Deutschland: Wirtschaftswunder

hewlet90

Neues Mitglied
Guten Tag,

Ich bewundere Euch Deutschen, weil Ihr innerhalb wenigen Jahrzehnten nach dem 2. WK Eures Land auf Vordermann gebracht habt. So viel ich weiss, man spricht in diesem Sinne auch von einem Wirtschaftswunder(BRD).

Ich komme aus einer ehemaligen Unionsrepublik. Seit ca. 20 Jahren ist mein Land unabhängig, dennoch sieht man dort von einem Progress bzw. von einer Entwicklung keine Spur.

Mein Ziel für die nächsten Jahre: ich will die Entwicklung Deutschlands ab der Stunde 0 studieren bzw. analysieren.

Könntet Ihr deswegen einige seriösen Quellen (also eher Bücher, und bitte keine Wiki-links) geben?

Danke
 
Es sind aber auch die innen- und vor allem auch die außenpolitischen und sozialen Strukturen, die wichigt waren.

Hmmm... gut zu wissen, danke. :)

Wenn du dich in diesem Ressort gut auskennst, könntest du mir noch eine weitere Quelle(n) zum Thema Wirtschaft in den GUS oder so Ähnlichem nennen.

Ferner möchte ich bei meiner Untersuchung noch die Wirtschaftspolitik beider Strukturen miteinander vergleichen.
 
Guten Tag,

Ich bewundere Euch Deutschen, weil Ihr innerhalb wenigen Jahrzehnten nach dem 2. WK Eures Land auf Vordermann gebracht habt. So viel ich weiss, man spricht in diesem Sinne auch von einem Wirtschaftswunder(BRD).

Ich komme aus einer ehemaligen Unionsrepublik. Seit ca. 20 Jahren ist mein Land unabhängig, dennoch sieht man dort von einem Progress bzw. von einer Entwicklung keine Spur.

Mein Ziel für die nächsten Jahre: ich will die Entwicklung Deutschlands ab der Stunde 0 studieren bzw. analysieren.

Könntet Ihr deswegen einige seriösen Quellen (also eher Bücher, und bitte keine Wiki-links) geben?

Danke

@hewlwt90
http://books.google.de/books?id=Dv1...=gbs_selected_pages&cad=3#v=onepage&q&f=false
Schau mal hier, das ist eine Literaturzusammenstellung über die Transformationsperiode ehemaliger sozialistischer Staaten.

http://books.google.de/books?id=Dv1...=gbs_selected_pages&cad=3#v=onepage&q&f=false

M.
 
Das wirklich empfehlenswerte Buch von Abelshauser kann man günstig bei der Bundeszentrale für politische Bildung erwerben. Was man daraus vor allem lernt: Wunder gibt es nicht und nämlich auch keine Stunde 0.

Ich würde noch empfehlen:
Das mißverstandene Wirtschaftswunder von Ludger Lindlar

Faktor Öl von Karlsch, wobei auch auf Unterschiede zw. den Westzonen und der sowjetisch besetzten Zone eingegangen wird

Zu den Ausgangsbedingungen gehört aber auch:
Das Gold der Juden von Tom Bower oder etwas eingängiger
Die Schweiz, das Gold und die Toten von Jean Ziegler, hier u. a. auch die Wirtschaftsbeziehungen Deutsches Reich-Schweiz-Spanien
Die Dresdner Bank im Dritten Reich

Für den wichtigen Vergleich der deutschen Staaten:
Gesamtrechnung Ostdeutschland von Gerhard Heske (BESONDERE EMPFEHLUNG)
Die Schulden des Westens von Klaus Blessing
Außenhandel und Politik von Gerhard Beil, hier vor allem der "inner"-deutsche Handel, Hallstein-Doktrin und deren Wirkungen

Ferner sollte m. E. Wirtschaftsgeschichte immer mit Bevölkerungsgeschichte gemeinsam betrieben werden. Also der Komplex Demografie, Zuwanderung, Verlagerung von Soziallasten räumlich und zeitlich ("ersparte" Kinder und Ausbildung, implizite Pensionslasten auf Pump).

Auch das chinesische Wunder bspw. muss man m. E. vor dem Hintergrund der Demografie betrachten.

VG Flameid
 
Einige Anmerkungen:

Blessing war im ZK der SED. Es handelt sich um eine apologetische Schrift zum ökonomischen Desaster in der DDR, woran natürlich im Wesentlichen "der Westen" Schuld gewesen sei.

Zu den "Ausgangsbedingungen" von BRD und DDR gehörten wohl kaum die Wirtschaftsbeziehungen des Dritten Reichs zur Schweiz und Spanien, und irgendwelches Raubgold der Nazis, sondern die totale Niederlage im Zweiten Weltkrieg nebst den damit verbundenen personellen und materiellen Verlusten. Bower, Ziegler und Dresdner Bank kann man daher in Bezug auf das "Wirtschaftswunder" streichen.

Ebenso auf die Streichliste gehört "Faktor Öl" von Karlsch, das allenfalls populärwissenschaftliches Niveau erreicht. Bedeutend ist für die BRD vielmehr die Montanindustrie bis zur beginnenden Krise ende der 1950er.

Lindlar beschäftigt sich mit der Aufholthese, und Abelshauser ist ein gutes Überblickswerk.

Siehe auch:
http://www.geschichtsforum.de/f165/ursachen-des-sog-wirtschaftswunders-33204/index3.html
Sicherlich gab es kein Wunder.
 
Das Raubgold der Juden brauchte das dritte Reich für seine eigenen Importe von Rohstoffen die man selber nicht hatte.
 
Ohne Marshallplan währe es kaum möglich gewesen. Durch den ist Geld zu Wiederaufbau nach Europa geflossen.
Marshallplan ? Wikipedia
Und der BRD kam wohl auch der aufkeimende Kalte Krieg zu gute. Dadurch wurde von den Westalliierten einige Überlegungen während des Krieges über ein Nachkriegsdeutschland schnell über den Haufen geworfen.

Apvar
 
Das Blessing im ZK war, tut nichts zur Sache. Die Aufholthese ist eine, ja, These... Und? Der Einwand klingt, als wäre damit irgendein Stab gebrochen.

Wenn hewlet90 wirklich verstehen will, was es mit dem Wirtschaftsaufschwung nach Kriegsende auf sich hat - und er vergleicht ja bspw. die westdeutsche Wirtschaftsgeschichte mit der neueren seiner Heimat - dann nützt es ihm gar nichts, bei der so genannten "Stunde 0" anzufangen.

Und natürlich gehören die Wirtschaftsbeziehungen mit der Schweiz und Spanien dazu. Dort wurden Milliarden Gewinne geparkt, Geschäftsbeziehungen weitergepflegt... Der BND finanzierte einen riesigen Technikpark zum Abhören bspw. Mit dem lächerlichen Haushaltsansatz? Wo es doch gar nicht mal ein "BND-Gesetz" gab? Wenn zwischen zwanzig und dreißig Zentralbanken in Europa erleichtert wurden und bspw. der griechische ehem. MP nicht von ungefähr sagt, die Deutschen sollten erstmal den griechischen Staatsschatz zurückgeben, dann ist es doch ganz klar, dass man eben nicht so tun kann, als hätte das alles nichts miteinander zu tun.

Das in deutschen Fahrzeugen im Krieg vom Pkw bis zum Panzer jede Menge Peugeotmotoren brummten und die französische Industrie wie auch andere besetzte ausgenutzt wurden, während Daimler, Volkswagen oder der Noch-Flugzeugteile-Anbieter BMW derart investierten, dass selbst einige Jahre nach Kriegsende und einiger Reparationen aus den westlichen Zonen das Anlagevermögen der Industrie ÜBER dem vom Kriegsbeginn lag, was sonst kaum ein Land vorweisen konnte...

All das und noch mehr hat mit dem so genannten Wunder zu tun.

"Schuld" des Westens hin oder her. Zur Schuld im Sinne von Vorsatz gehören wissentliches Handeln und Wollen der Folgen. Das gabs (Stichwort Hallstein-Doktrin, hier durchaus mal bei Beil nachlesen). Andererseits hat natürlich die deutsche Bevölkerung hüben wie drüben keinen Einfluss darauf gehabt. Aber wer von der Teilung profitiert hat, nicht gewolltermaßen - aber zumindest willkommernermaßen, dürfte wohl klar sein.

Hier möchte ich noch ein mal auf Karlsch verweisen: "Reparationen in der SBZ".

Von mir aus gern ein populärwissenschaftliches Buch. Wenn keine weiteren Einwände dagegen stehen, sollte das einer Absolution gleichkommen.

Das der Faktor Öl (und Kohle), also Energie, eine ganz besonders wichtige Frage bei der Entwicklung nach der Teilung war, und WIE wichtig, kann m. E. sehr gut aus einem ambitionierten populärwissenschaftlichen Buch entnommen werden.

Zum Komplex Demographie und Gewinne aus ersparten Ausgaben kann man auch gern bei Oskar Schwarzer nachschlagen (muss ja kein DDR-Genosse sein, aber auch dort hätte man es ähnlich), bei dem die Bildungsausgaben BRD und DDR verglichen werden.

Wer keine Angst vorm roten Mann hat, kann auch einmal "Die Schulden des Westens" lesen - immerhin auch aus dem wirtschaftssoziologischen Aspekt heraus interessant, WAS eigentlich eine Wirtschaftsrechnung erfasst und WAS NICHT. Das die momentan geübte Praxis der Wirtschaftsrechnung (vom Betriebsabschluss bis zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung) fragwürdige Seiten hat, ist in den letzten Jahren einigermaßen klargeworden. Wenn jemand feststellt, dass nach dem DDR-Beitritt 1/3 der deutschen Ingenieure in der ehem. DDR ausgebildet wurden, spricht das ein deutliches Zeichen auch über verzerrte Selbstwahrnehmungen der alten Bundesrepublik.

Noch einmal ein populärwissenschaftlicher Autor, der bei DDR-Zentralbank gearbeitet hat: Edgar Most. Der war auch bei der Deutschen Bank "populär".


Es geht um die Bedingungen des "Wirtschaftswunders". Wer sagt, dass es damit nicht um bspw. das Gold und die Rohstoffe bis 45 geht, der will auch die Durchschlagskraft eines Projektils unter Ausschluss der Fluggeschwindigkeit ergründen. Die war ja vorher.
 
Das Blessing im ZK war, tut nichts zur Sache.
Aber sicher "tut" der Kontext hier etwas zur Sache. Das ZK war wie Politbüro etc. bestens über den kommenden Kollaps und seine Ursachen informiert. Dass Blessing nun diese glasklaren internen Analysen negiert und andere Wirkungsketten konstruiert, liegt an seiner Vorgeschichte. Vielleicht sollte er die ihm seinerzeit verfügbaren Analysen noch einmal nachlesen.

Empfehlenswert:
Malycha, Ungeschminkte Wahrheiten - Ein vertrauliches Gespräch von Gerhard Schürer, Chefplaner der DDR, mit der Stasi über die Wirtschaftspolitik der SED im April 1978, VfZ 2011, S. 283-305.


Und natürlich gehören die Wirtschaftsbeziehungen mit der Schweiz und Spanien dazu. Dort wurden Milliarden Gewinne geparkt, Geschäftsbeziehungen weitergepflegt...
Sorry, das sind Legenden. Dort wurden bis 1945 keine Milliarden des Deutschen Reiches "geparkt", sondern endgültig für kriegsrelevante Rüstung verpulvert. 1945 hatte das Deutsche Reich nicht nur einen globalen Krieg trotz europaweiter Ausbeutung und Besatzungsherrschaft verloren, sondern war schlicht pleite.


Das in deutschen Fahrzeugen im Krieg vom Pkw bis zum Panzer jede Menge Peugeotmotoren brummten und die französische Industrie wie auch andere besetzte ausgenutzt wurden, während Daimler, Volkswagen oder der Noch-Flugzeugteile-Anbieter BMW derart investierten, dass selbst einige Jahre nach Kriegsende und einiger Reparationen aus den westlichen Zonen das Anlagevermögen der Industrie ÜBER dem vom Kriegsbeginn lag, was sonst kaum ein Land vorweisen konnte...

Auch das ist Unsinn. Ich lasse mich aber gerne - empirisch belegt - vom Gegenteil überzeugen: Würdest Du dazu bitte die entsprechenden Tabellen aus Wagenführ (Der statistischen Studie schlechthin: Die deutsche Industrie im Kriege 1939 - 1945) angeben, die diese Verfügbarkeit von Industrieinvestitionen nachweist?

Bei Bedarf kann ich Dir gerne die bombing reports von Daimler, BMW und Volkswagen, der Chemischen, Optischen Industrie, dem Maschinen- und Fahrzeugbau, Schiffbau, Logistikanlagen, Montanindustrie usw. anbieten. Hier sind zwei Aspekte interessant:
a) der Umfang der Zerstörungen im Bereich der Großindustrie
b) die Ausrichtung auf Rüstungswirtschaft (Werkzeugsätze für Me262, Tiger und Co. im Bereich der Ausrüstungsinvestitionen waren verständlicherweise nach der Kapitulation nicht mehr von großem Nutzen)

USSBS E2: European War-Office of the Chairman: Over-all Report
USSBS E2a: European War-Office of the Chairman: Statistical Appendix to Overall Report
USSBS E4: European War-Aircraft Division: Industry Report
Alle bedeutenden sektoralen Industriereports kann ich Dir gern auf Nachfrage nach den Schadensstatistiken auswerten.


Das der Faktor Öl (und Kohle), also Energie, eine ganz besonders wichtige Frage bei der Entwicklung nach der Teilung war, und WIE wichtig, kann m. E. sehr gut aus einem ambitionierten populärwissenschaftlichen Buch entnommen werden.

Aha, nun sind wir vom 1945/55 bedeutungslosen Öl bei der Kohle angelangt. Vergessen wir also die Ölimporte. Kohle in den Westgebieten war in der Tat ein relevanter Faktor deWirtschaftsentwicklung, allerdings nie mit der Vorkriegsbedeutung: die Kohleproduktion 1948/60 bis zur ersten Krise erreichte nicht wieder den Stand 1925/29 bzw. 1935/39, sondern maximal 3/4 der Vorkriegszeit. Der Wirtschaftswunder war schon wegen der veränderten wirtschaftlichen Lage kein "Kohlewunder".


Es geht um die Bedingungen des "Wirtschaftswunders". Wer sagt, dass es damit nicht um bspw. das Gold und die Rohstoffe bis 45 geht, der will auch die Durchschlagskraft eines Projektils unter Ausschluss der Fluggeschwindigkeit ergründen. Die war ja vorher.
Was der Vergleich mit den nicht mehr vorhandenen deutschen Gold- und Rohstoffreserven 1945 zu tun haben soll, bleibt Dein Geheimnis.

Die Goldreserven des westdeutschen Zentralbanksystems bzw. der Deutschen Bundesbank stiegen von 1948/50: Null über 116 Mio. (1951) auf die 17 Mrd. Mitte der 1960er. Die übrigen Mythen vom Nazigold in Privathand nach dem Kriege können wir getrost im Sack lassen.

Wenn man sich mit den "Investitionen" der NS-Zeit und ihrem Zusammenhang mit dem Wirtschaftswunder beschäftigen will, sind ganz andere Blicke interessant:
a) bzgl. des Human Capitals (Modewort ;) ) die Integration der Vertriebenen und Millionen Kriegsgefangenen-Heimkehrern
b) bzgl. des Sachkapitals das Hauptproblem der deutschen Rüstungsindustrie: die weit verzweigte, kleinteilige, Inhaber-geführte mittelständische Wirtschaft mit ihren zehntausenden Zulieferbetrieben, die den Bombenkrieg randweise erlebte, wesentliche Schäden bis auf die Bodenkämpfe vermeiden konnte, und extrem flexibel im Wiederaufbau nach Kriegsende reagierte (reagieren konnte).
 
Zuletzt bearbeitet:
Nicht vergessen sollte man den Koreakrieg. Durch die Umstellung von Teilen der US-Industrie auf Kriegsproduktion, auch in Erwartung eines kommenden großen Krieges mit der Sowjetunion wurden viele Produktionsnischen für deutsche Unternehmen frei, die diese dann dauerhaft ausfüllen konnten. Der Krieg in Ostasien machte somit die Absatzmärkte wieder frei und kanalisierte die Überproduktion der westlichen Industrienationen. Nicht, dass das geplant war als man in Korea in den Krieg zog, doch war es zumindest für die deutsche Wirtschaft ein positiver Nebeneffekt. Dazu kamen die günstigen Marshall-Plan-Kredite die zu massiven Investitionen in Schlüsselindustrien führten.
Das deutsche Sozialsystem der 50er Jahre, besonders der Generationenvertrag stärkte des weiteren die Binnenkonjunktur, indem sie Rentner vor der Altersarmut bewahrte. Zu diesem Effekt (den ich wirtschaftstheoretisch belegen kann) habe ich leider noch keine aussagekräftige historische Quelle gefunden. Das wäre ein Punkt an dem ein Wirtschaftshistoriker ansetzten könnte. Letztlich war es das Know-how, nicht nur aus Westdeutschland, sondern auch von jenen gut ausgebildeten DDR-Bürgern die bis zum Mauerbau in Scharen aus der DDR flohen, die den Aufschwung befeuerte.
 
a) bzgl. des Human Capitals (Modewort ;) )

Noch als Ergänzung dieses Gedankengangs. Bei der Diskussion über IG Farben im GF waren mir damals zwei "weiche" Aspekte aufgefallen, auf die einzelne Autoren als betriebswirtschaftliches "Erbe" des NS-Systems verwiesen haben.

- Patente, Prozess-Know-how, Fähigkeit zur Organisation von High-Tech-Projekten in Anlehnung an die staatlich finanzierte Forschung. An diesem Punkt konnten Unternehmen in der Nachkriegszeit anknüpfen und vergleichsweise schnell mit ihren Produkten im nationalen und internationalen Markt bestehen.

- Management-Skills, die eine streng hierarchische arbeitsteilige und effiziente Organisatiosnform geschaffen haben. Und dieser Typ von Manager hervorragend in die expansionsorientierte deutsche Industrie paßte.
 
Wenn man die Management-Skills bedenken will, würde ich den Flexiblilitätsdruck durch die chaotische NS-Rüstungssteuerung iVm den massiven Beeinträchtigungen durch den Bombenkrieg hervorheben. Gerade die kleineren Unternehmen wurde Improvisation (wenn man das noch so nennen mag) allerorten regelrecht aufgezwungen.

@YoungArkas

Der Hinweis auf den Korea-Krieg ist ein interessanter Gedanke, den man immer wieder findet. Spannend wäre dazu eine empirische Unterlegung. Dazu ist mir nichts bekannt, kein Nachweis. Hast Du da etwas?

Ich würde die Wirtschaftsentwicklung konträr zugespitzt wie folgt betrachten: das s.g. "Wirtschaftswunder" war kein Exportwunder (das kam erst später dazu). Die BRD war mangels Zahlungskraft ihrer Außenhandelsbilanzen auch kein Importmagnet (weswegen die Bedeutung anderer Volkswirtschaften in dieser Rezeptur eher gering war). Das "Wirtschaftswunder" war somit eines im binnenwirtschaftlichen Kochtopf bei geschlossenem Deckel. Die Rezeptur war war einfach: wenn man 30 Mio. "Mann"- (bzw. Frauen-)Jahre in den Input fährt, kommt dabei auch etwas Produktives heraus, wenn die Rahmenbedingungen (Initialzündungen etc.) und die "Motivation" (um nicht die Psychologie zu strapazieren) stimmen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Leider nicht, ich habe es vor einigen Jahren in der Schule so gelernt (Zeiten und Menschen 2, Schöningh (2006)) und zahlentechnisch nicht hinterfragt. Das Buch hat leider (wie bei Schulbüchern üblich) kein ordentliches Verzeichnis weiterführender Literatur. Ich werde aber bei Zeiten mal sehen ob ich verlässliche Zahlen dazu bekomme. Ich kann allerdings jetzt schon sagen, dass die genaue Aufschlüsselung schwierig wird.
 
Lindlar ("Das missverstandene Wirtschaftswunder") spricht bzgl. Koreakrieg sogar von einer negativen Schockwirkung, verbunden mit starken Abflüssen der ohnehin schwachen Devisendecke aufgrund von Rohstoff-Hamsterkäufen. Folge seien ebenso starke Preissteigerungen, die die wirtschaftliche Entwicklung kurzfristig gefährdeten.

P.S. Lindlar betont ebenso mit isolierter Betrachtung der gestiegenen Welthandelsanteile die Exportwirkung - ein Effekt im Rahmen der Gesamtentwicklung, der mE zeitlich eher später anzusetzen ist (aufgrund der für die deutsche Binnenwirtschaft geringeren relativen Bedeutung im Vergleich zu den 1960ern etc.)
 
Wenn man die Management-Skills bedenken will, würde ich den Flexiblilitätsdruck durch die chaotische NS-Rüstungssteuerung iVm den massiven Beeinträchtigungen durch den Bombenkrieg hervorheben. Gerade die kleineren Unternehmen wurde Improvisation (wenn man das noch so nennen mag) allerorten regelrecht aufgezwungen.

Von Improvisation zu Innovation ist es allerdings auch nicht weit. Um nochmal auf Abelshauser zurückzukommen: In seinem Aufsatz "Kriegswirtschaft und Wirtschaftswunder. Deutschlands wirtschaftliche Mobilisierung für den Zweiten Weltkrieg und die Folgen für die Nachkriegszeit" (VfZ 47 (1999) 4, S. 503-538) zeichnet er eine direkte Linie von der NS-Kriegswirtschaft zum bundesdeutschen Wirtschaftswunder.

Ich bringe der Einfachheit halber ein paar zentrale Zitate:

Zu den Fertigungsmethoden:

Bei Ausbruch des Krieges lag die deutsche Rüstungswirtschaft deshalb in Fragen der Massenfertigung, gemessen an den anglo-amerikanischen Verhältnissen, noch weit zurück. Ab Herbst 1941 gelang es dann aber, den Rationalisierungsvorsprung der Gegner deutlich zu verkürzen, um spätestens Ende 1943 ein vergleichbares technisch-organisatorisches Niveau zu erreichen. Freilich stand das Fenster zur Spitzengeltung nur für kurze Zeit offen. Ab 1944 scheiterte die Aufnahme neuer Serienfertigungen oft an Facharbeitermangel und an Rohstoffknappheit. [...]

Auch wenn die deutsche Rüstungswirtschaft deshalb zu keinem Zeitpunkt während des Krieges den Fortschritt in den Produktionsmethoden in Überlegenheit umsetzen konnte, ändert das nichts daran, daß dieser einmal erreichte Standard der technischen Organisation nunmehr allgemein zur Verfügung stand - freilich erst nach 1945, oder besser nach Einsetzen des sich selbst tragenden Wachstumsprozesses am Ende der Koreakrise.


Zum Management:

Das System der „korporativen Marktwirtschaft" des Kaiserreichs, das der deutschen Wirtschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts ihre spezifische Dynamik verliehen hatte, war in der Weimarer Republik zu einer Karikatur des Verbändestaates verkommen und nahm - unter der Herrschaft des „Staatskorporatismus" im Dritten Reich zur „Kommandowirtschaft" pervertiert - weiteren Schaden. Ein wesentlicher Teil der Reform, die unter der Ägide des Todtschen Ministeriums für Bewaffnung und Munition 1940 begann und in der „Ära Speer" fortgesetzt wurde, bestand nicht zuletzt darin, die staatliche Bevormundung und Gängelung der Wirtschaft zugunsten von mehr industrieller Selbstverwaltung zurückzudrängen. [...]

Das „System Speer" verschaffte auch seinen „Wirtschaftsführern" mehr unternehmerischen Handlungsspielraum und brachte unter den Bedingungen des totalen Wirtschaftskrieges einen neuen Typus des jungen, selbstverantwortlich handelnden Managers hervor („Speers Kindergarten"), der auch in der Zeit des Wiederaufbaus nach 1945 weitgehend auf seinem Posten blieb.


Zur Qualifikationsstruktur der Arbeitskräft:

Industrielle Berufsausbildung und Qualifizierung waren während des Dritten Reiches zu einer Massenbewegung geworden. Zu den Berufsbildungsanstrengungen kamen Umschulungsmaßnahmen hinzu. Zu Beginn des Krieges waren in Deutschland 1,143 Millionen Lehrverhältnisse registriert. Allein ihre Aussetzung um ein Jahr hätte die industriellen Arbeitsreserven um 5 Prozent erhöht, doch war dies eine politisch nicht durchsetzbare Option. [...]

Während des Krieges überwogen die negativen Effekte und der Entzug von einfach qualifizierten Arbeitskräften durch den Abschluß von Lehrverhältnissen
die ebenfalls vorhandenen positiven Effekte bei weitem. Die Nationalsozialisten beklagten deshalb die Überqualifizierung der Arbeitskraft und wollten die dreijährige Lehre schließlich zugunsten einer einjährigen Grundschulung wieder abschaffen. Für den Wiederaufbau der Jahre nach 1945 war die Reform des Berufsbildungssystems freilich eine wichtige Voraussetzung.


Zur Verjüngung des Bruttoanlagevermögens:

Einer der Gründe für die frühe technische Überlegenheit der deutschen Rüstung lag in dem gewaltigen Rückstand, den Reichswehr wie Rüstungswirtschaft gegenüber den potentiellen Gegnern in Ost und West nach 1933 aufzuholen hatten. [...] Die Folgen dieses raschen Aufholprozesses
schlugen sich sowohl in der Alterszusammensetzung als auch in der Qualität des industriellen Anlagevermögens nieder. [...]

Waren 1935 nur 9 Prozent des gesamten Bruttoanlagevermögens der Industrie weniger als fünf Jahre alt, so wuchs dieser Anteil bis 1945 auf 34 Prozent. Auch der Anteil der fünf- bis zehnjährigen Anlagen stieg in diesem Zeitraum leicht an, so daß 1945 beachtliche 55 Prozent des Bruttoanlagevermögens jünger als zehn Jahre waren. Eine Analyse nach Branchen zeigt, daß die stärkste Verjüngung des Kapitalstocks in der Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie stattgefunden hat. [...]

Die Wachstumstruktur der deutschen Kriegswirtschaft macht somit deutlich, daß gerade jene Industriezweige am meisten von der Aufrüstung profitieren, die nach 1945 auch die Grundlage für den Wiederaufbau der westdeutschen Wirtschaft bildeten. An dieser quantitativen und qualitativen Bilanz können weder die Kriegszerstörungen noch die Demontagen der Jahre 1945-48 Entscheidendes verändern.

Abelshauser schließt:

Für das Verständnis der wirtschaftlichen Dynamik Westdeutschlands nach 1945 ist deshalb nicht zuletzt auch die Analyse der deutschen Kriegswirtschaft unverzichtbar.
Westdeutschland brachte offenbar gute materielle Voraussetzungen mit, um in der Nachkriegszeit wirtschaftlich zu reüssieren. Nach dem verlorenen Krieg und dem Zusammenbruch von 1945 mochte es arm sein, aber alles andere als unterentwickelt.

Zitate: S. 531, S.532, 534f., 535f., 536.

Den ganzen Aufsatz gibt es hier: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1999_4_2_abelshauser.pdf
 
Zuletzt bearbeitet:
Im Prinzip bietet der Aufsatz von Abelshauser die Erklärungsrichtung an, die hier auch schon diskutiert worden ist. Teilweise ist das unbestritten, teilweise stößt das auf Kritik.

Kritisiert wird insbesondere die pauschale Betrachtung von Rationalisierung und Bruttoanlageninvestitionen. Hier geht der Blick durch den hohen Aggregationsgrad der Zahlen verloren, der durch die gesamtwirtschaftliche und nicht sektorale Analyse vermutlich verursacht ist.

Interessant ist allerdings der implizite Hinweise, dass die gesamtwirtschaftlichen Aggregate für alle Teile des Deutschen Reiches galten, mithin nicht isoliert für den späteren Raum der BRD gesehen werden können.

Zur Rationalisierung:

Hier kann Abelshauser nicht gefolgt werden. Betrachtet man zB sektoral die Werkzeugindustrie, so sind mehrere Feststellungen wichtig
a) der deutsche Stand bis 1933 war veraltet, kleinteilig und dezentralisiert.
b) die Ausrüstungsinvestitionen bei Werkzeugmaschinen ab 1933 gingen zu weit überwiegenden Teilen, teilweise für einzelne Jahre 90%, in die kriegsrelevante Rüstung.
c) der Rationalisierungsstand der Vergleichsländer konnte weder bis 1939, schon gar nicht während des Krieges aufgeholt werden. Eine Kennzahl: während im anglo-amerikanischen Raum die Pro-Kopf-Einsätze bei Werkzeugmaschinen > 5 lagen, schwankte der deutsche Wert um den Faktor 2. Produktivitätsfortschritte während des Krieges waren so gut wie nicht vorhanden.
d) der Rationalisierungsdruck (für den bereits während des Krieges trotz Standardisierungen erhebliche Bemühungen eingeleitet wurden) war auch in den 1950ern nicht vorhanden - es gab ausreichend Arbeitskräfte in der BRD, zu den Ursachen siehe oben.

Nimmt man diesen behaupteten Rationalisierungsschub als Argument, wären im Übrigen in den Schlüsselindustrien die ehemaligen Kriegsgegner in der Nachkriegszeit sogar ökonomisch/wettbewerbseitig aufgrund der deutschen Rückstände überlegen.


Brutto-Anlageninvestitionen:

Aggregatzahlen über alle Sektoren nützen hier wenig und sind nicht aussagekräftig. Zahlreiche - die durchschnittliche Abnutzung gesamtwirtschaftlich senkende - Erweiterungs- und Ersatzinvestitionen gingen in die Kriegsrüstung und Autarkieprogramme (Beispiel Chemie: Hydrieranlagen). Diese waren nach 1945, soweit nicht zerstört, dann nachfragebezogen obsolet oder im Wettbewerb ineffizient.

Ein Großteil der maschinellen Ausrüstungsinvestitionen betraf Waffen, Munition, Kriegslogistik, kriegsbezogen wichtige Sektoren des Werkzeugbaus, Kriegsbauten, etc.

Sofern man konstatiert, dass maximal 20% der Brutto-Anlageninvestitionen die sonstige Produktions- und Konsumgüterindustrie betraf, ist der "Neuigkeitswert" aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Kennzahl der Invesitionszugänge oder des abgesenkten Durchschnittsalters der maschinellen Ausrüstungen marginal.

Tatsächlich bleibt ein Effekt übrig, der aber nicht auf harten empirischen Messungen, sondern auf Plausibilitätsüberlegungen basiert: ein großer Teil der Werkzeugmaschinen-Ausrüstungen und der maschinengebundenen Werkzeuge war - in Deutschland anders als in anderen Ländern - flexibel einsetzbar. Das entsprach der deutschen Tradition, mit kleinteiligeren flexiblen Werkzeugmaschinen, insbesondere nicht in Produktionsstraßen, zu arbeiten. Dieses erwies sich im Krieg - in dem industrielle Massenproduktion den Ausschlag gibt - als gravierender Nachteil, woraus auch erhebliche Standardisierungsbemühungen ab 1942/43 resultierten (ohne natürlich bis 1945 wesentlich "aufzuholen"). Die deutsche Tradition konnte man schon in den 1920ern, zT auch als Nachteil, nachweisen.

In der Nachkriegsphase erwies sich das allerdings als Vorteil: kriegsbedingt "gebrauchte" Werkzeugmaschinen und Werkzeugsätze waren in größerem Umfang umsetzbar in nunmehr wachsende Industriezweige. Das betraf alle deutschen Gebiete, die DDR ebenso wie die BRD. Ganz praktisch konnte man den Effekt noch bis weit in die 1970er in Industriebetrieben ablesen: an den Herstellungsdaten der Maschinen. In der DDR war dieser Effekt teilweise noch zu Zeiten der Wende zu beobachten ("Baujahr 1926").

Schließlich anzusprechen ist die Bauindustrie mit ihren Ausrüstungsinvestitionen. Hier ist weniger die Ausstattungsqualität - oder ein "Erneuerungseffekt 1933/45", als vielmehr ein ungeheurer, kriegsbedingter Nachfragesog in der Nachkriegszeit bedeutend.

"Speers Kindergarten" wird teilweise auch als Legende gesehen, die aus der unmittelbaren Nachkriegsphase mitgenommen worden ist. Ähnliche Spielereien hat man mit der Frage von Wehrmachtsoffizieren in der Nachkriegswirtschaft und einem "kommandierten Wirtschaftswunder" veranstaltet. Wenn man sich da für eine Modeerklärung festlegen müsste, dann mE eher für die der "Offiziere im Mittelstand" als Speers Kindergarten, der sich in der Wachstumsbasis Mittelstand der Nachkriegsphase nicht nachweisen läßt.
 
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