sozialist bzw. Kommunist. Bakunin sah sich selbst als Anarchist, benutzte jedoch auch Begriffe wie Sozialist und Sozialdemokrat als Selbstbeschreibung.

Ein anti-jüdisches Weltbild ist mit dem Sozialismus durchaus zu vereinbaren, wenn man Karl Marx "Zur Judenfrage" außerhalb des historischen Kontextes interpretiert und die darin enthaltenen Fehldeutungen der jüdischen Religion für bare Münze nimmt. Marx spricht sich in diesem Text dafür aus, die gesellschaftliche Emanzipation bzw. rechtliche Gleichstellung der Juden abzulehnen, da eine Anerkennung dieser Gleichstellung nur möglich sei in einer künftigen Gesellschaft, die den Kapitalismus überwunden hat. Im Kapitalismus "wären die Christen Juden geworden": Marx nutzt hier das Stigma des Juden als Wucherer, um das Wesen des bürgerlichen Kapitalismus zu beschreiben und macht damit den Kapitalismus zu einer jüdischen Erfindung.

"Neger" und "Jude" waren für Karl Marx Schimpfworte, mit welchen er gern seine Rivalen und Gegner bedachte. Eine Stellungnahme von Karl Marx zum jüdischen Sozialismus und Kommunismus des BUND sowie des jüdischen Anarchismus in London und New York erfolgte dementsprechend niemals.

Ruth Fischer, seinerzeit im ZK der KPD, sagte in einer Rede vor nationalsozialistischen Studenten 1923:"Das deutsche Reich...kann nur gerettet werden, wenn Sie, meine Herren von der deutsch-völkischen Seite, erkennen, daß Sie mit den Massen kämpfen müssen, die in der KPD organisiert sind." Und weiter:"Wer gegen das Juden-Kapital aufruft, ... ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. ... Tretet die Juden-Kapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie!"

In einer Parlamentsrede erklärte der Abgeordnete Remmels für die KPD (14.10.1931): Wenn die Faschisten an der Macht sind, wird die Einheitsfront des Proletariats entstehen und alles hinwegfegen. Der Nationalsozialismus sei eine Art Vorspann für die proletarische Diktatur, da er die SPD und die Gewerkschaften zertrümmere. Die Massen der Arbeiter würden sich nach dem Sieg des Nationalsozialismus der Führung der KPD anvertrauen.

Zitiert aus Ollip K. Flechtheim "Die KPD in der Weimarer Republik" 1946.

Für gewisse Strömungen innerhalb des Sozialismus (Luxemburg & Bebel) empfindet er zwar ein gewisses Verständnis, um dann jedoch das Verdikt am 07.07. 1924 zu sprechen:

" Später ist der Sozialismus jüdisch verseucht worden. Wie passen zu einem deutschen Spießer die blutrünstigen Weltkatastrophenideen eines Karl Marx, eines Lenin und eines Trotzki?" [1,S. 95].
Der Textstelle ist eine Anerkennung der Idee des Sozialismus zu entnehmen; diese Idee ist dann später jüdisch verseucht worden. Der Sozialismus wird nicht etwa als jüdisch bzw. jüdische Erfindung abgelehnt, sondern muß eher von einer "jüdischen Verseuchung" gereinigt werden. Mit anderen Worten: Der Sozialismus ist eine auch für den Nationalsozialismus positive Idee und Bestandteil seiner Ideologie, wenn es auch später durch Juden verursachte Fehlentwicklungen und Entstellungen gab. Dies korrespondiert mit der Tatsache, das Texte von Lenin in den Schulen der SS offizielle Schulungstexte waren. Das die deutschen Spießer sich mit Karl Marx, Lenin und Trotzki nicht anfreunden konnten und die von diesen postulierte Revolution ausblieb, wurde auch von Sozialdemokraten, Kommunisten und Anarchisten immer wieder reflektiert.

Und es kommt die Assoziation von Jüdisch = Marxistisch deutlich zum Vorschein, die in den folgenden Jahren die ideologische Leitmelodie von Goebbels werden sollte.
Genau dies ist der dargelegten Textstelle nicht zu entnehmen.

Dabei hat der Begriff in seiner Adaption durch die NSDAP ideengeschichtlich wenig mit dem Sozialismuskonzept gemein, sondern orientiert sich eher an der Ständegesellschaft des Mittelalters und ist somit eine "Retro-Ideologie", die tendenziell sich technikfeindlich aufführte.
Sorry, ein auf einer Ständegesellschaft aufbauender Sozialismus war in England als Fabianismus bekannt. Daher passt der Sozialismusbegriff der Nazis sehr wohl ins Sozialismuskonzept. Die Technikfeindlichkeit und romantische Verklärung des einfachen Lebens schließlich finden wir bei Gusto Gräser, der die Wandervogelbewegung vor und nach dem ersten Weltkrieg beeinflußte.
 
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Ergänzend zu Goebbels' Haltung zum Sozialismus/Kommunismus/Marxismus:

Es ist richtig, dass Goebbels sich in seinen frühen Schriften, bis Mitte der 20er Jahre, mehrfach anerkennend über Sozialisten und Kommunisten geäußert hat. Er selbst bezeichnet sich einmal im Jahr 1923 als 'deutschen Kommunisten'. (1) Selbst für den Bolschewismus und Lenin findet er bewundernde Worte. Dabei unterscheidet er allerdings streng zwischen Bolschewismus/Kommunismus und 'jüdischem' Marxismus. Im Vorwort zur Ausgabe seiner Tagebücher heißt es dazu vom Herausgeber:

"Goebbels unterschied - wohl auch seiner Vorliebe für Rußland und seiner Dramatiker wegen - zwischen Marxismus und Bolschewismus - eine Differenzierung, von der er später unter den Einfluß Hitlers abrücken sollte. Im Bolschewismus sah er den Erben des russischen Nationalismus. Kein Zar - so Goebbels im Jahr 1925 - habe das russische Volk in seinen Instinkten so verstanden wie Lenin, der im Gegensatz zu den deutschen Kommunisten kein internationalistischer Marxist sei. 'Lenin opferte Marx und gab dafür Rußland die Freiheit. Sie (die Führer der KPD) wollen die deutsche Freiheit nun Marx opfern.' Goebbels' politischen Vorstellungen zufolge war der Kommunismus demnach nur so lange verderblich, solange er internationalistisch, daß heißt marxistisch und ihm damit jüdisch gelenkt erschien." (2)

1. Ralf Georg Reuth (Hrsg.): Joseph Goebbels Tagebücher 1924-1945, Band 1: 1924-1929, München 1999, S. 85
2. Ebd., S. 31
 
Die bisherige Darstellung des "linken Flügels" des NSDAP entspricht eher einem ideologischen Zerrbild, denn der Realität. Und deswegen soll dieser Darstellung erneut widersprochen werden. Zumal bisher keine Argumentation vorgelegt wurde, die das sozialistische bzw. angebliche marxistische Element in der NS-Ideologie belegt.

Durch Ernst Nikisch, einem der führenden Vertreter des "Nationalbolschewismus", wurden Teile des NSDAP und die Gebrüder Strasser in den zwanziger Jahren beeinflußt. Nikisch wandte sich mit antisemitischen, rassistischen, einer massiven Frauenfeindlichkeit und einem "proletarischen Nationalismus" bzw. "deutschen Bolschewismus" an ein rechts orientiertes Wähler-Publikum.

Träger dieses "linekn" Kurses waren neben den Strasser Brüdern, auch punktuell der damalige Gauleiter Joseph Goebbels. Teilweise ergänzt durch die ähnlich diffusen Vorstellungen eines Röhms im Kontext der SA. Ihre diffuse und deswegen auch konsensuale Zielvorstellung war es, der NSDAP ein antikapitalistisches "sozialrevolutionäres" Profil zu geben [1]. Inhaltlich orientierte sich die Vorstellung an einem "faschistisch-korporativstaatlichen Aufbau des Reiches, in dem Schwerindustrie und Großgrundbesitz verstaatlicht werden sollten"[3,S.146]. Bei den einzelnen antikapitalistischen Positionen ergaben sich buntschillernde Abweichungen, die jedoch ab 1930 deutlich zurück gedrängt wurden und Personen wie Gottfried Feder und seine Schriften zur "Zinsknechtschaft" keinerlei Bedeutung mehr hatten [4,S.101 ff]

Aus dieser ideologischen Konfrontation ergab sich ein temporärer Konflikt zwischen Hitler und den Strasser Gebrüdern, der zunächst im Jahr 1925 mit einem Patt endete und Hitler die Stellung von Strasser anerkannte. Und geographisch auf ein Nord-Süd-Konflikt hinauslief, nicht zuletzt da in den traditionellen Arbeitermilieurs eine "sozialistische Wahlrethorik" erforderlich war, um Wählerstimmen zu gewinnen. Gelöst wurde dieser Konflikt den beiden erst im Rahmen der "Nacht der langen Messer" im Juni 1934 mit der Ermordung von Gregor Strasser.

Trotz dieses Konflikts weist Bracher darauf hin, dass Hitler nach der Entlassung aus Landsberg (20.12.1924) als Retter der Bewegung sich zu stilisieren wußte und trotz Richtungskämpfen, auch mit den Gebrüdern Strasser, die NSDAP reorganisierte und deutlich auf den "Führer"-Kult einschwörte. Ein Kult, der gerade nicht programmatisch orientiert war, sondern situativ und taktisch agierte [3,S. 142]

Die NS-Programmatik zeichnete sich nicht durch eine Festlegung auf definierte Zielsetzungen aus, trotz des Vorhandenseins der "25 Punkte" [6, S. 265]. So äußert beispielsweise G. Strasser in einer Rede: "Nationalsozialismus ist das Gegenteil von dem, was heute ist." [4,S. 98]. Es ist die Negation des Bestehenden, die das revolutionäre Prinzip der NS-Bewegung ausmachte und aus dem sie die Dynamik bezog.

In diesem Kontext ist auch die Adaption des "Sozialismus" angesiedelt. Bracher klassifiziert sie als eine "nationalistsich überhöhte Sammelparole und entzog sich allen konkrteten Bestimmungen, die über die Polemik gegen jede sachlich-inhaltliche Festlegung hinausführen könnten [4, S.99]. Ähnlich äußert sich Kershaw, der resümiert, dass die "soziale Ideologie" der Nazis in der Geschichtswissenschaft in der Regel als "propagandistische Heuchelei" wahrgenommen wurde [8,S.256]

In diesem Sine äußert sich Goebbels: "Unser Sozialismus ist das Ergebnis eines nationalen Gerechtigkeitsgefühls...Wir sind weder eine Rechts- noch eine Linkspartei und haben in unserer politischen Weltanschauung nichts mit bürgerlichen oder marxistisch Rückständigen zu tun" und eine ähnliche nationale Adaption bzw. eher Verfremdung des Sozialismus-Konzepts nimmt erneut Goebbels vor, wenn er er schreibt: "Der Sozialismus wird Wirklichkeit werden, wenn dieses Vaterland frei gemacht wird." [ebd,S.99]

Inhaltlich orientierte sich dieses nationalsozialistische utopische sozile Denken, wie Turner meint, des "linken Flügels" an einer rückwärtsgerichteten Modernisierung der Deutschen Gesellschaft, das durch eine Art Zunftwesen und bäuerliche Gemeinschaft gekennzeichnet war. Und resümiert: "Obgleich sie selbst diese anti-kapitalistischen Vorstellungen als "Sozialismus" bezeichneten, haben diese mit den im modernen Sozialismus herrschenden Auffassungen nichts zu tun." [5,S. 154]

Sofern also die NS-Adaption des "Sozialismus"-Konzepts überhaupt einen inhaltlichen politisch relevanten Kern aufwies, stand er in der Tradition eines "demagogischen Sozialimperialismus" [4,S. 99 und 101], der nach innen sich gegen "Juden" und "Marxisten" richtete und nach außen für "Revision" und "Expansion" einstand.Diese Haltung kann man auch deutlich als Unterschied zwischen eher NS-Wählern und Wählern des linken Parteienspektrums deutlich aufzeigen.[10]

In diesem Sinne wurde die NS-Bewegung dann auch primär als militant "Anti-Marxistisch" wahrgenommen [ebd,S. 99] in Deutschland und auch im Ausland.

Die SA verkörperte dabei als Organisation innerhalb der NSDAP am stärksten den "sozialrevolutionären Flügel" der NS-Bewegung. Nicht zuletzt aufgrund der persönlichen Verbitterung vieler SA-Leute wurde eine "zweite Revolution erwartet, die für die ca. 4 Mio SA-Miglieder deutliche soziale Verbesserungen bringen sollte.

Diese Einstellung muss jedoch deutlich relativiert werden bzw. im Kontext der Vorstellungen von Röhm als neuer "revolutionärer Gneisenau" gesehen werden und auch die damit zusammenhängenden Ambitionen, die SA zum zentralen politischen Machtfaktor in Deutschland zu machen.

So schreibt Bracher zu den "sozialrevolutionären" Vorstellungen von Röhm, dass man sich davor hüten sollte,in seinen politischen Vorstellungen, eine weitreichende politische Konzeption" zu sehen.[2,,S. 882] Vielmehr identifiziert Bracher in der Einstellung eher eine Fortentwicklung des egalitäre "Frontsozialismus" der Schützengräben des WW1. Zudem wird insbesondere Röhm eine besondere Verbundenheit zur monarchischen Idee und zu den Wittelsbachern insbesondere nachgesagt.

Und Bracher faßt das Weltbild von Röhm dahingehend zusammen: "Die Quintessence des Röhmschen "Sozialismus" bestand also in der Lehre, dass alle Übel der Welt von den Menschen herrühren, die sich von eigenen Interessen beherrschen und andere dafür sterben lassen, und daß daher nur die Sodaten, die von diesen Fehlern frei sind, für die politische Führung in Frage kommen. Es war ein Weltbild von erschütternder Naivität und Beschränktheit...".[2,S.884]

Das Konzept von Röhm war ein Machtpolitisches Konzept und kein auf die gesellschaftliche Transformation abzielender Ansatz, und hatte bestenfalls mit einem pseudo egalitären Aktionismus, der den Kampf zu zentralen Daseinform stilisierte, eine symbolische Nähe zu den Aktion der Bolschewiken.

Und genau so interpretierte Hitler die Haltung Röhms, ohne ihn direkt zu benennen, und sagt:"Er wisse ganz genau, dass es viele unzufriedene Kreaturen gäbe, deren Ehrgeiz nicht saturiert worden sei. ...Er werde das Treiben dieser Subjekte nicht mehr lange ansehen, sondern plötzlich dazwischen fahren."[7,S.261]

Relevant ist dieses Äußerung, weil er den Interessenkonflikt und nicht die ideologische Ebene thematisiert, die bestenfalls instrumentalisiert wurde, um Ansprüche geltend zu machen.

Abschließend eine Bewertung der unterschiedlichen Flügel, weil suggeriert wird, dass der "linke" Flügel bedeutsamer war als es der Realität entsprach. Und Bracher schreibt: "Damit beantwortet sich die Frage, wieweit die Geschichte des Nationalsozialismus auch ohne Hitler denkbar sei...nur er in der Lage,...in der Herrschaft des Dritten Reichs zu führen" [3, S. 140].


[1] Bauer: Nationalsozialismus. Wien, Böhlau, 2008, bes. S.154ff und auch S.235ff
[2] Bracher, Sauer, Schulz: Die Nationalsozialistische Machtergreifung, Köln, Westdeutscher Verlag,1962,bes. S.880 ff
[3] Bracher: Die deutsche Diktatur, Frankfurt, Ulstein, 1983, bes. 133 ff
[4] Bracher: Die Auflösung der Weimarer Republik, Düsseldorf, Droste, 1984, bes. S.96 ff
[5] H.A. Turner: Faschismus und Anti-Modernismus, in: Nationalsozialistische Außenpolitik, W. Michalka (Hg), Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1978, S.148-174
[6] Zehnpfennig: Adolf Hitler: Mein Kampf. München, Fink, 2011
[7] Broszat: Der Staat Hitlers.Wiesbaden, Matrix Verlag, 2007
[8] Kershaw: Der NS-Staat. Hamburg, Nikol-Verlag, 2009
[9] Fromm: Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches, Stuttgart, DVA, 1980
 
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Die bisherige Darstellung des "linken Flügels" des NSDAP entspricht eher einem ideologischen Zerrbild, denn der Realität. Und deswegen soll dieser
Darstellung erneut widersprochen werden.

Durch Ernst Nikisch, einem der führenden Vertreter des "Nationalbolschewismus", wurden Teile des NSDAP und die Gebrüder Strasser in den zwanziger Jahren

beeinflußt. Nikisch wandte sich mit antisemitischen, rassistischen, einer massiven Frauenfeindlichkeit und einem "proletarischen Nationalismus" bzw.
"deutschen Bolschewismus" an ein rechts orientiertes Wähler-Publikum.

Träger dieses "linekn" Kurses waren neben den Strasser Brüdern, auch punktuell der damalige Gauleiter Joseph Goebbels. Teilweise ergänzt durch die ähnlich diffusen Vorstellungen eines Röhms im Kontext der SA. Ihre diffuse und deswegen auch konsensuale Zielvorstellung war es, der NSDAP ein antikapitalistisches "sozialrevolutionäres" Profil zu geben [1]. Inhaltlich orientierte sich die Vorstellung an einem "faschistisch-korporativstaatlichen Aufbau des Reiches, in

dem Schwerindustrie und Großgrundbesitz verstaatlicht werden sollten"[3,S.146]. Bei den einzelnen antikapitalistischen Positionen ergaben sich
buntschillernde Abweichungen, die jedoch ab 1930 deutlich zurück gedrängt wurden und Personen wie Gottfried Feder und seine Schriften zur "Zinsknechtschaft" keinerlei Bedeutung mehr hatten [4,S.101 ff]

Verstaatlichung von Schwerindustrie und Grundbesitz lassen sich auch in den politischen Programmen der verschiedenen kommunistischen Parteien im DR finden (KPD, KAPD etc.) Die Negation des Bestehenden macht auch die Argumentation der kommunistischen und anarchistischen Gruppen vor und nach dem ersten Weltkrieg aus.

Es ist Teil der marxistischen Argumentation eines Engels, in der angestrebten Revolution einen Rückgriff auf Zustände einer früheren Epoche vor der arbeitsteiligen und damit in Klassen und Klassenkämpfe gespaltenen Gesellschaft zu sehen. In der Revolution kehrt die Gesellschaft auf einem höheren Niveau der produktiven Entwicklung in die Epoche vor der Klassenherrschaft zurück. Der Sozialismus oder Kommunismus ist daher eine Rückkehr zur Steinzeit auf dem produktiven Stand eines voll entwickelten Kapitalismus. Bei Engels im "Ursprung der Familie..." wird unter Berufung auf Karl Marx die Geschichte der Menschheit zur Spiralbewegung, in welcher die Gesellschaft nach der Überwindung des Kapitalismus als letzter Stufe der Klassenherrschaft zum Urkommunismus der Klassenlosigkeit zurückkehrt.

Nur jene, die diese Dialektik begreifen, können die Anknüpfungspunkte zwischen linken Nazis und Kommunisten der KPD erkennen. Beide negieren die arbeitsteilige, in verschiedene Interessengruppen oder Klassen gespaltene, durch Klassenkoflikte zerrissene Gesellschaft. Beide Gruppen wollen zu einem idealisierten früheren Zustand der Gesellschaft zurückkehren - sei dieses nun das bäuerliche Frühmittelalter oder der egelsche Urkommunismus. Jedoch sollen dabei die Errungenschaften der arbeitsteiligen Zivilisation nicht verlohren gehen - man will nicht die Medizin abschaffen oder auf Traktoren bei der Feldarbeit verzichten. Sondern man will ein bäuerliches Frühmittelalter oder einen Urkommunismus des gesellschaftlichen Ausgleiches der Interessen im Gewande der modernen Welt.
 
@Nigleas

Da hast Du ein Verständnisproblem mit dem Marxismus. Die Spiralbewegung der Entwicklung der Produktionsverhältnisse geht im dialektischen/historischen Materialismus noch so einigermaßen durch. Ein Rückkehr zum "Urkommunismus", dafür finde ich in Deiner angeführten Belegstelle keinen Hinweis,
vergl.:

Vorliegende Texte von Marx/Engels, die auch in MEW-Band 21 enthalten sind

"..Der Sozialismus oder Kommunismus ist daher eine Rückkehr zur Steinzeit auf dem produktiven Stand eines voll entwickelten Kapitalismus. ..."

Hier rutschen die Termini durcheinander. Steinzeit ist eine eher archäologische Kategorie, von mir aus auch ur-und frühgeschichtliche Kategorie, Sozialismus/Kommunismus eine politökonomische bzw. vw Kategorie*, welche die Eigentumsverhältnisse bzw. aus marxistischer Sicht die Produktionsweise und die Produktionsverhältnisse beschreibt.

Ab jetzt fehlt mir jeglicher Zugang zu Deiner Argumentation:

"...Beide negieren die arbeitsteilige, in verschiedene Interessengruppen oder Klassen gespaltene, durch Klassenkoflikte zerrissene Gesellschaft. Beide Gruppen wollen zu einem idealisierten früheren Zustand der Gesellschaft zurückkehren - sei dieses nun das bäuerliche Frühmittelalter oder der egelsche Urkommunismus. ..."

Engels oder die KPD hatte niemals gefordert die arbeitsteilige Produktion aufzuheben. Verstaatlichung sicher, aber Verstaatlichung heißt politökonomisch nicht "Vergesellschaftung".

Im 25-Punkte Programm der NSDAP finde ich, was nichts heißen muß, nur Ansatzpunkte in 11., 13., 14., 17., 24. Satz (3).

vergl.:

Dokument: Die 25 Punkte des Programms der NSDAP

Da finden sich m.E. keine inhaltlichen Anknüpfungspunkte zwischen Marxismus und ns Ideologie.


M.


* Aus marxistischer Sicht wohl definiert.
 
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