Wenn man bedenkt, dass der neuzeitliche Staat Bulgarien erst 130 Jahre alt ist, kann es nicht verwundern, dass eine Epoche, in der er nahezu 500 Jahre von muslimischen Türken besetzt war, eine lange Zeit der Aufarbeitung bedarf. Es ist also verständlich, wenn es bei der Sicht auf das Osmanische Reich noch Blockaden oder sogar einige Traumata gibt.
Die Massaker von Batak, Bracigovo, Perushtcica etc. sind zweifellos traumatisch, und keineswegs zu verleugnen. Und selbstverständlich Wird das immer eine Art "Schreckgespenst" sein. Aber die letzten blutigen "Zuckungen" der Osmanen mit der gesamten 500 Jährigen Geschichte gleichzusetzen, ist geilinde gesagt, dumm.
Allerdings lässt sich nicht alles in die Schublade "Klischee" einordnen. So ist die Herrschaft der Osmanen gewiss ein wesentlicher Grund für die Rückständigkeit vieler Balkanregionen. Nicht nur das Osmanische Reich verpasste die Industrialisierung und einen modernen Staat mit politischer Teilhabe der Bevölkerung, sondern mit ihm auch die türkisch beherrschten Balkanvölker. Das Fehlen einer Phase der Aufklärung, der Loslösung der Religion vom Staat, des Wachsens eines Bürgertums mit Formen des (beginnenden) Parlamentarismus ließen die Balkanvölker vielfach in gesellschaftlich und wirtschaftlich spätmittelalterlichen Verhältnissen verharren.
Wo genau waren sie Rückständig?
Die Osmanen waren sicherlich nicht so hoch industrialisiert (lag vor allem am Fakt, dass die Osmanen isoliert waren), aber wenn man bedenkt das in zB religiöser Toleranz man im Osmanischen Reich deutlich voraus war, während sich in Mitteleuropa Protestanten und Katholiken gegenseitig die Köpfe eingeschlagen haben (BSP.: 30-jähriger-Krieg). Auch das mit der "politischen Teilhabe der Bevölkerung" ist eigentlich so nicht richtig. Du konntest als einfacher Mann sehr wohl zum Großwesir aufsteigen, während im Westen vor Allem dem Geldadel eine Stelle im Parlament vorbehalten blieb. Und ach ja: Soll ich 1848 in Erinnerung rufen? Da war die "politische Teilhabe des Volkes nicht unbedingt gefragt, oder? Zumal sich in Ungarn die Österreicher nicht unbedingt Humaner als die Osmanen erwiesen. Und Russland spottet da ohnehin jeglichem Vergleich wenn man sich die Leibeigenschaft ansieht...
Im übrigen sind von der Hohen Pforte befohlene Zwangsislamisierungen vor Allem ein Märchen. Es gab sie, waren aber selten im Interesse der Hohe Pforte, die hat nicht mal die Befehle dazu erteilt. Und was ein eigenmächtig handelnder Pascha anrichten konnte wissen wir ja (Die Belagerung Wiens 1683 erfolgte zB entgegen des Befehls des Sultans, und war eine eigenmächtige Handlung von Kara Mustafa). Auch die Massaker von Batak etc. waren eigenmächtige Handlungen, die dem Sultan zutiefst ungelegen kamen, wusste er ja dass er damit die Panslawisten und vor Allem die Russen geradezu damit zum Russisch-Türkischen Krieg 1877/78 zwang.
Es wird sicher noch einige Zeit dauern, bis Bulgaren, Serben, Albaner, Ungarn oder Griechen die Zeit der osmanischen Herrschaft objektiv und vorurteilsfrei bewerten und analysieren können.
Wenn sie sich weiter selbst in die historiographische Selbstisolation begeben, absolut. Denn das ist das große Problem: Neue Erkenntnisse aus dem Ausland werden konsequent ignoriert, wenn sie nicht dem entsprechen, was ihre Meinung betrifft. Und selbst der Hausverstand wird oft komplett ausgeschalten
zB Warum waren wohl noch im 16. Jahrhundert mehr als die Hälfte der Timar-Halter auf dem Balkan Christen? Wie kann es sein dass der bulgarische Timar-Halter und Statthalter von Sofia, Radivoy ein ganzes Kloster 2 Mal! (1493 und 1503) prächtig Wiederaufbauen ließ aus eigener Tasche, wenn die Osmanen so "böse Unterdrücker" waren.
Ich halte auch das serbische Gehabe vom "Bollwerk des Christentums" eigentlich vollkommen lächerlich. Die Serben waren sogar sehr turkophil, speziell am Anfang der osmanischen Herrschaft. Und Stefan Lazarevic war wohl Bayezid I. nicht gerade unergeben (wenn man sich Nikopolis 1396 und Ankara 1402 ansieht).
Und ach ja...gerade die Ungarn sind weniger die Negativ-Bewerter der Osmanen. Schließlich kämpften viele ihrer "Helden" vor allem auf der Seite der Osmanen (Imre Thököly, Bethlen Gabor)
(Wenn man das mit meinen alten Posts hier vergleicht könnte man meinen ich sei nicht mehr der Gleiche...tatsächlich hatte ich meine Einsicht, Lynxxx wird sich freuen xD)