Wie waren die Germanen des Arminius gesellschaftlich organisiert?

Ist mir gerade noch eingefallen:

Eigentümlich ist, dass es entlang des Limes auf germanischem Gebiet einen viele Kilometer breiten Streifen gibt, in dem nur recht wenig Fundmaterial aus römischer Herstellung gefunden wurde. Zum Beispiel bei Bestattungen, die weit vom Limes entfernt vorgenommen wurden, finden sich häufiger Beigaben, die als römisch identifiziert werden können. Ähnlich ist das mit den "Fürstengrübern". Alle lassen deutlich erkennen, dass sie "römisch beeinflusst" waren: wertvolle Beigaben wie Trink- und Essgeschirr aus römischer Herstellung, häufig Goldmünzen, die als "Charonspfennig" dem Toten mitgegeben wurden. Aber jedes dieser Gräber ist mindestens 200 Kilometer vom Limes entfernt.

Kann man das vielleicht so deuten, dass römische Waren in Limes-Nähe eher als "normal" betrachtet wurden und den Toten deshalb nicht als Grabbeigaben von besonderem Wert mitgegeben wurden?

MfG
 
Das Problem mit dem Verkauf von hohen Wertgegenständen ist gar nicht mal so unspannend. Die eigenen Leute können nicht so viel bezahlen. Es ist bekannt, dass die Römer es mit einem viel höheren Preis handeln.
Tja, früher hatten die Kelten einen guten Preis bezahlt.

Also musste man versuchen Kanäle zu öffen um es ihnen wieder zurückzuverkaufen. Das war sicherlich nicht einfach und drückte den Preis.

Oder einfacher: Nur durch ihre wirtschaftliche Präsenz ändern sie die alten sozialen Strukturen.
 
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Wenn man schon Krieg führen musste, warum sollte es sich dann nicht wenigsten lohnen? Welche Art von Beute dann besonders begehrt war, kann man archäologisch nachweisen und auch in den Quellen ablesen: Neben Waffen waren das Pferde, Sklaven, Metallwaren, Geschirr, hübsche Dinge für den Hausgebrauch... Was man im täglichen Leben so brauchte und selbst nicht herstellen konnte.
...wie weist man archäologisch das Erbeuten von Sklaven und Pferden nach? :winke:;)

ja, in schriftlichen Quellen freilich, da findet sich vieles :grübel: da finden sich germanische reges und optimates usw usf ... für den fraglichen Zeitraum...
 
muss es eine Geldwirtschaft geben, damit Edelmetallen Wert attestiert wird?
Natürlich nicht. Aber es muss eine Art Geldwirtschaft geben, damit Edelmetallen ein HANDELS-Wert zugemessen wird. Denn: Was nutzt Dir ein wertvoller Gegenstand, wenn Du Dir dafür nichts kaufen kannst? Weil Dir niemand etwas anbieten kann, was dem Wert Deines Gegenstands gleichkommt. Oder weil Dir niemand was dafür anbieten WILL, weil er Deinen Gegenstand zwar ganz, ganz megatoll findet, aber doch lieber sein Haus behält als Deinen Diamantring zu nehmen, um damit dann nassgeregnet und steifgefroren vor den Nachbarn zu protzen. Was hatten denn die Germanen, was man gegen Goldkettchen oder Diamantringe hätte eintauschen können? Ich meine: Abgesehen von römischem Raubgut. Ein Handel kommt nur zustande, wenn BEIDE Geschäftspartner irgendwas Wertvolles anzubieten haben.

Was der Unterschied zwischen "Wert" und "Handelswert" ist, wissen wir doch alle aus unserer eigenen Lebenswelt. Zum Beispiel meine Frau ist mir unheimlich viel wert. Aber ich biete sie nicht auf dem Wochenmarkt an. Oder der kleine Buddha, den ich mal aus Salzteig geformt habe. Ich liebe das Ding. Aber, verdammt, keiner will es kaufen!

wie sieht es mit den Brakteaten aus?
Brakteaten? Wofür waren die Dinger noch gleich gut? Hat man damit auf dem Markt den Sack Kartoffeln bezahlt oder hat man sich mit den Dingern geschmückt und auf Glück gehofft?

Worüber reden wir? Über Zahlungsmittel oder über Statussymbole?

...wie weist man archäologisch das Erbeuten von Sklaven und Pferden nach? :winke:;)
Der Hinweis auf die Schriftquellen im gleichen Satz ist wohl übersehen worden. Okay, ich benutze ab jetzt nur noch kurze Sätze. Maximal 15 Worte, pro Satz nur ein Subjekt, nur ein Objekt und nur ein Prädikat. Und möglichst kein Komma. Oh Mann, das wird nicht leicht! Beim Schreiben gehen manchmal einfach die Pferde mit mir durch. Na, wenigstens mit Sklaven habe ich nichts am Hut...:scheinheilig:

ja, in schriftlichen Quellen freilich, da findet sich vieles :grübel: da finden sich germanische reges und optimates usw usf ... für den fraglichen Zeitraum...
:rofl:Der war gut! :rofl:
Sagen wir es mal so: Ich traue den römischen Geschichtsschreibern zu, dass sie Equites sicherer identifizieren konnten als reges und optimates. (Mist! Ich wusste, dass ich versagen würde. 16 Worte und ein Komma. Ich bitte um Prügel) So ein Equus hat einfach eine Menge äußerer Merkmale, die Irrtümer erschweren. Bei einem Rex ist das nicht immer so einfach. Da gibt es Exemplare, die sich wie Rexe aufführen, um sich dann bei genauerem Hinsehen als kleine Fifis zu entpuppen. :devil:

Tjaja, wie genau mögen sie wohl hingesehen haben, die Herren Tacitus, Dio und wie sie alle hießen...

MfG
 
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Worüber reden wir? Über Zahlungsmittel oder über Statussymbole?
das geht oft Hand in Hand :rofl:... so ein großer Batzen Silberzeugs, darunter Schmuck und Münzen, kann sehr wohl beides sein (man denke an sehr große solche Batzen, welche später "Königsschatz" genannt wurden)

Tjaja, wie genau mögen sie wohl hingesehen haben, die Herren Tacitus, Dio und wie sie alle hießen...
die Genauigkeit des Hinsehens der Altvorderen könnte davon abhängen, was man beweisen will: wer eine Vorform des Adels bei den Germanen für wahrscheinlich hält, betrachtet den Tacitus als gut beobachtet, wer das Gegenteil für wahrscheinlich hält, der attestiert dem Tacitus literarische Teetischfantasien --- trotzdem gucken beide gerne, was die Quellen so hergeben zum Thema :winke:
 
das geht oft Hand in Hand :rofl:... so ein großer Batzen Silberzeugs, darunter Schmuck und Münzen, kann sehr wohl beides sein (man denke an sehr große solche Batzen, welche später "Königsschatz" genannt wurden)
Das geht oft Hand in Hand, aber eben nicht immer. Und immer nur dort, wo es auch geeignete Handelspartner gibt.

die Genauigkeit des Hinsehens der Altvorderen könnte davon abhängen, was man beweisen will: wer eine Vorform des Adels bei den Germanen für wahrscheinlich hält, betrachtet den Tacitus als gut beobachtet, wer das Gegenteil für wahrscheinlich hält, der attestiert dem Tacitus literarische Teetischfantasien --- trotzdem gucken beide gerne, was die Quellen so hergeben zum Thema :winke:
Ich könnte jetzt darauf hinweisen, dass Tacitus nicht nur von Reges und Optimates schrieb, sondern zum Beispiel auch von Tieren mit gelenklosen Beinen, die sich zu Schlafen an Bäume lehnen mussten. Aber das wäre billig. Im Grunde wollte ich nur andeuten, dass keiner der römischen Geschichtsschreiber die Absicht hatte, die Germanen in einer Weise zu beschrieben, die irgendwelchen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen würde. Keiner von ihnen hat sich tiefgreifend für die inneren Verhältnisse bei den beschriebenen Völkern interessiert. Es ging immer nur um das Verhältnis zu Rom. Auch Tacitus wollte mit der Germania keine ethnologische Abhandlung schreiben, mit der die Germanen zutreffend beschrieben werden sollten. Er wollte vielmehr der römischen Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Tacitus hat deshalb gar nicht versucht, die tatsächlichen Hintergründe für das herauszufinden, was er über die Germanen wusste oder zu wissen glaubte. Es genügte ihm, die vermeintlichen Eigentümlichkeiten der Germanen aus römischer Sicht zu deuten. Ob er da immer richtig lag, muss bezweifelt werden. Das heißt natürlich trotzdem nicht, dass Tacitus sich das alles zusammenfantasiert hätte. Nur, dass er gar nicht wissen wollte, ob die Dinge tatsächlich so waren, wie sie auf den ersten Blick zu sein schienen.

Deshalb ist die Germania auch in vieler Hinsicht "widersprüchlich". So schreibt Tacitus beispielsweise an einer Stelle, dass die Germanen Könige hatten, um dann an anderer Stelle zu erklären, dass bestimmte Verhältnisse nur bei den Stämmen herrschten, die König hatten. Oder er schreibt, dass die Existenz großer Gefolgschaften in Friedenszeiten ein Zeichen für Ansehen waren, um ein paar Zeilen weiter zu erklären, dass Gefolgschaften nur durch Krieg und Raub unterhalten werden konnten.

Tacitus hat sicher nicht bloß fabuliert, aber man muss genau hinschauen, um rauszufinden, welche realen Verhältnisse ihn zu den jeweiligen Deutungen gebracht haben könnten, die er schildert.

Aber man kann natürlich den Tacitus auch einfach als Zeugen aufrufen. :DZum Beispiel wenn er über Gold und Silber schrieb:

"Auf seinen Besitz und Gebrauch legen sie (die Germanen) keinen besonderen Wert. Man kann bei ihnen silberne Gefäße sehen, die ihre Gesandten und Fürsten zum Geschenk bekommen haben und nicht höher geachtet werden als die irdenen. Doch haben die uns Nächsten wegen des Handelsverkehrs Gold und Silber schätzen gelernt, erkennen einige Sorten unseres Geldes an und nehmen sie mit Vorliebe; die weiter innen haben einfacher und altertümlicher noch den Tauschhandel. Beim Geld loben sie das alte und lang bekannte, Serraten und Bigaten. Auch sind sie auf Silber mehr aus als auf Gold, nicht aus innerer Neigung, sondern weil die größere Zahl der Silbermünzen leichter zu gebrauchen ist für Leute, die allerlei und wenig Wertvolles kaufen."

MfG
 
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Man könnte sich aber auch mal die Fundbilder anschauen. Entlang der Handelswege, bei den Siedlungen mit Erzaustausch, die Streuungen etc.

Im Forum gab es dazu schon einmal ein Diskussion, die sich auch um die archäologischen Fragen drehte.
 
Man könnte sich aber auch mal die Fundbilder anschauen. Entlang der Handelswege, bei den Siedlungen mit Erzaustausch, die Streuungen etc.
Handelswege setzen Handel voraus, dieser wiederum setzt voraus, dass es an solchem Handel interessierte Beteiligte auf mindestens zwei Seiten gab - das scheint ja nicht erst nach der Varusschlacht der Fall gewesen zu sein.
 
Für den hier zur Debatte stehenden Zeitraum archäologische Nachweise für Handelstätigkeit zu finden, wird vermutlich schwierig werden. Vielleicht sogar unmöglich, wenn es um innergermanischen Handel geht, an dem keine römischen Waren beteiligt waren. Zweifellos hat es solchen Handel gegeben. Aus den Funden, die sich bis heute erhalten haben, wird sich aber nur in extremen Ausnahmefällen nachweisen lassen, dass sie nicht in der Umgebung hergestellt sondern durch Handelstätigkeit an den Fundort gelangt sind.
Selbst wenn so ein Nachweis gelingen würde, halte ich es aber für zweifelhaft, dass man daraus Rückschlüsse auf Sozialstrukturen ziehen kann.

Zu dem ganzen Themenkomplex habe ich mich in den letzten Tagen mal durch eine Reihe von Beiträgen von Heike Steuer gelesen, dessen Arbeiten hier schon mehrfach verlinkt worden sind. Er hat auch was zu Archäologie und Sozialstruktur geschrieben:
http://www.freidok.uni-freiburg.de/...aeologie_und_germanische_Sozialgeschichte.pdf


In aller Kürze zusammengefasst, vertritt er die These, dass sich Phänomene wie Handelsbeziehungen, Sozialstrukturen und gesellschaftliche Schichtung nicht an einzelnen Funden ablesen lassen. Auch dann nicht, wenn es sich um besonders wertvolle Funde handelt. Begründung: Zum Beispiel bei besonders reich ausgestatteten Gräbern lässt sich nicht zuverlässig sagen, ob die Wertsachen in Form von Geschenken, Beute oder Handelswaren ins Land gekommen sind. Auch lässt sich nicht sagen, ob die Gräber irgendwie „repräsentativ“ sind – ob sie also nur ausnahmsweise so angelegt wurden oder ob sie „regelhaftes Verhalten“ spiegeln.

Steuer geht davon aus, dass solche Rückschlüsse nur durch systematische und großflächige Siedlungsgrabungen und archäologische Erschließung ganzer Landschaften möglich werden. Auf diesem Weg wird es möglich, anhand der Häufigkeit von wertvollen römischen Waren und Edelmetall im Fundgut sogenannte „Reichtumszentren“ zu identifizieren. Gesellschaftliche Schichtung lässt sich seiner Ansicht nach dann durch den Zusammenhang zwischen Grabkult (in späterer Zeit eher Hortniederlegungen), Siedlungsweise und dem Nachweis für die Existenz von Werkstätten erschließen.

[FONT=&quot]MfG[/FONT]
 
Steuer geht davon aus, dass solche Rückschlüsse nur durch systematische und großflächige Siedlungsgrabungen und archäologische Erschließung ganzer Landschaften möglich werden.
das scheint aber für den fraglichen Raum und die fragliche Zeit noch nicht umfänglich stattgefunden zu haben, sodass die Frage nach einer cheruskischen Vorform/Frühform des Adels nach wie vor offen bleibt
 
Wieder Adel? - Germanischer Adel in der Frühzeit vorauszusetzen.

[FONT=&quot]Ich hätte nicht gedacht, dass der Begriff des Adels derart polarisieren könnte: Es müsste reichen eine gesellschaftlich[/FONT][FONT=&quot] herausgehobene Schicht bei den Germanen zu postulieren, die über deutlich mehr Macht, Reichtum, öffentlichen Einfluss und räumlich-soziale Vernetzung verfügte als die Masse der freien Germanen. Diese Schicht sollte man ohne jede Gewissensnot unschwer als Adel bezeichnen können, solange wir die Erblichkeit von Gütern und zumindest Teilen des Ansehens und der gesellschaftlichen Stellung annehmen können! Hierbei ist schon der Begriff des germanischen „Heils“ hilfreich, um eine solche Erblichkeit (wie beschränkt auch immer) vorauszusetzen. [/FONT]

[FONT=&quot]Diese Männer versammelten um sich eine ihnen persönlich verpflichtete Gefolgschaft, die ihnen als Ratgeber, Krieger und Leute für alle denkbaren Bereiche als Organisatoren zur Verfügung standen. Schon diese Prämisse verlangt eine soziale Vernetzung und Verankerung dieser Adeligen, wie ihrer Gefolgsleute in der Gesellschaft. So wie innerhalb der Gefolgschaften Wettstreit vorausgesetzt werden kann, bestand zwangsläufig auch Wettstreit zwischen den Vorstehern dieser „Höfe“, die ganz sicher zu entsprechenden Rivalitäten und Bündnissen führten. Schauplatz der Selbstinszenierung einer Gefolgschaft war das gemeinsame Gelage (Symposium), das gewissen gesellschaftlich anerkannten Regeln gefolgt haben muss. Die Vorstellung eines wilden Sauf- & Fressgelages, wo jeder nur zuzugreifen brauchte, ist wohl dem Barbarentopos geschuldet und abzulehnen! „Ritualisierte Zurschaustellung“ von Bündnissen und Hierarchisierungen zwischen den Vorstehern und Höfen festigten dann die Beziehungen von ihnen in der Öffentlichkeit. Politik hat schon immer eine gewisse Öffentlichkeit verlangt und so ist es auch geblieben, wenn Ergebnisse präsentiert werden. Gleiches gilt zumindest in der Antike auch für die Religion, dass sie Öffentlich praktiziert wurde! [res publica] Das sind Grundprämissen fast aller menschlichen Gesellschaften über die Zeiten hinweg. [/FONT]

[FONT=&quot]Eine Frage danach, wie die erzielten Ergebnisse oder Hierarchisierungen auch „durchgesetzt“ werden mussten/konnten, führt m.E. völlig an der Sache vorbei. Hier fühlt man geradezu den Ruf nach dem „Gesetzt“ oder einer „Verfassung“. Dies sind späte Produkte der Neuzeit und allgemein anerkannt wohl erst infolge der Französischen Revolution. Alle antiken Imperien kamen ohne Verfassung aus, oft mit einem Minimum an „Gesetz“, wobei letzteres oft gleichbedeutend mit dem Willen des Mächtigen blieb. Brach also ein „Germanenadeliger“ seine Verpflichtungen, war er zuerst einmal gesellschaftlich angeschlagen. Das System war flexibel genug, dass sich der „Abtrünnige“ aber auch durchsetzen konnte. Es stand jeweils zuerst im Ermessen der betroffenen Personen, wie reagiert wurde. Oft ist zu lesen, wie ein „unterlegener Adeliger“ seine Heimat verließ und am Hofe eines Anderen Karriere machte, oder zu den Römern ging. Ebenso sind Fälle bekannt, wo sich der „Exilierte“ später im Gefolge seiner neuen Freunde letztlich doch noch durchsetzen konnte. [/FONT]
[FONT=&quot]Kurz: Eine bis zu einem gewissen Grade flexible Gruppe von Mächtigen konnte in einem nur durch Tradition, gesellschaftliche Anerkennung und Macht begrenzten Koordinatensystem in einem „weitgehend freien Spiel der Kräfte“ seinen Platz immer neu definieren und besetzen. Dies würde ich als den germanischen Adel jener Zeit definieren wollen. Provokant möchte ich darauf hinweisen, dass selbst der römische Senat während der Republik nur der öffentliche Schauplatz von ganz ähnlichen Rivalitäten, in einem teils vergleichbaren Koordinatensystem war – und niemand wird bestreiten, dass trotz jährlich wechselnder Machtverhältnisse die Römische Republik durchaus effiziente Machtpolitik hat betreiben können![/FONT]

[FONT=&quot]Solche Bündnisse zwischen Adeligen kommen auch ohne Existenz von „Großstämmen“ aus. Sie können plötzlich aus dem Boden schießen, wie etwa das Reich des Marbod, das sogar eine gewisse Dauerhaftigkeit aufwies, aber das war gar nicht nötig. Die meisten solcher „Großkonstrukt/Allianzen“ überlebten ihren Gründer nicht. Kleinteilige, dezentrale Macht- & Siedlungsstrukturen kennzeichnen wohl die Germanen zur Zeitenwende am Besten. Überregional vernetzt waren sie nur durch Kult/Religion, Handel und die Vernetzung ihres Adels (Oberschicht) - und das reichte wohl völlig. Nicht umsonst finden sich bei Tacitus die Kultgruppen als jene, die vielleicht noch am ehesten an die späteren Großstämme erinnern. Ansonsten finden sich aber nur Personenverbände, basierend auf einem Anführer, von denen Ariovist, Marbod und Arminius wohl die Bekanntesten (frühen) Vertreter sind. [/FONT]
[FONT=&quot]Wen dergleichen interessiert, mag als eine gewisse Materialsammlung den Band „Im Inneren Germaniens“ von Klaus Tausend einsehen, das sehr ambitioniert ist. (Auf den ich mich hier aber nicht ausdrücklich bezogen habe!) Der erste Absatz der folgenden Rezension ist m.E. hilfreich zu unserem Thema; im Übrigen widmet sich Tausend gerade dem Gefolgschaftswesen:[/FONT]
[FONT=&quot]Klaus Tausend: Im Inneren Germaniens. Beziehungen zwischen den germanischen Stämmen vom 1. Jh. v. Chr. bis zum 2. Jh. n. Chr.. Stuttgart 2009. - H-Soz-u-Kult / Rezensionen / Bücher [/FONT]
 
Keltische Stabilität: Ein Gegenbeispiel zu den Germanen?

....Die Oppida-Kelten lebten nicht mehr in einer Stammesgesellschaft, sondern in sozial stark differenzierten Gemeinschaften, die man eher als "Klein-Königreiche" bezeichnen konnte. Sowohl kulturell wie auch technologische standen die Kelten auf der gleichen Ebene wie Rom. Nur militärisch waren sie den Römern nicht gewachsen. Aus dem keltischen Bereich liegen uns auch "dinglichen Beweise" für die Existenz von vermutlich adeligen Eliten vor. Man denke nur an den "Fürstensitz" vom Glauberg in Südhessen.

Genau das sollte uns aber aufmerksam machen: Wären die germanischen Stämme ähnlich strukturiert gewesen, müsste es auch aus ihrem Bereich archäologische Funde und Befunde geben, die auf eine herausragende Stellung einzelner Individuen oder gar Familien hindeuten. Es gibt aber nichts, was auch nur annähernd z.B. den Glauberg-Funden ähnelt. Wenn es germanische Adelige gab, dann lebten sie genauso wie das gemeine Volk, in Langhäusern zusammen mit ihrem Vieh und ihrem Gesinde, und waren nicht wesentlich reicher als die breite Masse. ..
Ich beziehe mich nun auch auf die Beiträge [FONT=&quot]@62 und #69 [/FONT]
[FONT=&quot]Wir benutzen den Begriff der Kelten im Groben für die Träger der Hallstadt- & La Tene-Kulturen; dies ist ein immens langer Zeitraum. Anfangs fallen die Fürstensitzen auf, die offensichtlich ganz eng in den Fernhandel eingebunden waren. Dann, relativ plötzlich und recht raumgreifend gehen diese Sitze völlig zugrunde. Etwas nach dieser Zeit tauchen dann keltische Stämme im Blickfeld des Mittelmeerraums auf: als tribale Wanderstämme mit Kriegsfürsten/Herzögen [Brennus] an der Spitze und einer anscheinend wenig gegliederten Struktur. Zur gleichen Zeit brechen auch die Prunkgräber ab und im Fundmaterial finden sich relativ einheitliche Beigaben, die eine geringe soziale Differenzierung wiederspiegeln. Dann entsteht zumindest in West- und Mitteleuropa eine keltisch dominierte Oppidakultur, die teils auch ohne sichtbares römisches Eingreifen im Verlauf des 1. Jht. vor der Zeitenwende untergeht, soweit sie nicht in dem römischen Machtbereich umgeformt wurde. Wo die Römer nicht hinkamen, verschwand die Oppidakultur fast ohne Hinweise auf den Verbleib ihrer Träger. Wie erklärt sich das mit den angeblich so festgefügten, protostaatlichen Gesellschaftsstrukturen bei den Kelten? Der skizzierte Zeitraum übersteigt mit etwa 600 Jahren deutlich die Zeit, in welcher Römer & Germanen durch imperiale Grenzen direkt voneinander getrennt nebeneinander lebten… Letzterer Zeitraum sei aber umgekehrt zu lange für Analogieschlüsse…[/FONT]
 
Grabbeigaben & Grenzen der Archäologie:

....Gräber, die auf eine herausgehobene Stellung der Bestatteten hindeuten, finden sich erst ab dem 1. Jahrhundert. Die sehr interessante Arbeit, die @Flavius-Sterius verlinkt hat, enthält einige Informationen dazu...
Auch @ #89 etc,
[FONT=&quot]Primär spiegeln Gräber zuerst einmal religiöse Vorstellungen wieder. Erst in zweiter Linie kommen repräsentative Überlegungen hinzu, wenn die „Grabsitte“ solches zulässt. Ein keltischer Adel scheint allgemein anerkannt (auch vor der Folie der angesprochenen Keltenausstellung, die ich im Dezember gesehen habe). Aber wie erklärt sich die relative „Fundlücke“ zwischen den Fürstengräbern und der Oppidakultur? Oder noch besser: Wohin waren all die „Kelten“ Süddeutschlands verschwunden, als die Oppidakultur dort abbrach? Immerhin haben sie keine archäologischen Spuren hinterlassen und schon gar keine Fürstengräber! Sind sie abgewandert? Oder ist die Fundleere durch soziale oder religiöse Veränderungen erklärbar, oder gab es doch eine „Helvetier/Boier-Einöde“ solch ungeheuren Ausmaßes über ganz Süddeutschland (mit Ausnahme vielleicht der Vindeliker)? Als eine Erklärung wurde ganz beiläufig in der Ausstellung die Fundleere durch [mögliche] veränderte Begräbnissitten in Verbindung gebracht. Die Fundleere ist ein Argument, aber kein Beweis. Fundreichtum dagegen ist ein positiver Beweis… [/FONT]

[FONT=&quot]Lies einmal bei Ward-Perkins in „Der Untergang des Römischen Reiches…“ über den Mangel an archäologisch greifbaren Resten, eines geschichtlich bekannten angelsächsischen Königshofes in GB nach. Das Material war vergänglich. Trotz all seines Reichtums, welcher dem König sicherlich zur Verfügung stand, sind die Hinterlassenschaften dürftiger, als jene von Bauernhöfen frührömischer Zeit in Italien… Es ist kein Widerspruch, dass „nichts“ gefunden wurde und doch Reichtum & Macht existierten. Wenn strukturbedingt wenig archäologisches Material, sowie keine schriftliche Überlieferungen vorliegen, dann kommen wir Heutigen halt ins Schlingern! Hinzu kommt die bekannte, relative Mobilität und schwache "Bindung an die Scholle", die gewöhnlich zumindest den Germanen attestiert wird.[/FONT]
[FONT=&quot]Ich hoffe Ward-Perkins verzeiht mir seine Verwendung in diesem Sinne, da er ja gerade den Fundvergleich als Argument für den Verfall der Kultur bringt - Nicht um eine gleichzeitige Fundarmut trotz starker sozialer Differenzierung zu untermauern… Hier endet halt die Leistungsfähigkeit einer Wissenschaft (Archäologie), von der wir uns angewöhnt haben Antworten zu erwarten, wenn keine Überlieferung etwas hergibt.[/FONT][FONT=&quot][/FONT]
 
[FONT=&quot]Ich hätte nicht gedacht, dass der Begriff des Adels derart polarisieren könnte: Es müsste reichen eine gesellschaftlich[/FONT][FONT=&quot] herausgehobene Schicht bei den Germanen zu postulieren, die über deutlich mehr Macht, Reichtum, öffentlichen Einfluss und räumlich-soziale Vernetzung verfügte als die Masse der freien Germanen. Diese Schicht sollte man ohne jede Gewissensnot unschwer als Adel bezeichnen können, solange wir die Erblichkeit von Gütern und zumindest Teilen des Ansehens und der gesellschaftlichen Stellung annehmen können! Hierbei ist schon der Begriff des germanischen „Heils“ hilfreich, um eine solche Erblichkeit (wie beschränkt auch immer) vorauszusetzen. [/FONT][FONT=&quot] [/FONT]
da kann ich nur zustimmen!
und deiner weiteren Argumentation ebenso!
 
Jetzt muss ich doch noch mal was schreiben...

Zunächst ist die Frage nach der Existenz eines Adels in dieser Diskussion nur deshalb in den Vordergrund gerückt, weil hier die Auffassung vertreten wurde, dass ohne einen Adel eine militärische Mobilisierung der Germanen nicht möglich gewesen wäre. Ich habe darzulegen versucht, dass dies nicht so ist.

[FONT=&quot]Es müsste reichen eine gesellschaftlich[/FONT][FONT=&quot] herausgehobene Schicht bei den Germanen zu postulieren, die über deutlich mehr Macht, Reichtum, öffentlichen Einfluss und räumlich-soziale Vernetzung verfügte als die Masse der freien Germanen. Diese Schicht sollte man ohne jede Gewissensnot unschwer als Adel bezeichnen können, solange wir die Erblichkeit von Gütern und zumindest Teilen des Ansehens und der gesellschaftlichen Stellung annehmen können! Hierbei ist schon der Begriff des germanischen „Heils“ hilfreich, um eine solche Erblichkeit (wie beschränkt auch immer) vorauszusetzen. [/FONT]

Genau da liegt das Problem: Es wird zwanglos postuliert, dass es so eine gesellschaftlich herausgehobene Schicht gab, die über deutlich mehr Macht, Reichtum und öffentlichen Einfluss verfügte. Für dieses Postulat gibt es aber trotzdem keine archäologischen Belege. Jedenfalls keine, die auf die frühe römischen Kaiserzeit datiert werden können. Dies ist zumindest auffällig, weil für die zum Teil deutlich ältere keltische Kultur und für die sich später herausbildenden germanischen Reiche derartige archäologische Belege gefunden worden sind. Und zum Teil handelt es sich um keltische und "spätgermanische" Reiche, die auf dem gleichen Boden existierten, auf dem der "frühgermanische" Adel Spuren hinterlassen haben müsste, aber nicht hinterlassen hat.

Das Postulat, dass es zu allen Zeiten einen germanischen Adel gegeben haben muss, passt auch nicht zu den gut fundierten Theorien, die gewisse Gesellschaftswissenschaften bezüglich Ethnogenese und Entstehung von Adelsstrukturen entwickelt haben. Hier spielt das Gefolgschaftswesen eine zentrale Rolle, weil es die Keimzelle von Adelsstrukturen und Reichsgründungen war. Den Begriff "Gefolgschaft" darf man hier aber nicht zu starr auslegen: Gefolgschaften waren zwar regelmäßig recht ähnlich aufgebaut. Trotzdem hatten Gefolgschaften, die sich für eine bevorstehende Schlacht zur Verteidigung des Stammesterritoriums bildeten, einen grundlegend anderen Charakter als Gefolgschaften, die für Raubzüge außerhalb des eigenen Territoriums formiert wurden. Die wiederum hatten einen völlig anderen Charakter als Gefolgschaften, die langjährig Söldnerdienst in der römischen Armee leisteten. Und die wiederum hatten einen völlig anderen Charakter als Gefolgschaften, die zur Landnahme zum Beispiel in Gallien auszogen.

Nur der erstgenannte Typus der Gefolgschaften existierte INNERHALB der Stammesstruktur. Alle anderen existierten außerhalb, lösten sich von den Stammesstrukturen ab und überlagerten sie letztlich sogar. Deshalb hatte der erstgenannte Typus kaum die Chance, länger zu existieren. Es wäre kaum möglich gewesen, INNERHALB der Stammesstruktur größere Gefolgschaften dauerhaft zu versorgen. Die Versorgung war nämlich nur durch Raub und Krieg möglich - wie schon der seelige Tacitus überzeugend dargelegt hat. Eine Stammesgesellschaft, die auf Raub und Krieg ausgelegt ist, kann aber allein nicht existieren, weil sie sich selbst kanibalisieren würde. Raub und Krieg schaffen nämlich keine Werte, sondern verbrauchen sie nur. Wer soll also die Werte geschaffen haben, die zur Sicherung der Existenz der Gefolgschaften nötig waren?

Das Konzept dauerhaft existierender Gefolgschaften funktioniert nur, wenn Werte "abschöpft" (in Form von Beute oder Sold) werden können, die anderswo geschaffen wurden. Zum Beispiel in Gallien oder im römischen Reich.

Schließlich ignoriert das Paradigma, in den germanischen Stämmen habe es zu allen Zeiten einen Adel gegeben, die Tatsache, dass man für die Stämme der frühen römischen Kaiserzeit nicht darlegen kann, welche Funktion der Adel überhaupt gehabt haben soll. Man kann auch nicht darlegen, wie er seine Macht hätte sichern sollen. Wie er "Gehorsam" hätte durchsetzen sollen. Man kann ja nichtmal sagen, WEN er zu Gehorsam hätte verpflichten sollen, denn Einwohnerverzeichnisse gab es ja wohl nicht. Wenn Adel in einer Gesellschaft keine Funktion hat und trotzdem existiert, dann muss seine Existenz wohl auf göttlichem Willen beruhen. Daran glaube ich persönlich nicht.

Fest steht, dass sich die germanischen Gesellschaften in der Zeit zwischen Arminius/Varus/Augustus und dem Ende des römischen Reichs massiv gewandelt haben. Und es gibt in den Wissenschaften, in der Literatur und im archäologischen Fundgut zahlreiche Indizien, dass sich erst im Laufe dieser Entwicklung ein Adel herausbildete. Relativ gut belegt sind Adelsstrukturen erst für die Zeit der größeren germanischen Reiche (Franken, Alemannen etc.). Daraus, dass zu der Zeit Adelsstrukturen mit großer Wahrscheinlichkeit existierten, wird nun hier zwanglos geschlossen, dass sie schon immer existiert haben müssen... Mir ist das zu dünn.

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Der erste Absatz der folgenden Rezension ist m.E. hilfreich zu unserem Thema; im Übrigen widmet sich Tausend gerade dem Gefolgschaftswesen:
[/FONT]
Mir ist da eher der vorletzte Absatz der Rezension aufgefallen. Da wird in Frage gestellt, ob die vom Autor postulierte zäsurfreie Kontinuität vom beginnenden ersten bis zum ausgehenden fünften Jahrhundert existierte. Und der besagte Absatz endet mit dem Satz: "Ohne nähere Berücksichtigung bleiben die neueren ethnographischen Forschungen zu den germanischen Stämmen. "

MfG
 
"Ohne nähere Berücksichtigung bleiben die neueren ethnographischen Forschungen zu den germanischen Stämmen. "

Danke für den ausgezeichneten Beitrag.

Die meisten neueren Veröffentlichungen zum Thema betonen den radikalen Wandel der Gesellschaftsformen an der römischen Peripherie in den Jahren vor der Völkerwanderung. Dort entstanden völlig neue Gebilde mit völlig neuen Strukturen, angepasst an die ökonomischen Gegebenheiten in der Kontaktzone zu Rom. Was diese überhaupt noch mit den früheren Gruppen wie "Cheruskern" oder ähnlichen zu tun hatten, ist äußerst fraglich.
Ein Postulieren von "wird schon so gewesen sein" hilft daher gerade nicht weiter.
Viel zu sehr klingen immer noch die Germanenvorstellungen des 19.Jahrhunderts nach. Immer wieder wird eine Kontinuität der "germanischen" Gesellschaft zu irgendwelchen obskuren Urgermanen zu Grunde gelegt, die überhaupt nicht haltbar ist. An diese Stelle gehört auch die Mär von den "germanischen" "Bauernkriegern", die es wahrscheinlich nie gab, und die deshalb auch nicht auf der Suche nach Land gen Süden zogen.
 
Jetzt muss ich doch noch mal was schreiben...

Genau da liegt das Problem: Es wird zwanglos postuliert, dass es so eine gesellschaftlich herausgehobene Schicht gab, die über deutlich mehr Macht, Reichtum und öffentlichen Einfluss verfügte. Für dieses Postulat gibt es aber trotzdem keine archäologischen Belege. Jedenfalls keine, die auf die frühe römischen Kaiserzeit datiert werden können....
Freut mich sehr, dass du antwortest. Auch wenn ich anderer Auffassung bin, lese ich deine Begründungen doch sehr gerne :winke:
Die Germanen betrieben einen deutlich reduzierten Totenkult verglichen mit jenem bei den Kelten im Bezug auf die Beigaben. So schlägt sich dieser Sachverhalt im Fundmaterial nieder. Ich habe auch kein Postulat für einen „ewigen, germanischen Frühadel“ abgegeben, sondern einen Adel bereits für die Zeiten eines Arminius vorausgesetzt, gestützt auf römische Literatur und nicht auf interpretierbare, archäologische „Nichtfunde“ – Die gibt es auch für einen keltischen „Adel“ (?) in der späten „Früh-Latenè“ und dem „Mittel-Latenè“ ! Ein Topf ist ein Topf, das kann die Archäologie leisten, bei ethnischen Zuordnungen ist es schwieriger. Besonders bei den stark schwankenden Tiden in der Wahrnehmung von Stämmen vor der Zeitenwende zwischen Maas bis hin zu Weser und Alpenrand! Was war hier „germanisch“ oder „keltisch“? … Da im Thread vor allem von den Rhein-Wesergermanen zu sprechen ist (Arminius), beziehe ich mich daher lieber räumlich als Ethnisch mit meiner Zuordnung. Tacitus schreibt direkt von rivalisierenden Adelsgruppen, warum sollte ich dies bezweifeln sollen? War es nicht erst Caesar, der die komplexen keltischen Strukturen mit seinen Adelsgruppierungen, die um Macht innerhalb der Stämme rangen den Römern erstmals geschildert hat?

Finden sich nicht bei den vorherigen Autoren eher die typischen Allgemeinplätze (Barbarentopi) wie „Übervölkerung“, „Abenteuer- & Kriegslust“ – und eben keine Hinweise auf wirkliche politische Vorgänge? Seien nicht die in Italien einfallenden Kelten durch den Geschmack von Wein nach Italien gelockt worden?! Und das, wo der Genuss von Wein und rege Handelsbeziehungen in die Oberschicht der Hallstattkultur nach Italien für Jahrhunderte hinweg nachweisbar sind? Gerade vor diesem Hintergrund müssen die eindeutigen, schriftlichen Hinweise auf herausgehobene Familien bei „Germanenstämmen“ wie den Cheruskern ernst genommen werden.
Meine Formulierung mit dem „Postulat“ war insofern unglücklich gewählt, weil ich nicht herausgehobene Familien bei den „Germanen“ postulieren will (die literarisch gesichert sind!), sondern weil ich diese Familien/Personen als einen Adel postuliere!
 
Das Postulat, dass es zu allen Zeiten einen germanischen Adel gegeben haben muss, passt auch nicht zu den gut fundierten Theorien, die gewisse Gesellschaftswissenschaften bezüglich Ethnogenese und Entstehung von Adelsstrukturen entwickelt haben. Hier spielt das Gefolgschaftswesen eine zentrale Rolle, weil es die Keimzelle von Adelsstrukturen und Reichsgründungen war....
...An diese Stelle gehört auch die Mär von den "germanischen" "Bauernkriegern", die es wahrscheinlich nie gab, und die deshalb auch nicht auf der Suche nach Land gen Süden zogen.

Das genaue Gegenteil zur „Germanenromantik“ mit seinen Bauernkriegern auf Landsuche sind Gefolgschaftskrieger und Kriegerbünde, die sich bei Wenskus für die „Traditionskerne“ der Wanderstämme anbieten. Kristallisationspunkte für Gefolgschaften sind traditionell hochgestellte Persönlichkeiten – eben Adel… Gerade im Kontext mit dem schwierig zu greifenden Suebenbegriff stehen Gefolgschaften und Kriegerbünde. Waren die Sueben nun eine (gewaltige) Ethnie (wie bei Caesar, der von 1000 Gauen schreibt), oder eher eine „Lebensweise“ (Kriegerideal…). Auffällig ist schon wie wenige „Teilstämme“ sich später auf den Suebennamen zu unterschiedlichen Zeiten direkt beziehen (Neckarsueben, Donausueben/spanische Sueben…), aber wie beliebt typische Erscheinungsformen (Suebenknoten) offensichtlich im Barbaricum zeitweise waren.

Die Ausführungen zum Gefolgschaftswesen sind ein lobenswerter Überblick, doch sind die Schlussfolgerungen m.E. teils falsch. Sicherlich sind Gefolgschaften Konsumenten und keine Erzeuger, aber sehr wohl in der Lage sich Güter dauerhaft anzueignen. Aber ist nicht auch ein Adel immer zuerst einmal ein Konsument, oder wenigstens jemand, der vom Ertrag seiner Besitzungen lebt? Nun kommt es darauf an wie er diese Erträge nutzt. „Verprasst“ er sie nur, sammelt er lieber damit Prestige und Macht? Schon indem er sie in Prestige-, erst recht in Macht umsetzt, wird er früher oder später Menschen an sich binden, auch eine Gefolgschaft!

Was Maelonn als ersten Typ einer Gefolgschaft nennt, würde ich als ein temporäres Aufgebot bezeichnen, denn es wird sich nach Ende der Bedrohungslage wieder zerstreuen. Mir fehlt völlig der wichtigste Typ von Gefolgschaft, wie er sich auch im Umfeld selbst römischer Aristokraten regelmäßig findet: Die Gemeinschaft mit Männern, die sich den Zielen des führenden Adeligen verschrieben haben und hierzu häufig zusammen sind und ihr Auskommen wenigstens Teilweise von ihrem Herren erhalten. Ein Typus, den Tacitus in seiner Germania erwähnt, wenn er ihn natürlich nur in militärischer Hinsicht nennt (Empfang von Waffen von ihrem Herrrn). Solange diese Gefolgschaften die Mittel ihres Herrn nicht überschreiten, spricht nichts dagegen, dass sie ohne den Stamm zu destabilisieren, auch über längere Zeit hinweg aufrecht erhalten werden können, wobei sie nicht einmal sehr kopfstark sein müssen, denn es geht zuerst um Einfluss! Sehr wohl aber können sie mit der Zeit einen Stamm überlagern und ganz sicher nehmen sie massiv Einfluss auf die Politik eines Stammes, denn dies ist ja ihr Daseinszweck – nicht unbedingt Krieg oder Raub… Zu den Punkten „Beute & Sold“ um Gefolgschaften zu finanzieren gehört immer auch politische Finanzierung durch den Gefolgschaftsherren. Erst dann wird ein Schuh draus!
Dass eine Gefolgschaft für „Friedenszeiten“ eher klein zu veranschlagen ist, leuchtet ein. Sie ließ sich aber relativ einfach vergrößern für Raub oder Krieg – und ja, wenn irgendwo ein Krieg stattfand, in der Heimat aber Frieden herrschte, konnte der Gefolgschaftsherr leicht auch als Söldnerführer auftreten (ob nun für Rom oder irgendwelche anderen Stämme oder Staaten). Jeder antiker Staatsführer mit reichlich Mitteln und Bedarf an Söldnern, hätte kaum jemand in eine Germanenversammlung gesandt und gefragt, ob nicht jemand bei seinem Krieg aushelfen könne – wer mitwill, möge sich melden… Das ist eine sehr romantische Vorstellung! Ähnlich wie bei den Söldnerheeren des Mittelalters und später würde man sich an einflussreiche Hochgestellte in kriegerischen Landen wenden und ihn unter Vertrag nehmen. Der dortige Adelige stellt dann die Truppe zusammen und der Kern dieser Truppen waren immer seine Gefolgsleute! Auch die Stellung geschlossener germanischer „Kriegerbanden“ für römische Dienste lassen sich logisch nur auf diese Weise erklären und nicht durch Rekrutierer mit Trommler und Pressern einer viel späteren Zeit.
 
Kristallisationspunkte für Gefolgschaften sind traditionell hochgestellte Persönlichkeiten – eben Adel…

Eben nicht! Hieraus entsteht vielleicht - später einmal Adel. Aber nur dann, wenn sich auch passende Untergebene finden. Zunächst einmal ist der Gefolgschaftsführer nur primus inter pares


Die typische Gefolgschaft der Spätantike dürfte ganz und gar neben dem Stammeswesen existiert haben, vermutlich ein bunt gemischter Haufen, der durch Zusammenschlüsse von Gefolgschaften neue Gruppierungen bildete, die wir etwa als Franken, Alemannen, Goten usw. kennen. In etwaigen Stämmen der Caesar-Zeit finden wir diese Gruppierungen nicht wieder, und die verzweifelten Versuche, dort deren Wurzeln und Vorläufer zu finden, führen nicht weiter.

Die Gefolgschaften der Spätantike bildeten sich dann in Abhängigkeit von der römischen Ökonomie. Ob Söldnertum, Raub, Römische Tributzahlungen oder Kontrolle des Handels - das alles lief im Prinzip auf das gleiche hinaus. Keine eigenen Produktivaktivitäten, sondern Abschöpfung des an der Zivilisationsgrenze zu erwirtschaftenden Profits.
Dieses sind aber alles neue, im Laufe der ersten 2-3 Jahrhunderte entstandene Phänomene, die nichts mit der Struktur der vorher dort siedelnden bäuerlichen Bevölkerung gemein haben, welche die zu Grunde liegende Form der Ökonomie gar nicht kannten.

Jeder antiker Staatsführer mit reichlich Mitteln und Bedarf an Söldnern, hätte kaum jemand in eine Germanenversammlung gesandt und gefragt, ob nicht jemand bei seinem Krieg aushelfen könne – wer mitwill, möge sich melden… Das ist eine sehr romantische Vorstellung!

Mir ist auch nicht klar, wem du solche Vorstellungen unterstellst
 
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