Mais - Niʃtamalización vs. Pellagra

El Quijote

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Vor ca. 6 - 7000 Jahren gelang es den Indianern der mexikanischen Sierra Madre aus der Teosinte, einer Grasart, die nur im semiariden Gebirge wächst, den Mais zu züchten. (Vertreter einer multiregionalen Hypothese glauben, dass die Zucht des Mais mehrfach gelungen sei, so eben nicht nur in México, sondern auch aus einer anderen Art der Teosinte in Utah bzw. ebenfalls in Guatemala.)
Die Teosinte wächst nur in Höhenlagen zwischen 400 und 1700 m, der Mais aber, mit seinen mehr als 3000 präkolumbianischen Sorten unterschiedlicher Färbung, die sich grob in die Gruppen Hartmais, Weichmais, Zuckermais, Puffmais und Wachsmais einteilen lassen, verbreitete sich über den amerikanischen Doppelkontinent vom Sankt-Lorenz-Strom in Südostkanada bis in die Anden; anders als die nur in semiariden Gebieten wachsende Mutterpflanze ließ sich Mais also auch in kälteren Klimazonen anbauen, aber eben auch auf Flächen, die durch die Abholzung von Mangroven gewonnen wurden (so etwa beim olmekischen La Venta), also feucht und auf Meeresspiegelhöhe. Insbesondere bei den mesoamerikanischen Kulturen wurde Mais zum Grundnahrungsmittel - für Jahrtausende und bis heute.
Als die Europäer nach Amerika kamen, brachten sie im Rahmen des Columbian Exchange viele Pflanzen und Tiere nach Amerika, u.a. Weizen als Grundnahrungsmittel für die europäischen Siedler. Aber wenn auch der Columbian Exchange vor allem darin bestand, dass die Europäer Pflanzen und Tiere in "die Americas" einführten, so wurden durchaus auch amerikanische Pflanzen und Tiere in der alten Welt eingeführt. Manchmal führte das zu Problemen für das jeweils kontaminierte Ökosystem, manchmal auch nicht.
Mais wurde nun auch in Europa, zunächst nur als Nahrungsergänzung in Hortikultur, später auch als Grundnahrungsmittel, insbesondere für die Armenspeisung, angebaut. Um 1700 kam es in Teilen Südeuropas und Afrikas dann zu fast epidemieartigen Erkrankungen mit Pellagra, die sich durch Formen von Dermatitis, Demenz, Diarrhö bemerkbar machte, woran die Menschen zum Teil elend zugrunde gingen.
Obwohl man recht schnell den Mais als Urheber der Pellagra ausmachen konnte, fehlte es natürlich an Erklärungen dafür, die man erst später liefern konnte. Im wesentlichen ist Pellagra eine Vitamin-B-Mangel-Erkrankung.
Die Frage, warum die Bevölkerungen in Afrika und Südeuropa diese Mangelerkrankung bekamen und die Indios nicht, lässt sich einfach beantworten: Es lag an der Art der Weiterverarbeitung des Maises: In Europa und Afrika wurde der Mais wie herkömmliches Getreide behandelt: Die ausgereiften und getrockneten Körner wurden zu Mehl gemahlen. Wie Roggen oder Weizen. Dadurch wurde das im Mais enthaltene Niocin nicht aufgespalten und das Vitamin B wurde nicht freigesetzt, konnte also von den Konsumenten nicht verwertet werden.
Die amerikanischen Ureinwohner dagegen verwendeten ein als Nixtamalización/Niʃtamalización (ein Nahua-spanischer Hybrid) bezeichnetes Verfahren. Dabei wurden die gekochten Maiskörner entspelzt und feucht(!) gemahlen unter Zusatz von Pottasche auch den Schalen von Weichtieren (Schnecken und Muscheln), deren Fleisch man aß. Dadurch wurde das Niocin aufgespalten, das Vitamin B freigesetzt und die Indianer litten nicht an Pellagra sondern konnten stattdessen den Mais als ihr Grundnahrungsmittel entwickeln.

Wie aber kamen sie darauf, ihrem tamal (dem Maisbrei, das Wort steckt auch in der Niʃtamalización) Pottasche oder Muschelkalk hinzuzufügen?! Das sind ja beides keine Dinge, die man essen würde - und wir dürfen wohl davon ausgehen, dass die organische Chemie den Kollegen auch noch unbekannt war.
 
Wie aber kamen sie darauf, ihrem tamal (dem Maisbrei, das Wort steckt auch in der Niʃtamalización) Pottasche oder Muschelkalk hinzuzufügen?! Das sind ja beides keine Dinge, die man essen würde - und wir dürfen wohl davon ausgehen, dass die organische Chemie den Kollegen auch noch unbekannt war.

Mal ein wenig aus der Luft gegriffen:

Ich habe mal in irgendeiner Doku gehört, dass manche Archäologen angesichts der "abgeschliffenen" Zähne einiger Mumien davon ausgehen, dass die Ägypter ihr hartes Getreide mit Hilfe von Sand-Zusatz gemahlen, um die Arbeit zu erleichtern/ zu beschleunigen. Die Zugabe von zerkleinerten Muschelschalen zu harten Maiskörnern hätte vielleicht denselben positiven Effekt beim Mahlen. Und wer die Wahl zwischen Sand und Muschelkalk hat, tut sicher gut daran sich für letzteres zu entscheiden. Allerdings schreibst Du ja, dass die Südamerikaner den Mais vorher kochten und feucht gemahlten haben. Dann werden sie wahrscheinlich kein "Mahlhilfe-Zusatz" benötigt haben?

Was mir als erstes bei Mais und Muschelkalk in den Sinn kommt, sind meine Hühner. Hühner fressen liebend gerne Mais und auch Schneckenhäuser und sonstigen Kalk (wegen ihrer Eierschalen-Produktion). Man füttert für gewöhnlich Muschelkalk hinzu, damit die Schale dicker/ härter wird. Nun weiß ich, dass die Indianer Südamerikas zum Teil sehr wohl Hühner als Nutztiere hielten (selbst in meinen Dt. Buschhühner fließt noch ein wenig Blut südamerikanischer Hühner, weshalb sie auch grüne Eier legen:); die weit verbreitete Rasse Araucana stammt auch von südamerkianischen Hühnern ab). Ich weiß allerdings nicht, ob man in Südamerika das Huhn schon zu einer Zeit domestiziert hatte, als man begann Mais anzubauen. Falls ja, hätte man bei den Hühner beobachten können, dass sie die weggeworfenen Muschelschalen gierig zerkleinerten und aufnahmen. Man hätte also sehen können, dass der Kalk für den Hühner-Organismus zumindest nicht schädlich war; vielleicht war er ja sogar dem menschlichen Organismus bekömmlich. Probieren geht über studieren ... Tatsächlich zeigte die Erfahrung, dass sich der Kalk bei einer vorwiegenden Ernährung durch Mais positiv auswirkte ... zugegeben: ziemlich abwegige Erklärung.:rotwerd:
 
Letzteres würde ja eine Reihenuntersuchung nach empirischen Maßstäben voraussetzen. Das dürfen wir getrost streichen. Genauso, wie die Offenbarung durch einen übermenschlichen Genius.
Da viele der Regionen v.a. in Mesoamerika durch den verbreiteten Vulkanismus über Basalt verfügten und die meisten Gerätschaften zum mahlen von Mais (man spricht von mano y metate - noch ein nahua-spanischer Hybrid) wohl aus Basalt bestanden haben dürften und das Mahlen eben gerade nicht im Trockenzustand sondern im Feuchtzustand geschah, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass man Asche oder Kalk als Mahlhilfe zusetzte. Damit hätte man ja gerade den Vorteil des Basalts, warum er als Mahlstein so beliebt war - nämlich dass er kaum Abrieb hat, also keine Steinchen im Brei oder Brot - wieder aufgehoben.
Von der Römerzeit bis ins hohe Mittelalter war jedenfalls in unseren Breiten bis weit in die Regionen in Nord- und Ostsee, der Mahlstein aus Eifelbasalt als Halbfertigprodukt ein sehr beliebtes Handelsgut.
 
Wie aber kamen sie darauf, ihrem tamal (dem Maisbrei, das Wort steckt auch in der [/FONT][/SIZE]Niʃtamalización) Pottasche oder Muschelkalk hinzuzufügen?! Das sind ja beides keine Dinge, die man essen würde - und wir dürfen wohl davon ausgehen, dass die organische Chemie den Kollegen auch noch unbekannt war.

Die multiregionale These hast Du schon angesprochen. Das mal für Mittel- und Südamerika zugrunde gelegt, und die multiregionale Verwendung als "Heilige Pflanze" in Verbindung mit Mais-Chicha unterstellt, kann man sich auch eine gewisse Experimentierfreude denken. Ausgangspunkt wäre nur das Mahlen und die Herstellung fermentierten Maises, als Ausgangsgrundlage einer Maische.

Könnte das einer "Fortentwicklung" vom Chicha zum Maisbrei entsprechen, indem einfach mit dem Getränk experimentiert wurde? Das wären nur kleine Schritte. Setzt natürlich voraus, was aber teilweise behauptet wird, dass die Verwendung von Mais für Chicha am Anfang stand. Für kleine Schritte, aber ähnliche naheliegende Verwendungsformen hin zum Nahrungsmittel würde eine parallele Domestizierung in den Anden und in Mexiko sprechen. Der "link" wäre dann Chicha?

Duccio Bonavia, Maize: Origin, Domestication, and Its Role in the Development of Culture, 2013.
 
Pottasche ? Wohl eher normale Asche: Calciumoxid

Mit Asche und Kalk wurde wohl schon immer experimentiert. Ursprünglich aber erstmal nur als Farben genutzt, denk ich.

Man sollte sich in die Menschen reinversetzen, die den Mais zuerst als Essen versucht haben. Sie waren sicherlich sehr vorsichtig damit und stellten so recht schnell fest, dass das Zeug nix taugt. Man hatte ja Vergleichsgruppen.

Tja, und dann hat jemand das Maismehl mit Kalk gemischt um sein Haus zu verputzen. Hat prima ausgesehen. Und da kam die Hungersnot. Die Kinder haben aus lauter Verzweiflung den Putz gegessen, aber kein Kind wurde krank... :rofl:
 
Mit dem Verweis auf die multiregionale These wollte ich nur darauf hinweisen, dass es einzelne Wissenschaftler gibt, die der Auffassung sind, dass unabhängig voneinander es an mehreren Orten gelang, aus den verschiedenen Sorten der Teosinte Mais zu züchten.
Nun ist es zwar so, dass in der Naturwissenschaft sehr viel wert auf die Wiederholbarkeit/Replizierbarkeit gelegt wird, aber ich halte die multiregionale These für eher abwegig. Ob die Niʃtamalización außerhalb von Mesoamerika überhaupt notwendig war, ist ja auch noch eine Frage, schließlich war der Mais trotz seiner 1491 (diese Anspielung auf Charles C. Mann wird mir hoffentlich verziehen werden) weiten Verbreitung nicht überall von der überragenden Bedeutung, die er in Mesoamerika hatte. Von den Algonkin ist z.B. überliefert, dass sie ihn in Körnerform zu sich nahmen, so u.a. der britische Siedler und Maler John White bzw. Theodor de Bry, der sich hier bei John White bediente. (Ich weiß natürlich, dass Theodor de Bry nicht unproblematisch ist, John White aber war Augenzeuge).
 
Mit dem Verweis auf die multiregionale These wollte ich nur darauf hinweisen, dass es einzelne Wissenschaftler gibt, die der Auffassung sind, dass unabhängig voneinander es an mehreren Orten gelang, aus den verschiedenen Sorten der Teosinte Mais zu züchten.
Nun ist es zwar so, dass in der Naturwissenschaft sehr viel wert auf die Wiederholbarkeit/Replizierbarkeit gelegt wird, aber ich halte die multiregionale These für eher abwegig. Ob die Niʃtamalización außerhalb von Mesoamerikaüberhaupt notwendig war ist ja auch noch eine Frage, schließlich war der Mais trotz seiner 1491 (diese Anspielung auf Charles C. Mann wird mir hoffentlich verziehen werden) weiten Verbreitung nicht überall von der überragenden Bedeutung, die er in Mesoamerika hatte. Von den Algonkin ist z.B. überliefert, dass sie ihn in Körnerform zu sich nahmen, so u.a. der britische Siedler und Maler John White bzw. Theodor de Bry, der sich hier bei John White bediente. (Ich weiß natürlich, dass Theodor de Bry nicht unproblematisch ist, John White aber war Augenzeuge).

Das Argument ist für die Chicha-These auch nicht zwingend notwendig, würde aber das Experimentieren mit dem Gesöff nahelegen und hätte einen gewissen Charme, dadurch eine parallele Entwicklung zu erklären.
 
Vielleicht ist hier was dran:
Dort, wo Mais ein tägliches Grundnahrungsmittel ist, werden die Körner viele Stunden mit alkalischen Stoffen (wie gelöschtem Kalk oder Holzasche) gekocht, enthülst, nass zu einem Teig vermahlen, dann entweder unmittelbar zum Endprodukt weiterverarbeitet oder wieder getrocknet und als Mehl gehandelt; durch diesen Herstellungsprozess wird Niacin freigesetzt, zudem verbessern sich Geschmack und Backeigenschaften.
(Mais ? Wikipedia)
Um das fett markierte festzustellen - wenn es denn den Tatsachen entspricht -, brauchte nur einer einmal zufällig etwas ausprobiert zu haben.

Edit: wiki führt Pottasche/ Kaliumcarbonat auch unter den Backtriebmitteln auf: http://de.wikipedia.org/wiki/Triebmittel

Ich könnte mir also vorstellen, dass der Zusatz von Pottasche u. Kalk ursprüngl. nicht wissentlich ernährungsbedingten Mangelerscheinungen vorbeugen sollte, sondern einfach einen Maisfladen mit schönerer Konsistenz zum Ziel hatte (Ob sich solch ein Zusatz aber bei Maisbrei auch vorteilhaft auf's Endprodukt auswirkt?)
 
Zuletzt bearbeitet:
In wie weit der Mais eine Heilige Pflanze ist, ist schwierig zu beurteilen. Für die mesoamerikanischen Völker war er es sicher. Es gibt eine Maisgöttin (bei Maya und Azteken) und den Topos, dass die Menschen aus Maisteig hergestellt worden seien, der sich sowohl bei den Maya, als auch bei den Hopi wiederfindet. Das Mehl des blauen Mais' spielt eine wichtige Rolle im Geburts- und "Tauf"ritus der Hopi und die Hopi kannten auch die Maisjungfrauen, weibliche Geister, die den Männern bei der Feldarbeit nachstellten (ob sie dabei Böses im Schilde führten oder ob das ganze eine sexuelle Komponente hat(te), habe ich noch nicht ganz herausgefunden). Aber auch bei den Navajo gibt es Felszeichnungen von Maispflanzen, die allerdings postkolumbianisch sein dürften (da auch Pferde dargestellt wurden). Auch bei den Mochica, einer antiken peruanisch-andinen Kultur scheint der Mais eine gewisse rituelle Rolle gespielt zu haben, jedenfalls gibt es bildliche Darstellungen von Mais. Da die Mochica aber keine schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen haben, haben wir hier nur stumme Artefakte und ein paar Maiskolben als Grabbeigaben. Ob das einfach als Proviant gedacht war oder ob da mehr hinter steckte - wer weiß?
Einige sind wohl der Auffassung, dass Mais bei den Mochica nur im rituellen Kontext gebräuchlich war.
 
Um das fett markierte festzustellen - wenn es denn den Tatsachen entspricht -, brauchte nur einer einmal zufällig etwas ausprobiert zu haben.

Das ist wie mit den Oliven und der Salzlake, dem vergorenen Haifisch oder dem Katzenkaffee: Ich versteh es einfach nicht. Wer kommt darauf, Muschelkalk beim Mahlen eines Getreides zuzusetzen? Ohne, dass ein übergeordnete geniale Entität Einfluss nimmt? Wer kommt darauf, Asche zuzusetzen, ohne, dass eine übergeordnete geniale Entität Einfluss nimmt?
Ich glaube ja auch, dass der Forscherdrang des Menschen ihn auf alle möglichen teils absonderlichen Ideen brachte, aber manche dieser Ideen sind - gerade in Bezug auf Nahrungsmittel - so absonderlich, dass ich ein Problem damit habe, dies mit dem Forscherdrang - mal eben etwas ausprobieren - zu erklären. Bzw. mich mit dieser Erklärung zufrieden zu geben.
 
Das ist wie mit den Oliven und der Salzlake, dem vergorenen Haifisch oder dem Katzenkaffee: Ich versteh es einfach nicht. Wer kommt darauf, Muschelkalk beim Mahlen eines Getreides zuzusetzen? Ohne, dass ein übergeordnete geniale Entität Einfluss nimmt? Wer kommt darauf, Asche zuzusetzen, ohne, dass eine übergeordnete geniale Entität Einfluss nimmt?
Ich glaube ja auch, dass der Forscherdrang des Menschen ihn auf alle möglichen teils absonderlichen Ideen brachte, aber manche dieser Ideen sind - gerade in Bezug auf Nahrungsmittel - so absonderlich, dass ich ein Problem damit habe, dies mit dem Forscherdrang - mal eben etwas ausprobieren - zu erklären. Bzw. mich mit dieser Erklärung zufrieden zu geben.

Das ganze muss sich ja auch nicht unbedingt aus einem bewussten Ausprobieren und "Forschen" erklären, sondern kann ja auch ganz dem Zufall zu verdanken sein (wie doch andere Erfindungen auch). Angenommen man hatte in jenem Dorf den großen Basalt-Mahlstein zwischendrin (mangels Zweit- und Dritt-Mahlstein) gerade zuvor noch dazu genutzt, um Muschelschalen oder Kaliumcarbonat zu zermahlen, um es anschließend auf dem Feld als Dünger verteilen zu können, oder man hatte Kalk gemahlen, um Farbe herzustellen oder oder oder. Anschließend gebrauchte man den Mahlstein wieder für den Mais und stellte fest: Och, der Teig ist irgendwie schöner.
Dass Irgendwann mal Mais und Kalk/ Pottasche durch Zufall zusammengebracht wurden und das Endergebnis (von mir aus auch: trotzdem) von der hungrigen Sippe probiert wurde und für erstaunlich apetittlich befunden wurde, ist doch nicht so unglaublich.
 
Pottasche ist ein altes Backtriebmittel, genau wie Hirschhornsalz.
Wenn man liest, wie Pottasche hergestellt wurde, ist das Zusammenbringen mit hartem Mais gar nicht abwegig.
Diesen Sommer habe ich erste Erfahrungen mit einer Tüte Arterhaltungsmais machen dürfen. Eine echte Wundertüte, fast keine Pflanze war wie die andere, ebenso die geernteten Kolben. Mit meiner vom heutigen Zuckermais übertragenen Garmethode waren nur 10 % der Kolben eßbar. Der Rest war entweder uneßbar hart oder äußerst kauintensiv.
Die Altamerikaner haben ein großes Sortenspektrum gezüchtet. Ich nehme an, dass es jeweils Sorten für Lagerhaltung, zum Kochen, Mahlen, Rösten, Stampfen, Brauen usw. gab. Insofern ist der Mais mit unserem Getreide schlecht zu vergleichen.
Um etwas hartes genießbar zu machen, gibt es verschiedene Methoden. Trocken mahlen wie Getreide ist nur eine davon. Hat man nur Feuer, Wasser und Muskelkraft wendet man alles auf den harten Mais an. Dass der Mais dabei mit Asche in Berührung kommt, vielleicht sogar mit Rückständen von gesiedeter Asche in einem Topf ist naheliegend. Zum Muschelkalk fällt mir auf Anhieb nichts ein, es sei denn die Muscheln wurden zuvor im offenen Feuer geröstet, evtl. in der Asche gewälzt.
Wenn die Altamerikaner sich ihr Protein vorwiegend aus dem Meer holten, werden sie verschiedene Nutzungsmöglichkeiten für die Schalen probiert haben, möglicherweise haben sie eingeweichten/vorgekochten Mais auch gestampft und das könnte leichter gehen unter Zugabe von Muschelschalen.
Müßte man mal ausprobieren. :winke:
 
...die Hopi kannten auch die Maisjungfrauen, weibliche Geister, die den Männern bei der Feldarbeit nachstellten (ob sie dabei Böses im Schilde führten oder ob das ganze eine sexuelle Komponente hat(te), habe ich noch nicht ganz herausgefunden). ....

Das diente als Ausrede um die Feldarbeit den Frauen zu überlassen. :cool:

Ansonsten sehe ich es wie Bushohns: Das ganze wurde vermutlich per Zufall entdeckt, entweder weil man einen Mörser aus Muschelkalkstein verwendete oder weil man vorher Muscheln gemahlen hatte.

Etwas Kalk wird m.W. auch heute noch den Tortillas beigemischt.
 
Das ganze muss sich ja auch nicht unbedingt aus einem bewussten Ausprobieren und "Forschen" erklären, sondern kann ja auch ganz dem Zufall zu verdanken sein (wie doch andere Erfindungen auch).

Der Phantasie sind ja bekanntlich keine Grenzen gesetzt:
Es könnte sich ja auch um eine Mischung aus Forscherdrang/ menschlicher Neugier/ "Not macht erfinderisch" auf der einen Seite und um einen Zufall auf der anderen Seite handeln. Vielleicht war man auf der Suche nach einem neuen Material (z. B. Kleber wegen der Maisstärke) und experimentierte tatsächlich an der Feuerstelle wie in einem Laboratorium mit verschiedenen Zutaten herum. Dabei erfand man den locker-luftigen Speise-Maisfladen, der den herkömmlichen harten, dichten Maisfladen allmählich vom Markt verdrängte.

Übrigens mal ein schönes Beispiel für jenen "Erfinder-Zufall" aus einem anderen Gebiet:
Goodyear experimentierte wie viele andere Tüftler und Unternehmer seiner Zeit mit Kautschuk. Er war fest davon überzeugt, dass seine Experimente von geschäftlichem Erfolg gekrönt sein würden. Sein erstes Werk zur Produktion wasserfester Gummi-Artikel gründete Charles Goodyear 1833 in Roxbury, Massachusetts. Doch der Kautschuk erwies sich bei Hitze als weich und klebrig, bei Kälte als brüchig. Goodyear, in Sachen Chemie Autodidakt, suchte nach einer Methode, ihn unempfindlich gegenüber extremen Temperaturen zu machen. Nachdem er dem Kautschuk die verschiedensten Materialien und Chemikalien hinzugefügt hatte, kam er 1839 durch einen berühmten „wissenschaftlichen Zufall“ zu einer Lösung: Eine Schwefel-Kautschuk-Mischung fiel auf eine heiße Herdplatte, und das Ergebnis war eine trockene und dauerhaft elastische Substanz. Der mit Schwefel vermischte Kautschuk verwandelte sich bei Erhitzung in einen neuen Stoff, in Gummi. Damit hatte Goodyear die Vulkanisation entdeckt.
(Charles Goodyear ? Wikipedia)
 
Mais wurde nun auch in Europa, zunächst nur als Nahrungsergänzung in Hortikultur, später auch als Grundnahrungsmittel, insbesondere für die Armenspeisung, angebaut. Um 1700 kam es in Teilen Südeuropas und Afrikas dann zu fast epidemieartigen Erkrankungen mit Pellagra, die sich durch Formen von Dermatitis, Demenz, Diarrhö bemerkbar machte, woran die Menschen zum Teil elend zugrunde gingen.
Obwohl man recht schnell den Mais als Urheber der Pellagra ausmachen konnte, fehlte es natürlich an Erklärungen dafür, die man erst später liefern konnte. Im wesentlichen ist Pellagra eine Vitamin-B-Mangel-Erkrankung.
Die Pellagra-Epidemien gingen offenbar aber nicht nur auf die fehlende Behandlung des Getreides mit Laugen zurück, sondern ebenso auf die überwiegende oder sogar ausschließliche Ernährung mit Mais. Bei den indigenen Völkern wurde einmal der Mais über die Nixtamalisation behandelt, wodurch das Niazin für den menschlichen Körper nutzbar wird. Eine Möglichkeit, die Pellagra zu behandeln ist, den Patienten Gemüse zu geben. Auf dem amerikanischen Kontinent wurde Mais nicht „solo“ gegessen, sondern immer zusammen mit Gemüse. Die Kombination von Mais und Bohnen ergibt sogar ohne Fleisch oder Fisch eine ausgewogene Mahlzeit. Nach den Wikipedia-Artikel ist übrigens der Mangel an Vitamin B3 auch bei einer überwiegenden bzw ausschließlichen Ernährung mit Hirse zu beobachten.

Diese Kenntnisse wurden nicht nach Europa und Afrika mit importiert – übrigens ähnlich wie bei der Nutzung des hier ebenfalls erwähnten Kautschuk, da die Indianer das Galvanisierungsverfahren durchaus kannten. Es wäre nicht nötig gewesen, das Rad nochmals zu erfinden, wenn man mal geschaut hätte, wie im Ursprungsland der Kautschuk verarbeitet wird. Regenumhänge, Wasserflaschen etc gab es dort bereits.

Bei den Hühnern werden sich die Indianer den Kalkzusatz auch weniger abgeschaut haben, da mW vor Kolumbus nur Puten als domestiziertes Geflügel vorhanden waren. Diese wurden aber nicht als Eierlieferanten gehalten.

Wer kommt darauf, Muschelkalk beim Mahlen eines Getreides zuzusetzen? Ohne, dass ein übergeordnete geniale Entität Einfluss nimmt? Wer kommt darauf, Asche zuzusetzen, ohne, dass eine übergeordnete geniale Entität Einfluss nimmt?
Wer kommt darauf, sich Eicheln als wichtiges Nahrungsmittel „auszusuchen“, aus denen erst mühsam die Bitterstoffe ausgespült werden müssen, damit man den Kram runterbekommt und auch verträgt? Wer kommt darauf, täglich Maniok zu reichen, dem erst in sorgfältiger Behandlung die Blausäure entzogen werden muß.

Maize - Wikipedia
Pellagra – Wikipedia
Pellagra - Wikipedia
Nixtamalization - Wikipedia



 
Übrigens mal ein schönes Beispiel für jenen "Erfinder-Zufall" aus einem anderen Gebiet:

Dinge, die man sinnvoll mit Logik oder mit akzidentellem Geschehen erklären kann - also z.B. ein Getreidebrei gerät zu nah ans Feuer und das erste Brot entsteht - interessieren mich nicht so sehr, denn die sind ja logisch. Mich interessieren mehr Dinge, die unlogisch sind und trotzdem zu einem guten Ergebnis geführt haben. Also Dinge worauf niemand klaren Verstandes käme.

Die Pellagra-Epidemien gingen offenbar aber nicht nur auf die fehlende Behandlung des Getreides mit Laugen zurück, sondern ebenso auf die überwiegende oder sogar ausschließliche Ernährung mit Mais.

Natürlich, so war das gemeint.


Nach den Wikipedia-Artikel ist übrigens der Mangel an Vitamin B3 auch bei einer überwiegenden bzw ausschließlichen Ernährung mit Hirse zu beobachten.

Eines der frühesten portugiesischen Zeugnisse über Maisanbau in Afrika nennt den Mais dort Milho das Antillas, 'Antillenhirse'. Aber das gehört in die Kategorie Zufall.

Bei den Hühnern werden sich die Indianer den Kalkzusatz auch weniger abgeschaut haben, da mW vor Kolumbus nur Puten als domestiziertes Geflügel vorhanden waren. Diese wurden aber nicht als Eierlieferanten gehalten.
Es geistert seit einigen Jahren die Hypothese durch die Gegend, dass das Huhn nicht erst mit den Europäern den amerikanischen Kontinent erreichte, sondern schon mit den Polynesiern und zumindest im Andenraum verbreitet war.

Wer kommt darauf, sich Eicheln als wichtiges Nahrungsmittel „auszusuchen“, aus denen erst mühsam die Bitterstoffe ausgespült werden müssen, damit man den Kram runterbekommt und auch verträgt? Wer kommt darauf, täglich Maniok zu reichen, dem erst in sorgfältiger Behandlung die Blausäure entzogen werden muß.
Auch das wäre interessant zu klären. Logisch ist das zunächst nicht.
 
Mich interessieren mehr Dinge, die unlogisch sind und trotzdem zu einem guten Ergebnis geführt haben. Also Dinge worauf niemand klaren Verstandes käme.

Das heißt, Deine Ausgangsfrage zielte gar nicht auf logische potentielle Erklärungen ab, wie die indigenen Völker Mittel- u. Südamerikas dazu kamen, ihrem Grundnahrungsmittel Mais Kalk u. Pottasche beizufügen, was sie vor Pellagra schützte, sondern ... :grübel: ... Du wolltest schlicht darauf aufmerksam machen, wie unlogisch doch eigentlich die Verwendung von Kaliumkarbonat in der Indianerküche ist und dass dennoch ein Treffen von Mais u. Kaliumcarbonat in der Geschichte stattgefunden hat, was im Ergebnis ein Segen für ganze Völker war? Geht es in die Richtung? :grübel:
 
Das heißt, Deine Ausgangsfrage zielte gar nicht auf logische potentielle Erklärungen ab, wie die indigenen Völker Mittel- u. Südamerikas dazu kamen, ihrem Grundnahrungsmittel Mais Kalk u. Pottasche beizufügen,
Doch schon. Ich suche nach der logischen Antwort, die mir eine Verhaltensweise erklärt, die auf den ersten Blick unlogisch ist.

Wir hatten das in einem der verlinkten Threads mit der Olive: Die Olive ist, frisch vom Baum, ungenießbar. Salzwasser ist ungenießbar. Trotzdem essen die Menschen seit Jahrtausenden in Salzwasser eingelegte Oliven, weil eben das Salzwasser der Olive die Bitterstoffe entzieht und sie so genießbar macht. Aber darauf muss erst mal ein Mensch kommen! Und hier liegt, wie ich meine, ein Problem. Denn wer kommt den schon darauf, dass die Kombination zweier ungenießbarer Dinge etwas genießbares ergibt?
Wenn ich das mathematisch ausdrücken müsste, würde ich das so machen:
-1 + -1 = x
Erwartetes Ergebnis (entsprechend der schulmathematischen Regeln): x = -2
Tatsächliches Ergebnis (entgegen der schulmathematischen Regeln): x = 2 - die Olive schmeckt.

Für die Frage der Nixtamalización haben wir natürlich nicht zwei sich ergänzende Negativgründe, die eigentlich von einem Versuch abraten würden, wie bei der in Salzwasser eingelegten Bitterfrucht namens Olive.
Wir haben ein Nahrungsmittel, welche mit Dingen vermischt wird, die wir eigentlich nicht essen, Abfallprodukte vom Weichtieressen oder vom Verbrennen von Holz (oder entkernten Maiskolben).
 
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