Der britische Historiker Stan Wolfson hat 1957 als Student in einem Seminar Thesen zu Tacitus' Agricola und "ultima Thule" entwickelt, die von seinem damaligen Dozenten als zwar gut beobachtet aber noch unausgereift bezeichnet wurden. Es hat 50 Jahre (bis 2008) gedauert bis er sich traute, seine Thesen in Tacitus, Thule and Caledonia zu veröffentlichen.
Tacitus schreibt im Agricola:
Fürderhin ist Wolfson der Auffassung, dass Thule für alle Autoren seit Pytheas immer derselbe und auch reale Ort - also die Shetlands gewesen sei und nicht, wie andere meinen, entweder ein mythischer oder wenigstens teilweise mythischer Ort bzw. als realer Ort in Island oder Norwegen zu sehen sei.
Nach Plinius und Strabon, die sich auf Pytheas beziehen, sei Thule von Britannien aus in sechs Tagen zu erreichen. Wolfson interpretiert das so, dass nicht ein mediterranes Segelschiff in sechs Tagen zwischen England und Island benötigt hätte, sondern Pytheas seine Information von Briten gehabt hätte, die sechs Tage in Ruderbooten zu den Shetlands benötigt hätten.
Außerdem, so Wolfson, gebe es auf Island keine Bienen und keinen Hafer, was Pytheas Beschreibung der Bewohner Thules widerspräche.
Nun... entgegen Wolfson bin ich der Auffassung, dass Thule sowohl ein mythischer als auch ein realer Ort - je nach Auffassung des jeweiligen antiken Schriftstellers - war und dass das reale Thule bei Tacitus sicher die Shetlands waren - am wahrscheinlichsten erscheint mir die auf halber Strecke zwischen den Shetlands und den Orkneys gelegene, den Shetlands zugehörige (geologisch? politisch?) Insel Fair Isle (95 km von den Orkeneys, 90 km von den Shetlands). Bei anderen antiken Schriftstellern, bei denen Thule einen realen Ort darstellt, wäre dies zu überprüfen, falls die Angaben überhaupt deutlich genug sind.
Die Tatsachenbehauptung, dass auf Thule nach Pytheas Met oder ein anderes Getränk auf Honigbasis genossen und Hafer gegessen wurde, würde ich unter q-kritischen Gesichtspunkten eher mit Vorsicht genießen und darauf keine Argumnetation aufbauen.
Ich halte es, angesichts archäologischer Befunde für plausibel, dass Agricola bis zum Moray Firth also weit über den späteren Hadrianswall und sogar über den antoninischen Wall vorgestoßen ist, aber die Auffassung Wolfsons, dass er tatsächlich ganz Kaledonien und die Orkneys erobert habe (aber auch hier macht Wolfson deutlich, dass er sich bewusst ist, sich in einer Außenseiterposition zu befinden), möchte ich nicht teilen.
Wolfson argumentiert nämlich in etwa so, dass die Umseglung Großbritanniens mit der Flotte quasi parallel zum marschierenden Landheer geschehen sei. Dafür sehe ich allerdings keinerlei Anlass.
Was meint ihr?
Tacitus schreibt im Agricola:
Hanc oram novissimi maris tunc primum Romana classis circumvecta insulam esse Britanniam adfirmavit, ac simul incognitas ad id tempus insulas, quas Orcadas vocant, invenit domuitque. Dispecta est et Thule, quia hactenus iussum, et hiems adpetebat. Sed mare pigrum et grave remigantibus perhibent ne ventis quidem perinde attolli, credo quod rariores terrae montesque, causa ac materia tempestatum, et profunda moles continui maris tardius impellitur.
Diese Küste des äußersten Meeres umfuhr damals zum ersten Mal eine römische Flotte und bestätigte, dass Britannien eine Insel sei; zugleich fand und bezwang sie bis dahin unbekannte Inseln, die man Orcades nennt. Auch Thule erspähte man, weil bis hierher befohlen wurde, und der Winter herannahte. Das aber träge und für Ruderer unbequeme Meer, so sagt man, werde nicht einmal durch Winde in gleicher Weise emporgehoben – ich glaube, weil Länder und Berge, Ursache und Veranlassung für Stürme, seltener sind und die tiefe Masse eines ununterbrochenen Meeres langsamer in Bewegung gesetzt wird.
(ÜS: www.latein-imperium.de/, nur einen Fehler habe ich entfernt.)
Wolfson wehrt sich gegen die Behauptung, dass Tacitus die Eroberung der Orkneys und die Erspähung Thules nur niedergeschrieben habe, um den Ruhm seines Schwiegervaters zu mehren - sagt aber immerhin, dass das eine verbreitete Auffassung sei.Diese Küste des äußersten Meeres umfuhr damals zum ersten Mal eine römische Flotte und bestätigte, dass Britannien eine Insel sei; zugleich fand und bezwang sie bis dahin unbekannte Inseln, die man Orcades nennt. Auch Thule erspähte man, weil bis hierher befohlen wurde, und der Winter herannahte. Das aber träge und für Ruderer unbequeme Meer, so sagt man, werde nicht einmal durch Winde in gleicher Weise emporgehoben – ich glaube, weil Länder und Berge, Ursache und Veranlassung für Stürme, seltener sind und die tiefe Masse eines ununterbrochenen Meeres langsamer in Bewegung gesetzt wird.
(ÜS: www.latein-imperium.de/, nur einen Fehler habe ich entfernt.)
Fürderhin ist Wolfson der Auffassung, dass Thule für alle Autoren seit Pytheas immer derselbe und auch reale Ort - also die Shetlands gewesen sei und nicht, wie andere meinen, entweder ein mythischer oder wenigstens teilweise mythischer Ort bzw. als realer Ort in Island oder Norwegen zu sehen sei.
Nach Plinius und Strabon, die sich auf Pytheas beziehen, sei Thule von Britannien aus in sechs Tagen zu erreichen. Wolfson interpretiert das so, dass nicht ein mediterranes Segelschiff in sechs Tagen zwischen England und Island benötigt hätte, sondern Pytheas seine Information von Briten gehabt hätte, die sechs Tage in Ruderbooten zu den Shetlands benötigt hätten.
Außerdem, so Wolfson, gebe es auf Island keine Bienen und keinen Hafer, was Pytheas Beschreibung der Bewohner Thules widerspräche.
Nun... entgegen Wolfson bin ich der Auffassung, dass Thule sowohl ein mythischer als auch ein realer Ort - je nach Auffassung des jeweiligen antiken Schriftstellers - war und dass das reale Thule bei Tacitus sicher die Shetlands waren - am wahrscheinlichsten erscheint mir die auf halber Strecke zwischen den Shetlands und den Orkneys gelegene, den Shetlands zugehörige (geologisch? politisch?) Insel Fair Isle (95 km von den Orkeneys, 90 km von den Shetlands). Bei anderen antiken Schriftstellern, bei denen Thule einen realen Ort darstellt, wäre dies zu überprüfen, falls die Angaben überhaupt deutlich genug sind.
Die Tatsachenbehauptung, dass auf Thule nach Pytheas Met oder ein anderes Getränk auf Honigbasis genossen und Hafer gegessen wurde, würde ich unter q-kritischen Gesichtspunkten eher mit Vorsicht genießen und darauf keine Argumnetation aufbauen.
Ich halte es, angesichts archäologischer Befunde für plausibel, dass Agricola bis zum Moray Firth also weit über den späteren Hadrianswall und sogar über den antoninischen Wall vorgestoßen ist, aber die Auffassung Wolfsons, dass er tatsächlich ganz Kaledonien und die Orkneys erobert habe (aber auch hier macht Wolfson deutlich, dass er sich bewusst ist, sich in einer Außenseiterposition zu befinden), möchte ich nicht teilen.
Wolfson argumentiert nämlich in etwa so, dass die Umseglung Großbritanniens mit der Flotte quasi parallel zum marschierenden Landheer geschehen sei. Dafür sehe ich allerdings keinerlei Anlass.
Was meint ihr?