Warum wurde Preußen nach Kunersdorf nicht besiegt?

Fulcher

Aktives Mitglied
In der Schlacht bei Kunersdorf (August 1759) erlitt der Preußenkönig Friedrich II. bekanntlich eine erdrückende Niederlage. Es hätte nicht viel gefehlt und er wäre selbst auf dem Schlachtfeld gestorben. Friedrich glaubte zu jenem Zeitpunkt ja auch, dass nun alles verloren wäre - jedenfalls hat er das kurz nach der Schlacht geschrieben. Warum sind die verbündeten Russen und Österreicher nicht anschließend zur Hauptstadt marschiert (nur etwa 100 km entfernt), um den Siebenjährigen Krieg damit ein für alle mal siegreich zu beenden? Gibt es dafür eine vernünftige Erklärung?
 
So genau ist das glaube ich nicht bekannt, aber es lag wohl vor allem daran, dass Russen, Franzosen und Habsburger sich nicht einigen konnten, mit welcher Strategie und welchen Operationen sie Berlin einnehmen sollten und so erstmal gemütlich in der brandenburgischen Provinz kampierten. In dieser Zeit der Uneinigkeit konnte Fritz seine Truppen sammeln und als die Feinde dann endlich wieder gemeinsam zuschlagen wollten, war an einen Angriff auf Berlin schon nicht mehr zu denken.

Dass die antipreußische Koalition sich diese unglaubliche Gelegenheit entgehen ließ, ist auch als "Mirakel des Hauses Brandenburg" bekannt.
 
Wäre der Marsch auf Berlin vielleicht eher zustande gekommen, wenn Friedrich an jenem Tag gestorben wäre? Dan hätte es diese Unentschlossenheit wohl nicht in dem Maße gegeben und die "Fritz-Fans" wie der 2 1/2 Jahre später an die Macht gekommene Zar Peter III. hätten in den folgenden Jahren weniger Grund gehabt, Preußen in seiner damaligen Größe zu erhalten.
 
Wäre der Marsch auf Berlin vielleicht eher zustande gekommen, wenn Friedrich an jenem Tag gestorben wäre? Dan hätte es diese Unentschlossenheit wohl nicht in dem Maße gegeben und die "Fritz-Fans" wie der 2 1/2 Jahre später an die Macht gekommene Zar Peter III. hätten in den folgenden Jahren weniger Grund gehabt, Preußen in seiner damaligen Größe zu erhalten.

Davon gehe ich aus. Fritz hatte ja schon nach der Schlacht seinem weniger charismatischen Bruder den Oberbefehl übertragen und rechnete wohl mit seinem baldigen Tod an der Verletzung, hätte ihn nicht seine berühmte Tabaksdose gerettet...
Sicher war Friedrich eine außergewöhnliche Persönlichkeit mit Wirkung in ganz Europa, und Stimmen wie Voltaire in Frankreich verhinderten zuweilen auch ein energischeres Auftreten gegen Preußen. So wollten die Franzosen ja eigentlich schon nach dem Untergang im Verein mit der Armee des HEILIGEN RÖMISCHEN REICHES DEUTSCHER NATION - ähem - an Friedensverhandlungen teilnehmen, was von Aufklärern gefordert wurde.
 
Meinungsverschiedenheiten zwischen Daun und Soltykow dürften sicher eine Rolle gespielt haben.

Als nämlich Daun davon Kenntnis erhielt, das Prinz Heinrich mit seinen Truppen Dauns Nachschublinien in der Niederlausitz unterbrach, verzichtete Daun auf dem Marsch nach Berlin.

Soltykow verspürte dann auch keine Neigung mehr Berlin zu nehmen. Soltykow vertrat die Meinung, dass er genügend für die alliierte Sache getan hätte, da er mit seiner Armee fast die ganze Last der Kämpfe getragen habe. Er verließ am 15.September sein Lager in Lieberose und nahm seine Armee über die Oder nach Osten zurück.
 
Preussen wurde nur von einer Tatsache gerettet: Das Zarin Elisabeth 1762 starb, und dies nicht überraschend geschah, sondern absehbar war; und ihr designierter Thronfolger Peter (dann III) war ein glühender Preussen-Fan...

Dies ist bei allen Entscheidungen der russischen kommandierenden Generäle zu bedenken: Sie wussten, dass ihr Herrscher und Vorgesetzter in Kürze jemand wäre, der Freidrich verehrte, wie den preussischen Staat und das preussische Militär. Selbst noch zu Lebzeitgen Elisabeths wäre es riskant gewesen, als der Feldherr bekannt zu werden, der Preussen und Friedrich zu Grunde richtete.

Nach Elisabeths Tod tratt Rußland aus dem Krieg aus; wäre dies nicht geschehen, bzw wäre vorher klar gewesen, dass Elisabeths Nachfolger den Krieg fortführen und Preussen nachhaltig besiegt hätte sehen wollen, eine militärische Niederlage wäre mE nicht zu verhindern gewesen.
 
Eine Ergänzung zu der Darstellung von Turgot.

Es ist sicherlich wichtig, sich die Führung des Krieges zur damailigen Zeit kurz zu vergegenwärigen. Sie basierte bis zu den Revolutionsheeren Frankreich zu einem hohen Prozentsatz auf der Versorgung durch Magazine.

War diese Verbindungslinie gefährdet, dann war der Zusammenhalt der Armee aufs höchste gefährdet.

In diesem Sinne äußert sich Venohr (S. 217), der den Rückzug Saltykows am 26.10.1759 in Richtung Weichsel mit der Gefahr der mangelhafte Versorgung seiner Soldaten begründet.

Für Saltykow lagen die Versorgungsbasen in Thorn und Tilsit, also nicht unwesentlich im Osten.

Dass die Versorgungslage für die Russen prekär war, belegt der weitgehende Zusammenbruch der russischen "rear services" im folgenden Jahr, also 1760. (vgl. Liddel Hart, S. 92)

Da er nicht sicher sein konnte, dass er durch preußische Truppen nicht abgeschnitten wird, hat er den Erhalt seiner Armee höher bewertet als den Sieg gegenüber Preußen.

"Das ist es, was die russsichen Feldherren strategisch lähmt." (ebd. S. 217)

Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass vieles auf dem Schlachtfeld von subjektiven Einschätzungen beeinflusst wird. Dabei kann man noch nicht einmal präzise beantworten, ob eine vollständige Kenntnis der Potentiale des Gegners hilfreicher ist (wie beispielsweise im Sommer 1941 im Falle Stalins) oder eine relativ weitgehende Unkenntnis der preußischen Situation, wie im Falle Saltykows, im Jahr 1759/60.

Für Saltykows verstärkte die unvollständige Informationslage vermutlich sein vorsichtiges Agieren und die Annäherung an seine russischen gesicherten Versorgungslinien.

Der grosse König: Friedrich II. im Siebenjährigen Krieg - Wolfgang Venohr - Google Bücher

Strategy - Sir Basil Henry Liddell Hart - Google Bücher
 
Also wären die Probleme der Verbündeten, vor allem Russlands, ihre Armee zu versorgen derartig groß gewesen, dass nicht einmal der Tod Friedrichs auf dem Schlachtfeld sie dazu bewegen hätte können, den Vorstoß nach Berlin gleich danach zu wagen und somit den Krieg siegreich zu beenden?
 
Schwer zu beurteilen. Der Verbündete Preußens, GB, war in Nordamerika gegen Frankreich erfolgreich und auch auf dem Kontinent.

Es gab zudem eine zweite preußische Armee, ca 40.000, die die Versorgungslinien der Österreicher (Daun) gefährdete.

Welche politischen Auswirkungen der Tod von Friedrich des Großens in Kunersdorf gehabt hätte, dürfte m.E. reine Spekulation sein.
 
Der Tod Friedrichs hätte zumindest ein Befehls- und Machtvakuum geschaffen,da die Nachfolge mangels direkter Nachkommenschaft nicht unbedingt geregelt war.
Selbst wenn dieses Vakuum nur vorübergehend bestanden hätte,hätte es m.E. zusammen mit einer veränderten russischen Haltung wohl um Untergang Preußens geführt.
 
Befehls- oder Machtvakuum...naja. Man sollte die internationalen Rahmenbedingungen beachten und auch die russischen Restriktionen, wie ich es kurz dargestellt habe.

Zudem war Heinrich sofort als Nachfolger im Spiel. Wieso sollte sich da eine deterministische historische Situation ergeben, die zum Untergang Preußens hätte zwangsläufig führen sollen??

Heinrich von Preußen (1726?1802) ? Wikipedia
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich glaube nicht, dass ein Machtvakuum gegeben hätte. Bestürzung, Verwirrung natürlich.
Aber wohl auch Erleichterung, weil der große Hasadeur tot war.

Erbe wäre ohne wenn und aber Friedrich Wilhelm II. gewesen. Und wer hätte Heinrich die Vormundschaft streitig machen sollen?

Heinrich hatte zudem bereits bewiesen, dass er ein ebenso guter, ja besserer General war als sein Bruder. Er hat die Nachschublinien der Russen gestört. Er hätte sie auch als Regent gestört. Er war ein kluger Diplomat und weitsichtiger Politiker. = Auch er hätte einen Frieden erreicht, der Preußen als Machtfaktor weiter existieren lassen.

Zumal man ja alles was irgendjemand Preußen vorwerfen konnte, schön auf den toten Friedrich hätte schieben können.
 
Wie sah denn die Lage bei den preußischen Gegnern aus? Haben sie nach der Schlacht von der Möglichkeit eines Marschs nach Berlin gewusst bzw. waren sie logistisch dazu ausgestattet (ich weiß nicht, wie groß das Zeitfenster überhaupt gewesen wäre)?

Und wie hätte die Allianz aus einem solchen Vormarsch überhaupt Nutzen gezogen? Gleichmäßig oder hätten z.B. die Russen mehr gewonnen, weshalb die Österreicher nicht wollten (bzw. umgekehrt).

Wer hat aufgrund welcher Informationen den Befehl zum Abzug nach Sachsen gegeben?

Und wie wurde die Entwicklung von Zeitzeugen beurteilt? Die interne preußische Meinung ist uns heute wohl bekannt, das war ja damals nicht sofort so.

Solwac
 
Und wie hätte die Allianz aus einem solchen Vormarsch überhaupt Nutzen gezogen? Gleichmäßig oder hätten z.B. die Russen mehr gewonnen, weshalb die Österreicher nicht wollten (bzw. umgekehrt).
Ich glaube, dass sich die Verbündeten immer wieder uneinig waren und keiner von ihnen dem anderen einen Vorteil gönnte, was die Kriegsführung sehr behindert haben soll.
Man darf natürlich auch nicht den Eindruck unterschätzen, welche die auch hohen russischen Verluste auf den Befehlshaber gemacht haben dürften. Die Verluste der Verbündeten werden unterschiedlich angegeben, sollten aber bei ungefähr einem Drittel ihrer Armee gelegen haben. Battle of Kunersdorf - Wikipedia, the free encyclopedia
Die Frage wäre, ob die Russen einen Feldzug in Brandenburg für ertragreich hielten. Konnten sie sich notfalls aus preußischen Magazinen versorgen? Wer weiß, vielleicht wäre es anders ausgegangen, wenn Daun statt Saltykow bei Kunersdorf gestanden hätte. Mir scheinen die Österreicher die besseren Gründe für eine Vernichtung Preußens gehabt zu haben.:grübel:
 
Zurück
Oben