Deflationspolitik von Brüning - Weltwirtschaftskrise

iFlorian

Mitglied
Die Maßnahmen von Brüning zur seiner Deflationspolitik waren notwendig oder handelte er völlig falsch? Denn durch seine Deflationspolitik wurde die Krise verschärft.

Ich würde gern wissen, waren seine Maßnahmen notwendig, musste er so handeln, oder gab es alternativen, was musste also eher getan werden?

Gruß.
 
Die Aufgabenstellung impliziert eine Erörterung von pro und contra, du musst also gegenüberstellen und auf Grundlage der Gegenüberstellung selbst einen Schluss ziehen.

Gerade in der älteren wirtschaftshistorischen Forschung war man der Überzeugung, dass das Kabinett Brüning die Gesundschrumpfung hauptsächlich deshalb fuhr um die Reparationszahlungen zu drücken. Die neuere Lehrmeinung ist hingegen, dass Brüning tatsächlich an den Erfolg seiner Deflationspolitik glaubte und zwar insbesondere aufgrund der negativen Erfahrungen der Inflation 14 - 23 in Deutschland.

Einen ersten Einstieg einschließlich einer kritischen Würdigung der Deflationspolitik findest du hier: Deflationspolitik ? Wikipedia
 
Gerade in der älteren wirtschaftshistorischen Forschung war man der Überzeugung, dass das Kabinett Brüning die Gesundschrumpfung hauptsächlich deshalb fuhr um die Reparationszahlungen zu drücken. Die neuere Lehrmeinung ist hingegen, dass Brüning tatsächlich an den Erfolg seiner Deflationspolitik glaubte und zwar insbesondere aufgrund der negativen Erfahrungen der Inflation 14 - 23 in Deutschland.

Wie kommt es zu dieser veränderten Einschätzung durch die Wirtschaftsgeschichte? Eine veränderte Dokumentenlage?
 
Wie kommt es zu dieser veränderten Einschätzung durch die Wirtschaftsgeschichte? Eine veränderte Dokumentenlage?

Vermutlich durch die geringere Bewertung der öffentlichen Begründungen für diese Politik. zu Brüning und der Wirtschaftspolitik gab es eine Reihe von Analysen. Die Wende leitete ein Streit um die Thesen des Wirtschaftshistorikers Borchardt ein.
 
Ergänzend zu Silesia etwas ausführlicher: In seinen Reden betonte Brüning immer wieder, wie wichtig im das Absenken der Höhe der Reparationszahlungen sei. Daraus wurde in der Vergangenheit der Schluss gezogen, dass Brünings Deflationspolitik darauf ausgerichtet war, den Siegermächten zu demonstrieren, dass Deutschland wirtschaftlich gar nicht in der Lage ist, jemals genug finanzielle Mittel zu erwirtschaften, um die Reparationen zu bezahlen. Die jüngere Forschung kommt zu dem Schluss, dass dem nicht so ist, weil in den internen Protokollen zur Wirtschaftspolitik nie die Rede davon ist die Reparationszahlungen zu reduzieren, weswegen hier der Schluss gezogen wurde, dass das Reparationsthema lediglich ein Wahlkampf-/Propagandathema darstellte, nie aber im realen wirtschaftspolitischen Interesse stand. Stattdessen ist in eben jenen Protokollen das Hauptmotiv der Deflationspolitik des Kabinetts Brüning die erhoffte Steigerung des Exports und einem daraus resultierenden wirtschaftlichen Aufschwung.
 
Zu Brünings Verteidigung kann man anführen, dass alternative Konzepte damals noch neu und nicht in der Realität erprobt waren. Das keynesianische Konzept einer nachfrageorientierten, antizyklischen Konjunkturpolitik war (meines Wissens) zu Beginn der 30er Jahre über das Theoriestadium noch nicht hinaus. Zudem birgt eine solche Politik stets das Risiko einer inflationären Entwicklung, und die Hyperinflation von 1923 war ein deutsches Trauma. So hielt sich Brüning an die wirtschaftspolitische Orthodoxie, die in Krisenzeiten einen rigorosen Sparkurs gebietet; wer will, mag hier durchaus Parallelen zur Gegenwart erkennen.
 
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An Kritik für Brünings Deflationspolitik mangelte es später ja nicht. Es wäre interessant, unter den herrschenden Zwängen mal die Reichweite und Relevanz von Alternativen aufzuzeigen.

Da scheint mir viel später an Modellen aufgehängt worden zu sein.:pfeif:
 
Ergänzend zu Silesia etwas ausführlicher: In seinen Reden betonte Brüning immer wieder, wie wichtig im das Absenken der Höhe der Reparationszahlungen sei. Daraus wurde in der Vergangenheit der Schluss gezogen, dass Brünings Deflationspolitik darauf ausgerichtet war, den Siegermächten zu demonstrieren, dass Deutschland wirtschaftlich gar nicht in der Lage ist, jemals genug finanzielle Mittel zu erwirtschaften, um die Reparationen zu bezahlen. Die jüngere Forschung kommt zu dem Schluss, dass dem nicht so ist, weil in den internen Protokollen zur Wirtschaftspolitik nie die Rede davon ist die Reparationszahlungen zu reduzieren, weswegen hier der Schluss gezogen wurde, dass das Reparationsthema lediglich ein Wahlkampf-/Propagandathema darstellte, nie aber im realen wirtschaftspolitischen Interesse stand. Stattdessen ist in eben jenen Protokollen das Hauptmotiv der Deflationspolitik des Kabinetts Brüning die erhoffte Steigerung des Exports und einem daraus resultierenden wirtschaftlichen Aufschwung.

Danke sehr, also nicht unbedingt eine veränderte Dokumentenlage sondern eine veränderte Berücksichtigung der Dokumentenlage. Nehme ich das so richtig mit?
 
Danke sehr, also nicht unbedingt eine veränderte Dokumentenlage sondern eine veränderte Berücksichtigung der Dokumentenlage. Nehme ich das so richtig mit?

So kann man das sehen. Die Diskussion ist bis heute eigentlich nicht richtig abgeschlossen, schau mal hier:

Knut Borchardt ? Wikipedia

Es gab gerade von Borchardts Schülern eine Reihe von Dissertationen, die sich detailliert mit einzelnen Aspekten der deutschen Wirtschaftslage 1930/32 beschäftigt haben.
 
Zumindest eine klare contra-Position.

Die Deflationspolitik wäre - sozusagen als Ausgangspunkt - mit einem Abgehen Deutschlands vom Goldstandard verbunden gewesen, und damit hätte man dem Beispiel Großbritanniens mit der Devalvation des Britischen Pfundes folgen können.
http://www.geschichtsforum.de/f63/goldstandard-und-weltwirtschaftskrise-1929-a-39166/

Die politische Diskussion kreiste dabei allerdings nicht nur um die angebliche Priorität Brünings, zunächst eine Lösung der Reparationsfrage anzugehen.

Man darf den zweiten politischen Grund nicht übersehen: Druck der Gläubigerländer Deutschlands, der eine deutsche Abwertung während der Gültigkeitsdauer des Young-Planes zwangsweise ausschloss (vereinbartes System der Devisenbewirtschaftung).

Optionen bestanden somit realiter erst mit der Revision des Young-Planes durch das Lausanner Abkommen, wonach Sanktionen in Folge einer Devalvation quasi ausgeschlossen waren. Das wäre der Zeitpunkt der Handlungsfreiheit, ab Juli 1932: für Brüning zu spät.

Ansonsten gab es einen Kontext der ökonomischen Diskussion, der ebenfalls Optionen faktisch beschränkte:

- die herrschende Meinung, eine "gesunde" Währung müsse goldgedeckt sein und einen festen Außenwert haben
- Angst vor Inflationsgefahr infolge Abwertung
- herrschende Auffassung, die Abwertung verschlechtere die terms of trade
- Befürchtung, dass eine Devalvation nur vorübergehende und sehr begrenzte Handelsbilanzüberschüsse produziere
- Erwartung, dass die Devalvation die in Devisen bezifferten Auslandsschulden Deutschlands erhöhe
- Überzeugungen, dass eine Abwertung von 20% nicht stabilisierbar und beherrschbar sei, sondern eine Abwärtsspirale durch völligen Vertrauensverlust verursachen werden.

Der Druck dieser Meinungen reduzierte faktisch den Ermessens- und damit Handlungsspielraum Weimarer Regierungen auf Null.
 
Der Druck dieser Meinungen reduzierte faktisch den Ermessens- und damit Handlungsspielraum Weimarer Regierungen auf Null.

Ein paar Anmerkungen, die eher als "innenpolitische" Differenzierung und weniger als Widerspruch zu den außenpolitischen Anforderungen gedacht sind.

Es ist insgesamt auffallend, z. B. [3] S. 204, und [4] S. 457 u. 664, wie gering die Theorie der Deflation auch theoretisch ausgearbeitet ist im Vergleich zu der sehr differnzierten Sichtweise zu den Quellen der Inflation. Dieser Befund unterstreicht auch teilweise die Aspekte, die von "michael" angeführt wurden.

Der Handlungsspielraum war, folgt man Kindleberger [1, S. 145ff] auch sehr stark definiert durch die politische Folgen einer Wiederkehrenden Inflation.

Dennoch gabe es ja durchaus Unterschiede in der Verteilung der Lasten des Sparprogramms. Und an diesem Punkt Punkt ergaben sich die härtesten Auseinandersetzungen.

Zum einen profitierten die "Großagrarier" via "Osthilfe" überproportional und zum anderen forderte die Schwerindustrie (Stahl bzw. Rüstungsunternehmen) eine Umverteilung der Staatsausgaben aus dem Bereich der Sozialpolitik in den Bereich der Schwerindustrie [4,S. 194ff].

Diese Verstimmung führte dann auch zu einer tendenziellen Hinwendung von Teilen des Schwerindustrie (z.B. Hr. Thyssen) zu den Nationalsozialisten.

1. Kindleberger: Die Weltwirtschaftskrise, 1973
2. Hallgarten, G., J. Radkau: Deutsche Industrie & Politik von Bismarck bis heute, 1974
3. Schaal, P.: Geldtheorie und Geldpolitik, 1992
4. Samuelson P.A., W.D. Nordhaus: Volkswirtschaftslehre, 1998, 15. Auflg.
 
Dennoch gabe es ja durchaus Unterschiede in der Verteilung der Lasten des Sparprogramms. Und an diesem Punkt Punkt ergaben sich die härtesten Auseinandersetzungen.

Da müsste man sich einmal den Haushalt anschauen, 1930/31. Falls Interesse besteht, kann ich das kurz skizzieren.

So aus der Hand bin ich skeptisch, ob da wirklich wesentliche Beträge umverteilbar waren, bzw. welche Relation die Beträge zum Bedarf aufwiesen.
 
Im Prinzip wurde der Zwang zur Konsolidierung des Haushalts durch die "maßlosen" Ausgaben im Bereich der Sozialsysteme der vergangenen Jahre als "Sachzwang" begründet.

Meine Beispiele sollten nur daruaf hinweisen, dass es durchaus einen gewissen Spielraum gab und dass Brüning ihn genutzt hatte.

Zumal ihm klar gewesen sein mußte, dass seine Politik zu einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit führen mußte, was dann ja auch faktisch eintrat.

Es ist aus meiner Sicht unwahrscheinlich, dass ihm die politische Bedeutung dieses Anstiegs, im Sinne einer Radikalisierung, nicht bewußt gewesen ist.

Dass seine eigene Partei in den folgenden Wahlen nur marginal von dieser Situation profitieren konnte ist, aus seiner Sciht, eine nicht beabsichtigte Folge, aber er hat vermutlich durchaus unter wahltaktischem Kalkül den Kurs der Wirtschaftspolitik gewählt.

Sofern die Fakten der damaligen Zeit relevant sind für die Ausrichtung seiner Wirtschaftspolitik wären sicherlich die Entwicklung Einkommensverteilung (Lohnkürzungen etc.), die Steuergesetzgebung (punktuelle Erhöhungen und Reduzierungen) und das System der Subventionen (Umschichtung von Subventionen und Neuschaffung) von Bedeutung.
 
Im Prinzip wurde der Zwang zur Konsolidierung des Haushalts durch die "maßlosen" Ausgaben im Bereich der Sozialsysteme der vergangenen Jahre als "Sachzwang" begründet.

Das kann man wieder unter dem Aspekt des "innenpolitischen Drucks", oder aber unter dem Aspekt der Realitäten untersuchen. Es gibt durchaus eine Anschauung, nach der die krisenhaften Entwicklungen durch die "Wohlstandsrepublik" verursacht worden sein soll.

Das ist aber umstritten.

Zumal ihm klar gewesen sein mußte, dass seine Politik zu einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit führen mußte, was dann ja auch faktisch eintrat.
Im Nachgang von 1929 knickte die globale Wirtschaft binnen 24 Monate um rund 30% im Welthandel (mengenmäßig, nicht in bewerteten Geldeinheiten!) ein. Mir will bis heute - bei näherer sektoraler Betrachtung der deutschen Arbeitslosigkeit von 1929/32 - nicht einleuchten, dass
a) diese durch Brünings Deflationspolitik zusätzlich zu den globalen Effekten wesentlich oder nur bemerkenswert verstärkt worden sei
b) deutsches "deficit spending" diese Entwicklung spürbar hätte hemmen können.

Wenn man sich die regionale Ausdehnung der galoppierenden Arbeitslosigkeit in Deutschland anschaut, begann diese in den "Exportzentren" wie Hafenstädte, Industriezentren, dort punktuell durch die "Schlüsselindustrie" verursacht, und dehnte sich dann - Dominoeffekt auch wegen der Finanzklemme der industriellen Kerne - in die Fläche aus. Die durch finanzielle Altlasten betroffene Landwirtschaft bekam die volle Wucht der Krise ab, aber auch das ist ein Derivat der übrigen Umstände.
 
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Die Deutsche Bankenkrise 1931

Das Thema ist hier schon einige Male angerissen worden, zum Beispiel:

http://www.geschichtsforum.de/f62/versailler-vertrag-zu-hart-und-weich-13487/index5.html#post375475
http://www.geschichtsforum.de/f39/g...ahmenbedingungen-37571/index3.html#post640867

Der Wikipedia-Artikel erklärt recht gut die Details: Deutsche Bankenkrise ? Wikipedia
Die Darstellungen basieren weitgehend auf dem älteren Standardwerk von K. E. Born, Die deutsche Bankenkrise 1931, München 1967. Dieser wiederum stützt sich ua. auf die Ermittlungen der Untersuchung zu den Crashs in 1933, dort den entsprechenden Protokollen und Datensammlungen.

Ergänzend zur deutschen Bankenkrise 1931 zu empfehlen: Stefanie C. Wettberg, Der Rückkauf eigener Anteile im deutschen Finanzsystem, Dissertation Heidelberg 2003, dort S. 43-78 (Der Aktienrückkauf und die Bankenkrise von 1931).

Auf Ritschl, James und andere ist in den diversen Beiträgen schon hingewiesen worden.

Zu der Bankenkrise um die Deutsche Bank und Disconto-Gesellschaft AG, die Commerz- und Privatbank AG, die Dresdner Bank AG sowie die Darmstädter und Nationalbank KGaA (Danat-Bank), Reichs-Kredit-Gesellschaft (RKG), die Berliner Handels-Gesellschaft (BHG) sowie weiteren des Bankensektors gibt es bis heute einen Meinungsstreit, der einige interessante Aspekte aufweist:

1. Es wird behauptet, kurzfristige US-Kredite hätten die deutschen Reparationen in der Zahlungsbilanz "gegenfinanziert". Das ist eine nur rechentechnische Betrachtung und eine nur behauptete Wirkungskette, die empirisch bislang nicht belegt worden ist. Tatsächlich bestand die Masse der kurzfristigen US-Kredite gegenüber deutschen Unternehmen, insbesondere dem Bankensektor. Dieser benutzte diesen Finanzierungsweg für die eigene (langfristige!) Kreditvergabe und betrieb somit eine Fristen- und Währungstransformation. Die Reparationsfinanzierung lief dagegen über den staatlichen Sektor. Daneben wird übersehen, dass diese Kreditvergabepraxis aus den USA global nachzuweisen war, strukturell (Schuldnerstrukturen) nicht im Einzelnen empirisch nachweisbar ist, und sich nur in den Aggregaten der Zahlungsbilanz zeigt.

2. Veränderte globale Strukturen der kurzfristigen Finanzierungen in der Weltwirtschaftskrise sind empirisch mangels Datengrundlage nicht nachweisbar. Dazu gibt es lediglich grobe Schätzungen, siehe
Adalet: Fundamentals, Capital Flows and Capital Flight - The German Banking Crisis of 1931,
Harold James: The End of Global Capital Flows During the Great Depression
Albrecht Ritschl, Samad Sarferaz: Currency vs. Banking in the German Debt Crisis of 1931
Michael D. Bordo: The International Transmission of Financial Crises before World War II - Was there Contagion?
Bernanke/James: The Gold Standard, Deflation, and Financial Crisis in
the Great Depression - An International Comparison

3. Der Einfluss des Aufstiegs der NSDAP auf den Abzug der ausländischen Finanzinvestitionen im Deutschen Reich ist empirisch nicht abschätzbar.

4. Der Einfluss der Zollunion- und Vereinigungspläne 1931 zwischen dem Deutschen Reich und dem im Finanzsektor angeschlagenen Österreich ist empirisch nicht abschätzbar.

5. Die Bankenkrise 1931 ist der Kulminationspunkt der Devisen- und Goldabflüsse seit 1928. Der Abzug der kurzfristigen US-Kredite verstärkte sich bereits - wie in anderen Ländern - ab 1929.

6. Es ist empirisch nicht abschließend untersucht, welche Rolle die US-binnenwirtschaftliche Finanzkrise ab 1929 hatte - hypothetisch ist diese Krise mit eigenen Bankzusammenbrüchen und Liquiditätsproblemen ein Grund für die Abzüge der kurzfristigen Kredite im Ausland (Versorgung des heimischen Kapitalmarktes)

7. Die deutschen Banken unterlagen seit der Inflation 1923 einem stetigen Eigenkapitalverzehrr durch kurzstützende Aktienrückkäufe. Die Auszehrung der Eigenkapitalausstattung (rd. 50% eigene Aktien) kombinierte sich 1931 mit einer Vertrauenskrise.

8. Spekulativ ist der Zusammenhang mit dem Reparationsproblem. Klar ist, dass Liquiditätsrückflüsse der kurzfristigen Kredite die Devisenbilanz und Goldbestände des Deutschen Reiches belasten würden. Diese wiederum bildeten die Deckungsmittel des Zentralbankgeldes. Klar ist, dass frühere "Reparationskrisen" und scharfe Diskussionen hierzu den Abzug der ausländischen Mittel nicht bewirkt hatten, sondern sich diese Devisenpositionen sogar aufbauten. Bereits dieser Zusammenhang zeigt klar, dass ein anders gelagertes Ursachenbündel 1931 mit dem Zusammenhang zur Reparationsfrage gegeben war.

9. Krisenfaktor waren Bilanzbetrug und verschleierte Verluste aus unterlassenen Wertberichtungen, vorwiegend marode Industriekredite der Banken. Die Bonität (und Liquidität) von Industrie und Handel war durch die Rückgänge der Realwirtschaft in der Weltwirtschaftskrise stark angeschlagen.

10. Krisenfaktor war weiterhin (siehe verlinkte Quellen zum anders gelagerten Fall in Italien) die kurzfristige hysterische Berichterstattung speziell in Deutschland, die staatlicherseits - anders als in anderen Ländern - nicht reglementiert wurde. Ähnliche und vergleichbare Krisenstrukturen in den Ländern führten somit zu unterschiedlichen Krisenverläufen bzw. -umfängen.
 
Eine Deflationspolitik kann durchaus funktionieren, aber nicht wenn es alle machen. Dann kann keiner mehr exportieren weil es dafür keinen Markt gibt.

Da aber eine ganze Reihe von Staaten versuchten mehr zu exportieren und weniger zu importieren funktionierte dies nicht.
 
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Brüning, die Bankenkrise und die Rating-Agenturen

Gestern habe ich Ritschl mit seinen interessanten und differenzierten Untersuchungen zu Deutschland, der Banken- und Weltwirtschaftskrise noch erwähnt, heute wandert er mit einem nmE etwas dubiosen Interview durch die Presse. Verkürzt :

a) die US-Kredite haben die deutschen Reparationen refinanziert
b) Brüning sei die Deflationspolitik vom Ausland aufgezwungen worden.

Das Interview hatte den Hintergrund der Staatsschuldenkrise, was zum Thema nicht weiter beachtlich ist. Vermutlich ist er stark verkürzt wiedergegeben worden. Sei's drum, immerhin kann man die missverständliche Aussage zur "Refinanzierung" aufgreifen.

Wenn davon in makroökonomischen historischen Betrachtungen die Rede ist, wird idR auf die Zahlungsbilanz bzw. die Devisenbilanz abgestellt. Insofern ist die Aussage völlig richtig: die US-Kredite haben die Reparationen (in der arithmetischen Betrachtung der Zahlungsflüsse) "refinanziert".

Der sachliche Hintergrund ist ein anderer: ausgehend vom Dawes-Plan (800 Mio. Mark-Anleihe) fanden sich in den 1920ern eine Vielzahl von US-Anlegern, die zT über Fondsgesellschaften und Banken im Ausland Kredite zeichnen. Dieses Verhalten wurde in Studien anhand der höheren Zinsniveaus und fehlenden bzw. falschen Risikoeinschätzungen erklärt. Bei einem Großteil der Anleger handelte es sich um Kleinanleger am US-Kapitalmarkt. Der Trend ist in die Spekulationsfreude vor 1929 einzuordnen, und wurde zunächst 1929 abgebremst bzw. beendet.

Die US-Behörden waren hierüber gespalten. Erste Warnberichte kamen 1925, verstärkt 1928 über die ausländischen und speziell die deutschen Investments. Die Warnungen über die "Anlagefreude" des US-Kapitalmarktes und der US-Banken gingen vom Handels- und Finanzministerium aus, wurden jedoch vom Außenministerium sowie intern im Handelsministerium geblockt. Die Kapitalflüsse wurden aus grundsätzlichen Erwägungen über freie Kapitalmärkte sowie aus politischen Gründen (Stabilisierung des Deutschen Reiches vor dem Hintergrund der Revolution in Russland) geblockt. Schließlich lag der Saldo der kurzfristigen Auslandskredite und Auslandsschulden für die USA sogar knapp im Minus (ohne Länderdifferenzierung), wohingegen die langfristigen Forderungen erhebliche Überschüsse aufwiesen. Auch das verminderte die Besorgnis.

Ab etwa 1922 traten die Rating-Agenturen in Erscheinung, und versorgten die Kapitalmärkte u.a. mit Länderratings. Diese verschlechterten sich fortwährend bis 1929, was sehr wahrscheinlich nicht nur an den Rahmendaten, sondern auch an fortwährend verfeinerten Analysen lag. Schließlich befand man sich in den "Kinderschuhen" nationalökonomischer Kennzahlenanalyse. Aber immerhin korrespondierten diese Urteile mit den zunehmenden Warnungen und der wachsenden Besorgnis in den Ministerien. Die Bonität des Deutschen Reiches sackte fortwährend ab, vor Brüning. Um das zu verorten: 1929 vor der Krise lag der schon damals verwendete Schuldenindikator iVz Bruttosozialprodukt bei ca. 100% inkl. "bereinigter" Reparationen, und schnellte durch die Krise ab 1929 in folgenden Jahren auf 110% hoch (unter Berücksichtigung des Young-Planes mit Schuldenreduktion).

Im Zuge der Finanzkrise brachen rd. ein Viertel der US-Banken zusammen, außerdem reduzierte sich das Einlagenvolumen erheblich. Diese Entwicklung hat offensichtlich erheblich zu den Kreditabzügen aus Deutschland beigetragen, ebenso wie die mittlerweile vom Markt beachteten kritischen Stimmen und verschlechterten Ratings m Deutschen Reich.

Der Kollaps dieses Systems von Zahlungsflüssen war somit vorprogrammiert. Die Deflationspolitik Brünings glich damit einem "Griff in das bereits fallende Messer". Das schnelle Übergreifen der österreichischen Bankenkrise auf Deutschland ist daher wohl eher als logische, zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr steuerbare Konsequenz zu sehen. Reparationsdiskussionen, die noch in den 1920ern vom Markt nicht wesentlich aufgegriffen wurden, bildeten (nur) das letzte Mosaikstückchen für den Kollaps. In dieser Gemengelage kann es im empirischen Nachweis von Wirkungsketten kaum von anderen Vorgängen, wie zum Beispiel das Erstarken des Nationalsozialismus ab 1929, getrennt werden.
 
Die Darstellungen von Brünings Deflationspolitik in den Zeitungen gehen weiter, offenbar in Zusammenhang mit 80 Jahren Untergang der Weimarer Republik.

Die Borchardt-Kontroverse und ihre Ergebnisse scheint dabei kaum eine Rolle zu spielen, ähnlich wie in der Schmidt-Rede im letzten Dezember. Hier die Ausführungen von Ritschl zu Borchardts Interpretationen, Vortrag 2001 vor der Ranke-Gesellschaft:

http://personal.lse.ac.uk/ritschl/pdf_files/BorchardtsInterpretation.pdf
London School of Economics and Political Science
 
Der politische Diskurs in historischer Darstellung, losgelöst von Fragen der ökonomischen Machbarkeit und ohne Nachweis der Wirksamkeit:
Ursula Büttner, Politische Alternativen zum Brüningschen Deflationskurs. In: VfZ 1989 Heft 2, S. 209-251.
Institut für Zeitgeschichte: VfZ-Download (1953-2006)

Die Diskussion hat sich dabei auf die Frage zugespitzt, ob eine Alternative vorgelegen habe. Die Quellenrecherche hat sich darauf konzentriert und den Nachweis geführt. Im zweiten Schritt dient Keynes ex post und methodisch als Kronzeuge der Machbarkeit und Wirksamkeit. Die Frage, ob die vorgeschlagene Verschuldung im Kontext der Weltwirtschaftskrise binnenwirtschaftlich realisierbar war, wer also die Verschuldung zeichnen sollte, bleibt unbeantwortet. Zur Alternative Reichsbank siehe unten Goldwertstabilität.

Der Meinungsstreit?
"Alternativen zu Brünings Deflationspolitik -Die Deflationspolitik der Jahre 1930 bis 1932 wird in der Geschichtsforschung kontrovers beurteilt..."
Zerstrung der Demokratie 1930-1933 | bpb

Sparpolitik und sinkende Verschuldung?
Zwischen 1928/29 und 1931/32 stieg die gesamte Öffentliche Verschuldung im Deutschen Reich von 18 Mrd. RM auf 24 Mrd. RM, somit um ein Drittel (Reich: 8,2 Mrd -> 11,4 Mrd).

Steuereinnahmen?
Sie sanken von 10 Mrd. auf 7,3 Mrd. RM, somit um ein Viertel. Dabei wurden insbesondere die Tarife der indirekten Steuern in der letzten Phase erhöht, bremsten jedoch den konjunkturellen Verfall der Steuereinnahmen kaum ab.

Preisverfall und Kostensenkung?
Sie wurden staatlich verordnet und sind im Verfall der entsprechenden Indices nachweisbar. Der Verfall setzte allerdings schon 1929 ein und ist zu einem nicht isolierbaren Teil krisen(bzw. nachfrage-)getrieben. Die Reichsbank belegt in ihren Jahresberichten, auf die Goldwertstabilität der Mark fixiert gewesen zu sein. Die Abwertung nach britischem Vorbild, um der intervalutarischen Aufwertung der Mark gegenzusteuern, sah man vor Regelung der Reparationsfrage als nicht realisierbar an. Diese Aufwertung ergab sich rein rechnerisch als Folge der binnenwirtschaftlichen Preissenkungen, basierte also auf eine Berechnung der Kaufkraft-Paritäten. Ihre isolierte Wirkung auf die deutschen Exporte ist empirisch in der Diskussion nicht nachgewiesen. Gleiches gilt für die Verteuerung der Importe 1929/32, die geprägt waren durch einen starken Rückgang.
Importe 1929/32: 13,4 -> 4,6 Mrd. RM
Exporte 1929/32: 13,4 -> 4,8 Mrd. RM
Über den Anteil der Deflationspolitik an dieser Entwicklung lässt sich nun streiten. Der Außenhandels-Vergleich mit anderen Ländern, zB Großbritannien mit Deflationspolitik ab 1925 (!) und anschließender Pfund-Abwertung, Frankreich, USA, berechtigt den Schluss, dass der Effekt für das Deutsche Reich recht klein gewesen ist.
 
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