Hegemonieansprüche des HRR

Interessanterweise wird aber - abgesehen von einigen Ausnahmen - meist von den "teutschen lanten" gesprochen, d.h. im Plural. Das wird erst dann verständlich wenn man bedenkt, dass der deutsche Teil des Heiligen Römischen Reichs aus über 300 mehr oder weniger selbstständigen Territorien bestand

Auf diese Formulierung würde ich gar nichts geben... Es liegt ja in der Natur der Sache, dass Gebiete aus Untergebieten bestehen, und dennoch eine Einheit bilden. So würde auch kein Amerikaner meinen seine "United States" wären kein einheitlicher Staat.

Dass man von deutschen Landen sprach (und heute auch noch gerne spricht) hat wohl eher denselben Grund, wie man auch von deutschen Stämmen sprach und spricht, um die Eigenheiten bestimmter Regionen zu betonen.
 
Ich empfehle jedem das Buch "Geschichte des Alten Reiches" von Prof. Dr. Georg Schmidt. Dort wird das Mittelalter zwar nur sporadisch behandelt, weil hauptsächlich die Zeit von 1495 bis 1806 im Blickpunkt steht, aber dafür spricht es alle Fragen an, die hier in der Diskussion aufkamen. Schmidt erklärt gleich am Anfang die unterschiedlichen Integrationsgrade des Reiches. Er unterscheidet den Reichslehnsverband, zu dem auch Norditalien gehörte, vom Reichs-Staat, der aus den tatsächlich am Reich partizipierenden Ständen bestand. Außerdem unterscheidet er die unterschiedlichen Ansprüche des Reiches, vom abendländisch-universal gedachten Reich bis zur auf Deutschland beschränkten Staatsnation.

Und bei Deutschland wären wir schon beim Hauptthema: Schmidt weist nach, daß spätestens seit dem frühen 16. Jahrhundert ein allgegenwärtiges und breites Nationalgefühl vorhanden war. Zu dieser Zeit wurden Gedichte über Deutschland geschrieben, Reden über Deutschland gehalten, Flugblätter über Deutschland gedruckt, Geschichtswerke für Deutschland geschrieben, Duelle für Deutschland ausgetragen usw. Schmidt beschäftigt sich mal offener, mal zwischen den Zeilen eben auch mit dem einfachen Volk, das durch solche Handlungen ebenfalls angesprochen wurde, was heißt, daß es auch dem normalen Bauern und Stadtbürgern bewußt gewesen sein muß, einem deutschen Volk anzugehören:

Flugschrift, Zeitungen und Pamphlete richteten sich an das Volk. Sie wurden zwar selten von Bauern, Handwerkern oder Soldaten verfaßt, waren jedoch so formuliert, daß sie vom gemeinen Mann verstanden und weitergegeben werden konnten. Die Käufer und Interessenten kamen aus allen Ständen: hoher und niederer Adel, Bürger, Bauern, Gesellen und selbst Dienstboten. Wer Flugschriften erwarb, die politische oder gar nationale Fragen behandelten, war für diese Thematik sensibilisiert. Wer entsprechende Liedtexte sang, war damit konfrontiert. (...) Bereits zu Beginn der Neuzeit war "Deutschland als Vaterland" im einschlägigen Schrifttum ein fester Wert. Die Flugschriften beschäftigen sich mit der deutschen Nation, die in den humanistischen Diskursen und auf dem Reichstag erstmals erkennbar geworden war. (...)
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Leider ist das Buch nur schwer im Netz zu erhalten. Ich hatte Glück, daß ich auf Amazon eine brauchbare Version günstig erhielt. Wer sich für die Entwicklung des deutschen Nationalgefühls im Alten Reich interessiert, dem empfehle ich aber auf jeden Fall, ein paar Euronen locker zu machen. Er wird es nicht bereuen.
 
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Und bei Deutschland wären wir schon beim Hauptthema: Schmidt weist nach, daß spätestens seit dem frühen 16. Jahrhundert ein allgegenwärtiges und breites Nationalgefühl vorhanden war.

Dass es seit der frühen Neuzeit ein deutsches Nationalbewusstsein gab, wurde auch in der Vergangenheit nie bestritten. Spannender war die Frage, wie und ab wann sich eine solche Identität ausgebildet hat, denn noch unter den Ottonen war das Reich ein Ostfrankenreich - Regnum Francorum orientalium oder kurz Regnum Francorum -, Mitte des 13. Jh. ein Sacrum Imperium Romanum, erst ab dem 15./16. Jh. mit dem Zusatz "Nationis Germanicae".

Sicher ist, dass sich die breite deutsche Bevölkerung einige Jahrhunderte in erster Linie als Baiern, Sachsen, Franken, Hessen oder Schwaben verstand, aus deren Ländern das Römisch-deutsche Reich hervorgegangen war. Ansätze eines deutschen Nationalbewusstseins gab es vermutlich seit dem 12. Jh., was sich dann mehr und mehr verdichtete, ohne dass man nun einen genauen Zeitpunkt angeben könnte, ab wann die breite Bevölkerung sich als "deutsches Volk" betrachtete.
 
denn noch unter den Ottonen war das Reich ein Ostfrankenreich - Regnum Francorum orientalium oder kurz Regnum Francorum -, Mitte des 13. Jh. ein Sacrum Imperium Romanum, erst ab dem 15./16. Jh. mit dem Zusatz "Nationis Germanicae".

Auch unter den Ottonen wurde vom Römischen Reich gesprochen, und auch von Deutschen. Das sind verschiedene Dinge.

Sicher ist, dass sich die breite deutsche Bevölkerung einige Jahrhunderte in erster Linie als Baiern, Sachsen, Franken, Hessen oder Schwaben verstand
Das halte ich überhaupt nicht für sicher. Es kommt doch auf die Perspektive an, gegen wen man sich warum abgrenzen wollte.

aus deren Ländern das Römisch-deutsche Reich hervorgegangen war.

Auch mit der Formulierung kann ich nicht konform gehen. Das ideelle Römische Reich existierte seit der Antike fort.
 
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