Die "Türken vor Wien" und europ. Identität

Batu

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Mich würde besonders interessieren, inwieweit die Bedrohung durch das Osmanische Reich und deren Truppen vor Wien zu einer Form von gemeinsamer europäischer Identität geführt hat.

Laut der These der "Selbstfindung durch Feindbildmarkierung" entsteht kollektive Identität vor allem durch eine Alterität, ein Feindbild GEGEN das sich alle identifizieren und unter einer "Fahne" zusammenschließen können. Im Gegensatz dazu würde ja die These der "Selbstfindung durch Gemeinsamkeiten" stehen.

Es wäre interessant zu erörtern, ob die "Türkenfurcht" zwischen 1453 und 1716 wirklich zu einer kollektiven europäischen Identität geführt hat. Hat die Türkenfurcht "die Europäer" tatsächlich zusammengeschweißt?

Die Eroberung von Konstantinopel hat ja immerhin einen gewissen Einfluss gehabt, zumindest auf die Humanisten.
Der Fall von Konstantinopel 1453 | Histoblog – Geschichte macht Schule (letzter Aufruf 25.02.2013)

Dass Frankreich mit den Osmanen im Bündnis war und eigentlich nur polnische Truppen unter Jan Sobieski wirklich einflussreiche Hilfe gesendet haben scheint mir diese These bereits zu widerlegen. Oder ist das ein vorschnelles Urteil?

Interessant wären Quellen zu diesem Thema, habt Ihr da vielleicht die ein oder andere Aussage eines Zeitzeugen? Wie wurde der Gegensatz Christen / Türken gesehen? Nur über religiöse Bezüge oder eben auch identitätsbezüglich?

Ich bin gespannt auf eine Fortführung des Themas...
 
Es wäre interessant zu erörtern, ob die "Türkenfurcht" zwischen 1453 und 1716 wirklich zu einer kollektiven europäischen Identität geführt hat. Hat die Türkenfurcht "die Europäer" tatsächlich zusammengeschweißt?

Dass Frankreich mit den Osmanen im Bündnis war und eigentlich nur polnische Truppen unter Jan Sobieski wirklich einflussreiche Hilfe gesendet haben scheint mir diese These bereits zu widerlegen. Oder ist das ein vorschnelles Urteil?
Ich verneine diese These. Wir befinden uns in einer Zeit, in der sich Nationen bildeten. Wie soll sich da bereits ein europäischer Gedanke Ausdruck verliehen haben?

Nehmen wir Frankreich. Das Bündnis mit dem Osmanischen Reich belegt, dass Frankreich den machtpolitischen Faktor wahrnahm und mittels dieses Bündnisses Vorteile gegenüber dem Konkurrenten Habsburg zu erzielen suchte. (Das zeigt nebenbei, dass Machtpolitik keine religiösen oder weltanschaulichen Grenzen kennt)
Fraglich dürfte hingegen sein, dass es in Frankreich eine "Türkenfurcht" gab, da nach meiner Meinung dies auch eine türkische Präsenz vorausgesetzt hätte. Wir können sicher unterstellen, dass die Masse der Franzosen von den Vorgängen vor Wien kaum oder keine Kenntnis hatte, die Fama der Berichte daher auf das tägliche Leben keinen Einfluss haben konnte. Wie soll sich da eine Furcht entwickeln, wenn doch für die meisten Franzosen schon die nächste Kleinstadt so (relativ) weit weg war, Wien vllt. vom Namen her bekannt, dennoch so unerreichbar weit weg war?
Wer hatte denn schon einen Türken gesehen? Die Diplomaten sicher und die Aristokratie, dann einige Pariser. Aber hatten die denn die große Furcht? Weiß ich nicht.
Und 10 Jahre später, redete da noch jemand von den Türken vor Wien?

1812 vor dem Einmarsch Napoléons in Rußland schloss der Zar Alexander Frieden mit der Hohen Pforte, um seine Flanke zu sichern.
Mir ist nicht erinnerlich, dass das Osmanische Reich irgendeine "Furchtrolle" im Konflikt Napoléons mit den Staaten Europas auf die Staaten Europas und vor allem deren Bewohner gehabt hätte.

Daher wäre mein Resümee, dass die Türken sicherlich durchaus Schrecken verbreitet haben, eine die die europäischen Staaten einende (verschweißende) Rolle kann ich nicht erkennen.

Grüße
excideuil
 
Ich verneine diese These. Wir befinden uns in einer Zeit, in der sich Nationen bildeten. Wie soll sich da bereits ein europäischer Gedanke Ausdruck verliehen haben?

Nehmen wir Frankreich. Das Bündnis mit dem Osmanischen Reich belegt, dass Frankreich den machtpolitischen Faktor wahrnahm und mittels dieses Bündnisses Vorteile gegenüber dem Konkurrenten Habsburg zu erzielen suchte. (Das zeigt nebenbei, dass Machtpolitik keine religiösen oder weltanschaulichen Grenzen kennt)
(...)
ja, das ist die eine Seite der Medaille - interessant andererseits das Buch "Grenzerfahrung und monarchische Ordnung - Europa 1200-1500" des Historikers Bernd Schneidmüller (2011 C.H.Beck), welcher den Fall Konstantinopels und die "Türkenfurcht" zu den verschiedenen Bestandteilen bzw. Wendemarken zählt, die im ausgehenden Mittelalter zu den Komponenten eines neuen Europabilds geführt haben (ich muss das Buch erst fertig lesen, kann noch nicht viel genaues dazu sagen)
 
...Daher wäre mein Resümee, dass die Türken sicherlich durchaus Schrecken verbreitet haben, eine die die europäischen Staaten einende (verschweißende) Rolle kann ich nicht erkennen. ...

Ich würde das ebenso wie mein Mitdiskutant excideuil sehen wollen. Als genuiner europäscher Staat wurde Byzanz/Konstantinopel nicht mehr wahgenommen. Dazu war die politische, kulturelle, wirtschaftliche und nicht zuletzt religiöse Entfremdung zu groß.

Woran kann man das m.E. festmachen:

Ersteinmal m.E. am Großen Schisma, überlicherweis auf 1054 datiert. Welches die religiöse Entfremdung, die auch schon vorher bestand, manifest machte.

Dann natürlich an den Ergebnissen des 4. Kreuzzuges (1202/04). Eine tiefgreifende Zäsur im Verhältnis zwischen (West-)Europa und Byzanz.

Weitere Ursachen könnte man bereits in Spätantiker Zeit bzw. dem frühen Mittelalter festmachen, aber dann wäre die gesamte spätantike und mittelalterliche Geschichte durch zu "deklinieren".

Man bedauerte den Fall von Konstantinopel, daß dieses quasi die "Geburtsstunde" einer neuen europäischen Großmacht an der Südost-Flanke war, dem Osmanischen Reich, das ahnte man noch nicht. In das europäische Bewußtsein trat die sog. "Türkengefahr" wahrscheinlich erst 1529. Spätestens ab dann war das Osmanische Reich als europäische Großmacht etabliert, das als Machtfaktor einzukalkulieren war, sicherlich, mit einigen religiösen Vorbehalten behaftet.

M.
 
Wobei Frankreich auch gehofft haben mag, dass das Osmanische Reich und der gemeinsame Gegner Habsburg sich gegenseitig zerrieben. Für Polen jedenfalls ist die Heldentat Jan Sobieskis auch heute noch ein nationaler Mythos. Und in Spanien, wo man ja eher Rückkehr der Mauren fürchtete und die Morisken vertrieb (allerdings noch vor der zweiten Wiener Türkenbelagerung) da schlich sich auch eine Turkophobie ein - wobei Spanien damals natürlich auch Habsburgisch war. In Spanien ist die Turkophobie von der Maurophobie wieder überlagert worden, aber in Lateinamerika ist sie an einigen Orten noch nachzuvollziehen. In Paraguay gibt es z.B. eine Laguna de los Turcos, die so heißt, weil man dort im 19. Jhdt. zwei Männer ertränkt hat, die man für Türken hielt (ob sie's waren ist mir nicht bekannt).
Ein Zusammenwachsen Europas oder die Entwicklung einer gemeinsamen Identität quasi aus einem gemeinsamen, vereinigenden Ressentiment heraus, kann ich hier aber auch nicht erkennen.
 
ich habe eine Seite im Netz gefunden, die sich mit Bündnissen zwischen Osmanen und christlichen Staaten befasst: Die Osmanen und ihre christlichen Verbündeten — EGO
Das spricht nach meinem Verständnis gegen ein geeintes "Europa" (das es ja so auch noch nicht gab)

ein anderer Gedankengang: dieses "geeinte Europa" - lässt sich das in der Geschichte der Ritterorden finden?
 
....In Spanien ist die Turkophobie von der Maurophobie wieder überlagert worden, aber in Lateinamerika ist sie an einigen Orten noch nachzuvollziehen. In Paraguay gibt es z.B. eine Laguna de los Turcos, die so heißt, weil man dort im 19. Jhdt. zwei Männer ertränkt hat, die man für Türken hielt (ob sie's waren ist mir nicht bekannt).
...

Mit echten Türken hat das m.W. nichts zu tun.

In Argentinien, Paraguay, Uruguay, nennt man "turcos" alle einwanderer aus dem Nahen Osten, weil die erste größere Einwanderungswelle von dort (1890-1914) aus Syrern, Libanesen und Palestinensern bestand, die noch mit einem Osmanischen Pass einreisten. "Richtige" Türken gab es dazwischen so gut wie gar keine. Der ehemalige argentinische Präsident Menem, obwohl eindeutig und bekanntlich Syrischer Abstammung, wurde allgemein "el turco" genannt. Aus ähnlichen Grund werden alle deren Namen mit -ski -off oder -vich enden als "Rusos" bezeichnet.

Eine allgemeine Abneigung gegen die Türken ist mir von dort aber nicht bekannt.

In Spanien an der Mittelmeerküste, historisch bedingt dagegen schon, wenn inzwischen auch eher folkloristisch. Südlich von Valencia gibt es sogar eine Cova de Dragut, bei der Turgut Reis auf der Lauer gelegen haben soll, die nach bevor er Cullera überfiel.
 
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Darauf meinte ich hingewiesen zu haben, dass es sich nicht unbedingt wirklich um Türken handelte. Turcos in Lateinamerika ist kein Ethonym sondern überlagert das spanische Moros und bedeutet nicht katholisch und deshalb potentiell feindlich.
 
Ich habe mal in einer Abhandlung über den Nationalismus gelesen, dass die Binnendifferenzierung der Christen durch den Türkenkrieg mehr zunahm. Es wurde unterschieden zwischen "Welschen" und "Deutschen", natürlich wurde das von den Habsburger zwecks Propaganda natürlich gefördert/betrieben.

Quelle muss ich noch raussuchen.
 
Das mit Türke grundsätzlich nicht immer ein Mensch gemeint ist welcher auch türkisch spricht ist klar.

Das es in Sarajewo des Jahres 1530 nur Türken gegeben hat, kann kaum jemand wirklich ernstnemmen.

http://wwwg.uni-klu.ac.at/eeo/Bosnien_Osmanen

Benedigt Kupripesic ein Slowene beschreibt Bosnien des Jahres 1530 er findet nach eigenen Angaben 3 Völker vor, die alten katholischen Bosnier (zu meiner Überraschung nennt er sie nicht Kroaten), die Türken (Muslime) und die Serben welche auch Wallachen oder Zigeuner genannt werden, weil sie wie ein fahrendes Volk leben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mich würde besonders interessieren, inwieweit die Bedrohung durch das Osmanische Reich und deren Truppen vor Wien zu einer Form von gemeinsamer europäischer Identität geführt hat.

Laut der These der "Selbstfindung durch Feindbildmarkierung" entsteht kollektive Identität vor allem durch eine Alterität, ein Feindbild GEGEN das sich alle identifizieren und unter einer "Fahne" zusammenschließen können. Im Gegensatz dazu würde ja die These der "Selbstfindung durch Gemeinsamkeiten" stehen.

Zu einer solchen "europäischen Identität" - besser müsste man von einem "kollektiven Bündnis" sprechen - hat das Vordringen der Türken nicht geführt. Sicher waren sich die Europäer des Gegensatzes von Christentum und Islam bewusst, denn das Vordringen muslimischer Truppen über den Balkan bis vor Wien löste Bedrohungsängste im Abendland aus. Aber ein besonderes europäisches Bewusstsein ging daraus nicht hervor.

Es wäre interessant zu erörtern, ob die "Türkenfurcht" zwischen 1453 und 1716 wirklich zu einer kollektiven europäischen Identität geführt hat. Hat die Türkenfurcht "die Europäer" tatsächlich zusammengeschweißt?

Die mangelnde militärische Unterstützung der vom Osmanischen Reich bedrohten Staaten zeigt bereits, dass es mit der europäischen Solidarität nicht weit her war. Die Balkanstaaten fielen ohne besondere Unterstützung in die Hand des Osmanischen Reichs, die Habsburger erhielten lediglich symbolische Unterstützung und die Venezianer waren bei der Verteidigung ihres Besitzes im östlichen Mittelmeer auf sich gestellt. Konzertierte Aktionen wie die Seeschlacht von Lepanto blieben eine Ausnahme.
 
Nun als die meisten Balkanstaaten vielen waren die Osmanen auch keine Großmacht, ihre militärische Stärke verdankten sie der guten Organisation vor allem der Armee aber nicht der Größe des Landes.

Als es gegen die Ungarn ging waren das schon ziemlich große Koalitionen die sich bildeten.
 
Ich würde das ebenso wie mein Mitdiskutant excideuil sehen wollen. Als genuiner europäscher Staat wurde Byzanz/Konstantinopel nicht mehr wahgenommen. Dazu war die politische, kulturelle, wirtschaftliche und nicht zuletzt religiöse Entfremdung zu groß.

Woran kann man das m.E. festmachen:

Ersteinmal m.E. am Großen Schisma, überlicherweis auf 1054 datiert. Welches die religiöse Entfremdung, die auch schon vorher bestand, manifest machte.

Dann natürlich an den Ergebnissen des 4. Kreuzzuges (1202/04). Eine tiefgreifende Zäsur im Verhältnis zwischen (West-)Europa und Byzanz.

Na da würde ich aber aufpassen, es führte eigentlich in Rom zu einem ganz schönen Streit, denn gerade der Papst war not amused über den Einfall in Konstantinopel, es ist viel eher in dem Punkt eine Zäsur im Westen selbst, schließlich verstand man die Byzantiner schon noch als Christen und Konstantinopel als eine christliche Stadt, einen Kreuzzug dahin zu leiten war schon eine Dreistigkeit 1. Klasse.

Und es ist nicht gerade so, dass Westeuropa einheitlich gegen die Byzantiner stand, wie es sonst auch immer der Fall ist, stand die Machtpolitik hier im Vordergrund, Friedrich II. unterstützte schließlich das Kaiserreich Nikäa vor allem der zweite Vertrag von Nymphaion spricht nicht gerade für eine brüderliche Zusammenarbeit der Katholiken, da kam es doch eben zur Verbindung der Genuesen und den nikäaischen Byzantinern gegen die Lateiner, ich schätze so leicht ist das nicht zu erklären, die Byzantiner verfügten schon über Partner im Westen.
 
Na da würde ich aber aufpassen, es führte eigentlich in Rom zu einem ganz schönen Streit, denn gerade der Papst war not amused über den Einfall in Konstantinopel, es ist viel eher in dem Punkt eine Zäsur im Westen selbst, schließlich verstand man die Byzantiner schon noch als Christen und Konstantinopel als eine christliche Stadt, einen Kreuzzug dahin zu leiten war schon eine Dreistigkeit 1. Klasse.

Die Plünderung einer christlichen Stadt durch Christen fand sicher nicht den Beifall des Papstes. Nach der Eroberung Zaras durch die Kreuzfahrer auf dem Weg Richtung Byzanz strafte Innozenz III. die Venezianer mit der Exkommunikation, da er sie als eigentliche Drahtzieher ansah. Aber Melchior hat schon recht: als eigentlich abendländischen Staat wurde Byzanz nicht mehr wahrgenommen und selbst heute sind die Historiker nicht immer sicher, ob sie Byzant als vorderasiatische oder europäische Macht betrachten sollen. Das Problem setzt sich bis in unsere Zeit im Hinblick auf die Türkei fort.

Und es ist nicht gerade so, dass Westeuropa einheitlich gegen die Byzantiner stand, wie es sonst auch immer der Fall ist, stand die Machtpolitik hier im Vordergrund, .

Sicher ist jedenfalls, dass das Abendland keine besonders große Anstrengungen unternahm, um Byzanz vor dem Untergang zu retten. 1444 - also längst zu spät - kam es noch einmal zu einem Kreuzzug, der Byzanz vor der türkischen Eroberung bewahren sollte, und an dem sich vor allem Ungarn und Polen beteiligten. Die Schlacht endete in einer vernichtenden Niederlage. Sie zeigte aber auch, dass sich nur solche Staaten an der Rettung von Byzanz beteiligten, die unmittelbar vom Vordringen der Türken bedroht waren. Der Rest Europas war mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt.
 
Die Plünderung einer christlichen Stadt durch Christen fand sicher nicht den Beifall des Papstes. Nach der Eroberung Zaras durch die Kreuzfahrer auf dem Weg Richtung Byzanz strafte Innozenz III. die Venezianer mit der Exkommunikation, da er sie als eigentliche Drahtzieher ansah. Aber Melchior hat schon recht: als eigentlich abendländischen Staat wurde Byzanz nicht mehr wahrgenommen und selbst heute sind die Historiker nicht immer sicher, ob sie Byzant als vorderasiatische oder europäische Macht betrachten sollen. Das Problem setzt sich bis in unsere Zeit im Hinblick auf die Türkei fort.



Sicher ist jedenfalls, dass das Abendland keine besonders große Anstrengungen unternahm, um Byzanz vor dem Untergang zu retten. 1444 - also längst zu spät - kam es noch einmal zu einem Kreuzzug, der Byzanz vor der türkischen Eroberung bewahren sollte, und an dem sich vor allem Ungarn und Polen beteiligten. Die Schlacht endete in einer vernichtenden Niederlage. Sie zeigte aber auch, dass sich nur solche Staaten an der Rettung von Byzanz beteiligten, die unmittelbar vom Vordringen der Türken bedroht waren. Der Rest Europas war mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt.

Da stellt sich viel eher die Frage, ob es ein byzantinisches Problem war oder allgemein kein reges Interesse für eine solche Intervention bestand, schließlich unternahm man auch nicht viel mehr bei weiteren türkischen Eroberungen, ich habe auch gar nicht bestritten, dass die Byzantiner eine Sonderrolle spielten, doch im Endeffekt waren sie auch aus der Sicht der Katholiken Christen und man unternahm wenn auch nur sehr halbherzig, zumindest symbolisch etwas für die Palaiologen, bei den Serben oder Ungarn kam es auch nicht zur Vereinigung Europas gegen die Horden aus dem Südosten.

Was die Historikerdebatte angeht, muss ich doch schon sagen, dass mich das ein wenig wundert, Byzanz kann man eigentlich doch ziemlich gut einordnen als eine europäische Macht mit ihren Wurzeln in Europa als Weiterführung des Imperium Romanum, zumindest in Asien wurden sie ja wohl kaum als asiatische Macht wahrgenommen, sie waren immer die Fremden die "Römer" und diesem Zusammenhang würde ich sagen ist kulturell zumindest Vorderasien in der Zeit auch wohl eher "Europa" und noch gar nicht so sehr Asien im heutigen Verständnis, allerdings würde ich selbst diese Aussage mit Vorsicht genießen, da sowieso diese Begriffe zu der Zeit noch gar nicht so klar definiert sind.
 
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Also ganz so egal scheint es den Menschen in Europa nicht gewesen zu sein, dass Konstantinopel an die Osmanen gefallen ist.
Ich stoße bei meiner Recherche auf immer mehr Quellen aber auch interessante Artikel. Es muss auch in der Bevölkerung eine "Türkenfurcht" gegeben haben, die von den Herrschern durch regelrechte Kriegspropaganda natürlich geschürt wurde.

Ein Beispiel aus dem Volkslied "Türkenschrei" von 1453:
"Constantinopel du edle stat, we dem, der dich verraten hat!
Von großerm jamer gehort ich nie! Du reust mich ser, das
clag ich hie, das laßt dich, got, erparmen!
Der kaiser schreibt dem fursten zuo: "ach edlen herren, ratet
nuo und helft der edlen kristenhait, dass sie nit kum in jamer und laid,
die Türken welln sich meren!"
Auch hat man mir fürwar gesait, ain Türk der sei lang und
prait und hat ein pös grausam gestalt; man hat in eben
abgemalt und hats den babst gesendet.
Da mit will uns all erschrecken, ach kristenhait, lass dich
erwecken, gedenk an David, der was klain, er warf Goliath zuo
dem Helm ein, der ward von im geschendet.
Ir edlen fursten all gleich, ich ruof euch gar diemuotigleich,
lasst euch das laid zuo herzen gan, das uns die Türken haben
getan, der kristenhait ze laide.
(Zitiert nach: Senol Özyurt: Die Türkenlieder und das Türkenbild
in der deutschen Volksüberlieferung vom 16. bis 20. Jahrhundert,
München 1972, S. 148f.)

Beispiele sind auch die vielen Holzschnitte in denen im 15. Jhd. die Eroberung Konstantinopels in drastischen Bildern gezeigt wird.
Der bekannteste Holzschnitt ist wohl dieser hier:
http://www.tuerkenbeute.de/media/il9_illuWindowGross/F1-1Holzsch_00_il9_513x690.jpg (letzer Aufruf 27.02.2013)

Papst Pius II. rief aktiv für "die Europäer" zu gemeinsamen Handeln an. Man sei "im eigenen Haus" geschlagen worden und müsse sich nun gegenseitig unterstützen:
http://www.europa.clio-online.de/site/lang__de/ItemID__96/mid__11373/40208215/default.aspx (letzter Aufruf 25.02.2013)
Enea Silvio Piccolomini über Europa und die Türken. Auszüge aus Asia, De Europa, Constantinopolitana clades, Epistula ad Mahometem, 1454-1461. In: Themenportal Europäische Geschichte (2006)

Luther predigte dann, wie
viele katholische Priester, im 16. Jahrhundert gegen "den Türk" als den Antichristen.
Weitere Beispiele, auch aus der Malerei, findet man in diesem guten Artikel:
Karlsruher Türkenbeute :: Das Türkenbild in der Kunst Europas (letzter Aufruf 27.02.2013)

Auf der sogenannten "Völkertafel" aus der Steiermark werden den Türken, im Gegensatz zu den "Welschen", "Teutschen" und "Spaniern" (und anderen Völkergruppen) die übelsten Eigenschaften zugeteilt:
http://www.jungeforschung.de/europa-bilder/bilder/v%F6lkertafel%201725.jpg (letzter Aufruf 27.02.2013)

Der Übersichtlichkeit halber belasse ich es bei dieser Auflistung.
Dass diese Türkenfurcht tatsächlich zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen die Türken geführt hätte, lässt sich aber, wie die obigen Autoren bereits gezeigt haben, wohl nicht schließen.

Es ist aber hochinteressant, dass es in der Diskussion um den EU-Beitritt der Türkei Autoren gibt, die noch immer auf das alte Feindbild und die Türkenfurcht bezug nehmen, vor allem wenn sie den Begriff "Türken vor Brüssel" nutzen. Was haltet Ihr von der Frage, ob hier Überreste des alten Feindbildschemas übrig geblieben sind?

Die Türken vor Brüssel - Nachrichten DIE WELT - DIE WELT (letzter Aufruf 27.02.2013)
 
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Ich schätze letzterer Punkt wird wohl eher wegfallen, wäre bisschen zu aktuell, im Endeffekt sei dazu aber gesagt, dass es ja nicht verwundert, dass es eine "Türkenangst" gab, schließlich gelang es ihnen als einziges nicht christliches Volk bzw. Reich sich lange in Europa zu etablieren - die islamische Expansion ausgenommen, bitte nicht erschlagen el quijote =)-, somit schufen sie eine eigene neue Geschichte Europas, aber genauso gab es ja immer Gelehrte in Europa die ein Interesse am Orient hatten und nach dem Dritten Pariser Frieden wurden die Osmanen ja sogar als "europäische Macht" bezeichnet, das Paradoxon an der Sache ist doch, dass man erwartet, es solle ein einiges Europa geben, doch eben die Vorstufe einer solchen Vereinigung fehlt und zwar die Nationalstaaten, mal abgesehen von England und Frankreich kann man wohl kaum so früh schon von einem Nationalstaat sprechen, auch eben die o.g. werden erst ein ganzes Stück später als 1453 zu diesen Staaten.
 
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Auf der sogenannten "Völkertafel" aus der Steiermark werden den Türken, im Gegensatz zu den "Welschen", "Teutschen" und "Spaniern" (und anderen Völkergruppen) die übelsten Eigenschaften zugeteilt:
http://www.jungeforschung.de/europa-bilder/bilder/v%F6lkertafel%201725.jpg (letzter Aufruf 27.02.2013)

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Lustig finde ich dabei, dass wir heute noch darüber diskutieren ob die Türken zu Europa gehören, der Autor der Völkertafel dieses jedoch bereits positiv beschieden hatte.
 
Rein Geographisch war ja das Osmanische Reich deutlich mehr europäisch als die heutige Türkei mit 3 %. Andererseits ist die geographische Teilung von Europa und Asiens nonsens und Zypern ist auch ein Teil der EU obwohl es in ganz in Asien liegt.
 
Rein Geographisch war ja das Osmanische Reich deutlich mehr europäisch als die heutige Türkei mit 3 %. Andererseits ist die geographische Teilung von Europa und Asiens nonsens und Zypern ist auch ein Teil der EU obwohl es in ganz in Asien liegt.

So gesehen ist nicht nur Zypern Teil von Asien, sondern ganz Europa ist nur ein "Zipfel" von Asien, wie Indien oder Südostasien.

Neben wirtschaftlichen und machtpolitischen Gegensätzen war auch das Christentum nicht nur ein verbindendes Element in Europa und speziell zwischen Ost und West

Morgenländisches Schisma ? Wikipedia
 
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