Bauwerke mit historischem Wert - erhalten um jeden Preis?

KeineAhnung

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Hallo @all,

diese Frage beschäftigt mich seit ein paar Wochen und ich habe es bislang noch nicht geschafft, mit mir einer Meinung zu sein. :grübel:

Als Hintergrund dazu eine Debatte, die in meiner Heimatstadt in schöner Regelmäßigkeit hochkocht, vermutlich wie in jeder anderen Stadt auch, die über entsprechend viel alte Bausubstanz verfügt. Meine Stadt verfügt über ein gerüttelt Maß davon!

Ganz aktuell ist es das E-Werk, mit Wasserkraft betrieben, mitten in der Stadt, ein Gebäude etwa 190 Jahre alt. Es werden dringend neue Turbinen benötigt, die aber wiederum einen neuen Turbinenschacht erfordern, welcher sich nicht mit dem Erhalt der alten Bausubstanz darüber vereinbaren lässt. Kurzerhand wird abgerissen, Denkmalschutz hin oder her, und ein neues - möglischst futuristisches Gebäude muss her.

Jetzt schlagen zwei Seelen in meiner Brust. Einerseits trauere ich um das schöne alte Haus, andererseits leuchtet mir die Notwendigkeit einer Modernisierung absolut ein. Es dürfte auch eine Kostenfrage sein, dass das Neue unterm Strich billiger kommen wird als das alte umständlich zu sichern, umzubauen und dann weiterhin zu erhalten.

Ein paar hundert Meter weiter den Fluss hinab, residieren 50 Kinder seit 2 Jahren in "heimeligen" Containern direkt an der Hauptkreuzung, weil die brandschutztechnische Sanierung ihres eigentlichen Kindergartengebäudes - nunmehr auch knappe 200 Jahre alt - von der Stadt bisher nicht zu stemmen war.

Wieder wenige hundert Meter den Berg hoch, verfault ein Turm aus dem 16. Jh. Die Sanierung dürfte ein hoffnungsloses Unterfangen sein und ein Fass ohne Boden. Ihn wird man erhalten "müssen", immerhin ist er eines der Wahrzeichen der Stadt...


So, nun meine Fragen:
Wann macht es Sinn, Altes, Kaputtes herzurichten und zu erhalten, wenn man den Luxus 'Ich-hab-Geld-übrig-und-weiß-nicht-wohin-damit' nicht hat?
Wie vermittelt man den Menschen, dass ihre Bedürfnisse wegen etwas Altem zurückstehen müssen?
Wie vermittelt man den Menschen, dass das Alte nix mehr taugt und durch Neues ersetzt werden muss?

Kurz und gut, ab wann mutiert Tradition vom "Weitertragen der Fackel zum reinen Aufbewahren der Asche"?[1]

LG
KeineAhnung

[1] hab ich aus der Werbung geguttenbergt.... :still:
 
Weiß nicht, kommt wohl immer auf die persönliche Affinität und die Einzigartigkeit des Zeugnisses der Vergangenheit an, was auch ganze Komplexe, wie historische Altstadt betreffen kann.
Meine Erfahrung ist nur, dass bei wirtschaftlichen Interessen, gerade in Großstädten eh der Denkmalschutz nix zu sagen hat. Dass auf der anderen Seite in mehr oder minder am Original orientierten Wiederaufbau Millionen gesteckt werden, scheint mir kein Widerspruch.

Außerdem ist das natürlich eine politische Frage. Es kann viel Stimmung, auch gegen ein Baudenkmal (z.B. Palast der Republik) gemacht werden, um eben den Abriss zu befördern.

Bei Industriedenkmälern aus Metall, die v.a. enorm großflächig sind, ist ein Abriss oder eine Verstümmelung zur Neunutzung wohl kaum zu umgehen, weil nicht aus jeder Zeche, Werkhalle etc. ein Industriemuseum gewaltigen Ausmaßes gemacht werden kann.

Genauso verhält es sich doch auch mit dem Umsetzen der schönen Gebäude in Freilandmuseen. Das ist zwar z.T. schlichtweg die letzte Rettung für wundervolle Bauwerke. Auf der anderen Seite verliert damit das platte Land noch mehr an historischer Identität, touristischem Wert usw.. Vor Ort, wo sie errichtet wurden, können doch die Gebäude, v.a. wenn deren Funktion an die Topographie gebunden war (z.B. Wassermühle mit spezieller regionaler Verzierung, Technik usw.), ohnehin i.d.R. die schönste, denkmalwürdigste Aussage entwickeln.
 
Das Problem ist aber auch, dass sich eben recht oft ANGÄNGLICH Orte so selbst empfinden, dass sie als Last eine große Substanz an Baudenkmälern haben. Ein Ort bei Freiburg, ehemals ein hübsches Dorf von Winzern, Viehbauern usw. habe ich noch erlebt, wie es dort Wiesen und dergl. neben einem noch recht hübschen Dorfkern gab. Heute sind allein für mich merklich binnen 5-6 Jahren schon vier-fünf Bauernhöfe verschwunden. Es ist schon seit Jahren primär eine Schlafstadt von Freiburg, bei uns daheim (Brandenburg) nennt man das Kaff - von der Einwohnerzahl eine Kleinstadt, von der Infrastruktur ein Dorf. Weder städt. Charakter ist erstanden, noch dörfl. ist erhalten geblieben. Gerade die kleinen Seldner- oder Gärtnerbehausungen (Kleinstbauern mit winzigen Häusern, welche nichtmal Eigenversorgung mit Anbau von Gemüse sicher stellten) verschwinden rasch und weichen Reihenhaussiedlungen. Aber es verschwinden auch ganze Hofgüter, getarnt als Umbau habe ich schon der Vernichtung eines Bauernhofes aus dem 17.Jh. zugesehen. Heute erinnert nur noch das Verdikt eines typischen Weinkellerbogens an die frühere Bedeutung und den wahrscheinlich früheren Wohlstand der Eigentümer. Aber keine Angst, das verschwindet sicher auch, früher oder später! :winke:
 
So, nun meine Fragen:
Wann macht es Sinn, Altes, Kaputtes herzurichten und zu erhalten, wenn man den Luxus 'Ich-hab-Geld-übrig-und-weiß-nicht-wohin-damit' nicht hat?
Wie vermittelt man den Menschen, dass ihre Bedürfnisse wegen etwas Altem zurückstehen müssen?
Wie vermittelt man den Menschen, dass das Alte nix mehr taugt und durch Neues ersetzt werden muss?

Kurz und gut, ab wann mutiert Tradition vom "Weitertragen der Fackel zum reinen Aufbewahren der Asche"?[1]

Es gibt zahlreiche Bauwerke in Deutschland, die eine bestimmte Stilepoche oder eine bestimmte Zeit in einzigartiger Weise verkörpern und an deren Architektur sich ein Baustil exemplarisch ablesen lässt. Da es davon, je weiter man zurückgeht und bedingt durch die Bomben des Weltkriegs, nur noch wenige Gebäude gibt, sind sie auf jeden Fall schützens- und erhaltenswert. Das gilt selbstverständlich auch für Industriedenkmale, die Abbild ihrer Epoche sind.

Allerdings wird sich nie Streit darüber vermeiden lassen, ob im Zweifelsfall ein Bauwerk wirklich einzigartig und damit erhaltenswert ist. In Städten mit geringer alter Bausubstanz wird man das bei Zweifelsfällen eher bejahen, als bei Orten mit reichen baulichen Überresten. Ebenso wird oft darüber gestritten, ob ein Bauerk als "wertvoll" einzuschätzen ist, also wirklich ein künstlerisch und architektonisch herausragendes exemplarisches Beispiel darstellt.

Nach 1945 maß man z.B. den Bauten der Gründerzeit keinen architektonischen oder bauhistorischen Wert zu. Der reiche Schmuck an Stukkaturen wurde abgeschlagen, Backsteinfronten mit Eternit verkleidet, größere Fenster hineingebrochen. Heute sieht man das differenzierter, sodass in vielen Städten eine Reihe historistischer Bauwerke unter Denkmalschutz steht, weil auch sie eine Epoche - nämlich die wilhelminische und/oder gründerzeitliche - klar erkennbar in Stil und Ausführung verkörpern. Somit ist es also bei vielen Bauten der Gründerzeit eher der bauhistorische Wert als der künstlerische, der sie zuweilen schützens- und erhaltenswert macht.

Bei Bauwerken aus der Zeit des Barock, der Renaissance oder der Gotik ist die Sache viel einfacher. Niemand wird dort in nahezu allen Fällen entweder einen bauhistorischen oder baukünstlerischen Wert bestreiten.
 
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Hallo kA,

ich kann die zwei Seelen in deiner Brust sehr gut nachvollziehen. Es ist halt eine Frage des gesunden Mittelmaßes. Du hast die identifikationsstiftene Wirkung von Gebäude angesprochen (Wahrzeichen) und die Kosten des Erhalts historischer Bausubstanz.
Es ist gewissermaßen eine Kosten- und Nutzenabwägung, was erhalten wird, und was nicht: Was nutzen zersiedelte Landschaften und augestorbene Innenstädte, weil man die historische Bausubstanz um jeden preis erhalten will?
Auf der anderen Seite bedeuten gut erhaltene Altstädte auch ein gewisses Flair, welches wiederum Besucher anzieht und Geld in die Kassen spült - du selber weißt das besser, als jeder andere hier im Forum, ist der Fremdenvekehr doch dein Metier.
Ist ein Gebäude einzigartig? Oder ein Stadtensemble? Was bedeutet es für die Geschichte und das Geschichtsbewusstsein der Region?
Wie ändern sich die Wertvorstellungen? Gerade hier ein Beispiel: In den Nachkriegsjahren haben viele Städte die Chance genutzt, die durch den Bombenkrieg zerstörten Städte neu zu strukturieren. Münster in Westfalen ist einen anderen Weg gegangen und hat - ähnlich wie in Polen Danzig, Warschau oder Krakau - sich bemüht das Vorkriegsstadtbild wiederherzustellen. In den 50er Jahren hat man die Münsteraner dafür verlacht und ihnen den Vogel gezeigt, dass sie keine U-Bahn bauten und keine moderne Innenstadt errichteten. Heute wird Münster dafür von vielen Nachbarn, etwa Bielefeld oder den Ruhrgebietsstädten beneidet. Und wer kennt nicht Orte, wei Rotenburg ob der Tauber etc. deren Charme in ihrem mittelalterlichen (eigentlich frühneuzeitlichem) Flair liegt?
Wichtig ist wohl in erster Linie, dass es den Stadtplanern gelingt, die Städte lebendig und belebt (nicht im Sinne von bevölkert) zu erhalten und dabei im Blick zu behalten, welche stadtplanerische Entscheidung möglicherweise zu unwiederbringlichen Zerstörungen führt.
Allerdings: Machen nicht gerade die Haussman'schen Passagen und Avenuen den Reiz von Paris aus? Hier fiel der Stadtplanung des 19. Jhdts. die Pariser Altstadt zum Opfer. Auf der anderen Seite strahlen verwinkelte Gassen und versteckte Hinterhöfe einen ganz gewissen Reiz aus, man könnte das als Erotik der Städte bezeichnen.

EQ
 
Allerdings wird sich nie Streit darüber vermeiden lassen, ob im Zweifelsfall ein Bauwerk wirklich einzigartig und damit erhaltenswert ist. In Städten mit geringer alter Bausubstanz wird man das bei Zweifelsfällen eher bejahen, als bei Orten mit reichen baulichen Überresten.

Das kommt ganz darauf an. Bei einer (nahezu) intakten Altstadt wäre es geradezu ein Frevel zu sagen: "Wir haben genug Gebäude des 15. - 18. Jahrhunderts, dieser Straßenzug kann niedergerissen werden, um moderneren Bauten Platz zu machen."


Bei Bauwerken aus der Zeit des Barock, der Renaissance oder der Gotik ist die Sache viel einfacher. Niemand wird dort in nahezu allen Fällen entweder einen bauhistorischen oder baukünstlerischen Wert bestreiten.

Vermutlich kann man das sogar "messen": Je älter ein intakt gebliebenes Gebäude ist, desto erhaltenswerter erscheint es. Bei Ein- und Mehrfamilienhäusern und Industriestandorten seit 1950 würde wohl in den seltensten Fällen jemand diese für erhaltenswürdig halten, doch letztlich sind auch sie Zeugnis ihrer Zeit. Was uns wieder zurück zum Problem führt, nämlich eine sinnvolle Entscheidung zu treffen, was zugunsten von Identifikation und historischem Bewusstsein erhalten werden soll (muss!) und was als "minderwertig" verworfen wird.
 
Das kommt ganz darauf an. Bei einer (nahezu) intakten Altstadt wäre es geradezu ein Frevel zu sagen: "Wir haben genug Gebäude des 15. - 18. Jahrhunderts, dieser Straßenzug kann niedergerissen werden, um moderneren Bauten Platz zu machen."

Die Erkenntnis aus Münster, Hildesheim wäre ein weiteres Beispiel, führte in den 70/80er Jahren zu einem Stadtsanierungsboom, der kurz nach der Wende sogar ins östliche Bundesgebiet übertragen wurde. Die kleineren Städte sind idR zufrieden mit ihren alten, sanierten Stadtkernen.

Vermutlich kann man das sogar "messen": Je älter ein intakt gebliebenes Gebäude ist, desto erhaltenswerter erscheint es. Bei Ein- und Mehrfamilienhäusern und Industriestandorten seit 1950 würde wohl in den seltensten Fällen jemand diese für erhaltenswürdig halten, doch letztlich sind auch sie Zeugnis ihrer Zeit. Was uns wieder zurück zum Problem führt, nämlich eine sinnvolle Entscheidung zu treffen, was zugunsten von Identifikation und historischem Bewusstsein erhalten werden soll (muss!) und was als "minderwertig" verworfen wird.

Gerade die 50/60er Nachkriegsbauten sind längst mit der Sanierung dran, wo das noch nicht geschehen ist, wird unter Berücksichtigung der Grundstückslage, Abriß und Neubau die ökonomischere Variante sein.

Um auf kAs Eingangsfrage zurückzukommen, alte Gebäude zu erhalten lohnt sich, abseits von Museumsdörfern und einzelnen Wahrzeichen, mE nur dann, wenn Menschen die Gebäude gerne bewohnen und nutzen.
Und dazu müssen sie saniert und hinter der Fassade auf heutige Bedürfnisse umgebaut werden. Was nicht unbedingt teurer als ein Neubau in gleicher Qualität ist, jedoch teurer als das Stadt- oder Reihenhaus von der Stange.
 
Völlig d'accord! Alles was ihr bislang dazu geschrieben habt, leuchtet mir ein, das ein oder andere würde ich sofort unterschreiben. Aber dennoch spuken mir noch so einige widerspenstige Gedanken durch den Kopf.

Um mal aufzugreifen, was Dieter ausführte, vielleicht am Beispiel des Kölner Doms. Das Ding war schon bei seiner Planung ein Milliardengrab und wird es auch immer bleiben, aber kein Mensch käme auf die Idee, ihn abzureißen. Aber wieviele "Kölner Dome" brauchen wir, um damit eine Epoche - wie beispielsweise die Gotik - in all ihrer Brillianz zu erfassen? Kann man das überhaupt?

Oder ElQ, er hat auch ganz wichtige Dinge geschrieben. Das Alte - sofern gepflegt und liebevoll in Szene gesetzt - hat Charme, Liebreiz und Flair. Das verbinden wir heute auch ein Stück weit mit Lebensart und auch mit Lebensqualität. Die Lebensqualität ist aber unterm Strich eher schlechter, nämlich dann, wenn man nicht nur in den wunderschönen malerischen Gassen flaniert, sondern in einem der "putzigen, hübschen, prächtigen" aber auch zugigen und windschiefen Häusern wohnt. (Und hier weiß ich wovon ich rede....)

ElQ, du hast Münster angesprochen. Auch ein prima Beispiel. Welche Rolle spielt der Zeitgeist? In unserer, eher durch Fachwerk geprägten Region sieht man deutlich ein auf und ab. Irgendwann zwischen 1500 und 1700 in Fachwerkbauweise erstellt, haben sich deren Besitzer es richtig was kosten lassen um möglichst viel Schmuck und Zierrat am Haus zu zeigen. Um 1800 wurden die ersten Häuser schon wieder verputzt, weil es - abgesehen vom Brandschutz - moderner war, ein Steinhaus zu haben, oder zumindest so zu tun als ob. Vor 30-40 Jahren begannen wir, den Putz von den alten Häusern zu kratzen und uns über jede Balkenschnitzerei wie blöd zu freuen. Seit 5 Jahren verschwindet ein Fachwerk ums andere hinter zentimeterdicken Isolierungen...

Andererseits, was erst mal weg ist, ist weg!

Wie werden unsere Kinder und deren Kinder darüber denken? Verfluchen Sie uns ob der "baulichen Altlast", die wir Ihnen vermachen, oder trauern sie um das, was wir vernichtet haben?

Irgendwie kommt mir Piktors Verwandlung grade in den Sinn...:grübel:
 
Allerdings: Machen nicht gerade die Haussman'schen Passagen und Avenuen den Reiz von Paris aus? Hier fiel der Stadtplanung des 19. Jhdts. die Pariser Altstadt zum Opfer. Auf der anderen Seite strahlen verwinkelte Gassen und versteckte Hinterhöfe einen ganz gewissen Reiz aus, man könnte das als Erotik der Städte bezeichnen.
Andererseits gibt es diese breiten Schneisen, die in die Altstädte im 19.Jh. geschlagen wurden (Berlin, München) eher zu Hauf. Wirklich alte Stadtzentren mit verwinkelten Gassen sind bei Haupt- oder überhaupt Großstädten eher Mangelware. Wobei es das am Rande auch noch in Paris gibt. Ich habe mich mal von Kennern des Paris des Ancien Régime (natürlich Wahlpariser) durch diese Gegend führen lassen. Sie wohnten unweit vom Palais Royale (man gönnt sich ja sonst nichts...) und da konnte man schon noch dem Paris nachspüren, das Paris, als Paris noch der absolute modische Nabel der Welt war (Wende 17./18.Jh.).:yes:
 
Ich kenne Paris selbst nicht allzu gut. Das letzte mal das ich dort war, war ich elf oder zwölf. Ich weiß aber, dass es im Quartier Latin heute noch römische Mauern gibt, die in die vorhandenen Gebäude integriert sind. Wenn ich jedoch an Paris denke - und das Paris, welches ich damals kennenlernte entspricht dem auch eher, dann ist es das Paris der Boulevards und Avenuen, also das Paris von Haussmann und Napoleon III.
 
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ElQ, du hast Münster angesprochen. Auch ein prima Beispiel. Welche Rolle spielt der Zeitgeist? In unserer, eher durch Fachwerk geprägten Region sieht man deutlich ein auf und ab. Irgendwann zwischen 1500 und 1700 in Fachwerkbauweise erstellt, haben sich deren Besitzer es richtig was kosten lassen um möglichst viel Schmuck und Zierrat am Haus zu zeigen. Um 1800 wurden die ersten Häuser schon wieder verputzt, weil es - abgesehen vom Brandschutz - moderner war, ein Steinhaus zu haben, oder zumindest so zu tun als ob. Vor 30-40 Jahren begannen wir, den Putz von den alten Häusern zu kratzen und uns über jede Balkenschnitzerei wie blöd zu freuen. Seit 5 Jahren verschwindet ein Fachwerk ums andere hinter zentimeterdicken Isolierungen...
Völlig idiotisch.:autsch: Nach meinen Kenntnissen (Vorträge im Denkmalschutz) ist freiliegendes Fachwerk das beste für die Bausubstanz. Schon die Zierfassaden aus dem 18.Jh. waren dem Fachwerk nicht eben förderlich. Habe ich auch neulich in Arnstadt am Schloss der Fürstin gesehen. Da mussten sie erstmal den Putz wieder abschlagen, um das Fachwerk darunter (ja so arm war scheinbar das Fürstenhaus) zu restaurieren.

Wenn man gute Häuser killen will, dann muss man sie nur unfachmännisch verspachteln und verputzen und streichen. :S Zum Glück vertragen sich schlechte, moderne Farben ohnehin so schlecht mit dem historischen Untergrund, dass der Mist dann nach ein paar Jahren wieder ganz natürlich vom Haus selbst entsorgt wird und auf dem Gehweg davor landet. =)
 
Ich kenne Paris selbst nicht allzu gut. Das letzte mal das ich dort war, war ich elf oder zwölf. Ich weiß aber, dass es im Quartier Latin heute noch römische Mauern gibt, die in die vorhandenen Gebäude integriert sind. Wenn ich jedoch an Paris denke - und das Paris, welches ich damals kennenlernte entspricht dem auch eher, dann ist es das Paris der Boulevards und Avenuen, als das Paris von Haussmann und Napoleon III.
Tut mir herzlich leid. :trost:
Meine ich ganz ehrlich.

Wenn man sich für Geschichte interessiert, sollte man schon alle paar Jahre mal in Paris vorbeischauen. Tipps gebe ich gerne, außer was Hotels und Restaurants anbelangt.:winke:
 
Andererseits, was erst mal weg ist, ist weg!
Nicht unbedingt. Man kann auch z.B. modern mit Fachwerk bauen. Dabei kann man die Gefache auch, wenn es gut gemacht ist, mit Ziegeln ausmauern. Fachwerk heißt ja nicht, dass etwas bieder oder altbacken sein muss. Der Architekt kann sich ja auch an einem Fachwerkhaus verkünsteln, gerade was eine passende Zimmeraufteilung etc. anbelangt.

Dumm ist es nur, wenn man Altes und Neues zusammenbringt und durch Baustoffe, die nicht miteinander harmonieren zuerst das Alte und dann in der Folge das Ganze beschädigt bis zerstört.

Da sollte man am besten Fachleute fragen, die aber z.B. in Kooperation mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz ausgebildet werden. Ich will jetzt keine Werbung machen, aber das sind ohnehin zumeist allgemeinnützige Organisationen mit keinem gewinnorientierten Betrieb. Ich hatte ein Jahr im Freiwilligen Jahr in der Denkmalpflege viel mit dem Thema zu tun und streife es natürlich jetzt immer wieder in den Freilandmuseen, wo ich auch mit Handwerkern und dem Thema des Erhalts der der dort aufgebauten Häuser in Kontakt komme. :fs:

Ich hatte in meinem Freiwilligen Jahr die Ehre und das Vergnügen Herrn Prof. Dr. Kiesow kennen zu lernen. Viele baugeschichtlich interessierte Forianer werden ihn zumindest dem Namen nach kennen. Ich weiß nicht, ob das je seine explizite Aussage war, mir gegenüber, aber was ich im Austausch mit ihm lernte, war:
"Wenn man mit historischen Gebäuden seine Freude haben will - und man kann damit eine sehr große Freude und Befriedigung haben - dann sollte man den Gebäuden mit Demut und Respekt begegnen!"
Man will ja mit dem Gebäude leben. Also muss man auch dem Haus eine Chance geben. Sonst kollidieren da zwei Interessensphären (Nutzung <-> Förderlichkeit für Bausubstanz). Man entscheidet sich ja ohnehin nur für so etwas aufwändiges wie ein historisches Gebäude, wenn man bereit ist, darein etwas zu investieren. Dessen muss man sich bewusst sein. Dann sollte man unbedingt erkennen, was man weiß und wo man sich Rat holen sollte. Das ist genauso empfehlenswert für den privaten Eigentümer wie für eine Stadt als Eigentümer vieler Gebäude (Rathaus, Stadtbefestigung mit Türmen etc.).

In Schwäbisch Hall wurde das bspw. schon in den 70ern oder kurz zuvor erkannt. Ich habe da ein Buch "Schwäbisch Hall, Bilder einer alten Stadt"*, worin der Bürgermeister schon damals seiner Befürchtung Ausdruck verlieh, dass im Grunde die ganze Stadt mit der Bausubstanz, worum sie damals zu beneiden war, wegen eben keinen oder wenigen Kriegsbeschädigungen, vor der Vernichtung stehen würde, wenn man JETZT nicht gegensteuerte und durch Werke wie dieses eben auch auf das hohe Gut eines gesunden Stadtzentrums (noch immer übrigens, mit vielen Türmen, Mauern, aber auch Gastronomie, kleinen Geschäften etc.) hinwies - mit alten Stadtansichten. Die wichtige Entwicklung der Stadt rundherum, mit Bausparkasse und Würth wurde ja davon nicht tangiert. Im Gegenteil man hatte für diese Unternehmen ein repräsentatives Zentrum, womit letztlich auch für Zukunfts- UND Vergangenheitsbewusstsein (man denke an die Restaurierung der Johanniterhalle mit Kunstsammlung Alter Meister) geworben werden konnte. Hier scheint mir die Symbiose von Alt und Neu gelungen, wo die modernen Unternehmen die Verantwortung gemeinsam mit der Stadt usw. erkannt haben.
*Schwärmerei aus! ;-)*

* Kuno Ulshöfer: "Schwäbisch Hall, Bilder einer alten Stadt" Eppinger, Schwäbisch Hall, 1971
 
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Völlig idiotisch.:autsch: Nach meinen Kenntnissen (Vorträge im Denkmalschutz) ist freiliegendes Fachwerk das beste für die Bausubstanz. Schon die Zierfassaden aus dem 18.Jh. waren dem Fachwerk nicht eben förderlich. Habe ich auch neulich in Arnstadt am Schloss der Fürstin gesehen. Da mussten sie erstmal den Putz wieder abschlagen, um das Fachwerk darunter (ja so arm war scheinbar das Fürstenhaus) zu restaurieren.

Ich nehme an Fäulnis, Pilze und andere Feuchtigkeitsschäden? (Das wäre doch ein Thema für unseren Flo (RIP!))
 
Ich nehme an Fäulnis, Pilze und andere Feuchtigkeitsschäden?
Richtig.

Ganz schnell mal, bitte nicht als Vorbild nehmen, kann man auch Gefache mit Beton ausfüllen. :nono:
Es leuchtet wahrscheinlich gleich auch dem Laien ein, dass da was nicht zusammen passt. Ich habe schon Gefache ausgefüllt wie im Mittelalter. Ist weder zeitaufwändig, noch irgendwie schwer. Man kann auch gut und gern drei Schulklassen antreten lassen (vielleicht Grundschule), welche fröhlich im Lehm rumstampfen können. :cool:

Zu verputzten Fachwerkbauten: Also es ist schon klar, dass ich an einem Stadtpalais von superreichen Kaufleuten (ungefähr in einer Liga mit Hochadel dem Vermögen nach) mit Stuckdecken, Deckengemälden etc. nicht den Putz etc. abschlagen würde, wenn die Bausubstanz und Statik evtl. (Holz ändert sich ja, versteift sich aber immer mehr im Kern.) nicht bedroht ist. Es kommt wohl auf das Gesamtbild und das Alter der Fassaden etc. an. Das Fachwerk zeichnet sich ohnehin, wenn man ein halbwegs gutes Auge hat, dann mit der Zeit durch den Putz ab.
 
Nach meinen Kenntnissen ist freiliegendes Fachwerk das beste für die Bausubstanz.
Vermutlich irrst du da. Denn fast alle erhalten gebliebenen Fachwerkhäuser waren über lange Zeiträume verputzt. Die unverputzten sind längst verfault. Deshalb finden sich auch nur ganz selten Fachwerke, deren Holzteile nicht angepickt sind; Verbesserung der Putzhaftung.
Der flächige Putz schützte die Holzkonstruktion vor Feuchtigkeit und holzzerstörenden Tieren/Pflanzen. Häuser mit aufwendigen Verziehrungen sind ja die Ausnahme. Und/Oder sie entstanden erst im „Historismus“.

Gruss Pelzer

.
 
Ich kenne Paris selbst nicht allzu gut. Das letzte mal das ich dort war, war ich elf oder zwölf. Ich weiß aber, dass es im Quartier Latin heute noch römische Mauern gibt, die in die vorhandenen Gebäude integriert sind. Wenn ich jedoch an Paris denke - und das Paris, welches ich damals kennenlernte entspricht dem auch eher, dann ist es das Paris der Boulevards und Avenuen, als das Paris von Haussmann und Napoleon III.

Aber das Paris der Boulevards und Avenuen ist doch das Paris, wie es Haussmann geplant und realisiert hat.

Wenn man einen Eindruck haben will, wie Paris ohne die Haussmann'sche "schöpferischen Zerstörung" aussehen mag, dann mag man sich eine der Städte um Paris herum anschauen. Gerade Städte wie z. B. Rouen, Troyes, Auxerre oder Tours bieten noch geschlossene, architektonische Ensembles aus der frühen Neuzeit.

Und was Paris angeht: die Stadt entwickelt sich ja weiter. Mit der Westerweiterung in den 70er Jahren mit dem Quartier La Défense ist ein Geschäftsviertel mit Wolkenkratzern entstanden. Verbunden ist es über die Verlängerung der Champs-Elysés. In einer Sichtachse vom Louvre aus stehen drei Bögen: zunächst der Arc de Triomphe du Carrousel ? Wikipedia (den Konstantinsbogen im Rom zitierend), weiter der http://de.wikipedia.org/wiki/Triumphbogen_(Paris) (Arc de Triomphe), und schließlich Grande Arche ? Wikipedia in La Défense.

Das ganze ist dann die sog. Axe historique ? Wikipedia, die verschiedene Epochen verbindet.
 
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Vermutlich irrst du da. Denn fast alle erhalten gebliebenen Fachwerkhäuser waren über lange Zeiträume verputzt. Die unverputzten sind längst verfault. Deshalb finden sich auch nur ganz selten Fachwerke, deren Holzteile nicht angepickt sind; Verbesserung der Putzhaftung.
Der flächige Putz schützte die Holzkonstruktion vor Feuchtigkeit und holzzerstörenden Tieren/Pflanzen. Häuser mit aufwendigen Verziehrungen sind ja die Ausnahme. Und/Oder sie entstanden erst im „Historismus“.

Gruss Pelzer

.
Musst Dir mal Stadtansichten von Schwäbisch Hall aus dem 18.Jh. anschauen. Fast alle Häuser, die da als Fachwerk erscheinen, sind es noch heute. Umgekehrt genauso. Was damals verputzt war, ist heute immernoch verputzt.
Da hat man auch oft Verzierungen mit Jahreszahlen dran, sowohl über Türen als auch auf dem Fachwerk selbst.

In meiner Heimatstadt (in Brandenburg) andersrum: Das meiste war und ist verputzt. Hinter den prächtigen Fassaden stehen aber im Grunde nur abbruchreife Häuser. Auch viele Häuserlücken deswegen. :weinen: Kann natürlich auch sein, dass es nichts mit dem Baustoff zu tun hat, sondern mehr damit, dass man sich selbst durch die schmucke Fassade über den Zustand dahinter täuschen ließ.
Ein Extrem habe ich jetzt in Kahla (Thüringen) gesehen. Darfst Du nicht hinfahren. Da kommen einem echt die Tränen. Die prunkvollen Fassaden aus dem Barock kommen runter, samt vorgetäuschter Säulchen. Das Fachwerk wird z.T. mit modernen Hohlblocksteinen notdürftig geschlossen, wo die alten Gefache rausgefallen sind.:weinen::weinen:

Wie alt Fachwerk werden kann, habe ich auch neulich gesehen. Gegenüber vom Restaurant, wo ich aß, stand ein (diese Seite unverputzt) Fachwerkhaus aus dem späten 13.Jh.. :respekt: War natürlich in Schwäbisch Hall. :)
 
Und was Paris angeht: die Stadt entwickelt sich ja weiter. Mit der Westerweiterung in den 70er Jahren mit dem Quartier La Défense ist ein Geschäftsviertel mit Wolkenkratzern entstanden. Verbunden ist es über die Verlängerung der Champs-Elysés.
Wie ich finde, eine schöne Lösung.

Beim Louvre gefällt es mir weniger. Für mich als Besucher war die Raumwirkung durch diese ganze unterirdischen Trakte schon etwas abhanden gekommen. Natürlich dient das auch wieder dazu, dass man nicht das historische Gebäude allzusehr aufbrechen muss, um es den modernen Anforderungen "anzupassen".


Beste Lösung sah ich jüngst in Weimar. Ich hoffe, die bekommen dafür einen Preis. Es handelt sich um einen behindertengerechten Aufgang in das obere Stockwerk (damals Belle Etage) des Bertuch-Hauses (architektonisch weitaus den anderen Stadthäusern überlegen). Es ist heute Stadtmuseum und natürlich u.a. dem bedeutenden Bewohner Bertuch gewidmet. Dort wurde ein Treppenlift geschickt installiert, offenbar, soweit ich das als kurzzeitiger Hochbauer erkennen konnte, rückbaubar, nur mit hölzerner Treppe (modern) verankert. In solchen Palais sind ohnehin die Treppen oft so breit, dass man sowas machen kann und es ist allemal Zerstörungen der Bausubstanz durch gläsernen Aufzugstürmen (eh bei Brandfall eine verlockende Falle!) vorzuziehen.
So, jetzt gibt es mal einen grünen Stern dafür :cool:: *
 
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