Jetzt muss ich doch noch mal was schreiben...
Zunächst ist die Frage nach der Existenz eines Adels in dieser Diskussion nur deshalb in den Vordergrund gerückt, weil hier die Auffassung vertreten wurde, dass ohne einen Adel eine militärische Mobilisierung der Germanen nicht möglich gewesen wäre. Ich habe darzulegen versucht, dass dies nicht so ist.
[FONT="]Es müsste reichen eine gesellschaftlich[/FONT][FONT="] herausgehobene Schicht bei den Germanen zu postulieren, die über deutlich mehr Macht, Reichtum, öffentlichen Einfluss und räumlich-soziale Vernetzung verfügte als die Masse der freien Germanen. Diese Schicht sollte man ohne jede Gewissensnot unschwer als Adel bezeichnen können, solange wir die Erblichkeit von Gütern und zumindest Teilen des Ansehens und der gesellschaftlichen Stellung annehmen können! Hierbei ist schon der Begriff des germanischen „Heils“ hilfreich, um eine solche Erblichkeit (wie beschränkt auch immer) vorauszusetzen. [/FONT]
Genau da liegt das Problem: Es wird zwanglos postuliert, dass es so eine gesellschaftlich herausgehobene Schicht gab, die über deutlich mehr Macht, Reichtum und öffentlichen Einfluss verfügte. Für dieses Postulat gibt es aber trotzdem keine archäologischen Belege. Jedenfalls keine, die auf die frühe römischen Kaiserzeit datiert werden können. Dies ist zumindest auffällig, weil für die zum Teil deutlich ältere keltische Kultur und für die sich später herausbildenden germanischen Reiche derartige archäologische Belege gefunden worden sind. Und zum Teil handelt es sich um keltische und "spätgermanische" Reiche, die auf dem gleichen Boden existierten, auf dem der "frühgermanische" Adel Spuren hinterlassen haben müsste, aber nicht hinterlassen hat.
Das Postulat, dass es zu allen Zeiten einen germanischen Adel gegeben haben muss, passt auch nicht zu den gut fundierten Theorien, die gewisse Gesellschaftswissenschaften bezüglich Ethnogenese und Entstehung von Adelsstrukturen entwickelt haben. Hier spielt das Gefolgschaftswesen eine zentrale Rolle, weil es die Keimzelle von Adelsstrukturen und Reichsgründungen war. Den Begriff "Gefolgschaft" darf man hier aber nicht zu starr auslegen: Gefolgschaften waren zwar regelmäßig recht ähnlich aufgebaut. Trotzdem hatten Gefolgschaften, die sich für eine bevorstehende Schlacht zur Verteidigung des Stammesterritoriums bildeten, einen grundlegend anderen Charakter als Gefolgschaften, die für Raubzüge außerhalb des eigenen Territoriums formiert wurden. Die wiederum hatten einen völlig anderen Charakter als Gefolgschaften, die langjährig Söldnerdienst in der römischen Armee leisteten. Und die wiederum hatten einen völlig anderen Charakter als Gefolgschaften, die zur Landnahme zum Beispiel in Gallien auszogen.
Nur der erstgenannte Typus der Gefolgschaften existierte INNERHALB der Stammesstruktur. Alle anderen existierten außerhalb, lösten sich von den Stammesstrukturen ab und überlagerten sie letztlich sogar. Deshalb hatte der erstgenannte Typus kaum die Chance, länger zu existieren. Es wäre kaum möglich gewesen, INNERHALB der Stammesstruktur größere Gefolgschaften dauerhaft zu versorgen. Die Versorgung war nämlich nur durch Raub und Krieg möglich - wie schon der seelige Tacitus überzeugend dargelegt hat. Eine Stammesgesellschaft, die auf Raub und Krieg ausgelegt ist, kann aber allein nicht existieren, weil sie sich selbst kanibalisieren würde. Raub und Krieg schaffen nämlich keine Werte, sondern verbrauchen sie nur. Wer soll also die Werte geschaffen haben, die zur Sicherung der Existenz der Gefolgschaften nötig waren?
Das Konzept dauerhaft existierender Gefolgschaften funktioniert nur, wenn Werte "abschöpft" (in Form von Beute oder Sold) werden können, die anderswo geschaffen wurden. Zum Beispiel in Gallien oder im römischen Reich.
Schließlich ignoriert das Paradigma, in den germanischen Stämmen habe es zu allen Zeiten einen Adel gegeben, die Tatsache, dass man für die Stämme der frühen römischen Kaiserzeit nicht darlegen kann, welche Funktion der Adel überhaupt gehabt haben soll. Man kann auch nicht darlegen, wie er seine Macht hätte sichern sollen. Wie er "Gehorsam" hätte durchsetzen sollen. Man kann ja nichtmal sagen, WEN er zu Gehorsam hätte verpflichten sollen, denn Einwohnerverzeichnisse gab es ja wohl nicht. Wenn Adel in einer Gesellschaft keine Funktion hat und trotzdem existiert, dann muss seine Existenz wohl auf göttlichem Willen beruhen. Daran glaube ich persönlich nicht.
Fest steht, dass sich die germanischen Gesellschaften in der Zeit zwischen Arminius/Varus/Augustus und dem Ende des römischen Reichs massiv gewandelt haben. Und es gibt in den Wissenschaften, in der Literatur und im archäologischen Fundgut zahlreiche Indizien, dass sich erst im Laufe dieser Entwicklung ein Adel herausbildete. Relativ gut belegt sind Adelsstrukturen erst für die Zeit der größeren germanischen Reiche (Franken, Alemannen etc.). Daraus, dass zu der Zeit Adelsstrukturen mit großer Wahrscheinlichkeit existierten, wird nun hier zwanglos geschlossen, dass sie schon immer existiert haben müssen... Mir ist das zu dünn.
[FONT="]
Der erste Absatz der folgenden Rezension ist m.E. hilfreich zu unserem Thema; im Übrigen widmet sich Tausend gerade dem Gefolgschaftswesen:
[/FONT]
Mir ist da eher der vorletzte Absatz der Rezension aufgefallen. Da wird in Frage gestellt, ob die vom Autor postulierte zäsurfreie Kontinuität vom beginnenden ersten bis zum ausgehenden fünften Jahrhundert existierte. Und der besagte Absatz endet mit dem Satz: "
Ohne nähere Berücksichtigung bleiben die neueren ethnographischen Forschungen zu den germanischen Stämmen. "
MfG