Militarismus als identitätsstiftendes Mittel (Deutsches Kaiserreich)

L

Lialo

Gast
Hallo an alle,

ich mache dieses Jahr mein Abi in Baden-Würrtemberg und habe nun noch die Präsentationsprüfung im Fach Geschichte (ca. 10 Minuten) vor mir. Und zwar lautet dabei mein Thema: Militarismus im Deutschen Kaiserreich - Militärisches Denken als identitätsstiftendes Mittel?
Nun weiß ich allerdings nicht ob ich bei dem was ich gerade mache auf der richtige Spur bin und habe totale Angst das Thema in irgendeiner Weise zu verfehlen.
Meine Frage wäre nun, in wie weit eben der Militarismus zum identitätsstiftenden Mittel wurde. Ich tue mir dabei gerade etwas schwer. Haben sie die Deutschen durch Paraden, Uniformen, Denkmuster somit als "Deutsche" gefühlt, als Einheit? Gab es dadurch einen großen Zusammenhalt im Land?

Ich würde mich wirklich sehr über Antworten freuen. Und wie ihr an die Sache herangehen würdet. Besonders im Bezug auf die Fragestellung. Ein großes Dankeschön schon mal.
 
Natürlich, das kann ich gerne machen.

Ich habe mir überlegt zuerst einmal allgemein über den Militarismus zu informieren. Ursprung, wie es dazu kam, dass die Armee, allgemein das Militär, so große Ansehen genoss. (Einigungskriege --> Geburtshelfer der Deutschen Nation). Dann der veränderte "Kurs" des Kaisers Wilhelm II. (Vorliebe für Paraden etc.), der dem Soldatenstand zu einem Spitzenstand im Volk verhalf.
Dann wollte ich eben noch auf die Entwicklungen der Gesellschaft eingehen. (Erziehung, Schule, Streben nach der Laufbahn als Reserveoffizier..)

Soweit bis jetzt meine Überlegungen. Muss eben auch schauen, dass das mit den 10 Minuten hinhaut, also da wird sich sicher noch einiges tun.

Vor allem die Beantwortung der Abschlussfrage fällt mir so schwer. Ich sollte mich während des Vortrages an dieser "entlanghangeln". Ich bin mir aber noch unschlüssig darüber, was ich da beachten und miteinbeziehen sollte.

Liebe Grüße
 
Ein paar links vorab:

Basiswissen Kaiserreich Innen und Außenpolitik
http://www.geschichtsforum.de/f58/militarismus-im-deutschen-kaiserreich-39843/
http://www.geschichtsforum.de/f58/gesellschaft-im-kaiserreich-36916/

Ansatzpunkte gibt es viele, zum Beispiel diese:

Du sollst Dich mit dem Begriff des Militarismus beschäftigen. Ausgehen könnte man von der älteren und engen "politischen" Fassung (Militarismus versus Politik, zB Bismarcks Präventivkriegsgedanken, Primat der Politik).

Dann wäre interessant, ob sich diese Gewichte zwischen Militarismus (der ggf. älter als das Kaiserreich ist, prüfe den "preußischen Militarismus") verschoben haben (Militarismus in Form der Schlieffenplans in der Juli-Krise, militärische Pläne dominieren die politischen Handlungen?).

Im Gegensatz zum "politischen Militarismus" kann der "soziale Militarismus-Begriff" gesehen werden, bei dem nicht das Verhältnis von Militär und Politik, sondern die gesellschaftliche Grundlage des Militarismus im Kaiserreich im Mittelpunkt steht. Wie äußerte sich dieser "Militarismus": Machtfaktor der Bewahrung der Herrschaftsverhältnisse im Kaiserreich, das Militär als Verkörperung der aristokratischen Elite und Autorität im Kaiserreich, Gegenpol zur Demokratisierung des Kaiserreichs, potenzielle "Bürgerkriegsarmee" gegen den sozialen Wandel?

Kann dieser Begriff des "sozialen Militarismus" (quasi "von oben") dann einseitig bestehen bleiben, oder gab es ergänzend den modernen bürgerlichen Militarismus ("von unten"), der sowohl gegen die konservativen Eliten als auch nach außen auf "Weltgeltung" und Großmachtinteressen bedacht war, und der im Bürgertum verankert war. Dann bist du beim Begriff des Doppelten Militarismus (von Stig Förster) angelangt.

Mit den Stichworten solltest Du fündig werden. Ein Aspekt des Wandels bildet dann die Wehrpflicht und die Heeresvermehrung im Kaiserreich, die die führenden Rolle der Aristokratie im Heer in Frage stellte.

Schließlich ein weiterer weiterer Aspekt: Ökonomie und Militarismus. Welche Rolle spielte die Rüstung für das industrialisierte Deutschland, gab es hierdurch Verstärkungen des Militarismus, ggf. über das zeitgenössische "Normalmaß" hinaus (Geyer)?

Wenn Du Dich mit diesen Aspekten des Militarismus beschäftigst, kannst Du klären, in welcher Form er sich äußerte: Uniformen, Paraden, Agitationsverbände, Rufe nach Weltgeltung und Weltmacht, usw. Waren diese Formen der Äußerung identitätsstiftend? Wenn ja, für wen und wie wirkten sie?

Mit den Anregungen solltest Du ins Thema einsteigen können.
 
Mit den Anregungen solltest Du ins Thema einsteigen können.
abgesehen von Silesias sehr hilfreichen Anregungen kannst du auch einen Blick auf die schöngeistige Literatur werfen:
- die Militärparade in Heinrich Manns Roman "der Untertan"
- die Figur des Joachim Ziemßen in Thomas Manns Roman "der Zauberberg"
 
@Lialo

In Ergänzung zu den Tipps meiner Mitdiskutanten, würde ich noch die Öffnung des Offizierskorps für bürgerliche Offiziere im 19. Jh im Heer, sowie das Reserveoffizierskorps anführen, welches eine bedeutende Ausstrahlungskraft in die Gesellschaft hatte und die Militarisierung der Zivilgesellschaft beförderte.

Hinzu das stark bürgerlich geprägte Offizierskorps der Hochseeflotte, hier insbesondere das Ingenieuroffizierskorps.

http://de.wikipedia.org/wiki/Reserveoffizier

http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/pdf/deu/615_Ideologie_Offizierkorps_195.pdf


M.
 
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Ein Link auf ein Online-Buch zu diesem Thema:

Der Militarismus der "kleinen Leute" - Thomas Rohkrämer - Google Books

http://books.google.de/books?id=q9d...CDIQ6AEwADgU#v=onepage&q=militarismus&f=false

Eine kritische Stimme zu dem Thema von Rosa Luxemburg
http://books.google.de/books?id=Mnv...CEoQ6AEwBTgU#v=onepage&q=militarismus&f=false

Ansonsten ist es wichtig, sich neben der "Ideologieproduktion" durch den Staat und ihm nahestehender Organisationen auch die Akzeptanz durch bestimmte Milieus anzusehen.

Zwei Milieus, die sich nicht ohne weiteres in den preußischen Militarismus integrieren lassen wollten, sind das katholische rheinische Milieu und das sozialdemokratische Arbeitermilieu in den industriellen Zentren.

Aus diesen Milieus heraus ergaben sich partiell Widerstandspotentiale gegen die Militarisierung.

Eine hervorragende Analyse zu diesem gesamten Thema hat Wehler vorgelegt, der im wilhelminsichen Imperialsimus, der Glorifizierung des Militärs und im Flottenbau ein Projekt definiert, die nationale kollektive Identität der verspäteten Nation voranzutreiben.

Sofern Militarismus einen, unter funktionalistischen Annahmen, politischen Sinn erfüllte und eine kollektive Identitätsstiftung leisten sollte, dann primär um das "Nationbuilding" Deutschlands und seine Integration voranzutreiben nach 1871 voranzutreiben.

Und natürlich auch, die autokratischen Strukturen des wilhelminischen Deutschlands mit einer ausreichenden, nicht demokratischen, aber dennoch kollektiven Zustimmung - per Akklamation - der relevanten gesellschaftlichen Organisationen, zu versorgen.

http://books.google.de/books?id=Vhg...a=X&ei=cgXXT6zfILOL4gTE8_ioAw&ved=0CDUQ6AEwAA

Noch ein Satz zur "Identität". Das ist ein Konstrukt aus der Sozialpsychologie und basiert auf Annahmen über die Sozialisation und die Bedeutung kultureller Normen im Rahmen der Kommunikation.

http://de.wikipedia.org/wiki/Identit%C3%A4t

Das Konzept ist beispielsweise bei Niethammer in seinen unterschiedlichen Facetten erklärt.

http://books.google.de/books?id=Oec...a=X&ei=1gfXT8ugLabQ4QS367itAw&ved=0CD4Q6AEwAQ
 
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Dazu lohnte es sich sicher, auf die Rolle der Krieger- und Wehrverbände im Kaiserreich einzugehen. Der Kyffhäuser-Bund als Dachverband der Kriegervereine vertrat 1913 über 2,7 Millionen Mitglieder und war damit meines Wissens der mitgliederstärkste Verband des Kaiserreichs.

Kyffhäuserbund ? Wikipedia

Der erst 1912 gegründete Deutsche Wehrverein betrieb ebenfalls eine aggressive Aufrüstungspropaganda:

Deutscher Wehrverein ? Wikipedia
 
Gute Hinweise :winke:

Den gesellschaftlich-sozialen, milieu- bzw. schichtenbezogenen Ansatz hat Wehler sicher weit vorangetrieben.

Was mir bei dieser Betrachtung etwas unvollständig, sozusagen "monokausal" erscheint, ist die Frage nach dem Einfluss von Personen und Personengruppen, schichtenübergreifend. Das "...stiftend" setzt voraus, dass Denker und Lenker vorhanden waren.

Nun ist auch das Deutsche Reich Bismarcks sicher in gewissem Sinne militärisch geprägt gewesen (um militaristisch abzuschwächen), verstanden mindestens in preußischer Tradition. Der Militarismus im Kaiserreich nahm aber andere (?) Züge an, er wurde stärker (?) oder fand andere Ausdrucksformen. Ein Erklärungsansatzz könnten mit Wehler sich zuspitzende Konflikte gewesen sein, die im Kern 1871 angelegt waren.

Welche Rolle spielten dabei aber Akteure, die diesen Militarismus vorantrieben? Hierbei würde ich einen Tirpitz von einem Moltke d.Ä. unterscheiden. Welche Rolle spielten die Pläne dieser Leute, wechselte das "reaktiv" von Heeresvermehrungen 1871/90 gegen ein aktives Streben nach Weltgeltung?

Stellen dabei die gesellschaftlichen Gegensätze "Treiber" dar oder sind sie nur Resonanzboden gewesen. Was unterscheidet in dieser Hinsicht 1870/90 von 1891/1914? Warum erodierte schleichend die Dominanz der Politik, bis diese schließlich in Folge von Aufmarschplänen handelte? Was unterscheidet Bismarcks "Krieg-in-Sicht" vom Kriegsrat im Dezember 1912?
 
Wow, viele Dank schon mal für die ganzen Anregungen und Tipps zu meinem Thema. Fühle mich davon fast schon ein bisschen überfordert. ;) Bin gerade dabei etwas Struktur in meinen Vortrag zu bekommen, was bei der Fülle an Infos gar nicht so einfach ist. Wird mich wohl noch einiges an Zeit kosten, aber dank euch bin ich ja schon mal auf dem richtigen Weg.
Für weitere Anregungen bin ich immer offen.

Herzlichen Dank an alle. :)
 
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