Aber ich befüchte, dass das hier zu weit führen würde, weil m.E. der Zeithorizont in diesem Thread eher spätes 18.Jh./frühes 19.Jh. ist. Hier habe ich mich mit der Stimmung dieser Zeit m.E. zur Genüge ausgelassen:
http://www.geschichtsforum.de/620033-post30.html
Zur Frage der „inneren“ Einstellung bzw. Befindlichkeit des Volkes (oder bestimmter Schichten –
um den Begriff „Stände“ zu vermeiden) erlaube ich mir, einen kurzen Bezug bei Golo Mann zu
nehmen:
„Zwar, die meisten deutschen Untertanen haben wohl auch damals gesät und geerntet wie eh und je
und nur gelegentlich vom Pfluge aufgeblickt, wenn ein Nachbar ihnen mitteilte, sie seien nun nicht
mehr Fürstenberger, sondern Badener, oder es sei der Kaiser Napoleon mit einer Armee, dergleichen
noch nie gesehen wurde, nach Rußland aufgebrochen.....
Nur wenige wurden in jener Zeit von den politischen Ereignissen ganz erfasst. Die große Mehrheit
nur in gewissen Aspekten ihres Lebens....
Trotzdem war Deutschland während der großen Staatenkrise der Revolutions- und Napoleonzeit
wesentlich passiv... Die Dinge geschahen ihm, wurden ihm von außen angetan; es machte sie nicht.
Es paßte sich ihnen an.... freiwillig oder unfreiwillig.
Der Sturm blies anderswo, Deutschland bekam nur seine Auswirkungen zu spüren. Folglich haben
die Deutschen auf die große Veränderung ihrer staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse, welche
zu Beginn des 19. Jahrhunderts stattfand, später nicht gern, nicht mit Stolz zurückgeblickt....
Aktiv – gegen Frankreich – wurden sie erst während des letzten Aktes des langen Revolutionsdra-
mas, 1813. Eine wirklich großartige Rolle, vergleichbar der englischen, der russischen, haben sie
aber auch dann nicht gespielt. Die 'Befreiungskriege' waren deutscherseits eine achtbare Sache, aber
nicht die Volkserhebung, zu welcher schon die zeitgenössische, erst recht die spätere Phantasie sie
machen wollte.
Es ist nicht 1813/14, daß Deutschland für seine Passivität während des Napoleondramas Rache
nahm. Die wahre Reaktion auf diese Erfahrung kam später, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts.“
Ende des zusammenfassenden Zitats, G. Mann, Dt. Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts,
erweiterte Sonderausgabe, Frankfurt/M., 1958, S. 55 u. 56 (da es verschiedene Editionen gibt, zu
Beginn des zweiten Kapitels).
Nun wird man Golo Mann nicht mehr unbedingt als brandaktuell bezeichnen können, sein Werk
selbst ist ja bereits über 55 J. alt und die Quellenarbeit nicht mehr auf der Höhe der Zeit (um schon
an dieser Stelle mögliche Einwände aufzugreifen); aber der Historiker Mann gilt als exzellenter
Beobachter (was wohl auch insoweit der DNS seines Vaters geschuldet sein dürfte), so dass seine
Beschreibung einer allgemeinen Passivität (teils schon Gleichgültigkeit o. Lethargie), die zumindest
zeitweise große Teile der Bevölkerung befallen hatte, soweit diese nicht am eigenen Leib
betroffen war, auch für die eigentliche Ausgangsfrage interessant sein dürfte.
Wenn weite Teile eines Volkes – unabhängig von der staatsrechtlichen Qualität oder landsmannschaftlicher
Unterschiede – sich lange Zeit in Duldsamkeit übt und selbst einschneidende politische
Entwicklungen, die größtenteils von außen hereingetragen werden (neben der Gründung des
Rheinbundes als Staatsgebilde z.B. auch die Einführung des Code Napoleons in Gebiete mit ganz
anderen Partikularrechten etc.), als von oben gegeben an- und übernimmt, wird man die Frage nach
dem Rückhalt des alten Systems „beim Volk“ nur schwer als offensichtlich gegeben bezeichnen
können. Sicherlich auch im Sinne einer Mentalitätsfrage.
Insofern möchte ich an dieser Stelle ein Zitat, das ich in einem Beitrag zu einem anderen Thema
angebracht habe, hier wiederholen:
„Fast alle deutschen Fürsten hatten sich mit Frankreich verbündet, und als Napoleon Kaiser
geworden war, huldigten sie ihm untertänig. Das Feilschen um Geld, Land und Leute im
Zusammenhang mit dem Reichsdeputationshauptschluß zeigt eindeutig, daß die deutschen Fürsten
weder Volk noch Vaterland, sondern nur Einnahmequellen kannten. Napoleon schloß mit ihnen
Verträge und ließ sich von ihnen Heere zur Verfügung stellen, die er auf den Schlachtfeldern
Europas, vornehmlich in Rußland verheizte; aber er zeigte ihnen unmißverständlich seine
Verachtung. Zum Symbol dieser Einstellung wurde der 'Fürstentag zu Erfurt' vom 27. September bis
14. Oktober 1808. Napoleon …. suchte in dem Zaren Alexander einen Verbündeten. Er lud ihn nach
Erfurt zu Besprechungen ein und führte ihm die deutschen Fürsten wie aufgeputzte Pudelhunde vor.
Weit davon entfernt, sie als Majestäten oder wenigstens mit dem Titel 'Sire' anzureden, nannte er
nur ihre Amtsbezeichnung wie bei subalternen Offizieren. Einmal rief er unwirsch: 'König von
Bayern, halten Sie den Mund!' Die Fürsten aber scharwenzelten um Napoleon herum und buhlten
um sein Wohlwollen. Von Nationalstolz und deutscher Sendung war hier jedenfalls nichts zu
spüren.“ Ende des Zitats, s. Otto Kimminich, Dt. Verfassungsgeschichte, 1. Aufl., 1970, S. 295.
Götz zum Gruß !