In seiner mehrbändigen Schrift der Erkenntnisprobleme gibt Cassirer 1920 an.
Die Arbeit von Ernst Cassirer zur Relativitätstheorie (Sek.-Lit. gibt aber doch 1921 an) wurde auch wiederabgedruckt in "Zur modernen Physik" (Darmstatt, 1957) oder in Bd 10 der Hamburger Gesammelten Werke. Aber das nur nebenbei.
Obzwar es ja (wie mehrfach bemerkt) unwahrscheinlich ist, daß die Relativitätstheorie an sich einen direkten Einfluß auf das "relativistische" kulturwissenschaftliche Forschungsparadigmen gehabt haben sollte, wurde hier doch implizit auch nach der sozialen Verunsicherung gefragt, die diese damals neue physikalische Theorie auslöste:
Ich habe zunächst nur einen kleinen Hinweis bei Stephen hawking "das Universum in der Nussschale" gefunden, wo erwähnt wurde, dass das Bekanntwerden über die Inhalte der Relativitätstheorie in der Gesellschaft einen Diskurs über die Relativität von Gesetzen (im weitesten Sinne, also Moral, Normen, Gesellschaftliche Normen) insgesamt auslöste.
Es ist schon witzig, daß ich dieses Buch, das ich mir vor einigen Jahren einmal gekauft hatte, selbst für erste Überlegungen zur Hand nahm. Das dortige Zitat, daß die ursprüngliche Frage anregte, war also wohl dieses:
"Einstein hatte zwei 'Absolute' des 19. Jahrhunderts entthront: die absolute Ruhe, die der Äther verkörpert, und die absolute oder universelle Zeit" [...]. Viele Menschen fanden die Vorstellung beunruhigend: Bedeute dies, so fragten sie, dass alles relativ sei, dass es nun auch keine absoluten moralischen Maßstäbe mehr gebe? Dieses Unbehagen hielt bis in die zwanziger und dreißiger Jahre an." (Hawking, Kp. 1: Eine kurze Geschichte der Relativitätstheorie)
Ende der 1940er Jahre sah sich Einstein anscheinend veranlaßt zu betonen, daß sein Relativitätsbegriff ein physikalischer sei und kein ethischer (Zitat hier zu finden:
Sechs dominante Theorien, Teil 4: Positivismus und Relativismus: wircklich nichts Absolutes? | Ethik/Philosophien/Theorien: Vision Journal) Da die Internetquelle leider keine Lit.-Referenz macht, muß ich für die Klärung der Frage, wieso sich Einstein überhaupt zu dieser Klarstellung veranlaßt fühlte, auf einen nachfolgenden Beitrag verschieben, da ich noch recherchieren muß.
Klären möchte ich aber, ob die davon zu unterscheidende Behauptung aber haltbar ist, daß seine Theorie keine philosophischen Implikationen hätte, und zwar anknüpfend an meine Bemerkung:
Hier ist interessant, daß man sich eigentlich wenig überrschend im weiten Feld der philosophiegeschichtlichen Debatten wiederfindet, die schwerlichst zu rekonstruieren wären.
Einstein dachte gewiß an die Moralphilosophie, sofern er das tatsächlich so explizit auf Philosophie im allgemeinen bezogen haben sollte, wenn überhaupt. Aber eine strikte Trennung von Physik & Philosophie läßt sich letztendlich auch problematisieren, was in der Regel auf Aufgabe der Wissenschafthistoriker ist. Ich bin heute zufällig auf einen Artikel über "Cassirers konstruktive Rezeption der philosophischen Anfänge des physikalischen Relativismus" von Enno Rudolph (2003) gestoßen, der mich zu weiteren Überlegungen veranlaßt hat. Im dritten Teil der kurzen Abhandlung bespricht er die Rezeption zweier frühmoderner Ansichten zur Raumtheorie, die mit Newton & Leibniz verbunden sind.
Die Position von Leibniz wurde von Ernst Cassirer insoweit aufgegriffen, indem er mit einer Leibnizschen Lesart Kants Erkenntnistheorie mit der Relativitätstheorie für vereinbar hält, wenn sich letztere sich nicht geradezu als eine grundlegende Stütze der Transzendentalphilosophie erweisen würde: "Wenn demnach Einstein es als den Grundzug der Relativitätstheorie bezeichnet, daß durch sie dem Raum und der Zeit , 'der letzte Rest physikalischer Gegenständlichkeit' genommen werde, so zeigt sich, daß die Theorie hierin nur dem Standpunkt des kritischen Idealismus die bestimmteste Anwendung und Durchführung innerhalb der empirischen Wissenschaft selbst verschafft. Raum und Zeit werden in der kritischen Lehre zwar in ihrer Geltung und als Ordnungsformen von Inhalten, die sich in ihnen ordnen, unterschieden: - aber ein losgelöstes Dasein dieser Formen gibt es für Kant so wenig im subjektiven, wie im objektiven Sinne." (Cassirer, zit. nach Rudolph, S.29)
Rudolph selbst sieht hier allerdings ein vermeintliches Problem: Er meint nämlich, daß "[f]ormalistische Raum- und Zeitbegriffe [...] Einheitsprinzipien" seien: "Kant spricht den Gegeständen Objektivität vermöge der Einheit der Anschauungsformen [zu]"; Cassirer hat dieses Problem gewissermaßen dahingehend antizipiert mit dem Argument, daß diese Einheit nun in der Form eines gültigen Relationssystems repräsentiert sei. Der Einwand, daß sich der A priori-Rahmen geändert hätte, könnte freilich wissenschafttheoretische Konseuqenzen haben: "Weil die Newtonschen Physik durch die Relativitäts- und Quantentheorie überholt worden ist, erscheinen auch Kants Grundsätze des reinen Verstandes letztlich als gescheitert" (Höffe, S.121) Aber diese Konsequenz - eine Position, die mutmaßlich Bertrand Russel gezogen haben dürfte - ist erkenntnistheoretisch gesehen voreilig: Kant wollte doch eigentlich die Möglichkeit der objektiven Erkenntnis begründen und die angesprochene Einheit - wenn ich das richtig verstehe - basiert weniger auf einem analytischen Resultat, als sie vielmehr selbst synthetisch ist: "Die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung (B 197); Gegenstandskonstitution und Erfahrungskonstitution bilden eine wesentliche Einheit." (ebd. S.20 f)
Zu Russel habe ich zwar keine Literatur vorliegend, aber er hielt vom deutschen Idealismus wohl nichts, und damit auch nichts von Kant (vgl.
The Problems of Philosophy by Bertrand Russell), was ich merkwürdig finde, weil er einer zutiefst krtizistischen Auffassung zugeneigt haben müßte, sollte er im
ABC der Relativitätstheorie als philosophische Konsequenz tatsächlich behauptet haben, daß mit der Ding-Ontologie auch der philosophische Begriff der Substanz hinfällig geworden sei (vgl.
http://www.phil.uni-passau.de/fileadmin/group_upload/64/online-Relativitaetstheorie.pdf) ...