Mal von der recht unbedeutenden Dauer eines "christlichen" (West-)Römerreichs - im Vergleich zur gesamten Römischen Geschichte - abgesehen, zumindest ein schemenhafter Ansatz, die sog. "Reichsidee" zu skizzieren.
Nimmt man nun noch die Kernthesen der # 51 u. 55 hinzu, lässt sich die Frage nach dem "Staatsverständnis" von Friedrich I./II. wie folgt zusammenfassen.
1) Barbarossa hat sich also von "den" Reichsfürsten die Butter vom Brot nehmen lassen - bezogen auf das deutsche Herrschaftsgebiet.
In (Reichs-)Italien hat sich jedoch eine andere Entwicklung ergeben, auch und gerade auf dem Gebiet des "Lehnswesen".
Schon beim Blick auf das Reichsterritorium zwischen dem 11. und 18. Jh. wird sichtbar, dass sich der Begriff
Heiliges Römisches Reich im Lauf der Jahrhunderte immer stärker auf den von Deutschen besiedelten Reichsteil verengte.
Im späten Mittelalter war
Reichsitalien de facto verloren gegangen, denn in Oberitalien mit seinen wohlhabenden Stadtrepubliken und Signorien übten die Kaiser nur noch eine schattenhafte Macht aus - wobei man reichsrechtliche Machtstrukturen von denen der Habsburger als Landesherren trennen muss. Vom zweiten Reichsteil, dem
Königreich Burgund, das einst bis zum Mittelmeer reichte, war nur noch die Freigrafschaft Burgund übriggeblieben, den Rest hatte sich Stück für Stück Frankreich einverleibt. Der Westfälische Friede brachte mit dem Ausscheiden der Eidgenossenschaft und der Niederlande aus dem Reichsverband weitere gravierende Gebietseinbußen, sodass man spätestens seit dem 16./.17. Jh. wirklich von einem Reich "deutscher Nation" sprechen muss - auch wenn das slawische Königreich Böhmen und französischsprachige Teile der südlichen Niederlande noch zum Reich zählten.
Die Beibehaltung des Begriffs "Heilig" für das Reich bis zu seinem Untergang ist sicherlich nur einer Jahrhunderte alten Tradition geschuldet, denn vom usprünglich sakralen Bedeutungsinhalt - der Kaiser als oberster Priester, Gottes Stellvertreter auf Erden und Beschützer der Christenheit - war de facto nur wenig geblieben.
Man sieht also, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit ein großer Unterschied bestand, was die römisch-deutschen Kaiser freilich nicht daran hinderte, sich als Nachfolger der römischen Kaiser und Vorkämpfer der Christenheit zu betrachten - zumindest in der Epoche des Mittelalters. Es entsprach einfach ihrer Vorstellungswelt und wer heute darüber urteilt, muss sich in diese Vorstellungswelt hineinversetzen. Es gilt der Grundsatz, dass Menschen aus ihrer Zeit heraus verstanden und beurteilt werden müssen.
Jetzt wird Friedrich II. fast unisono für den "modernen" Staatsaufbau in seinem Kgr. Sizilien gerühmt - als ob "Beamtenstaate" jemals etwas Produktives geleistet hätten - die wohl recht ansehnlichen Steuereinnahmen in Süditalien (man mag dies heute gar nicht mehr glauben) sind dann doch größtenteils fürs Militär verbraucht worden.
Berühmtheit erlangten die "
Konstitutionen von Melfi", ein Gesetzteswerk, das Friedrich II. 1231 für das Königreich Sizilien erließ (Constitutiones Regni Siciliae). Sie zeigen die im heutigen Sinn moderne Herrschaftsauffassung des Kaisers, die sich von der anderer europäischer Herrscher durchaus unterscheidet.
Ein wesentlicher Aspekt der Konstitutionen ist die Konzentration auf die Elemente Recht und Verwaltung, auf den König und seine Beamten, sowie auf die Sicherung der Einnahmen des Staates bzw. des Königs. Die Konstititionen stärkten die Rechte des Adels, wobei Friedrich darauf achtete, dass sie nicht im Widerspruch zum königlichen Machtanspruch standen. Wichtig waren ferner Bestimmungen, die Rechtsprechung und Prozesse beschleunigten.
Wesentliche Bestandteile des Gesetzeswerks waren das Verbot der Selbstjustiz sowie eine Begrenzung der ständischen Gerichtshoheit. Allein die Justiz der Krone sollte künftig das Recht der Strafverfolgung haben, was auch für Fälle galt, die sich mit dem Kirchenrecht überschnitten. Dazu zählten z.B. Gotteslästerung oder Ehebruch.
Mit diesen fortschrittlichen Gesetzen und Bestimmungen für einen Staat eilte Friedrich II. seinen fürstlichen Standesgenossen weit voraus.
b) Da Friedrich II. letztlich doch nur am Wohlergehen seiner apulischen Heimat gelegen war und in Deutschland bessere Statthalter eingesetzt hatte, kam es ihm daher überhaupt nicht in den Sinn, eine einheitliche Staatsgewalt zu errichten und insbesondere die "innerdeutschen" Verhältnisse zu lösen bzw. das vom Opa hinterlassene Staatssystem zu reformieren (wie auch immer ein solcher Lösungsansatz ausgesehen haben könnte) und stattdessen im Kgr. Sizilien ebenfalls ein "Kunstprodukt" als Staatsform kreierte, die zumindest den Weg zum totalen Staat zeigte.
Friedrich II. ist zwar eine machtvolle historische Persönlichkeit, die im Königreich Sizilien wichtige administrative und juristische Reformen voranbrachte; doch für den Zusammenhalt des Heiligen Römischen Reichs waren seine Maßnahmen zwiespältig, da er mit der
confoederatio cum principibus ecclesiasticis 1220 und dem
statutum in favorem principum 1232 zentrale Reichsrechte preisgab, was künftig zu einer Dominanz der Reichsfürsten und einem Schwinden der kaiserlichen Macht führte.
Man mag einwenden, dass die Reichsfürsten zentrale Regalien ohnehin schon stillschweigend usurpiert hatten, doch sind diese Gesetze zu Gunsten der Fürsten der sichtbare Abschluss einer Entwicklung, die sich im 12. Jh. angebahnt hatte: Das Reich wurde zu einem lockeren föderalistischen Gebilde, das sich dezentral entwickelte und in dem die Reichsfürsten auf Kosten des Königtums nahezu souveräne Landesherrschaften ausbildeten. Damit war der territoriale Flickenteppich vorgezeichnet, der das Reich im Gegensatz zu Frankreich oder England bestimmte.