Qualitätsverlust der Kunst bis 1500

Der Mensch hat schon immer versucht, sich und seine Umwelt abzubilden und festzuhalten.
ist das explizit mit dieser sehr bestimmten Formulierung für alle Epochen der Kunstgeschichte richtig? Es würde voraussetzen, dass das sum. und ägypt. Altertum, die griech. und röm. Antike, das Mittelalter, die Renaissance usw. denselben Realismusbegriff gekannt und eingesetzt hätten, sei es in Malerei, Literatur, Skulptur - daran habe ich erhebliche Zweifel.
 
Möglicherweise habe ich mich sehr kurz gefasst, ich meinte damit eigentlich nur die bildende Kunst, nicht Literatur, Musik etc.
(Über darstellende Kunst können wir, so denke ich zumindest, nicht wirklich etwas sagen da wir nichts haben dass uns Auskunft gibt über das Können der Schauspieler usw.).

Wie gesagt sehe ich doch einen Qualitätsverlust, zumindest im Vermögen die Welt naturgetreu darzustellen, Emotionen erkennbar wiederzugeben, Variation einzubringen.

In mittelalterlichen Malereien erkenne ich eigentlich sehr oft "Mandelaugen" an den Seiten des Kopfes, die Körper immer mit der Frontalebene zum Betrachter, die Köpfe oft zu groß und die Figuren sind nur durch ihre Bekleidung unterscheiden.
Ebenso sehe ich bei Statuen und Reliefen sehr ausdruckslose "Blicke".

Natürlich ist eine illumination, ein Standbild aus diser Zeit auch schön und kann etwas vermitteln, aber dies ist nicht zu vergleichen mit den Statuen der Griechen/Römer oder einem Stundenbuch wie dem des Herzog von Berry oder dem des Etienne Chevalier(beides 15jh).
 
ist das explizit mit dieser sehr bestimmten Formulierung für alle Epochen der Kunstgeschichte richtig? Es würde voraussetzen, dass das sum. und ägypt. Altertum, die griech. und röm. Antike, das Mittelalter, die Renaissance usw. denselben Realismusbegriff gekannt und eingesetzt hätten, sei es in Malerei, Literatur, Skulptur - daran habe ich erhebliche Zweifel.
Habe den rein psychologischen Aspekt gemeint. Das Interesse an der Weiblichkeit, das Bedürfnis, Ängste mit Darstellungen bannen zu wollen, soewie die Lust an der Darstellung von Macht, Niederwerfung und Tötung, sind nur Beispiele der Stimuli der Kunst - meines Wissens in allen Kulturen, wobei nur aus der Realität geschöpft werden konnte, auch wenn sie oft neu kombiniert wurde, mit der Absicht, Übernatürliches zu suggerieren. Fürchte aber, dass ich über die sumerische und ägyptische Kunst zu wenig weiß, um hier Brauchbares beizutragen, und dass solch eine Diskussion hier zuweit führen würde.

Wie gesagt sehe ich doch einen Qualitätsverlust, zumindest im Vermögen die Welt naturgetreu darzustellen, Emotionen erkennbar wiederzugeben, Variation einzubringen.
Eine recht gute Zusammenfassung der wesentlichen Defizite der mittelalterlichen Kunst. Vorsichtig wäre ich mit den Variationen, die vielleicht genauer lokalisiert werden könnten. Ich würde sie auf die starke Selektion der Themen beziehen.
 
Wie gesagt sehe ich doch einen Qualitätsverlust, zumindest im Vermögen die Welt naturgetreu darzustellen,
...ist deine Wahrnehmung nicht schon geprägt durch einen Realismusbegriff (oder Realismusanspruch), welchen frühere Zeiten gar nicht kannten?
Auch in der Malerei ist "Realismus" eine kunsttheoretische Erscheinung erst im 19. Jh. - ich halte es für wenig zielführend, Malerei insgesamt an realistischen Einstellungen zu bewerten.
Interessant sind hierzu die Bemerkungen von Leo Naphta über eine Plastik des 14. Jhs. im Zauberberg - interessant bzgl. kunsttheoretischer Betrachtungen.
 
Habe den rein psychologischen Aspekt gemeint. Das Interesse an der Weiblichkeit, das Bedürfnis, Ängste mit Darstellungen bannen zu wollen, soewie die Lust an der Darstellung von Macht, Niederwerfung und Tötung, sind nur Beispiele der Stimuli der Kunst - meines Wissens in allen Kulturen, wobei nur aus der Realität geschöpft werden konnte, auch wenn sie oft neu kombiniert wurde, mit der Absicht, Übernatürliches zu suggerieren.
verzeih mir bitte, aber mit diesem Satzungetüm komme ich nicht zurecht...

was wusste die Antike über Psychologie, über psychologische Aspekte? und was wusste die Gotik zu diesen Fragen? (ich befürchte, dass die antiken Künstler keinen Freud et al. gelesen haben...) :winke::still:

der weitere Katalog an dargestellten Gegenständen, sei es für malerische, sei es für bildhauerische Darstellungen, ist meiner Ansicht nach nur subjektiv summarisch - wo bleibt die Idealisierung der Proportionen? Sind die röm.-antiken Kaiserprotraitstatuetten etwa "realistisch"? wissen wir, wie Caesar oder Tiberius aussahen? ...oh, wir wissen das nicht... ja... wie soll man da sagen... ist schon ein heikles Ding mit dem Abbilden der eigenen Umwelt (mit den eigenen Mitteln und dem eigenen Erkenntnishorizont der jeweiligen Epoche)

ich sage es ganz explizit: ich halte nichts davon, antike und mittelelaterliche Malerei und Bildhauerei gemessen an einem cum grano salo "modernen" Realismusbegriff zu messen und gegenseitig zu bewerten - ich halte das für verfehlt, auch für eine Fehlinterpretation. Antike wie auch mittelalterliche Kunst sollte zunächst aus ihrem und in ihrem eigenen kulturellen Horizont betrachtet und erschlossen werden.
 
@ dekumatland

Realismus in der Kunst hat nichts mit der Qualität zu tun.
Mittelalterliche Malerei ist genauso Realismus wie Picasso. Picasso hat in seinem ganzen Leben kein abstraktes Bild gemalt. Realismus hat absolut gar nichts damit zu tun wie genau ein Abbild die natürliche Vorlage einfängt, auch wenn manche Bezeichnungen verschiedener Kunstrichtungen dies suggerieren.
Natürlich ist es wichtig zunächst in jedem Bereich der Geschichte (hier die Kunst) aus ihrem eigenem kulturellen Horizont zu betrachten, um sie in ihrer Zeit zu verstehen und zu interpretieren.
Ich halte aber diese Betrachtung genauso für verfehlt, wie Geschichte nur aus heutiger sicht zu beurteilen. Erst in der Betrachtung längerer Zeiträume kann man Entwicklungen und Ursachen interpretieren und verstehen bzw. erklären.
Deine Argumentation würde bedeuten, das der nationalsozialistische Realismus und der sozialistische Realismus ebenfalls keinen Qualitätsverlust darstellt. Was ich aber behaupten möchte. Auch hier gibt es Außnahmen, genauso wie im Mittelalter die aus dieser minder qualitativen Formsprache ausbrechen.

Natürlich kann man Vergleiche anstellen. Ohne diese Vergleiche wäre man gar nicht in der Lage Typologien aufzustellen. Wir wären ohne diese Vergleiche gar nicht in der Lage Kulturepochen von einander zu unterscheiden.

Man darf den Begriff Realismus nicht mit naturgetreu/naturnah übersetzen, dies wäre ein Verständnis des 19.Jh. in dem es noch keine abstrakte Kunst gab.
 
@ Nergal

Deine Frage scheint mir vollkommen berechtigt. Auch ich habe mir schon oft darüber Gedanken gemacht. Aber auch du scheinst diesen Qualitätsverlust an der mangelnden Naturgetreue festzumachen, was ich wiederum nicht so sehe(wie oben dargelegt).
Es entsteht für mich ein krasser Bruch in der Formensprache.
Bsp. Im Mittelalter wird häufig das Stilmittel der Symmetrie angewendet. Heute weiß jeder Kunststudent das die Symmetrie das Stilmittel der Dummen ist. Dies ist für mich ein Qualitätsverlust.
Der oben erwähnte Bamberger Reiter wirkt sehr steif und statisch, wie die gesamte Kunst der Gotik. Die Reiter davor und danach wirken nicht so.

Im Moment wird hier nich über die Frage des Warum sondern um die Frage ob überhaupt diskutiert.

Zur Frage des Warum, bin ich in meinen Gedanken und Überlegungen noch nicht so weit fortgeschritten um sie wirklich formulieren zu können.

Ein paar Gedanken dazu:

Die Sieger schreiben Geschichte.
Andere Formensprache der Germanen und andere Schwerpunkte.
Wegfall der privaten Auftraggeber.
Kirche als geistiges, interlektuelles, künstlerisches Zentrum.
Verlust von Techniken.
Keine Akkulturation.
Keine Schulen.
Andere Interessen der herrschenden Schicht.
Wer ist Träger der Kultur.

(wie gesagt, noch wirre lose Gedanken dazu)
 

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@ dekumatland

Realismus in der Kunst hat nichts mit der Qualität zu tun.
ich wüsste nicht, dass ich dergleichen je behauptet hätte!
Realismus und Naturalismus (in der Musik Versimo) sind nachromantische literarische und malerische Stilrichtung mit eigenem kunsttheoretischen Anspruch und eigener Haltung, der Realsmus in der 2. Hälfte des 19. Jh., der Naturalismus dann Ende des 19. Jh. - die Gegenrichtung zu beiden nannte sich Symbolismus.
...kann es sein, dass du den Aspekt der mimetischen Abbildung orrtümlich für Realismus hältst?

Mittelalterliche Malerei ist genauso Realismus wie Picasso. Picasso hat in seinem ganzen Leben kein abstraktes Bild gemalt. Realismus hat absolut gar nichts damit zu tun wie genau ein Abbild die natürliche Vorlage einfängt, auch wenn manche Bezeichnungen verschiedener Kunstrichtungen dies suggerieren.
dieser Argumentation (?) vermag ich nicht zu folgen


Deine Argumentation würde bedeuten, das der nationalsozialistische Realismus und der sozialistische Realismus ebenfalls keinen Qualitätsverlust darstellt.
ich wäre dir dankbar, mich nicht mit solchem krassen Unsinn in Verbindung zu bringen!

ein Kunststil namens "nationalsozialistischer Realismus", was in sich schon einen Widerspruch enthält, ist mir nicht bekannt

Man darf den Begriff Realismus nicht mit naturgetreu/naturnah übersetzen, dies wäre ein Verständnis des 19.Jh. in dem es noch keine abstrakte Kunst gab.
aha... und was fangen wir nun scharfsinnig damit an, dass wir feststellen, dass die avantgardistische Kunst des frühen 20. Jh., also der Moderne, u.a. die Abstraktion "erfunden" hat (el Lisitzki, Kandinski), wenn wir antike und mittelalterliche Kunst vergleichen???...

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Portraits der Antike wie auch des Mittelalters stilisieren, typisieren und idealisieren, allerdings nicht in derselben Weise - als realistisch kann man beide nicht wirklich bezeichnen; insofern ist der Grad der "realistischen" oder vereinfacht naturgetreuen Wiedergabe ein etwas unglückliches tertium comparationis.
 
was wusste die Antike über Psychologie, über psychologische Aspekte? und was wusste die Gotik zu diesen Fragen? (ich befürchte, dass die antiken Künstler keinen Freud et al. gelesen haben...) :winke::still:

Muss es eine Verwissenschaftlichung der Psychologie als Voraussetzung dazu geben, dass es so etwas wie ein Bewusstsein für die Psyche und was man mit ihr anstellen kann, gibt? Warum brüllen Männer vor Schlachten, warum klopfen sie auf die Schilde? Doch wohl um die eigene Psyche zu stärken und die des Gegners zu schwächen. Und ist nicht jeder von uns ein kleiner Küchenpsychologe?
Und wenn man zokas Beitrag zugrunde legt, auf den du ja antwortest, dann
muss man wohl auch fragen, ob das Wissen der Antike/des Mittelalters um die Psyche notwendig ist, um heute mit diesem Wissen auf die Kunst zu schauen. Die psychologische Disposition des Künstlers oder des Auftragsgebers kann man doch möglicherweise trotzdem aus dem Kunstwerk herauslesen.


Sind die röm.-antiken Kaiserprotraitstatuetten etwa "realistisch"? wissen wir, wie Caesar oder Tiberius aussahen? ...oh, wir wissen das nicht... ja... wie soll man da sagen... ist schon ein heikles Ding mit dem Abbilden der eigenen Umwelt (mit den eigenen Mitteln und dem eigenen Erkenntnishorizont der jeweiligen Epoche)

Doch, eigentlich schon, sie haben, zumindest um die Zeitenwende und bis ins 2. Jahrhundert deutliche individuelle Züge, so dass ein klassischer Archäologe durchaus in der Lage ist, einen Kopf ohne weitere Attribute oder eine Inschrift einer Person zuzuordnen.


Es entsteht für mich ein krasser Bruch in der Formensprache.
Bsp. Im Mittelalter wird häufig das Stilmittel der Symmetrie angewendet. Heute weiß jeder Kunststudent das die Symmetrie das Stilmittel der Dummen ist. Dies ist für mich ein Qualitätsverlust.
Dabei vergisst du aber eines: Der Mensch ist von der Psyche her darauf angelegt, symmetrisches schön zu finden. Symmetrie mag vielleicht auf Kunsthochschulen als langweilig gelten, Reihenuntersuchungen haben aber ergeben, dass Gesichter von Menschen dann am schönsten wahrgenommen wurden, wenn sie einigermaßen symmetrisch waren, und wenn sie unsymmetrisch waren als eher hässlich. Dabei konnten wiederum Gesichtshälften von als hässlich wahrgenommenen Gesichtern als schön wahrgenommen werden.

Die Sieger schreiben Geschichte.
Abgesehen davon, dass für diese vielzitierte Aussage viele Gegenbeispiele gibt, frage ich mich, was sie mit dem möglichen Qualitätsverfall der Kunst im Mittelalter zu tun hat.

Andere Formensprache der Germanen und andere Schwerpunkte.

Das kann's eigentlich nicht sein, denn in den Ländern des römischen Reiches blieb die Bevölkerung ja und die Germanen wurden akkulturalisiert. Im archäologischen Befund von Karthago, Verona oder Toledo lassen sich Romane und Germane als Hausbesitzer nicht unterscheiden.
Kirche als geistiges, interlektuelles, künstlerisches Zentrum.

Ein Kunststil namens "nationalsozialistischer Realismus", was in sich schon einen Widerspruch enthält, ist mir nicht bekannt.

Richtig, es gibt keinen Kunststil dieses Namens. Aber die Werke von Künstlern, die wir mit Nationalsozialismus und nationalsozialistischer Kunstauffassung in Verbindung bringen, etwa Arno Breker oder Ivo Saliger, die wohl auch stellvertretend für die dem Regime offiziell genehme Kunst stehen, sind den Werken des sozialistischen Realismus recht ähnlich. Das mag zwei Gründe haben, nämlich in der Mode der Zeit zum einen und in der propagandistischen Ausrichtung dieser Kunstformen, deren Funktion es war allgemeinverständlich zu sein, zum anderen.
 
Muss es eine Verwissenschaftlichung der Psychologie als Voraussetzung dazu geben, dass es so etwas wie ein Bewusstsein für die Psyche und was man mit ihr anstellen kann, gibt? Warum brüllen Männer vor Schlachten, warum klopfen sie auf die Schilde? Doch wohl um die eigene Psyche zu stärken und die des Gegners zu schwächen. Und ist nicht jeder von uns ein kleiner Küchenpsychologe?
ich weiß nicht, ob restlos jeder von uns ein kleiner Küchenpsychologe ist - aber ich freue mich, dass die "Psychologie" des Baritus (Schlachtgesangs) zu Klärung der Frage dieses Fadens beiträgt :winke:=)


Und wenn man zokas Beitrag zugrunde legt, auf den du ja antwortest, dann muss man wohl auch fragen, ob das Wissen der Antike/des Mittelalters um die Psyche notwendig ist, um heute mit diesem Wissen auf die Kunst zu schauen. Die psychologische Disposition des Künstlers oder des Auftragsgebers kann man doch möglicherweise trotzdem aus dem Kunstwerk herauslesen.
möglicherweise - das dürfte von Fall zu Fall variieren (denn man benötigt viel zusätzliche Information)
wir wissen z.B. nicht, ob der anonyme Komponist der mittelalterlichen dies irae Sequenz *) nicht vielleicht viel Tanzmusik verfasst hat, wir wissen auch nicht, ob er unsere funktional-tonale moll-Assoziation bei diesem musikalischen Thema hatte **) (also ob es klanglich düsteren Charakter für ihn und seine Zuhörer hatte) - wir kennen nur die zugrundeliegende kirchentonartliche Skale --- was sollten wir herauslesen können über den Künstler, der eine Melodie verfasste, die seit rund 1000 Jahren cum grano salis jeder Europäer kennt?
...allerdings weiß ich ein wenig, wie es sich mit antiker und mittelalterlicher Musik verhält: abgesehen davon, dass kaum antikes musikalisches Material vorliegt, lässt sich in dieser Kunst allerdings feststellen, dass von einem qualitativen Niedergang zum Mittelalter hin nicht die Rede sein kann.


Doch, eigentlich schon, sie haben, zumindest um die Zeitenwende und bis ins 2. Jahrhundert deutliche individuelle Züge, so dass ein klassischer Archäologe durchaus in der Lage ist, einen Kopf ohne weitere Attribute oder eine Inschrift einer Person zuzuordnen.
individuelle Züge im Vergleich zur sonst überwiegenden idealisierenden Typisierung, oder Darstellung von Individualität? Das ist ein gravierender Unterschied.
Da in dieser (wie ich finde bzgl. der kunsthistor. und kunsttheoret. Begriffe etwas wirren) Diskussion von Realismus die Rede war: wir kennen Daguerrotypien und Fotographien von Frederic Chopin und Modest Mussorgski - beide Komponisten sind von berühmten Malern portraitiert worden (der eine von Delacroix, der andere von Repin) - das ist prima für uns, denn so können wir den realistischen Anspruch der übrigens furios gemalten Portraits prüfen (die Prüfung fällt bei beiden Malern positiv aus) --- solche sowohl kunsttheoretischen (Delacroix wie Repin äußerten sich zum Realismus) als auch banal praktischen Prüfungen können wir bei antiken Portraitstatuen leider nicht machen: wir können lediglich überlegen, ob dort individuell realistisch gearbeitet wurde, oder ob es sich um "frisierte" Darstellungen handelt (frisiert im Sinne: so will einer gesehen werden oder so solle er gesehen werden) ***)

Richtig, es gibt keinen Kunststil dieses Namens.
das war mir bekannt - schön, dass du das bestätigst

Aber die Werke von Künstlern, die wir mit Nationalsozialismus und nationalsozialistischer Kunstauffassung in Verbindung bringen, etwa Arno Breker oder Ivo Saliger, die wohl auch stellvertretend für die dem Regime offiziell genehme Kunst stehen, sind den Werken des sozialistischen Realismus recht ähnlich. Das mag zwei Gründe haben, nämlich in der Mode der Zeit zum einen und in der propagandistischen Ausrichtung dieser Kunstformen, deren Funktion es war allgemeinverständlich zu sein, zum anderen.
ich schlage vor, den "sozialistischen Realismus" beiseite zu lassen, wenn es um antike und mittelalterliche Kunst geht...
andernorts können wir gerne über Sholochov, Chatschaturjan usw. diskutieren (Shostakowitsch würde ich da rausnehmen) - aber die Bemerkung, dass die propagandistischen Intentionen von sozialistischem Realismus sich deutlich von denen der salopp gesagt "Nazikunst" unterschieden, mag ich mir nicht verkneifen



________________________________
*) sie wird z.B. spektakulär von Liszt (Totentanz), Berlioz (Sinfonie fantastique), Rachmaninov (Psaganini-Variationen) zitiert
**) Liszt, Berlioz und Rachmaninov harmonisieren die mittelalterliche Melodie in Moll
***) ich neige zu letzterem, da auch die Portraits mit den individuellen Zügen insgesamt idealtypisch gestaltet sind - erstaunlich, obwohl es doch die nette Geschichte mit dem Obst gibt :still:
 
individuelle Züge im Vergleich zur sonst überwiegenden idealisierenden Typisierung, oder Darstellung von Individualität? Das ist ein gravierender Unterschied.
[...]wir können lediglich überlegen, ob dort individuell realistisch gearbeitet wurde, oder ob es sich um "frisierte" Darstellungen handelt (frisiert im Sinne: so will einer gesehen werden oder so solle er gesehen werden) ***)

Das schließt sich doch nicht aus. Wenn man von Seiten einer wahlkämpfenden Partei oder in einem Modekatalog mittels Fotomontagetechniken den oder die Kandidaten ins rechte Licht rückt, aus einem eher gelangweiltem Gesicht ein freundlich lächelndes macht, Falten oder bei einem Bikinimodel die Cellulite retouchiert, dann hat man trotzdem Individuen, zeigt sie aber, wie man aus politischen oder ökonomischen Gründen will, wie sie gesehen werden. Auch bei römischen Kaisern etc. wird es sicher Stilisierungen gegeben haben. Aber wir wissen eben auch, dass nicht jeder Römer, der ein Standbild erhielt, wirklich nach was aussah. Da gab's auch ein paar richtige Visagen drunter.


ich schlage vor, den "sozialistischen Realismus" beiseite zu lassen, wenn es um antike und mittelalterliche Kunst geht...
andernorts können wir gerne über Sholochov, Chatschaturjan usw. diskutieren (Shostakowitsch würde ich da rausnehmen) - aber die Bemerkung, dass die propagandistischen Intentionen von sozialistischem Realismus sich deutlich von denen der salopp gesagt "Nazikunst" unterschieden, mag ich mir nicht verkneifen

Ich hab mit dem Thema des Realismus nicht angefangen und will es auch hier nicht vertiefen. Und dennoch möchte ich deinem Satz widersprechen. Die propagandistischen Intentionen mögen sich unterschieden haben, in dem Sinne, dass die faschistische Kunst ein rassistisches Bild zeigen wollte bzw. ein Bild von einer Gesellschaft in der Mann und Frau zugewiesene Rollen hatten und in dem die Rolle des Mannes meist die eines Kriegers war.
In der bildenden Kunst des sozialistischen Realismus wird eher die Stärke der vereinten Arbeiter gezeigt und was diese erreichen können. Beiden Formen ist aber gemein, dass sie eine Vorliebe für heroische Posen und Muskeln haben. Der modernitätsfeindliche Faschismus historisiert gerne, in dem er seinen Protagonisten gerne altertümliche Accessoires beigibt (z.B, ein Schwert), aber auch moderne Waffen oder eine Kombination von modernem und altertümlichen, wohingegen der sozialistische Realismus eher für Hammer und Sichel, Werkzeuge, Fahrzeuge oder ggf. moderne Waffen optiert.

Insofern mag die dahinter stehende Ideologie oder die propagandistische Intention sich unterscheiden, die künstlerischen Ausdrucksformen sind doch sehr nah beieinander.
 
Möglicherweise habe ich mich sehr kurz gefasst, ich meinte damit eigentlich nur die bildende Kunst, nicht Literatur, Musik etc.
(Über darstellende Kunst können wir, so denke ich zumindest, nicht wirklich etwas sagen da wir nichts haben dass uns Auskunft gibt über das Können der Schauspieler usw.).

Wie gesagt sehe ich doch einen Qualitätsverlust, zumindest im Vermögen die Welt naturgetreu darzustellen, Emotionen erkennbar wiederzugeben, Variation einzubringen.

In mittelalterlichen Malereien erkenne ich eigentlich sehr oft "Mandelaugen" an den Seiten des Kopfes, die Körper immer mit der Frontalebene zum Betrachter, die Köpfe oft zu groß und die Figuren sind nur durch ihre Bekleidung unterscheiden.
Ebenso sehe ich bei Statuen und Reliefen sehr ausdruckslose "Blicke".

Natürlich ist eine illumination, ein Standbild aus diser Zeit auch schön und kann etwas vermitteln, aber dies ist nicht zu vergleichen mit den Statuen der Griechen/Römer oder einem Stundenbuch wie dem des Herzog von Berry oder dem des Etienne Chevalier(beides 15jh).

Ich denke, dieser Herr hier braucht den Vergleich mit den antiken Vorbildern nicht zu scheuen:

http://www.hansgruener.de/pictures/kanal_orte/bamberg_de_006_01.jpg

Allerdings stimme ich in der generellen Linie zu.
 
Das schließt sich doch nicht aus. Wenn man von Seiten einer wahlkämpfenden Partei oder in einem Modekatalog mittels Fotomontagetechniken den oder die Kandidaten ins rechte Licht rückt, aus einem eher gelangweiltem Gesicht ein freundlich lächelndes macht, Falten oder bei einem Bikinimodel die Cellulite retouchiert, dann hat man trotzdem Individuen, zeigt sie aber, wie man aus politischen oder ökonomischen Gründen will, wie sie gesehen werden.
...irgendwas raunt mit zu, dass es nicht nur einen Unterschied zwischen Cellulite-Modellen und römischen Kaisern gibt... :winke: und das betrifft gar nicht mal so sehr das Aussehen...


Auch bei römischen Kaisern etc. wird es sicher Stilisierungen gegeben haben.
ja!
(ich wüsste ja gar zu gerne, welches röm. Kaiserportrait nicht geschönt, typisiert oder idealisiert ist)

Aber wir wissen eben auch, dass nicht jeder Römer, der ein Standbild erhielt, wirklich nach was aussah. Da gab's auch ein paar richtige Visagen drunter.
...davon würde ich gerne Bilder sehen :winke:=):still:
(du meinst sicher, dass es gelegentlich eine Diskrepanz zwischen Standbild/Portrait und literarischen Quellen gab)

Ich hab mit dem Thema des Realismus nicht angefangen und will es auch hier nicht vertiefen.
nein, das hast du nicht!
und das habe ich dir auch nicht unterstellt!

aber ein etwas vager "Realismus"-Begriff (naturgetreue Abbildung etc) spukt durch diese Diskussion - ich finde es verzichtbar, kunsttheoretische Begriffe verkürzt oder gar unkorrekt zu verwenden (allerdings muss ich mich ja nicht an solchen Diskussionen beteiligen) und ich halte aus schon mitgeteilten Gründen nichts davon, antike und mittelalterliche Kunst an einem vagen Realismusbegriff zu messen (((ansonsten wird doch, sowie es historisches betrifft, gerne sehr genau argumentiert - das darf meiner Ansicht nach bei kunsthistorischen Fragen auch der Fall sein)))

...zum sozialistischen Realismus... wie man es auch dreht und wendet, der wird uns zur antiken und mittelalterlichen Kunst nicht viel sagen...
 
aber ein etwas vager "Realismus"-Begriff (naturgetreue Abbildung etc) spukt durch diese Diskussion - ich finde es verzichtbar, kunsttheoretische Begriffe verkürzt oder gar unkorrekt zu verwenden (allerdings muss ich mich ja nicht an solchen Diskussionen beteiligen) und ich halte aus schon mitgeteilten Gründen nichts davon, antike und mittelalterliche Kunst an einem vagen Realismusbegriff zu messen (((ansonsten wird doch, sowie es historisches betrifft, gerne sehr genau argumentiert - das darf meiner Ansicht nach bei kunsthistorischen Fragen auch der Fall sein)))
Das Wort “Realismus” wurde hier von Dir eingebracht. Nachdem ich die “Realität” als Referenz der Kunst in die Runde warf, hast Du mit dem suspekten Wort “Realismusbegriff” Einspruch erhoben, nur um Dich dann zufrieden wieder zu setzen, ohne die Bedeutung des Wortes zu lüften, oder gar auf den “Realismusbegriff” des mittelalterlichen Kunsthandwerkers einzugehen. Stattdessen folgten später Gedankenfetzen zu “Realismus”, obgleich die Konfusion in der eigenen Wortkreation lag. Vielleicht hattest Du “Realitätsbewusstsein” gemeint, was Deinen Exkurs ins 19. Jahrhundert erspart hätte.

Ich glaube, in Deinen Kommentaren einen klaren Bezug zu kunsthistorischen Abgrenzungen zu spüren. Umso spannender wäre doch, endlich zu erfahren, was Du unter “Realismusbegriff des Mittelalters” verstehst.

Und was die bemängelte Genauigkeit der Argumentation angeht: was genau bezeichnest Du hier als ungenau? Und vielleicht die konkreten Gründe Deiner Zweifel, die ich in diesem Potpourri der läßig hingeworfener Einwände nicht ausmachen kann.
 
Ein symmetrisch angeordnetes Bild ist einfach langweilig.
Das wussten die Griechen, das wissen wir heute. Warum hat man das im Mittelalter vergessen, nicht beachtet oder wollte es nicht beachten? --> nur ein Beispiel für den krassen Bruch in der Kunst der eindeutig zu beobachten ist.
Meine Beispiele sollten aufzeigen das dieser Bruch nichts mit realistisch, Realismus oder mit einemhttp://de.wikipedia.org/wiki/Mimetisch mimetischen Anspruch zu tun hat. Diese Disskusion geht nämlich am Thema deutlich vorbei.
Die Gedanken die ich ansprach sind wie erwähnt noch sehr ungeordnet, aber in diese Richtung sollte es gehen. das Thema interessiert mich wirklich brennend.
 
Nachdem ich die “Realität” als Referenz der Kunst in die Runde warf,
und da verbleibt nach wie vor die Frage, was diese Referenz für die Frage nach einem qualitativen Unterschied zwischen antiker und mittelalterlicher Kunst nützt. Soll es um das Verhältnis der Kunst zur Realität gehen? Und wenn ja, warum sollte dieses Verhältnis Wertungen zur künstlerischen Gestaltung ermöglichen? Schließlich kann das Verhältnis einer Kunstepoche zu ihrer jeweiligen Realität recht verschieden ausfallen (ein "Werther" ist gewiß kein naturalistischer Roman, darum aber nicht notwendig besser oder schlechter als "Bestie Mensch") und zudem muss "Realität" nicht zwingend notwendig der Gegenstand von Kunst sein (ein Laokoon oder eine Artemis dürften sich in der Wirklichkeit nicht auffinden lassen)

vielleicht wäre es sinnvoll, Vergleiche in den Künsten anzustellen?
- in der Musik vermag ich die These des qualitativen Niedergangs nicht zu bestätigen, eher das Gegenteil scheint der Fall (allerdings ist nicht sonderlich viel aus der Antike überliefert...)
- in der Literatur kann ich kein Niveaugefälle zwischen einem Gedicht von Ovid und einem von von der Vogelweide feststellen (betrifft die Lyrik) / die Gattung "Roman", immerhin von Petronius fragmentarisch überliefert, scheint im Mittelalter nicht en vogue gewesen zu sein / in der Epik findenwir z.B. Aeneas und Tristan (wer wollte bei solchen Meisterwerken einen qualitativen Unterschied nachweisen?) / die Gattungen der Theaterstücke scheinen im Mittelalter weniger gebräuchlich als in der Antike gewesen zu sein --- reicht das wirklich aus, um in der Literatur der Antike die Krone zu überreichen? meiner Ansicht nach nicht. (ausgenommen habe ich "wissenschaftliche" Literatur, also philosoph., rhetor. etc. Texte*))
- in der Malerei wird es schwierig werden, zu vergleichen, weil nicht eben allzuviel vorhanden ist: sollte man z.B. pompejanische Wandmalereien als Kunstwerke oder als quasi Deko betrachten? Es gibt ua. ein spätantikes röm. Frauenportrait (aus Ägypten, auf einem Sargdeckel wenn ich mich richtig erinnere) - aber es gibt kein solches mittelalterliches Portrait. Es gibt furiose, sehr dynamische frühmittelalterliche (sic) Buchillustrationen (gezeichnet, nicht koloriert), aber antike solche wüsste ich jetzt nicht --- ich finde, auch in der Malerei wird es schwierig, vergleichbares zu finden um vergleichen zu können
- verbleibt die Architektur: einerseits Palastaula und Pantheon, andererseits romanische und gotische Kathedralen - da maße ich mir nicht an, das eine über das andere zu stellen

ja, die Skulpturen, ich weiß - da sind sehr große Unterschiede in der Intention und in der Thematik vorhanden, wobei allerdings beide Epochen ihre jeweils eigenen Typisierungen/Idealisierungen vornehmen; zumindest mir will auch in diesem Bereich noch nicht einleuchten, wieso herausragende mittelalterliche Skulpturen handwerklich und/oder künstlerisch schlechter als antike sein sollten.

Ganz anders sieht es gewiß auf dem Gebiet des zivilisatorischen Niveaus aus, auch auf dem technischen (mal abgesehen von Pantheon und Kathedrale) - ich hätte auch lieber in Rom mit Thermen und Villen gelebt als
auf einer zugigen Wartburg :D:D

so, jetzt hab ich mal nur summarisch angedeutet, was die Ausgangsfrage alles enthalten könnte - von kunsttheoretischen überlegungen ist das noch weit entfernt. Aber vielleicht entwickelt sich zu einzelnen Aspekten ja eine anregende Diskussion.

_______________
*) diese könnte man eher für den zivilisatorischen Bereich nutzen - sie bestätigen als wiss. Werke/Quellen, dass antike Großstädte eben doch ein zivilisatorisch höheres Nieveau hatten als mittelalterliche
 
Ein symmetrisch angeordnetes Bild ist einfach langweilig.
Das wussten die Griechen, das wissen wir heute. Warum hat man das im Mittelalter vergessen, nicht beachtet oder wollte es nicht beachten? --> nur ein Beispiel für den krassen Bruch in der Kunst der eindeutig zu beobachten ist.
Meine Beispiele sollten aufzeigen das dieser Bruch nichts mit realistisch, Realismus oder mit einemhttp://de.wikipedia.org/wiki/Mimetisch mimetischen Anspruch zu tun hat. Diese Disskusion geht nämlich am Thema deutlich vorbei.
Die Gedanken die ich ansprach sind wie erwähnt noch sehr ungeordnet, aber in diese Richtung sollte es gehen. das Thema interessiert mich wirklich brennend.
Lass mich kurz ausholen bzgl. der Symmetrie:

Die Vereinfachung der Form und Struktur ist eine Erleichterung für das visuelle Auffassungsvermögen, da das Gebilde überschaubarer wird.

Ein anderer Aspekt der Vereinfachung ist ihre Motivation, bzw. Interpretation. Die Beschränkung auf einfach konstruierte Formen und Strukturen (Geometrie) gründet nebst dem technischen Unvermögen und dem geringeren Aufwand auch auf der Annahme, die banalen geometrischen Formen seinen dem menschlichen Intellekt entsprungen, womit wir die Natur überwunden, uns quasi von ihr abgesetzt hätten. Während den antiken Griechen diese Überheblichkeit nicht wirklich nachgesagt werden kann (ihre Interpretation der Mathematik müsste ich allerdings nachschlagen), fand sie bereits im Klassizismus auf fruchtbaren Boden, und wird in der Moderne weitergeführt, wo nicht nur die biologische Natur des Menschen kaschiert, sondern auch die technische Funktionalität hinter Flächen versteckt werden muss, um sogar das Angewiesensein auf den technischen Hintergrund zu verdecken (Bsp.: die Entwicklung des Designs von Gerätegehäusen). Anschaulich ist die Tendenz zum Verstecken der biologischen Herkunft auch beim Blick auf die Geschichte der Gartenarchitektur, die sich in den heutigen, oft zugepflasterten Parkanlagen zuspitzt (auch wenn dabei stets mit ‘Vernunft’ aus Kostengründen argumentiert wird).

Nun zur Symmetrie:
Sie ist Teil der Vereinfachung der Darstellung, um dem Bedürfnis nach wenigeren visuellen Reizen gerecht zu werden. Hierdurch will sie auch Ordnung vermitteln, die der Mensch gerne der Natur überordnet. Auch der mittelalterliche Sakralbau hat die Symmetrie gerne angewandt, während das profane Mittelalter (inkl. Burg- und Städtebau) noch um einiges organischer strukturierte (bzw. nicht strukturierte) als wir es heute tun. So kann man dem Mittelalter m.M.n. keinen übertriebenen Hang zur Geometrie, bzw. zur Symmetrie zuweisen. Vielmehr lässt sich eine Vorliebe zu natürlichen Formen ausmachen, wie es auch die Entwicklung der Gotik zeigt.

Dass heute die Symmetrie als langweilig erachtet wird, halte ich für eine Fehlanalyse. In der Fotografie, beim Industriedesign und in der Architektur wird sie nach wie vor gerne angewandt, obwohl v.a. beim letzteren Tendenzen zu einer Abkehr spürbar ist.



@ dekumatland

Vielleicht haben wir uns gegenseitig einfach nur gründlich missverstanden. Bin eigentlich auch gegen Wertungen, nicht aber gegen Vergleiche. So halte ich Kunst nicht für eine unantastbare intellektuelle Leistung.

Wie dem auch sei, bei kunstgeschichtlichen Betrachtungen sind Analysen durchaus üblich, sodass z.B. Skulpturen, oder gemalten Figuren Skelette unterlegt werden, um den anatomischen Wahrheitsgehalt zu prüfen. Dass Rubens z.B. bzgl. Anatomie gerne fantasierte und Muskel erfand, ist zwar eine Tatsache, mindert aber keineswegs seine Leistung für die Menschheit. In neuester Zeit gibt es auch 3D-Rekonstruktionen von Gemälden, um mehr über die Perspektive, die Beleuchtung zu erfahren. Trotzdem, es werden keine Noten verteilt. Das Interesse gilt der Absicht, den Einflüssen, und den Stilmitteln (mit Betonung auf “Mittel”).


Bzgl. römischer Villa und Wartburg kann ich mich nur anschließen, wobei die bescheidenen Behausungen feudaler Franzosen des Spätmittelalters auch recht angenehm aussehen.
 
Auch wenn du das mit den "herumtollenden Völkern" vielleicht zeitlich etwas extendierter meinst (wofür das erste Jahrtausend und der Anschluss an die Gotik sprechen), bei mir erweckt das den Eindruck, dass du von den Völkern der Völkerwanderungszeit sprichst, wo wir insbesondere Vandalen und Goten als die Kulturzerstörer kennen (der gotische Stil, der ja eigentlich nichts mit dem Volk der Goten zu tun hat, ist nach diesen benannt worden, um auszudrücken, dass die Gotik eine barabarische Stilrichtung sei, ebenso sprechen wir seit dem 18. Jahrhundert vom Vandalismus).
Im 18.Jh. wurde der Begriff "gotisch" als abwertend verwendet und begriff weniger eine einzige Kunstepoche. Als Gotisch wurde kurzum alles bezeichnet, was nicht "schön" war, also weder antikes Kunstwerk noch eines der Renaissance. Wenn ich mich recht entsinne verwendete noch Erdmannsdorff in den 1760ern diese Begrifflichkeit um mittelalterliche Architektur in seinem Tagebuch von einer Italienreise herabzusetzen. Damals waren nunmal seine Vorbilder Palladio und die alten namenlosen Meister der Antike. Gleichwohl sieht man dann bei späteren Bauten im Wörlitzer Park, Erdmannsdorffs Hauptbaustelle bereits frühe Neogotik.

Gerade dieser Umschwung im 18.Jh. macht für mich deutlich, wie temporär und aus der eigenen Kunstepoche subjektiv der Blick auf eine fremde Epoche ist. geschichtsfan07 hatte das ganz gut thematisiert, dass eben Kunst letztlich die Aufgaben erfüllen muss, die an sie gerichtet werden. Wenn wir im Hochmittelalter kein Verlangen nach einer realitätsnahen Abbildung der Physiognomie von Personen haben, werden wir auch keine solchen Abbildungen finden. Dabei gibt es vom Hof Friedrich II. auf Sizilien bzw. Süditalien durchaus Versuche wieder an antike Vorbilder anzuschließen, wie in der Staufer-Ausstellung (ein Höhepunkt derselben) in Mannheim demonstriert wurde.

In der Architektur sehe ich keine Verluste angesichts der mannigfaltigen Formensprache und der Ausprägungen von Romanik und Gotik. :winke:
 
Gerade dieser Umschwung im 18.Jh. macht für mich deutlich, wie temporär und aus der eigenen Kunstepoche subjektiv der Blick auf eine fremde Epoche ist. geschichtsfan07 hatte das ganz gut thematisiert, dass eben Kunst letztlich die Aufgaben erfüllen muss, die an sie gerichtet werden. Wenn wir im Hochmittelalter kein Verlangen nach einer realitätsnahen Abbildung der Physiognomie von Personen haben, werden wir auch keine solchen Abbildungen finden. Dabei gibt es vom Hof Friedrich II. auf Sizilien bzw. Süditalien durchaus Versuche wieder an antike Vorbilder anzuschließen, wie in der Staufer-Ausstellung (ein Höhepunkt derselben) in Mannheim demonstriert wurde.

In der Architektur sehe ich keine Verluste angesichts der mannigfaltigen Formensprache und der Ausprägungen von Romanik und Gotik. :winke:


Hmm, nun ja. Ich denke schon, daß man nun nicht davor zurückschrecken muß, Kunst oder andere Kulturgattungen wie die Architektur zu bewerten. Es ist diesen Dingen ja doch auch eigen, daß sie auch generationenübergreifend genutzt und geschätzt werden, und da stellt sich dann die Frage, welche Kriterien dafür auschlaggebend sind. Man wird also Kunst sowohl unter den Bedingungen ihrer Entstehungszeit als auch unter den gesichtspunkten späterer Rezeption, die ja dafür verantwortlich ist, was tradiert und erhalten wird und was nicht, beurteilen, und da läßt sich durchaus auch mit dem Qualitätbegriff arbeiten. Man muß sich nur davor hüten, die späteren Kriterien als maßgebend für die früheren anzusetzen, und da habt ihr natürlich recht.
Qualität ist ja auch ein vielseitiger Begriff, er kann ja sowohl die Güte der Anfertigung als auch das damit verbundene positive Lebensgefühl meinen. Insofern wird man sagen dürfen, daß eine klassizistische Villa, die sicherlich von vielen Leuten als schön angesehen wird, eine höhere Qualität hat als ein industrialisierter Wohnbau aus den 80er Jahren, der ja von seinen Schöpfern auch nicht unter der Prämisse "Hey, wir machen jetzt mal was Häßliches" geschaffen wurde. Wenn also Architektur nach 200 Jahren erhaltenswerter ist als die, die erst 30 Jahre steht, ist das ein Qualitätsmerkmal von mehreren, welches in eine Bewertung mit einfließt.

Und ich sehe schon einen Verlust in der Architektur, weil sich das Spektrum nach der Spätantike stark verengte. Wo es vorher eine breite Vielfalt an öffentlicher städtischer Architektur gab und daneben ebenso eine große Formenvielfalt an sakraler Architektur, wurde der eine Bereich nach Verfall und Zerstörung zum größten Teil einfach aufgelassen.
Ich weiß ja, daß es heutzutage politisch korrekt ist, das Mittelalter (Charakter: kalt, naß, dunkel) aufzuwerten, aber wer sich mal Rom im Mittelalter anschaut (sehr schön in Rom in der Krypta Balbi mit einem tollen Katalog), der wird von einem Verlust sprechen, weil nichts Gleichwertiges an die Stelle des Verlorenen gesetzt werden konnte. Daß die Romanik eine wundervolle Blüte an sakraler Architektur hervorbrachte, ersetzt dies ja nicht.
 
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