Hunnenrede Kaiser Wilhelms II.

Dass alle so gehandelt haben ist ja wohl bekannt. .

Nein mir nicht. Aber lass mich an Deinen historischen Erkenntnissen partizipieren.

Deswegen nochmal die dringende Nachfrage, welcher andere Staatsmann hat in einer Rede zu einem Bruch des Völkerrechts aufgefordert und zu einer inhumanen Form der Kriegsführung?

Bevor dieses nicht geklärt ist, wäre es hilfreich, wenn Du Deine relativierende Gleichmacherei in Bezug auf Kriegsverbrechen unterläßt.
 
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Also wer schreibt, dass es alle so gemacht haben und alle so gedacht haben?

"Alle" ist vielleicht etwas viel behauptet, vor allem da es viele kritische Stimmen gab, von denen die Kriegsverbrechen in China kritisiert wurden.

Dass jedoch auch die anderen Truppen in China barbarisch vorgingen, dürfte ausser Diskussion sein:

The Germans were not the only offenders. On behalf of Chinese Catholics, French troops ravaged the countryside around Beijing to collect indemnities—and on one occasion arresting American missionary William Scott Ament who beat them to the punch in gathering wealth from some villages.[68] Nor were the soldiers of other nationalities any better behaved. "The Russian soldiers are ravishing the women and committing horrible atrocities" in the sector of Beijing they occupied. The Japanese were noted for their skill in beheading Boxers or people suspected of being Boxers. General Chaffee commented, "It is safe to say that where one real Boxer has been killed... fifty harmless coolies or laborers on the farms, including not a few women and children, have been slain."[69]
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The intermediate aftermath of the siege in Beijing was what one newspaper called a "carnival of loot," and others called "an orgy of looting" by soldiers, civilians, and missionaries. These characterizations called to mind the sacking of the Summer Palace in 1860.[70] All of the nationalities in the expeditionary force engaged in looting,[71] but each nationality accused the others of being the worst looters. An American diplomat, Herbert G. Squiers, filled several railroad cars with loot. The British Legation held loot auctions every afternoon and proclaimed, "looting on the part of British troops was carried out in the most orderly manner." The Catholic Beitang or North Cathedral was a "salesroom for stolen property."[72] The American commander General Adna Chaffee banned looting by American soldiers, but the ban was ineffectual.[73]
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One witness recalled that "[t]he conduct of the Russian soldiers is
atrocious, the French are not much better, and the Japanese are looting and burning without mercy".[71] It was reported that Japanese troops were astonished by other Alliance troops raping civilians; Japanese officers had brought along Japanese prostitutes to stop their troops from raping Chinese civilians.[77] Thousands of Chinese women committed suicide; The Daily Telegraph journalist E. J. Dillon stated it was to avoid rape by Alliance forces, and he witnessed the mutilated corpses of Chinese women who were raped and killed by the Alliance troops. The French commander dismissed the rapes, attributing them to "gallantry of the French soldier". A foreign journalist, George Lynch, said "there are things that I must not write, and that may not be printed in England, which would seem to show that this Western civilization of ours is merely a veneer over savagery."[71][78]

Boxer Rebellion - Wikipedia, the free encyclopedia
 
Dass jedoch auch die anderen Truppen in China barbarisch vorgingen, dürfte ausser Diskussion sein:

Natürlich, wie sich das situativ in jedem Krieg finden ließe. Für diesen Antritt taugt sogar Wikipedia im kurzem Zitat :winke:

Ich bin sicher, Du bist Dir darüber klar, dass diese Aussage an der Frage der Wirkung der Rede, an der Frage der Indoktrination der Truppenkontingente vorbeigeht. Wie auch Martin feststellt: "naturgemäß" gab es bei den Deutschen mehr Verbrechen, sie stellten auch das größte Kontingent. Die Praktiken waren (situativ) indes dieselben wie bei den anderen.


Niemand hat oben eine Blutspur von China nach Barbarossa konstruiert, aber deswegen ist es nachts nicht kälter als draußen.;)
 
Was mich nebenbei interessiert: Wie hat Wilhelm diese Rede wirklich gemeint? Für mich liest sie sich so, als hätte er gerade zu viel in Kriemhilds Rache geschmökert. In einer aufschäumenden Gefühlswallung wollte er einen Bogen von den damaligen Heldentaten, derer sich seinerzeit... Und dabei kommen dann solche Dummheiten heraus. Vielleicht hätte ihm ein stiller Stuhl, wie für Georg III. ganz gut getan. Auf alle Fälle aber ein Lektor.
Ich möchte nicht glauben, dass er wirklich einen Völkermord beabsichtigte. Über dem ganzen Schnedderengteng und dem Hipp Hipp Hurra hat er nur eben die Folgen nicht bedacht. Als sich Anfang des Ersten Weltkrieges das Problem der vielen russischen Kriegsgefangenen stellte, soll er gesagt haben, man könne sie alle auf die Kurischen Nehrung bringen und sich selbst überlassen. Ein General entgegnete darauf schon fast lakonisch: "Das wäre ein Kriegsverbrechen, Eure Majestät." Der Vorschlag wurde dann auch nicht weiter angesprochen (leider kann ich dafür keine Quelle angeben, weil ich es aus meinem Gedächtnis (mal gelesen) zitiere).
 
an der Frage der Indoktrination der Truppenkontingente vorbeigeht. ...
Niemand hat oben eine Blutspur von China nach Barbarossa konstruiert, aber deswegen ist es nachts nicht kälter als draußen.;)

Mit aktuellem Blick auf die derzeitige Wettersituation, finde ich es draußen schon kälter als nachts.

Den Indoktrinationsgrad der Rede eines OB auf Truppenkontingente zu eruieren ist sehr kompliziert, da müßte man Briefe und Gefechtsberichte analysieren, und die sind schon durch "Filter" gegangen.

Fakt ist, die Rede wurde seinerzeit und selbstverständlich heute kritisiert, die Literatur dazu ist Legion.

Willy hat gesagt, was er meinte, ohne Korrektur durch das Reichskanzleramt oder die Generaladjutantur etc. und damit wurde sie ohne Absicht zu einem Zeugnis von Rassismus und Imperialismus.

M.
 
Natürlich, wie sich das situativ in jedem Krieg finden ließe. Für diesen Antritt taugt sogar Wikipedia im kurzem Zitat :winke:

Ich bin sicher, Du bist Dir darüber klar, dass diese Aussage an der Frage der Wirkung der Rede, an der Frage der Indoktrination der Truppenkontingente vorbeigeht. Wie auch Martin feststellt: "naturgemäß" gab es bei den Deutschen mehr Verbrechen, sie stellten auch das größte Kontingent. Die Praktiken waren (situativ) indes dieselben wie bei den anderen.


Niemand hat oben eine Blutspur von China nach Barbarossa konstruiert, aber deswegen ist es nachts nicht kälter als draußen.;)

Ich glaube ich verstehe nicht, was hier genau diskutiert wird.

Dass die Rede von Truppe und Offizieren als ein Freibrief aufgefasst werden konnte, mag sein. Dazu kann man eventuell etwas aus den Briefen und Aufzeichnungen der Beteiligten entnehmen können.

Dass das verhalten der deutschen Truppen deshalb insgesamt barbarischer als das anderer Kontingente war, möchte ich jedoch sehr in Frage stellen. Ich habe auf die Schnelle Wikipedia herangezogen, kann aber auch gerne tiefer in die Literatur steigen und andere Quellen heraussuchen.

Ich möchte auch deinen Kommentar von weiter oben in Frage stellen:

Selbst unter den Expeditionstruppen war das deutsche Verhalten berüchtigt.

Wenn man sucht, findet man garantiert Aussagen einer jeder beteiligten Nation über das schlimme Verhalten der Anderen (normalerweise mit "nationalen Charaktereigenschaften" garniert: Brutale Deutsche, versoffene Russen, französische Sittenstrolche, diebische Italiener etc.) und es ist sowieso fraglich, was im Nachhinein bei der propagandistischen Verwertung der Rede und seiner Folgen im Zuge des ersten Weltkrieges herausgekramt wurde.

Wenn man das Bild etwas erweitert und andere Kolonial-Konflikte aus dem selben Zeitraum nimmt, sieht man, dass es die übliche vorgehensweise war. Ob die USA mit ihrer extrem brutalen Pazifizierung der Philippinen, die Briten in Burma oder früher bei der Niederschlagung des Sepoy-Aufstandes, die Franzosen bei der Einnahme Annams und in ihren verschiedenen Interventionen in China, die Spanier auf Cuba den Phillippinen oder in Marokko, sogar die so friedlichen Niederländer auf Java.

Die offensichtliche Regel war, dass die prinzipien eines "zivilisierten" Konfliktes nicht gegen "nicht zivilisierte" Völker galten. Dieses wurde ja sogar im Völkerrecht festgehalten. (Stichwort: Dum-Dum).

Sogar Kipling hat darüber in "A Sahibs War" geschrieben, wo sich der Indische Adjutant eines britischen Offiziers fragt, warum man die hartnäckigen Buren nicht mit der selben Härte behandelt die man bei den Burmesen angewandt hat.

Wenn man sucht, findet man auch genügend Zeitzeugnisse bei denen die beteiligten voller Stolz darüber berichteten, wie sie es denen oder jenen "gezeigt" hätten. Konkret habe ich einige französische Berichte in Erinnerung. Von den US-Truppen gibt es z.B. Fotos mit Massen an erschossenen Phillippinern.

Auf der anderen Seite gab es jedoch eine Kultur der Vertuschung. Zu Hause sollte man bitte sehr denken, man wäre ja nur in zivilisatorischer Funktion unterwegs. Wie brutal dieses tatsächlich erfolgte ist teilweise erst in den letzten Jahren bekannt geworden, nach Auswertung durch Historiker von bisher unerforschten Militärarchiven, privaten Tagebüchern und Korrespondez. Z.B. Die Verwendung von Giftgas gegen die Zivilbevölkerung in Spanisch Marokko um 1920-21 war bis vor kurzem völlig unbekannt.

Ich möchte in keiner Form die kriminelle und unsaglich dumme Rede in Frage stellen, ebenso wenig dass sie vermutlich einen Einfluss auf die Truppe hatte. Ich glaube aber nicht, dass dieses deshalb grundsätzlich anders war, als das anderer Kolonialtruppen. Wilhelm hat im wesentlichen einen Tabubruch begangen, in dem er die übliche Praxis offen erklärte.
 
Zuletzt bearbeitet:
... Wilhelm hat im wesentlichen einen Tabubruch begangen, in dem er die übliche Praxis offen erklärte.

@Rurik

Unser Mitdiskutant Bdaian, hat es nochmal auf den Punkt gebracht, Willy hat es so gemeint, wie er es sagte. Das war offensichtlich seine innerste Überzeugung, alle verfassungsrechtlichen und informellen Kontrollmechanismen hatten versagt, das war "O-Ton" Willy.

Das macht die Rede so bedeutsam.

M.
 
@Melchior

Das es Wilhem rassisitisch und imperialistisch meinte, wollte ich gar nicht in Abrede stellen. Ich würde noch christlich, missionarisch hinzufügen, denn die Chinesen waren in seinen Augen ungebildete Heiden.
Ich kann mir nur nicht denken, dass Wilhelm tatsächlich zu gesteigerter Grausamkeit und Massenmord aufrufen wollte. Das macht in meinen Augen, trotz seiner Unbedachtheit, keinen Sinn. Mit kein Pardon, meinte er im Sinne eines Feldherrn (als solcher fühlte er sich gerade), dem weichenden Feind nachsetzen und schlagen, wo man ihn bekommt... Aber gut, das ist meine Interpretation.

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Die Karrikatur von L. Stutz aus dem Kladderadatsch zeigt, dass diese Rede in Deutschland überaus kritisch gesehen wurde und so gut wie keinen Rückhalt besaß:
hunnenrede.jpg
Darunter steht: Der hoffähig gewordene Chef und die Seinen jauchzen: "Es ist erreicht, wir werden modern."
 
Ich meine, daß man eine einzige Kaiserrede nicht als generelles Merkmal seiner Einstellung sehen kann. Er hat jede Menge gesagt und geschrieben - in jeder interpretierbaren Richtung. Er war wankelmütig und zwischen 1888 und 1914 veränderten sich seine Ansichten durch Erfahrungen und aktuelle Eindrücke immer wieder. Heute würde man zudem "Stimmungsschwankungen" attestieren...
EINE Rede kann also immer nur eine "Momentaufnahme" sein und ist nie für ein "Psychogramm" eines Mannes geeignet, der 26 Jahre (ohne WK1) regierte.


Als Beispiel in ganz anderer Richtung zur "Hunnenrede" hier eine Rede vom 15.Juni 1894 an Angehörige der Kaiserlichen Schutztruppe, die nach DSWA verschifft wurden:

"Die Schutztruppe möge nicht vergessen, daß sie dem Deutschen Reich angehört. Ich wünsche Ihnen Glück im fernen Lande, wo Sie den Deutschen Ehre machen sollen. Haben Sie stets vor Augen, daß die Leute, die Sie dort treffen, wenn sie auch eine andere Hautfarbe haben, gleichwohl ein Herz besitzen, das ebenfalls Ehrgefühl aufweist. Behandeln Sie diese Leute mit Milde!"
 
Ich habe den Beitrag im Bayrischen Rundfunk zu dem Fund zufällig gesehen.

Die Mitarbeiterin des Ladeskriminalamtes war durchaus davon überzeugt, dass Wilhelm die Walze selbst besprochen hat. Dabei hatte ich allerdings den Eindruck, dass sie dies nicht mit letzter Bestimmtheit sagen wollte. Um die Ähnlichkeit zu der bereits bekannten Walze zu verdeutlichen wurde meines Wissens nach an der Geschwindigkeit geschraubt. Vllt. ergeben weitere Untersuchungen eine eindeutige Einordnung.
Schade allerdings, dass es keine Walze zu der Orginalversion der Rede gibt.
 
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