Bedeutung des Satzes "Immer der Beste sein"

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Frage von Jule :

Ích möchte gern die Herkunft, den Gebrauch und die bedeutung für die Griechen des Satzes "Immer der Beste sein" wissen.

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Antwort von Roland :

beziehst du dich auf das sogenannte agonistische denken?
"agon" ist ziemlich schwer zu übersetzen, bedeutet aber soetwas wie "wettkampf," "wettstreit" oder "wetteifern"...

das besagt eigentlich nix anderes, als daß die griechen in vielen lebensbereichen eine wettkampf-haltung an den tag legten: jeder wollte besser sein als der andere
das hatte auch auswirklungen auf die politik: alexander der große betrachtete den krieg gegen die perser auch als eine art persönlichen zweikampf mit dem persischen könig. oder wenn er versuchte, mit seinen taten die der griechischen helden herakles und achilles zu übertreffen.
 
Der Spruch stammt aus der Ilias. Dort heißt es über die Erziehung von Achilles und seinem Vetter Patroklos:

"Achilles..und Patroklos..., jener dazu erzogen(?) immer der beste zu sein und die anderen zu übertreffen, dieser erstgenanntem stets treu und ergeben zu sein..."

So in etwa. Nicht zuletzt daher stammt die Wettkampf-Haltung der Griechen.
 
Frage, immer der Beste oder der Erste?

Wenn der Erste, dann aus der Ilias.

Sechster Gesang:

„Aber Hippolochos wurde mein Vater, ich stamme von ihm ab. Er hat mich nach Troja geschickt und mir dringend empfohlen, immer der erste zu sein, die anderen zu übertreffen und nicht in Schande zu stürzen die Ahnen, die in Ephyra und im weiten Lykien sich als Beste bewähren."

Glaukos (König der Lykier) Sohn des Hippolochos .
Glaukos fiel in Troja durch Aias. Man stritt sich um den Leichnam von Achilleus
 
Die Übersetzung der von Dir zitierten Stelle (Ilias 6, 206 ff.) ist allerdings ungenau: Für "immer der erste zu sein" steht im Original αἰὲν ἀριστεύειν. αἰὲν bedeutet "immer". Das Verb ἀριστεύειν leitet sich von ἄριστος (der "Beste", Superlativ von ἀγαϑός = gut) ab und sollte somit doch eher mit "der Beste zu sein" übersetzt werden.
 
Frage, immer der Beste oder der Erste?

Wenn der Erste, dann aus der Ilias.

Sechster Gesang:

„Aber Hippolochos wurde mein Vater, ich stamme von ihm ab. Er hat mich nach Troja geschickt und mir dringend empfohlen, immer der erste zu sein, die anderen zu übertreffen und nicht in Schande zu stürzen die Ahnen, die in Ephyra und im weiten Lykien sich als Beste bewähren."

Glaukos (König der Lykier) Sohn des Hippolochos .
Glaukos fiel in Troja durch Aias. Man stritt sich um den Leichnam von Achilleus


Ist das nicht die Stelle, in der Diomedes und Glaukos sich im Kampf begegnen, die Feindseligkeiten aber ruhen lassen, weil die Großväter Gastfreunde waren. Die beiden tauschen als Zeichen der Waffenruhe die Rüstungen, wobei allerdings Zeus dem Lykier den Verstand verwirrt. Glaukos tauscht seine goldene Rüstung (100 Stiere wert) gegen die bronzene (6 Stiere) des Diomedes tauscht.


Das Zitat ist aber auch hervorragend geeignet, das Dilemma des Achilleus auf den Punkt zu bringen.
Der Superheld mit den Allüren einer Primadonna ist bei weitem der Beste, und als der Beste möchte er auch behandelt werden. Es geht im Grunde um die Probleme eines Adeligen in einer sich verändernden Welt. Der Beste ist eben kein Großfürst wie Nestor von Pylos, Diomedes von Argos oder "der Herrscher der Männer", der "zeusgleiche Herrscher" Agamemnon. Mit nur 50 Schiffen segelten Achilleus und seine Myrmidonen nach Troja, nur Odysseus mit 12 Schiffen hat ein kleineres Kontingent mitgebracht. Agamemnon der seinen Landsern Kalamitäten in Form einer Epidemie einbrockt und als Sühne, Chriseis, die Tochter des Apollonpriesters, freilassen muss, holt sich dafür als Kompensation Briseis, die Achilleus als Betthäschen erbeutete, und der muss sich diesen Affront von Agamemnon gefallen lassen.

Das führt zum Hauptmotiv des homerischen Epos, dem Zorn des Achilleus.
 
Ich würde sagen, daß es in jeder menschlichen Gesellschaft, die über einen bestimmten Grad sozialer Differenzierung hinausgekommen ist, aufgrund der Interaktion von Menschen zu Konkurrenz kommt, und jede Konkurrenz stellt natürlich die Aufgabe, den Mitstreiter zu übertreffen. Insofern haben wir es erst einmal mit einem allgemeinen Phänomen zu tun. In welcher Weise die Konkurrenz dann ausgetragen wird, wie sie gesellschaftlich kanalisiert wird und welche Ausdrucksformen sie annimmt, ist dann jeweils kulturell bedingt.

Die antiken griechischen Gesellschaften des 1 Jts. v. Chr. haben diesen Wettstreit unter dem Begriff "Agon" ganz besonders kultiviert und ausgebaut. Dies führt auf der einen Seite zu recht skurrilen Momenten in der Kriegsführung zum Beispiel, wenn die Clausewitzschen Kriegsdefinitionen ausgehebelt werden in solchen Momenten, da in der Illias zwei berühmte Helden aufeinandertreffen und sich die anderen Kämpfer ringsum als Zuschauer hinstellen, weil die Ehre, die in einem solchen Kampf zu gewinnen ist, höher wiegt als etwaige taktische Vorteile, die auszunutzen wären.
Wieviel wichtiger die Ehre sein kann, sieht man auch, wenn die Griechen vor der Schlacht von Plataiai darum zanken, wer auf der rechten Seite kämpfen darf, weil die die ehrenvollere ist; auf der anderen Seite führt dies ja auch dazu, daß die Griechen den Sport pflegen wie kaum ein anderes Volk vor der Neuzeit.

Ich denke, ein wesentlicher Grund dafür liegt in der geographischen Situation Griechenlands. Die durch die vielen Inseln und die Berge auf dem Festland bedingte Zersplitterung der Poleis, die es niemanden erlaubt, einen Flächenstaat mit zentralisierten Strukturen zu erschaffen, erzeugt die ständige Reibung zwischen den Städten, und da in den vielen kleinen Orten sich auch nie ein übermäßig starker König etablieren konnte, erschuf das innerhalb der Städte auch eine miteinander konkurrierende Aristokratie. Dadurch kam der Agon zu einer Wertigkeit, wie sie in Ägypten oder Persien niemals möglich gewesen wäre.

Man könnte jetzt fragen, ob dieses Prinzip Analogien in der republikanischen Senatsaristokratie in Rom findet und ob das Ende dieses Wettstreits innerhalb des Cursus Honorem mit dem Kaiserreich eben durch die dann veränderte, auf einen zentralen Punkt ausgerichtete Staatstruktur bedingt ist?
 
Den Aspekt des Besten zeigt ja auch, dass bei den Olympischen Spielen der Antike immer nur der Sieger etwas galt. Olympionike kommt von Sieg. Der zweite galt als erster Verlierer, Dabeisein war eben nicht alles.

Im Trojanischen Sagenkreis gibt es dagegen unterschiedliche Dimensionen des ἄριστος. Beim Streit um die Waffen des Achill siegt Odysseus mit der ihm eigenen Schläue über den viel stärkeren Aias.
Daher denke ich nicht, dass der ἄριστος immer der militärisch stärkste sein muss. Denn davon kann es nur einen geben. Die Ilias wimmelt aber von lobenden Eigenschaften wie hochberühmt, herrlich, ausgezeichnet usw. So als wäre jeder der beste, und sei es auch nur in seinem Gebiet (Nestor im Ratschluss, Odysseus in der List, Agamemnon in Amtsautorität etc.). Das geschieht, um Konflikte unter den "Besten" austragen zu können. Wäre das nicht so, würden alle nur von einem Superhelden reden. Diese Rolle hat Achill zwar, wenn er kämpft. Aber meistens kämpft er (in der Ilias) nicht, so dass die anderen auch mal zum Zug kommen. Ansonsten hätte Aias gar keine Bedeutung. Dabei hält er sogar Hektor stand.

@hijwen: Analogien bez. des Wettstreits zwischen "Besten" gibt es wahrscheinlich in den meisten Kulturen der Welt. Ob das ein allgemein menschliches Phänomen ist oder ob ein Kausalzusammenhang der griechischen und römischen Aristokratie besteht, vermag ich nicht zu sagen. Das römische Kaiserreich ist wohl als Folge einer Aristokratie zu sehen, die in jahrzehntelangen Kämpfen so dezimiert wurde, dass sie nicht mehr in der Lage war, die besten (Triumvirate) bzw. den Besten (Caesar, später Augustus) zu zügeln. Der Dichter macht es spannender: Achills Fehlen wäre kein Problem gewesen, wenn er sich nicht bei Mami ausgeheult hätte. Eben dadurch, dass er fehlte, kam Spannung in die Sache, die im Epos wichtig ist.
 
Mit nur 50 Schiffen segelten Achilleus und seine Myrmidonen nach Troja, nur Odysseus mit 12 Schiffen hat ein kleineres Kontingent mitgebracht.
Vielleicht habe ich Deinen Satz missverstanden, aber mit 50 Schiffen lag Achilleus doch im oberen Bereich. Er hatte zwar nur halb so viele Schiffe wie Agamemnon und auch weniger als Diomedes (80), aber ebenso viele wie Nestor. 20 Teilnehmer hatten weniger als 50 Schiffe, nur 5 mehr, 3 ebenso viele. Das kleinste Kontingent hatte Nireus von Syma mit nur 3 Schiffen.

Ich denke, ein wesentlicher Grund dafür liegt in der geographischen Situation Griechenlands. Die durch die vielen Inseln und die Berge auf dem Festland bedingte Zersplitterung der Poleis, die es niemanden erlaubt, einen Flächenstaat mit zentralisierten Strukturen zu erschaffen
Das ist zwar oft zu lesen, aber ist dem wirklich so? Dann hätte auch das Inkareich nie entstehen dürfen, und auch das bergige und inselige Japan (das seit dem Tokugawa-Shogunat recht zentralistisch regiert wurde/wird) hätte nie geeint werden dürfen. Umgekehrt aber ist Mesopotamien eben und war im Altertum bis zu Sargon von Akkad trotzdem jahrtausendelang in Stadtstaaten zersplittert.
Eine Tendenz zur Zersplitterung wird durch eine schwierige Topographie geben sein, aber für ein echtes Hindernis einer Einigung halte ich sie nicht.

Man könnte jetzt fragen, ob dieses Prinzip Analogien in der republikanischen Senatsaristokratie in Rom findet und ob das Ende dieses Wettstreits innerhalb des Cursus Honorem mit dem Kaiserreich eben durch die dann veränderte, auf einen zentralen Punkt ausgerichtete Staatstruktur bedingt ist?
Hat der Wettstreit denn geendet? Trotz der weitgehenden Entmachtung der republikanischen Ämter in der Kaiserzeit und trotz ihres finanziell (wegen der abzuhaltenden Spiele) mitunter ruinösen Charakters waren sie, insbesondere das Konsulat, weiterhin heiß begehrt. Man denke nur an all die Grabsteine, in deren Inschriften penibel und detailliert sämtliche Ämter und Posten des Verstorbenen aufgelistet sind. Man könnte natürlich meinen, dass es nicht mehr viel Ehre brachte, irgendwelche Ämter innezuhaben, die man durch die Gunst des Kaisers erlangte, aber die Römer scheinen das anders gesehen zu haben, denen war trotzdem weiter wichtig, ein "consularis" zu sein.
 
Der Dichter macht es spannender: Achills Fehlen wäre kein Problem gewesen, wenn er sich nicht bei Mami ausgeheult hätte. Eben dadurch, dass er fehlte, kam Spannung in die Sache, die im Epos wichtig ist.
"Spannung" ist wohl nicht ganz das richtige Wort, da den meisten Hörern/Lesern der Stoff ohnehin bereits bekannt gewesen sein dürfte. Aber der Zorn des Achilleus ist natürlich der Aufhänger der Handlung und ihr zentrales Motiv und liefert/ermöglicht viel Material für eine epische Ausgestaltung des Stoffes.
Oder hast Du den Begriff in diesem Sinne gemeint?
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Dichter macht es spannender: Achills Fehlen wäre kein Problem gewesen, wenn er sich nicht bei Mami ausgeheult hätte. Eben dadurch, dass er fehlte, kam Spannung in die Sache, die im Epos wichtig ist.

Den Satz verstehe ich sowieso nicht ganz. Natürlich war Achills Fehlen das Problem, und das "Ausweinen" bei seiner Mutter war ja eine Folge davon.

Das ist zwar oft zu lesen, aber ist dem wirklich so? Dann hätte auch das Inkareich nie entstehen dürfen, und auch das bergige und inselige Japan (das seit dem Tokugawa-Shogunat recht zentralistisch regiert wurde/wird) hätte nie geeint werden dürfen. Umgekehrt aber ist Mesopotamien eben und war im Altertum bis zu Sargon von Akkad trotzdem jahrtausendelang in Stadtstaaten zersplittert.
Eine Tendenz zur Zersplitterung wird durch eine schwierige Topographie geben sein, aber für ein echtes Hindernis einer Einigung halte ich sie nicht.

Ich teile Deine Vorbehalte dahingehend, daß nicht alles, was immer wieder abgeschrieben wird, auch deshalb stimmt, doch trotzdem kann man das Argument nicht einfach beiseitelassen. Natürlich wird man niemals eine Großreichsentstehung monokausal erklären können, daß aber geographische Aspekte Faktoren sind, bestreiten wir ja beide nicht.

Wenn wir uns jetzt für Mesopotamien nicht an dem Begriff "jahrtausendelang" festhalten, ist es ja klar, daß eine Gesellschaft erst einmal ein bestimmtes Niveau überschreiten muß, bevor sie ausgreift. Sobald aber dieser Punkt überschritten ist, geht es los, und es ist ja bezeichnend für Mesopotamien, daß dann der Versuch der Großreichbildung immer wieder auftritt. Genauso regelhaft ist das ZUsammenbrechen dieser Reiche, man kann ja aber auch für Ägypten immer wieder beobachten, wie die Macht des Pharao in den Zwischenzeiten durch die Macht der Gaufürsten gebrochen wird.
Was die Inka zur Reichsbildung getrieben hat, weiß ich nicht, in Japan allerdings wird ja die Macht des Kaisers auch immer wieder mal durch die Aristokratie untergraben.

Aber sei es, wie es sei, es geht ja nicht darum, ob eine Reichsbildung in schwierigem Terrain möglich ist oder nicht, wenn entsprechende Faktoren da sind, die diesen Nachteil überwiegen, dann offensichtlich ja. In Griechenland gab es das nicht, und der Gedanke des Agons wird durch die Zersplitterung mit gefördert, da gehe ich soweit mit dem Forschungsstand mit.


Hat der Wettstreit denn geendet? Trotz der weitgehenden Entmachtung der republikanischen Ämter in der Kaiserzeit und trotz ihres finanziell (wegen der abzuhaltenden Spiele) mitunter ruinösen Charakters waren sie, insbesondere das Konsulat, weiterhin heiß begehrt. Man denke nur an all die Grabsteine, in deren Inschriften penibel und detailliert sämtliche Ämter und Posten des Verstorbenen aufgelistet sind. Man könnte natürlich meinen, dass es nicht mehr viel Ehre brachte, irgendwelche Ämter innezuhaben, die man durch die Gunst des Kaisers erlangte, aber die Römer scheinen das anders gesehen zu haben, denen war trotzdem weiter wichtig, ein "consularis" zu sein.

Natürlich wurde der Cursus nicht abgeschafft, aber ich denke schon, daß er sich qualitativ soweit änderte, daß man nicht mher von einem Wettbewerb reden konnte, wie er in republikanischer Zeit stattfand. Natürlich weißt Du am besten, daß wir kaum von einem system sprechen können, weil ja das 1. Jh. v. Chr. eine fast permanente Ausnahmesituation darstellte und deswegen nicht mit dem 2. Jh. gleichzusetzen ist und daß wir von allem davor ja viel zu wenig wissen.
 
Den Satz verstehe ich sowieso nicht ganz. Natürlich war Achills Fehlen das Problem, und das "Ausweinen" bei seiner Mutter war ja eine Folge davon.

Da war ich wohl im Eifer des Gefechts etwas kurz angebunden. Was ich meinte: Die Griechen waren derart überlegen, dass sie auch ohne Achill gesiegt hätten, wenn die Götter nicht wegen seines Zorns die Trojaner lange Zeit unterstützt hätten. Ein kämpfender Achill hätte die Überlegenheit noch gesteigert, und die Ilias wäre langweilig geworden.
Mehr noch, sie hat ja - wie Ravenik schrieb - gerade den Zorn als Thema - und damit eben die Abwesenheit des Besten.
 
Da war ich wohl im Eifer des Gefechts etwas kurz angebunden. Was ich meinte: Die Griechen waren derart überlegen, dass sie auch ohne Achill gesiegt hätten, wenn die Götter nicht wegen seines Zorns die Trojaner lange Zeit unterstützt hätten. Ein kämpfender Achill hätte die Überlegenheit noch gesteigert, und die Ilias wäre langweilig geworden.
Mehr noch, sie hat ja - wie Ravenik schrieb - gerade den Zorn als Thema - und damit eben die Abwesenheit des Besten.


Naja, abgesehen davon, daß es sich nicht um eine reale militärische Macht handelt, sondern nur um eine den Intentionen der Erzählung folgende, würde ich aus der nüchternen Perspektive eines modernen Lesers folgendes feststellen:

Auch mit Achill haben die Griechen 10 jahre lang vergeblich vor Troja gestanden und waren nicht per se überlegen. Und wenn man die Geschichte logisch annimmt, würde man erwarten, daß in Troja mittlerweile 10 Jahgänge neuer Kämpfer herangewachsen sind; daß die Griechen ihr Heer durch frische Truppen aufgestockt hätten, ist dagegen nicht beschrieben.
Ich würde also nicht sagen, daß Achills Fehlen dadurch bedingt war, daß sonst die Überlegenheit der Griechen die Geschichte langweilig gemacht hätte.
 
Man könnte natürlich einwenden, dass in den ersten neun Kriegsjahren die Trojaner die Feldschlacht gemieden haben, sodass die Griechen ihre allfällige Überlegenheit nicht ausspielen konnten.

Aber eigentlich denke ich, dass der "Zorn des Achill" für Homer nicht Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck war. Schließlich erstreckt sich die Handlung des Epos von den Ursachen des Zorns bis zum Ende von dessen Auswirkungen (Tod und Bestattung Hektors), und auch alles dazwischen hat mit dem Zorn zu tun. Homer wollte nicht den ganzen (den Hörern ohnehin als bekannt vorausgesetzten) Krieg erzählen, sondern griff sich nur diesen Abschnitt heraus und erzählte umfassend alles, was mit dem Zorn zusammenhing.
 
...Auch mit Achill haben die Griechen 10 jahre lang vergeblich vor Troja gestanden und waren nicht per se überlegen. Und wenn man die Geschichte logisch annimmt, würde man erwarten, daß in Troja mittlerweile 10 Jahgänge neuer Kämpfer herangewachsen sind; daß die Griechen ihr Heer durch frische Truppen aufgestockt hätten, ist dagegen nicht beschrieben.
Ich würde also nicht sagen, daß Achills Fehlen dadurch bedingt war, daß sonst die Überlegenheit der Griechen die Geschichte langweilig gemacht hätte.

Einmal ganz Materialistisch eingewandt: Bei einer derart langen Belagerung werden auch alle übrigen Bewohner einer Stadt irgendwie in die Verteidigungsanstrengungen einbezogen, denn es geht ja ums nackte Überleben! Es finden sich genügend Beispiele von der Antike bis in die Moderne, dass in derartigen Belagerungen quasi jeder Einwohner mehr oder weniger zum „Kombattanten“ wird. Bei der erheblichen Radikalisierung der Wiedertäufer in Münster bis zur Eroberung der Stadt im Jahre 1535 wird mehrfach geschildert, dass selbst Alte und Frauen Wache auf den Wällen hielten und Munition nicht nur an die Verteidiger lieferten, sondern auch Steine u.ä. auf die Angreifer warfen… Ähnliches erlebte auch Caesar bei mancher Belagerung in Gallien… Durch Gewöhnung und Übung über einen längeren Zeitraum wird auch ein solcher, „Volkssturm“ zu nennendes Aufgebot [bewusst überspitzt von mir so genannt], militärisch nicht völlig ohne einen gewissen Wert... Vor den Toren in einer „Feldschlacht“ sind derartige Hilfskämpfer aber völlig Nutzlos. Die Griechen Homers mochten vor den Toren überlegen sein, bei einem Angriff auf die Stadt selbst, konnten schlecht bewaffnete „Weiber, Kinder & Greise“ aber durchaus sinnvoll eingreifen.

Aber abgesehen davon geht es hier ja um Literatur, die zum festen Kanon der „Klassischen Antike“ gehörte. Da haben derartige Überlegungen keine Bedeutung, erst recht nicht für die Angehörigen der gehobenen Schichten mit ihrem Standesbewusstsein, die wohl für einen „Volkssturm“ in der Regel kaum Verständnis gehabt haben. Nicht einmal einfache Krieger spielen in dieser Erzählung ja eine nennenswert positive Rolle… Aber das hat Ravenik bereits irgendwo anders im Forum betont. Die Erzählungen des Homer sind weniger „nationale Epen“, als vielmehr eine Reflektion von Standesdenken als Hüter der Erinnerung, Mahnung & Schulung der Nachgeborenen sowie das Selbstverständnis der eigenen politischen Bedeutung im Gemeinwesen. Ein Gemeinwesen, das man nicht mit dem recht modernen Begriff der Nation fassen kann…
 
Allerdings gab es zu Zeiten des Trojanischen Krieges bei Belagerungen noch nicht viel zu verteidigen, da die Belagerungstechniken noch völlig unterentwickelt waren. Bei Sturmangriffen konnte man eigentlich nur versuchen, die Mauern irgendwie zu ersteigen oder die Tore aufzubrechen (allerdings noch ohne Rammböcke, die erfanden wohl erst die Assyrer). Kein Vergleich etwa mit der berühmten und action- und variantenreichen Belagerung von Rhodos durch Demetrios Poliorketes oder von Tyros durch Alexander den Großen ...
In der Ilias und den anderen Sagen um die Belagerung Trojas kommt das eigentlich auch recht gut hervor. Wenn die Trojaner nicht aus der Stadt herauszogen und sich zur Feldschlacht stellten, konnten die Belagerer nicht viel machen. Wir lesen nichts von Belagerungsgeräten oder dem Graben von Tunneln. Es scheint (anders als etwa bei der Belagerung Thebens durch die "Sieben") nicht einmal großangelegte Sturmangriffe auf die Mauern gegeben zu haben. Es gab nicht einmal eine konsequente Einschließung der Stadt, sondern die Belagerer begnügten sich damit, im Umland zu streifen und Feinde, die sie antrafen, abzufangen. Bei derartigen Gelegenheiten tötete Achilleus beispielsweise den Troilos (Die Geschichte von Troilos und Cressida, wie sie vor allem aus dem gleichnamigen Shakespeare-Stück bekannt ist, ist erst mittelalterlichen Ursprungs.) bei einem Tempel und griff Aineias an, der auf dem Ida Rinder hütete. Aineias floh, und Achilleus tötete die Hirten und den Priamossohn Mestor und erbeutete die Rinder. Ansonsten saßen die Griechen im Lager oder vertrieben sich die Zeit damit, die Länder der Verbündeten Trojas heimzusuchen.
Für die Bewohner Trojas gab es also, solange sie in der Stadt blieben, eigentlich in Sachen Verteidigung nicht allzu viel zu tun, außer dass sie wohl zur Anfertigung und Reparatur von Waffen und Rüstungen herangezogen wurden. Die massive aktive Einbindung aller in die Verteidigungsanstrengungen gehört eher in spätere Jahrhunderte, als es darum ging, Sturmangriffe abzuwehren, hinter den Mauern zweite Mauern zu errichten etc.
 
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