Sollten Nazi-Verbrecher heute noch verurteilt werden??

Das ist mindestens unpräzise, eher schlicht falsch.
Alter, Vorstrafen, Folgetaten, Umfeld sind bei jedem Strafverfahren maßgeblich für das Strafmaß. Der Ersttäter wird anders verurteilt als der Serientäter, etc.

Dass Alter und Lebenswandel eine Rolle spielen kann in einigen Fällen sicherlich zutreffen.

Ich hatte ein Beispiel, das ich nicht anführen wollte, mich nun doch genötigt sehe es zu tun.
In dieser Woche wurde in meiner Heimatstadt eine 83-Jährige zu Gefängnis verurteilt, weil sie ihre Schulden nicht bezahlen konnte (die sie unrechtmäßig gemacht hat). Die Hintergründe und einzelne Aspekte sollen hier unbeleuchtet bleiben, da hier das Alter der entscheidende Faktor ist.

Eine Dame, die 83 Jahre alt ist und "nur" eines Wirtschaftsdeliktes schuldig ist, wird verurteilt, aber Nazi-Verbrecher nicht?

Es geht ja auch nicht darum, dass ein Nazi-Verbrecher "Ersttäter" oder "Serienmörder" ist. Das wird man wohl auch nicht mehr eindeutig nachweisen können. Es geht aber um mehrere Verbrechen, die dieser Mensch im Namen eines faschistischen Terror-Regimes ausgeführt hat, sei es aus persönlicher Überzeugung, aus reiner Skrupellosigkeit und Menschenhass oder auch aus reiner Unwissenheit oder gar Angst.

Da hier so viel Ethisches besprochen wird: Wenn ich nicht aus Überzeugung oder freiem Antrieb sondern aus Angst diese Verbrechen begehe, rechtfertigt das, dass ich andere Menschen umbringe, um selbst zu überleben?

Rechtfertigt hohes Alter oder ein vorbildliches Leben, dass ich Menschen umgebracht und wahrscheinlich nicht nur, sondern auch gefoltert und gequält habe? Dass ich unsägliches Leid im Namen des Terrors über viele Menschen gebracht habe, die keines Vergehens schuldig waren, die der politischen Willkür eines grausamen und menschenverachtenden Systems zum Opfer gefallen sind?

Wenn sie aus Not und Angst gehandelt haben, so hätten sie sich stellen und ein gerechtes Verfahren erwarten können. Gerecht nicht in dem Sinne, dass ihr Strafmaß gemildert wird, sondern dass sie das erhalten "was sie auch verdient haben". Und das liegt im Ermessen des Richters, nicht zuletzt der Schöffen oder des Volksgerichtshofes. Gerade seit es in Deutschland keine Todesstrafe mehr gibt, wäre das Schlimmste, was die Altnazis hätte erwarten können eine lebenslange Gefängnishaft, was im Grunde 15 Jahren entspricht. Ich weiß nicht, ob es noch zulässig ist, dass man einen Menschen zu zwei-, drei- oder viermal lebenslänglich verurteilt, aber im Zweifel wäre dies auch noch möglich.
Da sie aber keine Einsicht und Reue zeigen und feig ihr bisheriges Leben weiterleben, ist davon auszugehen, dass diese Verbrecher ihre Schandtaten nicht oder nur in geringstem Maße bereuen, was auf einen sehr hohen ethischen und moralischen Standard schließen lässt.

Dann die Frage nach Gerechtigkeit: Ist es gerecht, Verbrechern ihrer gerechten Strafe zuzuführen, die in unseren Gesetzbüchern definiert ist, oder einen Mörder frei herumlaufen zu lassen, weil er alt oder älter ist? Ist es gerecht, einen Mörder laufen zu lassen oder ihn zu verurteilen?
 
Ein Aspekt, der in dieser Diskussion bislang noch nicht hinreichend berücksichtigt wurde, ist die Frage, welchen Zweck Strafverfolgung und Strafe überhaupt haben (sollen).

Es ist öfters von "Gerechtigkeit" die Rede, was zwar unterschiedlich interpretiert wird, meist aber im Sinne des Vergeltungsprinzips verstanden wird, das auch schon angesprochene "Auge um Auge". Wenn man das zugrundelegt, darf es eigentlich keine Rolle spielen, wie alt ein mutmaßlicher Verbrecher bereits ist oder wie lange seine mutmaßlichen Taten her sind: Wer ein Verbrechen begangen hat, ist dafür zu betrafen, Punkt. Dieses Prinzip von Vergeltung und Sühne gilt heutzutage aber (rechts-)politisch offiziell als gestrig und verpönt, wenngleich es in der öffentlichen/politischen Diskussion über Strafrecht und Strafvollzug nach wie vor häufig genug durchscheint.
Heutzutage werden Strafverfolgung und Bestrafung eher mit spezial- und/oder generalpräventiven Gründen gerechtfertigt. Spezialprävention bedeutet, dass der Täter gebessert oder zumindest von weiteren Straftaten abgehalten werden soll. Wenn man das zugrundelegt, erscheint die Bestrafung steinalter NS-Verbrecher relativ überflüssig, da sie wohl kaum noch in die Lage kommen werden, ihre Verbrechen von vor 70 Jahren erneut begehen zu können. Generalprävention bedeutet, dass durch die Bestrafung eines Verbrechers die Allgemeinheit von der Begehung gleichartiger Straftaten abgehalten werden soll. Auch unter diesem Aspekt erscheint eine Bestrafung eher überflüssig, da gegenwärtig glücklicherweise nicht damit zu rechnen ist, dass es in Mitteleuropa zu Verbrechen wie im Dritten Reich kommt. (Allenfalls könnte man argumentieren, dass auch künftige Generationen davon abgeschreckt werden sollen, wieder ein NS-ähnliches System zu errichten.)
Daneben wäre als weiterer möglicher Zweck auch noch der Schutz der Bevölkerung vor den Straftätern zu nennen, was bei ca. 90-jährigen mutmaßlichen Verbrechern auch nicht geboten erscheint.

Alles in allem erscheint eine späte Bestrafung von NS-Verbrechern also nur sinnvoll und geboten, wenn man (wie übrigens ich) noch der Ansicht ist, dass Verbrechen nicht ungesühnt bleiben sollen.

Ehe man also darüber befindet, ob Nazi-Verbrecher heute noch verurteilt werden sollten, sollte man sich darüber klar werden, welchen Zweck Strafverfolgung und Strafe generell haben sollen. Denn eines sollte man nicht machen: An mutmaßliche NS-Verbrecher andere Maßstäbe anlegen. Auch wenn ihre Verbrechen oft wesentlich schrecklicher waren als die "normaler" Mörder, sind in einem Rechtsstaat alle Kriminellen nach denselben Maßstäben zu behandeln, ohne indirekt eine Art strengeres Sonderstrafrecht für als besonders abscheulich erachtete Verbrechen zu schaffen. (Deshalb sollte man, wenn man z. B. die Todesstrafe generell ablehnt, sie auch für NS-Verbrecher ablehnen, was nicht bei allen, die sich mit der Bestrafung von NS-Verbrechern befassen, der Fall zu sein scheint.)
 
Ein Aspekt, der in dieser Diskussion bislang noch nicht hinreichend berücksichtigt wurde, ist die Frage, welchen Zweck Strafverfolgung und Strafe überhaupt haben (sollen).

Die Strafe ist eine Sanktion der Gesellschaft für rechtswidriges Handeln. Die Maßregel der Besserung oder Sicherung greift bei vielen Taten der NS-Verbrechen nicht. Vielmehr ist der Aspekt der Abschreckung potentieller bzw. zukünftiger Täter bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie der Aspekt der Wiederherstellung der Gerechtigkeit - also die Sühne - das zentrale Anliegen.

Kommt es nicht zu einer Bestrafung bekannter NS-Täter, gleicht das einer Verhöhnung der Opfer, wobei ohnehin heutzutage nur noch milde Strafen über NS-Verbrecher verhängt werden. Hier schützt dann leider Alter vor Strafe. Nazi-Kriegsverbrecher: Wenn Alter vor Strafe schützt - SPIEGEL ONLINE

Hier gibt es noch einen interessanten Artikel von Prof. Wolfram/Uni Heidelberg-Institut für Zeitgeschichte, der sich mit der Kontroverse "bestrafen oder amnestieren" befasst. http://www.uni-heidelberg.de/presse/ruca/ruca05-1/zeitgeschichte.html

Die so gennante "Gehilfen-Rechtsprechung" wird darin als Skandalon betrachtet:

Die Rechtsprechung hatte seit den 60er Jahren ein Schuldmodell zementiert – die "Gehilfen-Juridikatur" – das eine adäquate Ahndung nahezu unmöglich machte. Bei den KZ-Prozessen sind die Angeklagten von den Gerichten vornehmlich unter Beihilfe zum Mord eingeordnet worden. Die Begründung lief so: Tötungen in Gaskammern waren Mord; die Täter waren: Hitler, Göring, Himmler, Heydrich. Die Angeklagten hätten dazu Beihilfe geleistet. Ob die Tat als Beihilfe oder Mittäterschaft zu werten war, war nur anhand subjektiver Kriterien zu entscheiden: Das bedeutet, dass Täter derjenige war, der seinen Tatbeitrag mit dem Täterwillen (animus auctoris), Gehilfe derjenige war, der seinen Tatbeitrag mit Gehilfenwillen (animus socii) leistete. Um diese Frage zu entscheiden, beschäftigen sich die Gerichte mit der Tatherrschaft, der inneren Einstellung zum Tatgeschehen, dem eigenen Interesse, dem Umfang der eigenen Tatbestandsverwirklichung. Diese Gehilfen-Juridikatur erkennt die Forschung heute als Skandalon. Demgegenüber wurde die Öffentlichkeit immer sensibler, und so tat sich eine Schere auf zwischen Rechtsprechung und Rechtsempfinden, die bis in unsere Tage hinein fortbesteht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kommt es nicht zu einer Bestrafung bekannter NS-Täter, gleicht das einer Verhöhnung der Opfer,
Diese Ansicht ist zwar menschlich verständlich, und ich persönlich teile diese Sichtweise, aber in der modernen Strafrechtswissenschaft wird normalerweise betont, dass die Befindlichkeiten der Opfer von Verbrechen oder ihrer Angehörigen keine Rolle spielen dürfen.
 
NS-Verbrecher

Hallo

Auch ich bin wie Dieter und andere hier, der Ansicht, daß NS-Verbrecher für ihre Daten sühnen müssen, egal wie alt sie sind.

Aber bei den Strafen (hier wurde ja das Beispiel einer 80-jährigen gebracht, die ins Gefängnis mußte), sollte man auch das dt. Strafrecht im Auge behalten, das für Eigentumsdeklikte höhere Strafen vorsieht, als "gleichwertige" Körperverletzungen, etc. Vor diem Hintergrund sind ev. auch viele Freisprüche bei NS-Verbrechern zu sehen, auch wenn ich dies absolut nicht verstehen kann, wie man solche Verbrecher, auch wenn sie 80 sind, nicht büßen läßt.

mfg
schwedenmann
 
Was in die Fragestellung vielleicht auch noch hineinspielt, will ich mal mit den Worten von F.-J. Degenhardt wiedergeben:

Otto Reutter! Ein Rapper sozusagen von einst.
In 50 Jahren ist alles vorbei. . .
So hat er gesungen sein Couplet.
Der erste Weltkrieg war gerade passé.
Zu Haus' hab ich's später dann öfter gehört
von Tante Threse aus dem Klosett,
wenn sie mal wieder verlacht und verletzt,
gedemütigt war, geschunden, gehetzt.
Und vor der geschlossenen Lokus-Tür,
da hab ich gehockt, und ich habe ihr
auf meinem vergammelten Tambourin
laut zugetrommelt und mit ihr geschrie'n:
"Nur einmal im Jahr blühet der Mai, und
in 50 Jahren ist alles vorbei."
Man hat den Refrain damals viel gehört.
Ein billiger Trost und oft nur ein Witz.
Doch manchmal war er auch mehr als dies.
Doch dann, irgendwann, war er plötzlich vestummt,
oder er wurde nur noch ganz leise gesummt,
die Nazis, die wollten ihn nicht mehr hör'n,
die wollten ja tausend Jahre regier'n.
Die haben Tante Therese umgebracht,
sie holten sie in einer Maiennacht.
Und sie rief mir noch zu: "Los, Fränzken, schrei.
In 50 Jahren ist alles vorbei."
Und als dann der Zweite Weltkrieg begann,
da sang ihn ganz forsch ein junger Mann:
Paul Eckhoff - doch schon nach dem Polenfeldzug,
da hatte der von allem genug;
sang bloß noch das Lied, quatschte nur noch Stuss.
Wir haben ihn dann versteckt bis zum Schluss.
Der Schluß war ein Tag, eine Nacht im Mai.
Wir haben getanzt, die Befreier dabei:
Vier Amis, und einer hieß Samy Brown,
der sang mit Paul Eckhoff im Morgengraun:
"Na, wonderful, jetzt seid ihr endlich mal frei.
Pass auf, sonst ist's bald wieder vorbei."
Das war jetzt im Mai 50 Jahre her,
und ziemlich viel Leute aller Couleur,
die grölen den neuen Refrain - diesen Stuss:
"Nach 50 Jahren ist endlich mal Schluss."

Den alten Refrain, den möchte man summ',
doch die Kotze im Hals, die macht einen stumm,
weil alles auch bleibt wie es immer schon war,
Kostüme nur wechseln und dieses Mal
die Kälber, bevor sie ins Schlachthaus renn',
auf Mauern tanzen, vor Rührung flenn',
Und ich hör' Tante Therese: "Los, Fränzken schrei,
in 50 Jahren ist alles vorbei."
 
Aber bei den Strafen (hier wurde ja das Beispiel einer 80-jährigen gebracht, die ins Gefängnis mußte), sollte man auch das dt. Strafrecht im Auge behalten, das für Eigentumsdeklikte höhere Strafen vorsieht, als "gleichwertige" Körperverletzungen, etc. Vor diem Hintergrund sind ev. auch viele Freisprüche bei NS-Verbrechern zu sehen
Dazu zweierlei:
Erstens ist die Entscheidung über Schuld oder Nichtschuld etwas anderes als die Bemessung der Strafhöhe; der im Gesetz vorgesehene Strafrahmen hat nichts damit zu tun, ob jemand grundsätzlich schuldig gesprochen wird. Erst muss der Angeklagte schuldig gesprochen werden, erst dann ist nach den Vorgaben des Strafrahmens und diverser Erschwerungs- und Milderungsgründe das Strafmaß zu bestimmen.
Zweitens: Die Diskussion über ein Missverhältnis bei den Strafrahmen für Vermögensdelikte im Vergleich mit Delikten gegen Leib und Leben ist verbreitet. Aber der durchschnittliche NS-Verbrecher soll nicht vor Gericht gestellt werden, weil er einmal einem Häftling eine Uhr gestohlen hat oder ihm einen Schlag versetzt hat (beides ist ohnehin längst verjährt), sondern wegen Tötungsdelikten. Da gibt es dann sehr wohl einen Unterschied bei den Strafdrohungen auch im Vergleich zu schweren Vermögensdelikten.
 
Generell bin ich ebenso der Meinung wie die meisten hier, ein Verbrechen sollte nicht ungesühnt bleiben.

Dennoch würde ich zu folgendes gerne einige Meinungen hören:

Laut GG, Artikel 103, Absatz 2, heisst es dort: "Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde."


Inwiefern wurde dies geregelt mit den begangenen Verbrechen während des Dritten Reiches, die sich auf deren Gesetzmässigkeiten stützten ?
 
NS-Verbrechen

Hallo

Was passiert, wenn die Angeklagten Herren bis zu einem Urteil verstorben sind? Wie steht der finanzielle Aufwand dann zum Ergebnis.

Das darf bei einem Gerichtsverfahren keine Rolle spielen.

Wenn man das Ebde kennt, würden wahrscheinlich 50% alle Gerichtsfälle erst gar nicht verhandelt werden.


Und so eine Ungleichmäßigkeit gibt es in unserer Rechtsprechung sicherlich zu hunderten Fällen, die ebenfalls unnötig die Gerichte "verstopfen".

Richtig, nur weiß man ebenso wie in der Werbung " 50% der Werbung sind rausgeschmisses Geld, man weiß nur nicht, welche 50% " und trotzdem wird geworben.

J
a, ich kenne die Gegenargumentation schon jetzt, das Alter bei so etwas spielt keine Rolle und Mord verjährt nicht. Immer schon Stur nach Schema F.

Bei unserer Vergangenheit (Exkanzler Schmidt ??) hat das sehr richtig formuliert, sinngemäß " jeder Deutsche hat sein Päckchen zu tragen", davon kommen wir nie los, das ist aber auch eine Verpflichtung, gerade bei NS-Verbrechern rigoros, zu ermitteln, ansonsten würden wir uns außenpolitisch wieder in die braune Ecke drängen lassen (wie tun ja nichts).


mfg
schwedenman

P.S.
Ich habe dich gar nicht angegriffen, also fühl dich bitte nicht auf den Schlips getreten, als "Deutscher" muß ich für NS-Verbrecherprozesse sein und gegen den braunen Sumpf im Land, auch gegen Ausländerhetze an der Kasse bei Aldi, das ist jetz nicht pathetisch gemeint, sondern absolut ernst, ergibt sich aus dem "Päckchen".
 
Es ist immer die Frage, ob man Dinge, die soweit zurückliegen zweifelsfrei aufklären bzw. die Täter identifizieren kann, denn wie ich weiter oben schrieb, sind auch die Opfer in den 90ern.

Klar wurde das beim Fall Demjanjuk, nachzulesen in der TAZ. Da stand, daß der über 90jährige Zeuge, der ihn identifizieren sollte, nicht mehr sagen konnte, ob es Demjanjuk sei. Auch die Amerikaner hatten ihre Zweifel. So verständlich der Wunsch nach Vergeltung auch ist, ich fürchte, da hat die Zeit ein Wörtchen mitzureden.

NS-Kriegsverbrecher John Demjanjuk ist tot - SPIEGEL ONLINE
 
Grundsätzlich gebe ich Dir schon recht. Natürlich sind nach so langer Zeit die Ermittlungen schwierig und Beweise oft nur noch schwer zu erbringen. (Das ist auch einer der Gründe, wieso minderschwere Delikte nach einiger Zeit verjähren.) Und natürlich muss man trotzdem sorgfältig arbeiten und darf nicht der Wunsch, jemanden zu bestrafen, eine saubere Prozessführung ersetzen, was angesichts des großen öffentlichen (Erfolgs-)Drucks, der auf Ermittlern und Gerichten lastet, nicht einfach ist.

Aber das bedeutet nicht, dass man nicht trotzdem noch versuchen kann und sollte, mutmaßliche Verbrecher vor Gericht zu bringen, sofern zumindest hinreichende Verdachtsmomente vorliegen. Ein allfälliger Freispruch im Zweifel würde zwar in der Öffentlichkeit, vor allem auch im Ausland, auf Unverständnis und Empörung stoßen, aber gleich vorab zu kneifen, um allen allfälligen Problemen zu entgehen, ist die schlechteste Lösung, dann kann die Justiz gleich einpacken.
 
Nun, Mord ist ja den allermeisten Helfern schwer nachzuweisen. Den allermeisten Angehörigen der Opfer allerdings würde eine Schuldfeststellung sehr helfen. Und auch eingen der unter Generalverdacht stehenden, denn auch ein Freispruch, also die gerichtliche Feststellung, das man eben nicht Täter war, ist für die Angehörigen der Beteiligten sehr hilfreich.
Es gibt ja auch Leute, die verhindern wollten, aber nicht konnten. Dies ist jetzt bei Unterstützern der RAF wohl eher selten, bei Angehörigen der NVA oder z.B. der Reichsbahn während der NS Zeit /Besatzungszeit wahrscheinlicher.

Sieht man sich die Geschichte Deutschlands seit 1918 an, gibts da ja noch mehr nicht aufgearbeitete justiziable Fälle als nur die Fälle der NS Zeit.
 
Inwiefern wurde dies geregelt mit den begangenen Verbrechen während des Dritten Reiches, die sich auf deren Gesetzmässigkeiten stützten ?

Ein zentraler Punkt, auf den sich z.B. Adolf Eichmann berief.

Die Alliierten propagierten folgende juristische Grundlage: Recht kann nur dann Gültigkeit besitzen, wenn es nicht gegen übergesetzliche Werte und Normen wie z.B. die Menschenrechte verstößt. Danach durften die Befehlshaber der vier deutschen Besatzungszonen Strafprozesse wegen kriegerischer Aggression, Verletzung des Kriegsrechtes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Mitgliedschaft in entsprechenden Organisationen in eigener Regie durchführen
 
Zuletzt bearbeitet:
Generell bin ich ebenso der Meinung wie die meisten hier, ein Verbrechen sollte nicht ungesühnt bleiben.

Dennoch würde ich zu folgendes gerne einige Meinungen hören:

Laut GG, Artikel 103, Absatz 2, heisst es dort: "Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde."


Inwiefern wurde dies geregelt mit den begangenen Verbrechen während des Dritten Reiches, die sich auf deren Gesetzmässigkeiten stützten ?

Dazu vielleicht ein kleines Gedankenexperiment um es etwas interessanter zu gestalten.
Mal angenommen als Beispiel Timuer Lenk, einer der wildesten Raufbolde der Geschichte, auf dessen Kosten n Haufen Menschenleben gehen, würde selstsamerweise nicht altern und auch bis heute unauffällig als einfach Bürger unter anderem Namen irgendwo auf der Welt leben. Nun hätte man durch irgendeinen Grund seine Identität enttarnt.
Wäre dieser Mensch nach den heutigen Maßstäben zu verurteilen für etwas dass er in einer anderen Welt zu einer anderen Zeit getan hat?
 
Generell bin ich ebenso der Meinung wie die meisten hier, ein Verbrechen sollte nicht ungesühnt bleiben. Dennoch würde ich zu folgendes gerne einige Meinungen hören:
Laut GG, Artikel 103, Absatz 2, heisst es dort: "Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde."
Inwiefern wurde dies geregelt mit den begangenen Verbrechen während des Dritten Reiches, die sich auf deren Gesetzmässigkeiten stützten ?

Auch § 1 StGB aktuelle Fassung bestimmt, dass es keine Strafe ohne Gesetz geben darf. Es ist die gesetzliche Formulierung der Prinzipien: nullum crimen sine lege sowie nulla poena sine lege.

Unser Strafgesetzbuch stammt vom 15. Mai 1871. Schon damals regelte § 211 StGB die Strafbarkeit des Mordes. Er lautete in dieser ersten Fassung:

"Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird, wenn er die Tödtung mit Ueberlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft."

Die heutige Fassung des § 211 StGB stammt im Tatbestand aus der NS-Zeit (Gesetz zur Änderung des StGB vom 4.9.1941). Lediglich die Strafe wurde zwischenzeitlich von Todesstrafe in lebenslange Freiheitsstrafe geändert.

Zum Vergleich zur ursprünglichen die heutige Fassung:

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

Soweit zur Strafbarkeit des Mordes an sich, die auch in der NS-Zeit gegeben war. Einzugehen wäre noch auf den Befehlsnotstand, auf den sich NS-Verbrecher beriefen.
 
NS-Verbrechen

Hallo

Laut GG, Artikel 103, Absatz 2, heisst es dort: "Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde."

Das zieht hier nicht, da es um Mord geht, der wurde auch schon von 1933 bestraft.


GG 103 bezieht sich auf erlassene Gesetze, die dann rückwirkend gelten sollen, was nat. ein Unding ist.

mfg
schwedenmann
 
Ich möchte wiederholen, was ich oben dazu gesagt habe:

Die Alliierten propagierten folgende juristische Grundlage:

Recht kann nur dann Gültigkeit besitzen, wenn es nicht gegen übergesetzliche Werte und Normen wie z.B. die Menschenrechte verstößt. Danach durften die Befehlshaber der vier deutschen Besatzungszonen Strafprozesse wegen kriegerischer Aggression, Verletzung des Kriegsrechtes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Mitgliedschaft in entsprechenden Organisationen in eigener Regie durchführen
 
Sehr viele Naziverbrecher blieben in Nachkriegsdeutschland ungestraft, unentdeckt oder sogar in hohen staatlichen Positionen. Zum großen Teil waren Altnazis überall im Staatsdienst tätig, und die Bestrafung von vermeintlich "kleinen Tieren" (damit meine ich in der damaligen Sicht vieler Deutscher, seltener auch Allierter, durchaus auch beteiligte Täter der sogenannten Endlösung) war größtenteils nicht gewollt oder sehr harmlos.

Insofern ist eine späte Bestrafung besser, als Nichts zu tun. Und Alter schützt auch vor Strafe nicht.

Ps: Wie hieß nochmal der Nazi der sich lange in Damaskus versteckt hielt, und teilweise von der Bundesrepublik geschützt wurde, obwohl sein Aufenthaltsort bekannt war. Ich glaube sein Tod ist bis heute nicht bestätigt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es haben sich bei diesem Thema viele Länder, nicht nur die BRD, nicht mit Ruhm bekleckert.

- Rattenlinie über den Vatikan
- Klaus Barbie, der "Schlächter von Lyon" und seine Bedeutung für die CIA

sind nur zwei Beispiele dafür.

Um auf die Frage zu antworten: Ja, grundsätzlich sollten NS-Verbrecher auch heute noch bestraft werden. Dass sie wegen Alters dann haftunfähig werden ist durchaus ein aus praktischen Gedankengängen heraus nachvollziehbares Gegenargument, aber ich glaube, bei diesem Thema kann man nicht allein mit der "Praxis / Praktikabilität" argumentieren.
 
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