Sie heiratete später ja den König von England. Somit fiel Aquitanien zu England -- > Angevinische Reich.
Aber wieso ?
Dieter schrieb:
Ich will noch hinzufügen, dass im 12. nahezu die Hälfte Frankreichs englischer Lehnsbesitz war.
Zunächst einmal sollte man mit den im Zusammenhang mit dem Angevinischen Reich häufig auftretenden Begriffsmissverständlichkeiten aufräumten.
Aquitanien wie auch alle anderen "angevnischen" Gebiete in Frankreich waren zu
keinem Zeitpunkt Lehen Englands. Sie blieben die ganze Zeit hindurch Lehen Frankreichs bzw. seiner Krone. Kein französischer König, in diesem Fall also die von Philipp I. bis Philipp II., hatte jemals seine Rechte als Oberlehnsherr an den englischen König abgetreten. Auch nicht im Frieden von Paris 1259, der die Feindseeligkeiten zwischen Plantagenets und Kapetinger formell beendete. Diese Länderein sind also nich an England "gefallen" oder mit England "vereinigt" wurden. Das angevinische Reich war kein "englisches Reich".
Die Besonderheit in dieser Sache war vielmehr, dass die Inhaber dieser französichen Lehen
zugleich (seit 1066) auch Könige von England waren. Dadurch waren die Normannen und nach ihnen die Plantagenets in eine lehnsrechtliche Sonderposition geraten, die im hohen Mittelalter übrigens keine Seltenheit, in ihrem Fall aber sicher spektakulär gewesen war. Als Könige von England waren sie von Rechts wegen her souveräne Herrscher, als Herzöge der Normandie, von Aquitanien oder Grafen von Anjou ect. waren sie Vasallen des französischen Königs, vor dem sie gegenbenenfalls das Knie zu beugen hatten, was auch gelegentlich vorgekommen ist.
algarius schrieb:
Aquitanien ist ja ein Herzogtum und der Lehnherr ist der König von Frankreich.Also gehörte ihm ja grundsätzlich das gebiet. Aquitanien wurde nur belehnt. Wieso ging dieses Gebiet dann nach England ?
Wie schon geschrieben, Aquitanien ging nicht nach England. Das Land blieb Frankreich und seinem König als Lehen erhalten. Nur muss man sich im Zusammenhang mit dem angevinischen Reich den Zustand (Verfassung) Frankreichs im hohen Mittelalter auseinandersetzen. Das Königreich war durch und durch feudalisiert, soll heißen, der größte Teil des Landes war in Besitz von diversen Fürsten (Herzögen, Grafen usw.), deren Vorfahren irgendwan einmal vom König ein Lehen erhalten hatten, dass sie auf ihre Nachkommen weitervererben konnten. Der Beginn der Feudalisierung wird grob umschrieben inden Herrscherjahren der unmittelbaren Nachfolger Karls des Großen angesetzt.
Nun war es so, dass der König als Oberlehnsherr de jure gegenüber seinen Vasallen weisungsbefugt war und diese ihm zu gewissen Diensten verpflichtet waren, die er einfordern konnte. Der wichtigste Dienst in dieser Zeit war sicherlich die Heerfolgepflicht. Aber im Frankreich vom 9. bis 12. Jahrhundert klaften Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Die Lehnsfürsten waren in dieser Zeit so mächtig, so reich an Land und Ressourcen, dass sie de facto mächtiger als der König waren. Die Macht des Königs definierte sich weniger in der Anzahl und Macht seiner Vasallen, im Gegenteil, je mehr es davon gab desto schwächer war er selbst. Der König konnte nur dort seine Macht unumschränkt zur Geltung bringen, wo er unmittelbar und direkt auf das Land einwirken konnte. Dieses Land wird allgemein hin als "königliche Domäne" bezeichnet, die sich also in seinem direkten Zugriffsbereich befand und die sich nicht im Besitz eines Lehnsfürsten befand. Nur war diese Domäne in dem genannten Zeitraum so klein, nicht viel größer als das Gebiet um Paris (heute Île-de-France), dass er damit gegenüber einem Herzog von Aquitanien, oder Normandie, oder Grafen von Toulouse kaum glänzen konnte.
Je mächtiger die Fürsten desto schwächer war der König und sein Einfluss auf sie. Er konnte sich zwar auf seine übergeordnete Position in der Lehnspyramide berufen, doch hatte er damit den Fürsten kaum etwas gebieten können. Es blieb ihm nur die Optionen, die Fürsten entweder militärisch zu unterwerfen (fast aussichtslos), sie geschickt gegeneinander auszuspielen (was schon besser funktionierte), oder einfach nichts zu tun und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Letzteres wurde viel zu häufig praktiziert, so das die Fürsten nahezu unabhängig herrschen und sich mehren konnten. Durch Feudalkriege und Vererbung konnten sie gewinnen und verlieren.
Die Normannen und Plantagenets aber hatten fast ausschließlich nur gewonnen. Wilhelm der Eroberer(!) konnte 1066 ungestört die Krone Englands erobern und damit die Verflechtung Frankreichs mit dem Inselkönigreich herstellen, das die Beziehung beider Länder das gesamte Mittelalter hindurch, manche sagen bis heute, begründen. Die Plantagenets brachten schließlich durchs Heiraten zuerst das Normannenreich und dann das große Aquitanien an sich, womit das "angevinische Reich" zusammengefügt wurde.
algarius schrieb:
Oder war das Herzogtum so, dass wenn der König es jemanden belehnte so dass er dann das Gebiet verlor ?
Diesen Zusammenhang verstehe ich nicht genau
So müsste ja jeder König Angst haben dass wenn er ein Gebiet belehnt, dass der König dann wenn diese Person heiratet das Gebiet verliert
Es ist eine Frage des Standpunktes. Wie bereits gesagt, die Gebiete blieben bei Frankreich, egal ob deren Inhaber nun heirateten oder zu Königen eines fremden Königreichs wurden. Nur war die Frage, inwieweit der französische König auf diese Gebiete dann noch einen Einfluss ausüben konnte. Im Falle der angevinischen Gebiete tendierte dieser Einfluss gen Null. Und eben diesen Zustand versuchten die Könige aus dem Geschlechte Hugo Capets zu überwinden.
Zuerst versuchten sie es übrigens auch mit Heiraten, so hatte Ludwig VI. seinen Sohn eben mit Eleonore verheiratet, wodurch Aquitanien über kurz oder lang an direkt an die Krone (königliche Domäne) gefallen wäre. Dumm nur, dass sich Ludwig VII. dann von Eleonore wieder scheiden ließ und Aquitanien somit wieder aus den königlichen Händen glitt. Philipp II. dann verlegte sich auf einen komplexen politischen Prozess, indem er die Plantagenets und deren Vasallen geschickt gegeneinander ausspielte und sie mit den Regeln des geltenden Lehnsrechts beim Schopfe packte. So konnte er 1204 Johann Ohneland als Rechtsbrecher verurteilen und ihn formell enteignen. Die jahrelange Vorarbeit zeigte sogleich seine Wirkung, als das angevinische Reich augenblicklich zusammenbrach und die Kapetinger nur noch die Scherben einsammeln und sie in ihrer Domäne wieder zusammensetzen brauchten.
Überhaupt waren die Kapetinger ab dem 13. Jahrhundert darauf bedacht, ihre königliche Domäne über ihr gesamtes Königreich auszudehnen und die Anzahl der Feudalführsten zu verringern. Spätestens im Absolutismus unter den Bourbonen gab es dann auch keine mehr in Frankreich.