Das Heliozentrische Weltbild - von wem als erstes artikuliert?

Selbst Tycho Brahe hegte noch Zweifel am heliozentrischen Weltbild.
Erst James Bradley gelang es im Jahr 1729 zweifelsfrei die Eigenbewegung der Erde gegenüber der Fixsternsphäre nachzuweisen.

So wie ich es verstehe, hing der große Tycho Brahe zwischen den zwei Weltbildern.
Einerseits war es ihm klar, dass das alte geozentrische Weltbild einerseits so nicht stimmen konnte und andererseits dem rein heliozentrischen Weltbild das Fehlen der Sternparallaxe entgegenstand.
Er entwickelt das tychonische Weltbild, nachdem zwar die Erde ruht, aber nur von Mond und Sonne direkt umkreist werden,
wärend sich alle anderen Himmelskörper um die Sonne bewegen.
Mit diesem mechanischen Modell ist es ebenso möglich die Bewegungen der Gestirne zu beschreiben, wie etwa mit dem geozentrischen ptolemäischen Weltbild oder dem heliozentrischen kopernikanischen.

Er versucht ein beschreibendes Modell zu finden welches die Widersprüche
dieser Modelle umschifft und bildet ein Synthese beider Anschauungen.

In der zeitlichen Einordnung:
Ptolemäus 2. Jhd.
Kopernikus 1473 -1543
Tycho Brahe 1556 - 1601
Galileo Galilei 1564-1642
Johannes Kepler 1571-1630

Man kann sagen, dass das ptolemäische System im 16. Jhd. zu wanken begann und nachfolgend mit Bradley und endlich Bessel in den folgenden drei Jahrhunderten stürzte.

gar net mal lang her..

Wir tun uns heute schwer zu verstehen, dass solche Überlegungen hohe politische Brisanz zu den Zeiten des Umbruchs hatten.
Das kommt vielleicht daher, dass wir uns nicht in dieser Übergangszeit von Mythos zu Logos befinden.
 
Wir tun uns heute schwer zu verstehen, dass solche Überlegungen hohe politische Brisanz zu den Zeiten des Umbruchs hatten.

Ja, man sollte aber vor allem nicht zu streng mit den damaligen Vertretern des geozentrischen Weltbildes umgehen. Wenn man die Kräfte der Gravitation nicht kennt, kann die Erde genauso gut im Mittelpunkt stehen, wie die Sonne.
 
Ja, man sollte aber vor allem nicht zu streng mit den damaligen Vertretern des geozentrischen Weltbildes umgehen. Wenn man die Kräfte der Gravitation nicht kennt, kann die Erde genauso gut im Mittelpunkt stehen, wie die Sonne.

Ne, freilich net.
Man muss verstehen, dass das geozentrische Weltbild nicht einfach das Folgen des unmittelbaren naiven Eindrucks von der Natur ist,
sondern in seiner Begründung eine erhebliche Abstraktionsleistung darstellt und zudem auf mathematisch recht komplizierte Weise mit sorgfältig durchgeführter Naturbeobachtung abgeglichen wird.
Eine Herausforderung an das geozentrische Weltbild war die plötzliche scheinbar rückwärtige Bewegung der äußeren Planeten (etwa Jupiter) gegen den Sternhintergrund. Dieses auch als "retrograde Bewegung" bezeichnete Phänomen wird im geozentrischen Weltbild durch Epizyklen modelliert; danach bewegen sich die äußeren Planeten in einer Kreisbahn um einen (gedachten) Punkt der wiederum die Erde umkreist. Ptolemäus konstruierte zur noch genaueren Planetenbahnvorhersage ein erweitertes System in dem die Planetenbahnen auf Epizyklen in Epizyklen verliefen; Berechnungen innerhalb dieses Modells waren sehr kompliziert. ...
Geozentrisches Weltbild
 
Das kommt vielleicht daher, dass wir uns nicht in dieser Übergangszeit von Mythos zu Logos befinden.
Die frühe Neuzeit war eher ein Rückschritt vom (im Spätmittelalter schon bemerkenswert kultivierten) Logos zum Mythos. Die Astrologie blühte auf und die Humanisten wendeten sich tendenziell von der logisch und mathematisch untermauerten Rationalität ab und einem unkritischen Antikenkult zu. Dass eines der bekanntesten Werke dieser Zeit das "Lob der Torheit" verkündete, passt da ganz gut ins Bild.
 
Die frühe Neuzeit war eher ein Rückschritt vom (im Spätmittelalter schon bemerkenswert kultivierten) Logos zum Mythos. Die Astrologie blühte auf und die Humanisten wendeten sich tendenziell von der logisch und mathematisch untermauerten Rationalität ab und einem unkritischen Antikenkult zu. Dass eines der bekanntesten Werke dieser Zeit das "Lob der Torheit" verkündete, passt da ganz gut ins Bild.

Es mag hier Auf- und Abbewegungen immer gegeben haben.

Mit Galilei (und Co.) aber tritt etwas Neues in Erscheinung.
Es ist u.a. das sich durchsetzende Postulat, dass sich Naturgesetze mathematisch beschreiben und experimentell bestimmen lassen,
und dass sie universell gültig sind, d. h. im gesamten Kosmos.
Die Trennung der Himmelsphären wird aufgehoben und wir als Menschen finden uns nicht mehr im Zentrum einer Welt, die uns selber die Ebenbildlichkeit Gottes exklusiv gewährt.

In der Folgezeit entwickelt sich eine langsame, aber sehr tiefgreifende, Bewusstseinsänderung hin zu einem Logos, der das mythische Weltverständnis und Weltempfinden in allen erfolgreichen Kulturen in vorher nicht gekanntem Ausmaß zurückdrängt.

hatl

P.S. Eine Anmerkung zur Auseinandersetzung Galilei vs. Vatikan:
Es scheint mir mindestens naheliegend anzunehmen, dass die katholische Kirche, wiewohl sie ein hervorragender Förderer der Künste und auch der Wissenschaft war, ein Monopol der Welterklärung beanspruchte.
Gegen die kirchliche Macht konnten, in ihrem Enflussbereich, keine revolutionären Erklärungsversuche gefahrlos in die Welt gesetzt werden.
Galilei war sicher das Schicksal seines Zeitgenossen Giordano Bruno vor Augen.
Und in seiner wahrhaft revolutionären Schrift "SYDEREUS NUNCIUS" findet sich (in der englischen Übersetzung) dieser Freigabevermerk:
T he most excellent gentlemen, the Heads of the
Ecclesiastical Council of Ten, designated below, having
received the assurance of the Governing Council of the
University of Padua, based on a report of the two persons
deputized to investigate, that is from the reverend
Father Inquisitor, and from the Secretary of the Senate,
Giorgio Maraviglia, with an oath, that the book entitled
S Y D E R EU S NU N C IU S, etc., by Lord Galileo
Galilei contains nothing contrary to the Holy Catholic
Faith, principles, and good customs, and that it is fit for
printing, grant a license, so that it may be printed in this
city.
Given on the first day of March 1610.
Lord Marco Antonio Valaresso Lord NicoloB on } Heads of the
Lord Lunardo Marcello Ecclesiastical Council ofTen
Secretary to the most illustrious Council of Ten
Bartolomeo Comino
1610,8 March, Registered in the records, on page 39.
Office of Ioannes Baptista Breatto
Coadjutor of the Council on Blasphemy
http://homepages.wmich.edu/~mcgrew/Siderius.pdf

Man kann darüber spekulieren, ob Galilei erkannte wie sehr er damit an den Grundfesten des Weltbildes der Menschen in der christlichen Welt, und damit ja auch an deren sozialer Organisation, rüttelte.
Dem Vatikan ist es wohl mit einer leichten Zeitverzögerung aufgefallen.
 
Mit Galilei (und Co.) aber tritt etwas Neues in Erscheinung. Es ist u.a. das sich durchsetzende Postulat, dass sich Naturgesetze mathematisch beschreiben
Das ist nicht neu, sondern ein wichtiger Gesichtspunkt spätmittelalterlicher Theoriebildung in Oxford und Paris.

... und experimentell bestimmen lassen
Auch das ist nicht neu. Dass Aristoteles' spekulative Beschreibung des freien Falles falsch war, wurde sogar bereits im Frühmittelalter experimentell nachgewiesen.[/QUOTE]

und dass sie universell gültig sind, d. h. im gesamten Kosmos.
Die Trennung der Himmelsphären wird aufgehoben
Auf diese Aufhebung war schon vor Galileo da und Galileo hat die Trennung sogar zunächst noch gegen die Jesuiten verteidigt, die ihn auf die Kometen und Supernovae hinwiesen. Die wesentlichen Weichenstellungen für die Konzeption eines von einheitlichen Gesetzen bestimmten Universums wurden im Spätmittelalter (vor allem durch Buridan und Oresme) gestellt, die in wesentlichen Punkten gegen die aristotelische Physik argumentierten.

und wir als Menschen finden uns nicht mehr im Zentrum einer Welt, die uns selber die Ebenbildlichkeit Gottes exklusiv gewährt.
Es ist ein verbreiteter Irrtum, dass die Position der Erde im Mittelpunkt des Weltalls als eine die besonders ehrenvolle, den Menschen hervorhebende angesehen (und deshalb weltbildlich verteidigt) worden sei (Siehe Freud's Urteil von den angeblichen drei "Kränkungen" des Menschen).

Die Mitte des Universums galt im Gegenteil als der schlechteste(!) Platz im gesamten Universum (Siehe z.B. auch Dante, der die Hölle dort platzierte). Je weiter weg man von dieser Position kam, umso "edler" wurde die Lokation. Die himmlischen Sphären waren weit würdigere Orte als die Erde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da gibts doch einen Link?

"For if you let fall from the same height two weights of which one is many times as heavy as the other, you will see that the ratio of the times required for the motion does not depend on the ratio of the weights [Anm.: wie bei Aristoteles vorgesehen], but that the difference in time is a very small one. And so, if the difference in the weights is not considerable, that is, if one is, let us say, double the other, there will be no difference, or else an imperceptible difference, in time, though the difference in weight is by no means negligible, with one body weighing twice as much as the other"

Und das 1000 Jahre bevor Galileo (angeblich) seine Kugeln vom schiefen Turm von Pisa fallen ließ...
 
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