Die bisherige Darstellung des "linken Flügels" des NSDAP entspricht eher einem ideologischen Zerrbild, denn der Realität. Und deswegen soll dieser Darstellung erneut widersprochen werden. Zumal bisher keine Argumentation vorgelegt wurde, die das sozialistische bzw. angebliche marxistische Element in der NS-Ideologie belegt.
Durch Ernst Nikisch, einem der führenden Vertreter des "Nationalbolschewismus", wurden Teile des NSDAP und die Gebrüder Strasser in den zwanziger Jahren beeinflußt. Nikisch wandte sich mit antisemitischen, rassistischen, einer massiven Frauenfeindlichkeit und einem "proletarischen Nationalismus" bzw. "deutschen Bolschewismus" an ein rechts orientiertes Wähler-Publikum.
Träger dieses "linekn" Kurses waren neben den Strasser Brüdern, auch punktuell der damalige Gauleiter Joseph Goebbels. Teilweise ergänzt durch die ähnlich diffusen Vorstellungen eines Röhms im Kontext der SA. Ihre diffuse und deswegen auch konsensuale Zielvorstellung war es, der NSDAP ein antikapitalistisches "sozialrevolutionäres" Profil zu geben [1]. Inhaltlich orientierte sich die Vorstellung an einem "faschistisch-korporativstaatlichen Aufbau des Reiches, in dem Schwerindustrie und Großgrundbesitz verstaatlicht werden sollten"[3,S.146]. Bei den einzelnen antikapitalistischen Positionen ergaben sich buntschillernde Abweichungen, die jedoch ab 1930 deutlich zurück gedrängt wurden und Personen wie Gottfried Feder und seine Schriften zur "Zinsknechtschaft" keinerlei Bedeutung mehr hatten [4,S.101 ff]
Aus dieser ideologischen Konfrontation ergab sich ein temporärer Konflikt zwischen Hitler und den Strasser Gebrüdern, der zunächst im Jahr 1925 mit einem Patt endete und Hitler die Stellung von Strasser anerkannte. Und geographisch auf ein Nord-Süd-Konflikt hinauslief, nicht zuletzt da in den traditionellen Arbeitermilieurs eine "sozialistische Wahlrethorik" erforderlich war, um Wählerstimmen zu gewinnen. Gelöst wurde dieser Konflikt den beiden erst im Rahmen der "Nacht der langen Messer" im Juni 1934 mit der Ermordung von Gregor Strasser.
Trotz dieses Konflikts weist Bracher darauf hin, dass Hitler nach der Entlassung aus Landsberg (20.12.1924) als Retter der Bewegung sich zu stilisieren wußte und trotz Richtungskämpfen, auch mit den Gebrüdern Strasser, die NSDAP reorganisierte und deutlich auf den "Führer"-Kult einschwörte. Ein Kult, der gerade nicht programmatisch orientiert war, sondern situativ und taktisch agierte [3,S. 142]
Die NS-Programmatik zeichnete sich nicht durch eine Festlegung auf definierte Zielsetzungen aus, trotz des Vorhandenseins der "25 Punkte" [6, S. 265]. So äußert beispielsweise G. Strasser in einer Rede: "Nationalsozialismus ist das Gegenteil von dem, was heute ist." [4,S. 98]. Es ist die Negation des Bestehenden, die das revolutionäre Prinzip der NS-Bewegung ausmachte und aus dem sie die Dynamik bezog.
In diesem Kontext ist auch die Adaption des "Sozialismus" angesiedelt. Bracher klassifiziert sie als eine "nationalistsich überhöhte Sammelparole und entzog sich allen konkrteten Bestimmungen, die über die Polemik gegen jede sachlich-inhaltliche Festlegung hinausführen könnten [4, S.99]. Ähnlich äußert sich Kershaw, der resümiert, dass die "soziale Ideologie" der Nazis in der Geschichtswissenschaft in der Regel als "propagandistische Heuchelei" wahrgenommen wurde [8,S.256]
In diesem Sine äußert sich Goebbels: "Unser Sozialismus ist das Ergebnis eines nationalen Gerechtigkeitsgefühls...Wir sind weder eine Rechts- noch eine Linkspartei und haben in unserer politischen Weltanschauung nichts mit bürgerlichen oder marxistisch Rückständigen zu tun" und eine ähnliche nationale Adaption bzw. eher Verfremdung des Sozialismus-Konzepts nimmt erneut Goebbels vor, wenn er er schreibt: "Der Sozialismus wird Wirklichkeit werden, wenn dieses Vaterland frei gemacht wird." [ebd,S.99]
Inhaltlich orientierte sich dieses nationalsozialistische utopische sozile Denken, wie Turner meint, des "linken Flügels" an einer rückwärtsgerichteten Modernisierung der Deutschen Gesellschaft, das durch eine Art Zunftwesen und bäuerliche Gemeinschaft gekennzeichnet war. Und resümiert: "Obgleich sie selbst diese anti-kapitalistischen Vorstellungen als "Sozialismus" bezeichneten, haben diese mit den im modernen Sozialismus herrschenden Auffassungen nichts zu tun." [5,S. 154]
Sofern also die NS-Adaption des "Sozialismus"-Konzepts überhaupt einen inhaltlichen politisch relevanten Kern aufwies, stand er in der Tradition eines "demagogischen Sozialimperialismus" [4,S. 99 und 101], der nach innen sich gegen "Juden" und "Marxisten" richtete und nach außen für "Revision" und "Expansion" einstand.Diese Haltung kann man auch deutlich als Unterschied zwischen eher NS-Wählern und Wählern des linken Parteienspektrums deutlich aufzeigen.[10]
In diesem Sinne wurde die NS-Bewegung dann auch primär als militant "Anti-Marxistisch" wahrgenommen [ebd,S. 99] in Deutschland und auch im Ausland.
Die SA verkörperte dabei als Organisation innerhalb der NSDAP am stärksten den "sozialrevolutionären Flügel" der NS-Bewegung. Nicht zuletzt aufgrund der persönlichen Verbitterung vieler SA-Leute wurde eine "zweite Revolution erwartet, die für die ca. 4 Mio SA-Miglieder deutliche soziale Verbesserungen bringen sollte.
Diese Einstellung muss jedoch deutlich relativiert werden bzw. im Kontext der Vorstellungen von Röhm als neuer "revolutionärer Gneisenau" gesehen werden und auch die damit zusammenhängenden Ambitionen, die SA zum zentralen politischen Machtfaktor in Deutschland zu machen.
So schreibt Bracher zu den "sozialrevolutionären" Vorstellungen von Röhm, dass man sich davor hüten sollte,in seinen politischen Vorstellungen, eine weitreichende politische Konzeption" zu sehen.[2,,S. 882] Vielmehr identifiziert Bracher in der Einstellung eher eine Fortentwicklung des egalitäre "Frontsozialismus" der Schützengräben des WW1. Zudem wird insbesondere Röhm eine besondere Verbundenheit zur monarchischen Idee und zu den Wittelsbachern insbesondere nachgesagt.
Und Bracher faßt das Weltbild von Röhm dahingehend zusammen: "Die Quintessence des Röhmschen "Sozialismus" bestand also in der Lehre, dass alle Übel der Welt von den Menschen herrühren, die sich von eigenen Interessen beherrschen und andere dafür sterben lassen, und daß daher nur die Sodaten, die von diesen Fehlern frei sind, für die politische Führung in Frage kommen. Es war ein Weltbild von erschütternder Naivität und Beschränktheit...".[2,S.884]
Das Konzept von Röhm war ein Machtpolitisches Konzept und kein auf die gesellschaftliche Transformation abzielender Ansatz, und hatte bestenfalls mit einem pseudo egalitären Aktionismus, der den Kampf zu zentralen Daseinform stilisierte, eine symbolische Nähe zu den Aktion der Bolschewiken.
Und genau so interpretierte Hitler die Haltung Röhms, ohne ihn direkt zu benennen, und sagt:"Er wisse ganz genau, dass es viele unzufriedene Kreaturen gäbe, deren Ehrgeiz nicht saturiert worden sei. ...Er werde das Treiben dieser Subjekte nicht mehr lange ansehen, sondern plötzlich dazwischen fahren."[7,S.261]
Relevant ist dieses Äußerung, weil er den Interessenkonflikt und nicht die ideologische Ebene thematisiert, die bestenfalls instrumentalisiert wurde, um Ansprüche geltend zu machen.
Abschließend eine Bewertung der unterschiedlichen Flügel, weil suggeriert wird, dass der "linke" Flügel bedeutsamer war als es der Realität entsprach. Und Bracher schreibt: "Damit beantwortet sich die Frage, wieweit die Geschichte des Nationalsozialismus auch ohne Hitler denkbar sei...nur er in der Lage,...in der Herrschaft des Dritten Reichs zu führen" [3, S. 140].
[1] Bauer: Nationalsozialismus. Wien, Böhlau, 2008, bes. S.154ff und auch S.235ff
[2] Bracher, Sauer, Schulz: Die Nationalsozialistische Machtergreifung, Köln, Westdeutscher Verlag,1962,bes. S.880 ff
[3] Bracher: Die deutsche Diktatur, Frankfurt, Ulstein, 1983, bes. 133 ff
[4] Bracher: Die Auflösung der Weimarer Republik, Düsseldorf, Droste, 1984, bes. S.96 ff
[5] H.A. Turner: Faschismus und Anti-Modernismus, in: Nationalsozialistische Außenpolitik, W. Michalka (Hg), Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1978, S.148-174
[6] Zehnpfennig: Adolf Hitler: Mein Kampf. München, Fink, 2011
[7] Broszat: Der Staat Hitlers.Wiesbaden, Matrix Verlag, 2007
[8] Kershaw: Der NS-Staat. Hamburg, Nikol-Verlag, 2009
[9] Fromm: Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches, Stuttgart, DVA, 1980