Wie hat Hitler das Ermächtigungsgesetz begründet?

schokomausi97

Neues Mitglied
Diese Frage ist mir sehr wichtig. Das Ermächtigungsgesetz diente in der Weimarer Zeit ja eig. zur Erhaltung der Verfassung und war somit eher gesetzgebungsvertretend. Nun wurde durch das Gesetz ja ein eigener Gesetzgeber, ein eigener Verfassungsgeber eingesetzt, der die Verfassung nicht erhalten, sondern sogar ändern wollte. Wie hat Hitler das so überzeugend begründet.
 
Wie hat Hitler das so überzeugend begründet.

Im wesentlichen durch politischen Druck, durch Gewalt, Terror und Verhaftungen. Im Kontext eines durch die NS-Propaganda inszenierten "Bürgerkriegs-Szenario".

Und Wiki schreibt dazu kurz und weitgehend korrekt:

"Hitlers Absicht war es, den Reichstag auszuschalten und die Verfassung de facto außer Kraft zu setzen. Um dies zu erreichen, wurde zunächst die Geschäftsordnung des Reichstages geändert, um formal den Anwesenheitsanforderungen trotz Inhaftierung und Abwesenheit der kommunistischen Abgeordneten gerecht werden zu können. Sodann wurde – im Beisein illegal im Reichstag anwesender bewaffneter und uniformierter SA- und SS-Angehöriger – unter der neuen Geschäftsordnung das Ermächtigungsgesetz beschlossen.

Alle Parteien außer der SPD stimmten sowohl der Änderung der Geschäftsordnung wie auch dem „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ zu; wegen der Gegenstimmen der SPD waren für das Erreichen der Zweidrittelmehrheit und die endgültige Annahme des Gesetzes die Stimmen der Zentrumspartei ausschlaggebend."


Die SPD tat sich vor allem schwer, da sie nicht zum Mittel des Generalstreiks greifen wollte, den sie zum damaligen Zeitpunkt als problematisch angesehen haben. Hätten sie gewußt, was auf sie zukommt, dann hätten sie zusammen mit den Gewerkschaften den Generalstreik ausgerufen. Um die Weimarer Republik zu retten.

Deshalb: Von "überzeugend" kann bestenfalls in einem zynischen Sinne die Rede sein, sofern es um die sogenannte "Begründung" durch Hitler ging.
 
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Die SPD tat sich vor allem schwer, da sie nicht zum Mittel des Generalstreiks greifen wollte, den sie zum damaligen Zeitpunkt als problematisch angesehen haben. Hätten sie gewußt, was auf sie zukommt, dann hätten sie zusammen mit den Gewerkschaften den Generalstreik ausgerufen. Um die Weimarer Republik zu retten.
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Das ist gewiss richtig.
Interessant finde ich hierzu die Nachwirkungen des erfolgreichen Generalstreiks von 1920 zur Abwendung der versuchten antirepublikanischen Gegenrevolution durch Kapp/Lützwitz/Brigade-Erhardt.
Dazu H. A. Winkler - Weimar 1918-1933 - Seite 135:
Dennoch hinterließ der Generalstreik bei den Gewerkschaften bittere Erinnerungen, die mit dazu beitrugen, daß dieses Kampfmittel in der Endkrise der Weimarer Republik nicht mehr ernsthaft erwogen, geschweige denn eingesetzt wurde: Die radikale Linke hatte den Generalstreik von 1920 gegen den Willen der Gewerkschaften in einen bewaffneten Kampf verwandelt, aus dem nicht die Arbeiterschaft, sondern das Militär als Sieger hervorging
.

Ich denke, dass hier, 1933, zudem die Kräfteverhältnisse viel ungünstiger waren.
1920 waren ja geradezu ideale Voraussetzungen für einen Generalstreik.
Denn es gab Vollbeschäftigung, ganz im Gegensatz zu 1933, und somit ein wesentlich geringeres Risiko den Arbeitsplatz, als Voraussetzung für die Würde die Eigenen ernähren zu können, zu verlieren,
und es gab nicht einen Gegensatz zu einer sich etablierenden Regierungsgewalt.
Es war in, einer vergleichsweise offenen Situation, genau das Gegenteil der Fall.

Schokomausi:
Wie hat Hitler das so überzeugend begründet.

Die Überzeugungskraft Hitlers war einerseits in seiner ungewöhnlichen Fähigkeit begründet, Stimmungen zu verstehen und zu verstärken,
und andererseits darin,
dass er sich am Ende einer, chaotisch beginnenden, Weltzeit, die sich nun wieder krisenhaft zeigte, als der Erlöser präsentieren konnte, der anfangs vermisst wurde.
Dabei spielt ein geniales doppeltes Spiel.
Den einflussarmen, und einflussdürstenden, Massen gegenüber zeigt er sich als Radikaler.
Gegenüber den Mächtigen gibt er sich weitaus bescheidener.
 
Zeitgenössische Begründungen aus

[FONT=&quot][FONT=&quot]Hans Frank: Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung. 1935.S. 343-345, 384.

[/FONT]Zuerst mit der Vereinfachung des Gesetzgebungsweges, anders ausgedrückt Entbürokratisierung durch Entparlamentarisierung. Jetzt konnte die Reichsregierung nicht nur Rechtsverordnungen sondern auch formale Gesetze erlassen. Bis Oktober 1934 ca. 250 Gesetze. Das sollte notwendig sein, um a) die Not von Volk und Reich zu beheben und b) die Autorität und Stabilität des neuen Regiments zu stärken. [/FONT]
[FONT=&quot]Hinzu kommt das Vertrauen des deutschen Volkes in die neue Regierung, durch die plebiszitären Wahlen vom 5. März 1933 zum Ausdruck gebracht, dem sich die Volksvertretung/Reichstag durch das Gesetz und die damit verbundene Übertragung von Macht an die vertrauensvolle Reichsregierung anschließen musste. Statt der anonymen Körperschaft Parlament sollten Einzelpersönlichkeiten Verantwortung übernehmen und die Gesetze zeichnen. [/FONT]
[FONT=&quot]Die Bestimmung, das so beschlossene Gesetze von der Reichsverfassung abweichen dürfen wurde damit begründet, das einzelne Verfassungsvorschriften nur durchbrochen oder außer Wirksamkeit gesetzt nicht aber der Text der Reichsverfassung damit geändert wird. [/FONT]
[FONT=&quot]Weiter sollten die Rechte des Reichspräsidenten (ein Jahr später hatte Hitler und damit die Reichsregierung auch dieses Amt übernommen) nach dessen Ausschaltung aus dem vereinfachten Gesetzgebungsverfahren gewahrt bleiben. Dazu gehörte die Reichstagsauflösung, Ernennung von Reichskanzler und –ministern, das Beamtenernennungsrecht, das Begnadigungs- und Notverordnungsrecht. Das Notverordnungsrecht war natürlich durch die eingeführte vereinfachte Gesetzgebung der Reichsregierung bedeutungslos. [/FONT]
[FONT=&quot]Der Begriff Ermächtigungsgesetz wurde von zeitgenössischen Juristen als ungenügend abgelehnt. Carl Schmitt, der die Rechtswirksamkeit des Gesetzes mit der staats- und rechtsbegründenden Funktion der nationalen Revolution (Machtergreifung) begründete nannte es daher eine vorläufige Verfassung. Schon 1934 erübrigte sich aber diese Diskussion mit dem Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934 und dem Artikel 4 zur sachlich und zeitlich vorbehaltlosen Setzung von Verfassungsrecht durch die Reichsregierung, der Aufhebung des Reichsrates mit Gesetz vom 14. Februar 1934 und der Vereinigung der Ämter Reichskanzler und –präsident durch Gesetz vom 1. August 1934. [/FONT]
 
Es gibt noch einen Punkt, weswegen SPD und Gewerkschaften im Gegensatz zu 1920 nicht mit einem generalstreik reagierten: Der Kapp-Lütwitz-Putsch war vollkommen eindeutig illegal, eben ein Putsch. Und auch, wenn wir heute wissen, dass Hitler nicht einmal formal legal zur Macht kam - per 1933 wirkte das eben "legal". Man lese auch die Wels-rede mal im ganzen: Verhandlungen des Deutschen Reichstags

"Der Herr Reichskanzler"...dem außenpolitischen Teil der Ausführungen des Herrn Reichskanzlers stimme man als SPD zu etcetc...es wäre wohlfeil, heute darüber zu spotten. Die hielten das damals noch für einen normalen Regierungswechsel. Und in vier jahren gäbe es ja wieder Wahlen, und da werde man ja sehen...
 
"Der Herr Reichskanzler"...dem außenpolitischen Teil der Ausführungen des Herrn Reichskanzlers stimme man als SPD zu etcetc...es wäre wohlfeil, heute darüber zu spotten. Die hielten das damals noch für einen normalen Regierungswechsel. Und in vier jahren gäbe es ja wieder Wahlen, und da werde man ja sehen...

Das erscheint eine These zu sein, für die zunächst auch keine Literatur angeführt wird, die nicht zutrifft. Und die historischen Akteure einmal mehr und etwas vorschnell zu "Deppen" degradiert.

Die führenden Politiker der SPD aber waren weder "Deppen", noch waren sie besonders blauäugig!

Vielmehr, am Abend des 30. Januar, wie Smalldone bereits im Vorwort !! schreibt, haben sich die führenden Vertreter der SPD im Reichstag versammelt und Breitscheid gab eine Einschätzung, das eine Regierung durch Hitler - vor dem Hintergrund der bisherigen "Präsidial-Kabinette" - auf eine Diktatur hinauslaufen würde [2]

Sehr deutlich betont Faulenbach in seiner kurzen Darstellung zur Geschichte der SPD, dass die SPD den Charakter der NSDAP als einer diktatorischen Kraft durchaus deutlich verstanden hätte [1, S. 52ff]

Faulenbach betont darüberhinaus, dass bereits theoretische Ansätze durch Wels und Breitscheid vor der "Machtergreifung" formuliert worden sind, die die Merkmale "totalitärer" Herrschaft durch die Nationalsozialisten angemessen beschreiben. Zudem erfassen sie in einem komparativen Sinne Ähnlichkeiten des Politikstils des Nationalsozialisten mit dem des Faschismus und dem des Stalinismus.

1. B. Faulenbach: Geschichte der SPD. 2012
2. W. Smalldone: Confronting Hitler. German Social Democrats in Defence of the Weimar Republic, 1929 - 1933, 2010
 
hallo thanepower

Faulenbach, Bernd, Geschichte der SPD, München 2012 p.56

Es fehlt (in der Wels-Rede, m. Anm.) auch in diesem Kontext nicht der - die Brutalität und die Konsequenz des NS unterschätzende - Hinweis auf das Sozialistengesetz: "Auch aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen."

Natürlich glaubten die Sozialdemokraten damals noch ein kurzes Weilchen, es werde so eine Art gesteigerte Sozialistenverfolgung wie im Kaiserreich geben. Dass die
Nazis dann sehr schnell Fahrt aufnahmen und keine Zweifel daran ließen, dass hier mit ganz anderem Kaliber vorgegangen werde als unter Bismarck, ist richtig, aber einige Parlamentarier haben ja sogar noch nach dem 23. März, wie Faulenbach aaO richtig schrieb, kurz noch den Betrieb aufrecht halten wollen.
 
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Also ich werde mich mit Dir nicht groß streiten; zumindest Faulenbach kannst Du aber nicht als Beleg anführen. Wels sagte nach der Märzwahl (Faulenbach p. 55), die SPD sei geschlagen und "müsse wieder von vorn anfangen" - d.h.: Im Staat, nicht in der Emigration. Die gingen, für wenige Wochen/Monate, von einer Art etwas schlimmerem Sozialistengesetz in einer Diktatur Hitlers aus...(bitte auch im Auge behalten, dass "Diktatur" damals etwas anderes bedeutete als heute; zB hatte man auch die de facto Diktatur Ludendorffs WW I im Auge, und auch Bismarck wurde als "Diktator" wahrgenommen). Dass es so schnell zu einer solchen Totalisierung kommen würde, mit Zwang zur Emigration bzw Zwang, eisern still zu halten, damit konnte man nicht rechnen. Und das ist den Sozis auch nicht vorzuwerfen. So meinte ich es. So steht es auch da.
 
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