Härteausbildung der SS-Totenkopfstandarte

BerndHH

Aktives Mitglied
Moin zusammen,

folgendes Thema (wurde vielleicht schon angesprochen?) beschäftigt mich schon eine ganze Zeit und ich habe bislang noch keine befriedigende Antworten darauf finden können.
Es war mehrfach die Rede, dass SS-Männer, die im KZ ihren Dienst taten, systematisch dazu erzogen bzw. abgerichtet wurden, um in der Lage zu sein, ihre grausamen Taten zu begehen. Es geht um die Frage der stufenweise Entmenschlichung, die für uns aus heutiger Sicht kaum noch nachzuvollziehen ist.

Im Standardwerk von Eugen Kogon (Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. Verlag Karl Alber, München 1946. 44. Auflage: Heyne Verlag, München 2006. ISBN 978-3-453-02978-1, S. 56-57) findet sich folgender Hinweis:
Denn mit der Einrichtung der KL verband die SS verschiedene Nebenziele. An erster Stelle erhielten die SS-Totenkopfverbände in ihnen ihre Härteausbildung.
Zu diesem Zweck wurden alle Haß-, Macht- und Unterdrückungstriebe wachgerufen und durch Praxis wie Anschauung in den KL bis zur Weißglut entfacht. Unerbittliche, keiner menschlichen Regung mehr zugängliche Fachleute der Brutalität, die wie die Derwische hinter der Fahne ihres Propheten hermarschierten, während links und rechts die Opfer ihres Fanatismus zu Tausenden fielen – und das war es, was Himmler brauchte, wenn es galt, nicht nur das deutsche Volk im Zaum zu halten, sondern auch der Vielfalt der Welt mit ihren “minderwertigen” Rassen Herr zu werden.
Das psychologische Totenkopf-Training ließ in der Tat nichts zu wünschen übrig. Zuerst wurden die meist jungen Leute, die für den KL-Wachdienst und als sogenannte KL-Stammannschaften vorhergesehen waren, nach allen Regeln preußischer Kasernenhofkunst gedrillt: bis ihnen das “Wasser im Arsch kochte”, wie der allen Soldaten bekannte Unteroffiziers-Fachausdruck lautete.
“Damit ihr stahlharte deutsche Männer werdet und nicht als Weichlinge vor diesen Untermenschen steht!”, pflegte der Traditionsträger Eicke zu sagen. Hatten sie am eigenen Leibe genügend erfahren, was Kasernenhof bedeuten kann, so wurden sie auf die Schutzhäftlinge losgelassen. An ihnen tobten sie ihre doppelte Wut aus: die über das Ausbildungsreglement, das sie eben noch selbst zu erdulden hatten, das ihnen aber, kaum überwunden, schon als Vorbild und als Inbegriff männlichen Darseins erschien, und die Wut über die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus. Wer sich in der Härtepraxis als besonders tüchtig erwies, wurde rasch befördert…
…Was jedoch den alten Adel auszeichnete, eine gewisse Schutzfunktion für die Schwachen, wurde im Neuadel der SS ins Gegenteil verkehrt. Die männliche Sphäre der Ehre galt nur gegenüber dem arischen Blut. „Ob bei dem Bau eines Panzergrabens 10.000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht“, sagte der Reichsführer-SS Himmler kalt, „interessiert mich nur insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird.“ Echte Rassekrieger seien unbarmherzig, erfordern unerbittliche Härte.
Gefahr für die SS drohte von einer natürlichen Tötungshemmung, von der Scham, einer gewissen Humanitätsschwelle, die daher als Schwäche denunziert wurde. Humanitätsduselei. Demgegenüber sollte die Grausamkeit eine kalte Vernunft, die Logik der Geschichte abstrahlen. Der SS-Mann muss durch gnadenlosen Drill zuerst selbst gebrochen werden, um jene Härte zu erwerben; um zu lernen, das Wort „unmöglich“ nicht mehr auszusprechen. Hans Buchheim (Hans Buchheim: Anatomie des SS-Staates, 1965) geht sogar so weit zu sagen, „dass die Demütigung der SS-Rekruten sich qualitativ nicht von der eines (arischen, E.H.) KZ-Häftlings unterschied.“ Das ärgste Schimpfwort war Schlappschwanz; einen heulenden SS-Mann durfte es nicht geben. Als Ergebnis dieser Erziehung kamen Männer heraus, denen die Ermordung der „Untermenschen“ als ritterliche Tat erschien – wie die Arbeit eines Arztes, der Müllbeseitigung. Dabei ging es weniger um eine ideologische Indoktrination als um die Form eines Habitus, der die Härte der Ausbildung, die Härte der Mordarbeit durch Formen einer bestimmten Kameradschaft auffing. Selbst die individuelle Liebe zur Ehefrau, zur Freundin, diente zur Entlastung, zur Schuldabwehr. Ein Wehrmachtsleutnant schwärmte noch in seinen Erinnerungen von der „prachtvollen männlichen Erscheinung, der typischen, bei der Waffen-SS anzutreffenden Elite.“ (Quelle: Ernst Hanisch: Männlichkeiten: eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts, Böhlau Verlag, 2005, ISBN: 978-3205773146)
Für mich ist diese Erklärung immer noch zu dünn. Aus falsch verstandener Kameradschaft zum Mörder werden? Gut, die Ausbildung der SS war hart, sehr hart. Weil der Scharführer, der Rottenführer einen Rekruten zur Sau gemacht hat? Weil der Rekrut die Patronen mit dem Mund aufheben musste, die er vorher unachtsam fallen ließ? Weil er zum xten Mal bis zum Erbrechen über die Hindernisbahn (in der SS-Kaserne Veddel hieß sie zynisch „Beamtenlaufbahn“) musste? Weil jemand Prügel (den “Heiligen Geist”) bekommt. Dresche, weil die gesamte Gruppe, der gesamte Zug, wegen seiner Minderleistung bestraft wurde? Kogon nennt Beispiele, wo ungehorsame SS-Staffelanwärter, SS-Rekruten ebenfalls die Prügelstrafe bekamen und zu den Schutzhäftlingen gestellt wurden. In einer Filmdokumentation wurde sogar erwähnt, dass ein oder zwei SS-Männer, die “quer schossen”, von ihren eigenen Kameraden (wieder einmal der Heilige Geist), nachts auf dem Kasernenhof totgetreten wurden.
Aber reicht das alles aus, um die Taten der SS-Totenkopfstandarte zu erklären? Vielleicht, denn die KZs waren hermetisch abgeschlossen und wenig drang nach außen. Am wenigsten vielleicht sogar aus der Perspektive der Täter, die ja erst einmal dahin gebracht werden mussten, um das zu tun, was kaum ein Mensch verstehen kann. Was sie dort machten, ging nur ihre Kameradschaft etwas an. Um als SS-Mannschaftsdienstgrad bei “Totenkopf” Kariere machen zu können, führte um den Zugführerlehrgang im KZ Dachau vermutlich gar kein Weg daran vorbei.

Über das wie gibt es wahrscheinlich auch gar keine Antworten, denn das ABC der Schinderei, der Schleiferei, des Drills entstammt der Phantasie der Unteroffiziere/SS-Scharführer und wurde nirgends schriftlich festgehalten. Vermutlich haben sie sich auch nur dem altpreußischen Drill wie verschärfte Geländeausbildung, Strafexerzieren, etc. bedient.
Aber möglicherweise gibt es ja Quellen, Erzählungen von Zeitzeugen, Aufzeichnungen von Eicke selbst, die etwas mehr Licht in diese Zeit bringen?

Gruss,
Bernd
 
@BerndHH

Ich empfehle dir, wenn du dich mit den Konzentrationslagern befassen möchtest, einen Bilck in diese Reihe zu werfen, hier hast du auf jeden Fall den neusten Forschungsstand:

Wolfgang Benz /Barbara Distel

Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager


Band 1: Die Organisation des Terrors
Band 2 Frühe Lager, Dachau, Emslandlager
Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald
Band 4: Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück
Band 5: Hinzert, Auschwitz, Neuengamme
Band 6: Natzweiler, Groß-Rosen, Stutthof
Band 7: Wewelsburg, Majdanek, Arbeitsdorf, Herzogenbusch (Vught), Bergen-Belsen, Mittelbau-Dora
Band 8: Riga. Warschau. Kaunas. Vaivara. Plaszów. Klooga. Chelmo. Belzec. Treblinka. Sobibor
Band 9: Arbeitserziehungslager, Ghettos, Jungendschutzlager, Polizeihaftlager, Sonderlager, Zigeunerlager, Zwangsarbeitslager

Erschienen im Beck Verlag.
 
Zuletzt bearbeitet:
Letzte Nacht jährte sich zum 75. mal, die Reichskristallnacht ... Waren die SA Angehörigen auch einer Härteausbildung unterzogen worden?
 
Die Ausbildung der Konzentrationslager-SS und die Schaffung der SS-Totenkopfstandarten bis zur SS-Verfügungstruppe (mit militärischem Auftrag nach "innen" und als Ergänzung zur Wehrmacht) ist speziell dem Einfluss von Eicke unterlegen gewesen.

Zu den Ausbildungen und Zwischenstadien der SS-Organisation enthält die Eicke-Biographie von Weise einiges; zudem sind die Untersuchungen von Karin Orth zur Konzentrationslager-SS zu empfehlen.

Eicke selbst stellte diesen "Härtegrad", resp. die Verbindung von weltanschaulicher "Erziehung" und Brutalität in den Verbänden als etwas Eigenständiges hin, auch gegenüber der SA und Wehrmacht.
 
@Ursi: das Buch von Benz/Distel ist eine gute Idee. Danke!
@Köbis 17: ich denke mal nicht. Die SA hatte 1933 “wilde Konzentrationslager” unter ihrer Kontrolle. Ein Auswuchs, dem man nach dem Aufstieg der SS 1934 ganz schnell ein Ende bereitete.
Bei Steffen Grimm in “Die SS-Totenkopfverbände im Konzentrationslager Buchenwald” liest man:

Eicke erklärte, dass er jeden Angehörigen der SS-Totenkopfverbände zur Allgemeinen SS versetzen werde, sobald derjenige seine Aufgaben nur routinemäßig und ohne Begeisterung erfüllt und einen Mangel an notwendigem Kameradschaftsgeist erkennen lass – das waren die Ideen, auf denen Eicke, ab 1934 Inspekteur der KZs, die gesamte Ausbildung der SS-Totenkopfverbände gründete. Gleichzeitig jedoch zwang er den Verbänden eine unbarmherzige Disziplin auf, in dem er auch gegenüber den SS-Angehörigen harte und oft schmerzliche Strafen selbst für geringe Verstöße verhängte.
Monatlicher Dienstplan von “SS-Totenkopf”-Angehörigen:
• 3 Wochen polit./milit. Ausbildung
• 1 Woche Wachdienst

Wie soll das interpretiert werden? War es für die “SS-Totenkopf”-Soldaten das Allergrößte unter “Papa” Eicke dienen zu dürfen und nicht zur “langweiligen” Allgemeinen SS zu müssen? Zu den Schreibstuben-Hengsten und Sesselfurzern “degradiert” zu werden? Galt das schon als Versagen oder Schande? Waren Belobigungen wie “und ihr tut den schwersten Dienst von allen” gegenüber dem “inneren Feind hinter dem Stacheldraht” genug, um eine verschworene Gemeinschaft zu bleiben? Das, was in Dachau passiert, bleibt auch in Dachau?
Es ist also kein Verbrechen, einen Häftling über den “Prügelbock zu legen” bis er zu Tode kommt, eher eine gemeinschaftliche Tat des Wachsturmbanns Oberbayern…? Wer nicht mitzieht ist ein Schlappschwanz und hat bei “Totenkopf” nichts verloren?
Eicke soll einmal einen SS-Mann mit überzogener Härte bestraft haben, weil der sich vor einem Regenschauer “auf undeutsche Weise” laufend in Sicherheit bringen wollte?

Wer also waren die einfachen SS-Totenkopfmänner? Kurzgeschorene Muskelmänner, die die Tage mit Kraftport, eintönigen Wachgängen bei Tag und bei Nacht (Wachdienst als Dauerzustand mit Vergatterung kann durch Schlafentzug – Wach-/Schlafrhythmus und dientlichem Dauereinsatz – mit strafrechtlichen Konsequenzen bei Verfehlungen - in der Tat aggressiv machen) und dem Quälen von Häftlingen verbrachten? Dazwischen mal ein feuchtfröhlicher Kameradschaftsabend?

@Silesia. Hier gibt es eine Rezension über die neue Eicke-Biographie
Niels Weise: Eicke: eine SS-Karriere zwischen Nervenklinik, KZ-System und Waffen-SS
Nationalsozialismus : Der KZ-Kommandeur, der aus der Psychiatrie kam - Nachrichten Geschichte - Zweiter Weltkrieg - DIE WELT
 
@Silesia, der Titel verspricht schon einmal eine fundierte Untersuchung:
Karin Orth: Die Konzentrationslager-SS: Sozialstrukturelle Analysen und biographische Studien, Deutscher Taschenbuch Verlag, 2004, ISBN: 978-3423340854
 
@Köbis 17: ich denke mal nicht. Die SA hatte 1933 “wilde Konzentrationslager” unter ihrer Kontrolle. Ein Auswuchs, dem man nach dem Aufstieg der SS 1934 ganz schnell ein Ende bereitete.
[...]

Mein Frage war nicht auf eine Antwort gerichtet!
Wozu sollen wir die ach so armen SS Männer hier, der ach so schweren und schmerzlichen Ausbildung bedauern?

In der Reichskristallnacht haben die SA und die SS sich wie ein wütender Mob, über Juden her gemacht, was deutlich aufzeigte, was noch kommen wird.
Diese Leute hatten keine solche ach so "harte" Ausbildung, die Sie zu willenlosen Schergen des NS Regimes machten. Ich sehe diese Art der Recherche zur Geschichtsschreibung eine unterschwellige Relativierung der Taten der SS.
Wird doch unterstellt, daß sie zu geistlosen Marionetten umgepolt werden musste ... aber das war wohl nicht so, wie es 1938 schon zeigte, wie nach außen normale Menschen zu Monstern geworden sind.
 
Mein Frage war nicht auf eine Antwort gerichtet!
Wozu sollen wir die ach so armen SS Männer hier, der ach so schweren und schmerzlichen Ausbildung bedauern?

In der Reichskristallnacht haben die SA und die SS sich wie ein wütender Mob, über Juden her gemacht, was deutlich aufzeigte, was noch kommen wird.
Diese Leute hatten keine solche ach so "harte" Ausbildung, die Sie zu willenlosen Schergen des NS Regimes machten. Ich sehe diese Art der Recherche zur Geschichtsschreibung eine unterschwellige Relativierung der Taten der SS.
Wird doch unterstellt, daß sie zu geistlosen Marionetten umgepolt werden musste ... aber das war wohl nicht so, wie es 1938 schon zeigte, wie nach außen normale Menschen zu Monstern geworden sind.

Zustimmung!
Die Frage ist doch, ob eine "harte Ausbildung" überhaupt nötig war.
Waren diese Leute nicht schon vorher, also ohne "spezielle Ausbildung" geistlose Marionetten wie Du es ausdrückst?

Ich denke, daß es im dritten Reich Menschen gab, die für die nationalsozialistische Propaganda aus diversen Gründen sehr empfänglich waren. Andere vieleicht weniger.
Andere dafür sicherlich mehr. Es gab Mitläufer und es gab "Hardliner". (Vorsicht Anglizismus-ich bin ein gebranntes Kind)

Für die Menschen, welche für diese Propaganda und Ideen empfänglich waren, war die SS sicherlich eine erstrebenswerte Organisation.

Den Thread hier finde ich durchaus sehr interessant.
Vor allem die Frage, ob es eine solch gesonderte "Ausbildung" wirklich gegeben hat.
Ich frage mich vor allem, wie abgestumpft solche Leute (z.B. in den KZ's) gewesen sein müssen. Oder mußte man ihnen dieses wirklich beibringen?

Die Frage ist interessant. Wie können Menschen derartig verrohen?
Als Relativierung würde ich diese Frage nicht sofort, bzw. automatisch bezeichnen.
Auf jeden Fall diskutierenswert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Moin,
nein, so möchte ich meine Fragestellung auch nicht verstanden haben.
Es geht nicht um die "armen SS-Männer", so haben sie sich auch nie gesehen.
Um aus einem Mann ein gut funktionierendes "Tötungswerkzeug" zu machen, muss ja vorher etwas passiert sein. Es geht um maximale Erniedrigung, Demütigung und Aggression, die ja erst einmal da sein müssen bzw. geweckt und geschürt werden müssen.
Ein Beispiel aus der Bundeswehr: die Unteroffiziere meiner PzGrenKp. haben uns immer erzählt, dass man auf dem Uffz.-Lehrgang derartig "zur Sau gemacht" wird (der Einzelkämpfer-Lehrgang geht an die physischen und psychischen Leistungsgrenzen, dazu permanenter Schlafentzug), dass man nachher automatisch zum Schinder und zum Schleifer wird.
Und genau das muss auch damals auch der Fall gewesen sein. Angefangen mit der altpreußischen Kasernenhofschleiferei, die vom Unteroffizierskorps der Reichswehr und Wehrmacht perfektioniert wurde.
Und die SS hatte diese Ausbildungsmethodik anscheinend weitergeführt. Eine ganz junge Organisation, ohne Tradition, dann zumindest nach altpreußischem Vorbild.

Dann muss Theodor Eicke ein wahrer Meister der Schleiferei gewesen sein. Er wollte/musste sich Himmler gegenüber bewähren und schuf in der Abgeschiedenheit des KZ Dachau (Abgeschiedenheit nicht i. geographischem Sinne, sondern "Hier hinter dem Stacheldraht sind wir Totenkopf-Leute unter uns. Hier gelten unsere ganz eigenen Regeln und Gesetze.") etwas krankhaft Monströses, etwas was wenig später zum Sinnbild für den Nazi-Terror wurde.
Aber seine Männer scheinen ihren "Papa" Eicke angehimmelt zu haben.
Ich kann nur mutmaßen: wer die Schinderei durch "Papa" Eicke und seine Sturmführer, Untersturmführer, Scharführer überlebt hatte, wer zigmale auf entwürdigende Weise durch den Schlamm auf die Stiefelspitze seiner Ausbilder hinzurobben musste, wer Unmenschliches aushalten musste, der konnte sich wohl am Schluß irgendwann einmal als vollwertiges Mitglied einer extrem harten "Herrenmenschen"-Gemeinschaft fühlen, als etwas ganz besonderes, welche einen ganz besonderen Auftrag und "Dienst am Vaterland" auszuführen hatte.
Dazwischen gab es wohl nichts. Entweder dazuzugehören, Häftlinge über "den Bock zu legen", zu foltern, zu quälen oder nicht zur Gemeinschaft zu gehören. Und zweites erschien den SS-Totenkopf-Rekruten anscheinend als das Schlimmere.

Gruss,
Bernd
 
Zuletzt bearbeitet:
Dieser Artikel reißt das Thema an, liefert aber wenig Material
"Dachauer Schule" - Wie SS-Männer zu Mördern gedrillt wurden - SPIEGEL ONLINE
"Dachauer Schule", Wie SS-Männer zu Mördern gedrillt wurden, aus einestages Zeitgeschichten auf SPIEGEL Online

Täglich erschien ein SS-Unterführer zur Blockkontrolle bei den jüdischen Häftlingen. "Das ging selten ohne Brutalitäten ab", berichtet ein KZ-Überlebender. "Besonders schlimm aber war es, wenn ein 'Neuer' zum 'Anlernen' dabei war. Dann legte der ältere der beiden SS-Männer los: 'Was - das soll Ordnung sein?! Ein Sauhaufen ist das! Hinlegen! Auf! Hinlegen! Auf!' So ging das eine Zeit lang. Und dann sagte er zu dem anderen SS-Mann, auf einen Gefangenen zeigend: 'Tret' dem Kerl in den Bauch!'"
In neun von zehn Fällen schreckte der Jüngere vor diesem Befehl zurück. "Dann aber ging es weiter: 'Was, du hast Schiss vor dem Saujuden? Du willst ein Soldat des Führers sein? Ein Feigling bist du!'" So ging es von Block zu Block. Oft waren dann die Hemmungen des Jüngeren gebrochen, er trat und schlug, um Härte zu beweisen.
"In einem Konzentrationslager", so referierte Eicke im Sommer 1938, "können heute nur die besten SS-Führer verwendet werden. Der Dienst ist so verantwortungsreich und gefährlich, dass nur ausgesprochene Pflichtmenschen, die ihre Persönlichkeit völlig zurückstellen und die keine Freizeit kennen, die drückende Verantwortung tragen können." Wenn der verantwortliche Führer in einem Konzentrationslager kein mitreißendes Vorbild abgebe und eine Autorität darstelle, dann entwickle sich das Lager durch die Tücke der Verbrecher sehr bald zu einem gefährlichen Pulverfass.
Ein späterer KZ-Kommandant beschrieb den Dienst unter Eicke als "sehr streng. Wir wurden mächtig geschliffen. Je mehr wir geschliffen wurden, desto stolzer waren wir darauf." Eicke wandte Methoden an, die auch aus anderen militärischen Verbänden bekannt sind: Strenge, militärischer Drill, Kasernierung sowie rücksichtslose Ahndung jeglicher Nachlässigkeit oder Befehlsmissachtung. Zugleich versuchte Eicke, den SS-Männern ein vertrauter Kamerad zu sein, ein Ansprechpartner auch für persönliche Sorgen und Nöte.
Die militärische Ausbildung der Lager-SS zielte auf die Vermittlung militärischer Fähigkeiten, aber auch darauf, den Willen der Männer zu brechen. Ein SS-Angehöriger erinnerte sich, dass fallengelassene Patronen von den SS-Leuten mit dem Mund aufzuheben waren. "Ich habe mir immer wieder vorgenommen, das werde ich nicht tun. Dann passiert es mir doch. In einer solchen Situation gibt es keinen Befehl mehr. Der Unterführer zeigte mit dem Daumen nach unten, und der Betreffende wusste schon, was er zu tun hatte. Auch bei mir zeigte er mit dem Daumen nach unten - ich bückte mich und hob die Patrone mit der Hand auf."
Wie ein Raubtier auf seine Beute losspringt, kam der Unterführer auf ihn zu. "Er führte sein Gesicht ganz nahe an das meine heran, sodass zwischen seiner Nase und meiner Nase keine zwei Millimeter Platz waren, und er brüllte. Ich verstand natürlich nichts, seine Stimme überschlug sich fast. Als er ausgebrüllt hatte, übergab er mich dem stellvertretenden Gruppenführer. Der machte mit mir zehn Minuten lang 'Theatervorstellung'. Bei 20 Kniebeugen hörte ich auf zu zählen. Ich konnte nicht mehr!", erzählte der SS-Rekrut. Er habe dann noch einmal das Brüllen gehört - und dann habe seine Selbstbeherrschung versagt. "Ich musste weinen, obwohl das nicht mannhaft und soldatisch war. Ich war einfach am Ende. Als er das sah, brüllte er: 'Achtung!' Und dann: 'Sie Schlappschwanz! Sie Muttersöhnchen! Sie Heulbase! Einen heulenden SS-Mann gab es noch nie!'" Dann sei die Übung beendet worden. Er habe dann noch den Befehl erhalten, eine Woche lang sämtliche Toiletten im ersten Stock sauber zu machen. Und dann habe der Unterführer noch befohlen: "'Werfen Sie die Patrone weg!' Ich tat dies und ohne überhaupt nur hinzusehen, ob er mit dem Daumen hinunterzeigt, hob ich sie mit dem Munde auf."
"Toleranz bedeutet Schwäche"
Die militärische Ausbildung bestand aus einer physischen und psychischen Tortur, die darauf zielte, die SS-Männer zu willenlosen Werkzeugen zu degradieren. Kaum ein SS-Mitglied konnte dies zugeben. Deshalb gefielen sich die Männer darin, im Kreis der "Kameraden", in jeglicher Öffentlichkeit und in der Erinnerung eine Glorifizierung von "Härte" und "Soldatentum" zu betreiben. Sie behaupteten, durch die Prozedur zu "harten Männern" gereift zu sein. Nur wenige konnten eingestehen, dass sie den pervertierten militärischen Drill als Demütigung und inhumane Schikane erfuhren.
Eicke versuchte, die SS-Männer gegen die Häftlinge aufzuwiegeln: "Dort hinter dem Draht lauert der Feind und beobachtet all Euer Tun, um Eure Schwäche für sich zu nutzen. Jeder, der auch nur die geringste Spur von Mitleid mit diesen Staatsfeinden erkennen lässt, muss aus unseren Reihen verschwinden. Ich kann nur harte, zu allem entschlossene SS-Männer gebrauchen, Weichlinge haben bei uns keinen Platz!"
Das "Interesse des Vaterlandes" und die vermeintliche Gefährlichkeit der Häftlinge waren die Bezugsgrößen, mit denen Eicke Brutalität zu legitimieren suchte. Zudem ließ er die Gewalttätigkeit als Inbegriff von Männlichkeit erscheinen. Um ihres Selbstbildes willen, aus Angst vor dem Spott der "Kameraden" und vor den Sanktionen der Vorgesetzten schlugen die SS-Männer zu; nichts fürchteten sie mehr als das Verdikt der "Weichheit".
Im Grunde erwies sich die "Dachauer Schule" als Initiationsritus, der die SS-Männer unempfindlich gegen ihre eigene Gefühle - und die Qualen der Gefolterten - machen sollte, der sie vor allem in die Gruppe der Täter integrieren sollte. Die gemeinsam begangenen Verbrechen schweißten die Gruppe zusammen.

Männlichkeit wurde damals als Härte und Aushaltevermögen von Schmerz und Demütigung definiert.
 
Es geht um die Frage der stufenweise Entmenschlichung, die für uns aus heutiger Sicht kaum noch nachzuvollziehen ist


Die Abrichtung zur Tötungsmaschine ist ein interessantes Thema, aber nicht SS-spezifisch

Auf die schnelle habe ich bei den obigen Schilderungen der Ausbildungsmethoden wenig gefunden (eigentlich nur das Totprügeln) , was nicht auch heute noch bei "harten" Truppen angewandt wird - US-Marinecorps, Fremdenlegion, britisches Fallschirmregiment etc.. Von russischen Rekruten gibt es ähnliche Schilderungen, das japanische Heer muss die Hölle gewesen sein etc...


Einige dieser Truppen haben Massaker verübt, andere nicht. Ich gehe davon aus, das alle diese Einheiten nach wenigen Modifikationen auch KZ-tauglich gewesen wären.
 
Ich glaube nicht, dass man Folterknechte erziehen muss. Die entsprechenden Leute melden sich von ganz allein.
Sicher hängt die Abrichtbarkeit vom Intellekt des Individuums ab, allerdings halte ich den Menschen, selbst wenn mit geringer Erkenntnisfähigkeit ausgestattet, nicht für einen Hund, den man nur hart genug prügeln muss, damit er beißt.
 
Ich glaube nicht, dass man Folterknechte erziehen muss. Die entsprechenden Leute melden sich von ganz allein.

Bedauerlicherweise steckt dieser Folterknecht in einer ungeheuren Menge Menschen, wenn nicht sogar in fast allen. Man betrachte die theoretischen Experimente, wo Studentengruppen Wärter oder Gefängnisinsassen wurden. Oder man betrachte die unglaublichen Vorfälle im Yugoslawienkrieg, wo Menschen in Europa gestern noch friedlich zusammenlebten und einige Wochen später Exzesse unglaublicher Brutalität stattfanden.

Ich meine, man darf nie den Fehler machen, die KZ-Wärter oder alle SS-Angehörigen als geborene Sadisten und Mörder anzusehen. Das waren schließlich vorher meist ganz friedliche, moralische und gesetzestreue Bürger. Warum sie dann so verrohten und zu unmenschlichen Taten "fähig" wurden, ist meines Erachtens durchaus untersuchungswert.

Zum Punkt der "Banalität des Bösens" ist ja schon eine Menge durchdacht und geschrieben worden - von Hanna Arendt bis Daniel Goldhagen.
 
Warum sie dann so verrohten und zu unmenschlichen Taten "fähig" wurden, ist meines Erachtens durchaus untersuchungswert.

Dieses ist doch bereits teilweise schon gemacht worden. Die Mechanismen, als Gruppendynamik, wurden teilweise von Neitzel und anderen schon dargestellt und auch im GF diskutiert.

http://www.geschichtsforum.de/f196/...m-k-mpfen-t-ten-und-sterben-37659/#post662016

Eine frühe Arbeit, als "Klassiker", stammt von Omar Bartov, der die universelle Eskalation der Gewalt an der Ostfront thematisiert hat.

The Eastern Front, 1941-45: German Troops and the Barbarisation of Warfare - Omer Bartov - Google Books
 
Dieses ist doch bereits teilweise schon gemacht worden. Die Mechanismen, als Gruppendynamik, wurden teilweise von Neitzel und anderen schon dargestellt und auch im GF diskutiert.

Ja hatte ich ja auch schon angedeutet. Trotzdem bleibt uns heute da doch meist nur ein ungläubiges Staunen. Ich denke da immer wieder an das, was in Yugoslawien geschehen ist. Man kann es doch kaum fassen, daß da zivilisierte Verkäufer, Briefboten, Kellner etc. innerhalb weniger Tage oder Wochen zu Typen werden, die ihre früheren Nachbarn mit Stacheldraht auspeitschen, ihnen die Genitalien abschneiden oder die Augen ausstechen.

Da ist ja nicht im Mittelalter in Timbuktu geschehen, sondern praktisch unmittelbar "unter uns". Mir hat das damals einen Knacks gegeben und ich traue heute praktisch jedem Menschen, den ich treffe, ähnliche Verhaltensweisen unter den "richtigen Umständen" zu.
 
Dieses ist doch bereits teilweise schon gemacht worden. Die Mechanismen, als Gruppendynamik, wurden teilweise von Neitzel und anderen schon dargestellt und auch im GF diskutiert.

http://www.geschichtsforum.de/f196/...m-k-mpfen-t-ten-und-sterben-37659/#post662016

Eine frühe Arbeit, als "Klassiker", stammt von Omar Bartov, der die universelle Eskalation der Gewalt an der Ostfront thematisiert hat.

The Eastern Front, 1941-45: German Troops and the Barbarisation of Warfare - Omer Bartov - Google Books

Ja hatte ich ja auch schon angedeutet. Trotzdem bleibt uns heute da doch meist nur ein ungläubiges Staunen. Ich denke da immer wieder an das, was in Yugoslawien geschehen ist. Man kann es doch kaum fassen, daß da zivilisierte Verkäufer, Briefboten, Kellner etc. innerhalb weniger Tage oder Wochen zu Typen werden, die ihre früheren Nachbarn mit Stacheldraht auspeitschen, ihnen die Genitalien abschneiden oder die Augen ausstechen.

Da ist ja nicht im Mittelalter in Timbuktu geschehen, sondern praktisch unmittelbar "unter uns". Mir hat das damals einen Knacks gegeben und ich traue heute praktisch jedem Menschen, den ich treffe, ähnliche Verhaltensweisen unter den "richtigen Umständen" zu.


ähnlich scheint mir auch der Film "das Experiment" gelagert zu sein, angelehnt an das Stanford-Prison-Experiment aus dem Jahr 1971.
 
Guten Morgen liebe Leute,
eigentlich wollte ich gar keine allgemeine Diskussion zu diesem Thema aufwerfen, sondern es ist ganz speziell auf das Thema SS-Totenkopfstandarte gemünzt.
Mir ging es einfach darum, nachzuvollziehen, wie Menschen dahin gebracht werden.
Wurde die Gewalt aus München-Stadelheim (Gefängnis mit der Aufschrift "Hier wird aus Spartakistenblut Blut- und Leberwurst gemacht, hier werden die Roten kostenlos zu Tode befördert"), Schauplatz des Mordes an Röhm, begangen durch Lippert und Eicke, einfach nach Dachau transportiert? Musste Eicke nicht erst mit strenger Hand für Ordnung sorgen und weiche Lagerkommandanten wie Heinrich Deubel absetzen?
Hilmar Wäckerle war wohl nach seinem Geschmack, doch der hatte ein Verfahren mit der Staatsanwaltschaft München am Hals und musste deswegen aus dem Verkehr gezogen werden.
Es müssen ganz besondere Umstände gewesen sein, die aus Dachau die "Mörderschule" machten.

Neben dem hinter Stacheldraht hermetisch abgeriegeltem KZ Dachau, befand sich der große Komplex der SS-Kaserne Dachau. Hier fanden beispielsweise die Zugführer-Lehrgänge für SS-Untersturmführer, etc. statt. Was mir nicht bekannt ist: entweder nur für Angehörige des TV oder auch für LAH, "Das Reich", "Germania", etc.?
Infolge von Fluktuation und Versetzungen innerhalb der SS-Organisation ist es denkbar, dass die Methodik und die Praktiken von Eickes "Dachauer Schule" so bis an die Front verbreitet wurden. Will heißen: einige frisch gebackene Untersturmführer lernten vorerst das ABC des Terrors im KZ Dachau, bevor sie an die Front kamen.

Gruss,
Bernd
 
Zuletzt bearbeitet:
Infolge von Fluktuation und Versetzungen innerhalb der SS-Organisation ist es denkbar, dass die Methodik und die Praktiken von Eickes "Dachauer Schule" so bis an die Front verbreitet wurden. Will heißen: einige frisch gebackene Untersturmführer lernten vorerst das ABC des Terrors im KZ Dachau, bevor sie an die Front kamen.

Mir scheint wahrscheinlicher, es war eher eine Auslese, als eine Ausbildung.
 
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