Narzissmus unter Diktatoren

@excideul: Ein Einzelereignis ist vermutlich wenig geeignet die Persönlichkeit einer Person zu erkunden, besonders wen wir dazu auch noch auf einen subjektiven Bericht angewiesen sind. Wenn wir aber z.B. Hitler betrachten wollten, hätten wir reichlich authentisches Material zur Verfügung: Tonaufnahmen, Tonfilmaufnahmen, sebst verfasstes Textmaterial: Bei dieser Menge an authentischem Material kann man sich gar nicht mehr verstecken. Das ist etwas grundlegend anderes als isolierte Ereignisse, wie das von dir geschilderte.
 
@excideul: Ein Einzelereignis ist vermutlich wenig geeignet die Persönlichkeit einer Person zu erkunden, besonders wen wir dazu auch noch auf einen subjektiven Bericht angewiesen sind. Wenn wir aber z.B. Hitler betrachten wollten, hätten wir reichlich authentisches Material zur Verfügung: Tonaufnahmen, Tonfilmaufnahmen, sebst verfasstes Textmaterial: Bei dieser Menge an authentischem Material kann man sich gar nicht mehr verstecken. Das ist etwas grundlegend anderes als isolierte Ereignisse, wie das von dir geschilderte.

Authentisch (im Sinne von: "nicht gestellt") ist davon so gut wie nichts. Die privaten Tagebücher waren leider eine Fälschung. Texte wie "Mein Kampf" sind für ein Publikum geschrieben. Ton- und Filmaufnahmen gibt es nur von öffentlichen Reden und inszenierten öffentlichen Auftritten.
Siehe http://www.geschichtsforum.de/693177-post62.html
 
Zuletzt bearbeitet:
Es gibt allerdings die stundenlangen Monologe, die Hitler nachts vor einem gelangweilten Publikum aus Sekretärinnen, Küchenhilfen, Chauffeuren etc. hielt: Die Tischgespräche. Bormann ließ diese ja bekanntermaßen aufzeichnen, um für seine Entscheidungen immer eine Aussage Hitlers bei der Hand zu haben.
 
@excideul: Wenn wir aber z.B. Hitler betrachten wollten, hätten wir reichlich authentisches Material zur Verfügung: Tonaufnahmen, Tonfilmaufnahmen, sebst verfasstes Textmaterial: Bei dieser Menge an authentischem Material kann man sich gar nicht mehr verstecken.


Die dokumentierte Inszenierung, beispielsweise des1000-jährigen Reichsglauben der Nationalsozialisten als authentisches Material für den Umgang mit geschichtlichen Ereignissen zu nehmen - zeigt das nicht die Abwesenheit der kritischen Auseinandersetzung mit Quellen? Die Vorgabe, „typische Muster“ aus den beispielsweise von den Nationalsozialisten selbst inszenierten Dokumenten abzuleiten, lässt sich mit einem moralisch aufgeladenen Begriffssystem der Psychologie praktizieren. Eine Methodik wird favorisiert, die das geschichtliche Individuum moralisch nimmt, und dieser entsprechend bewertet. Hitler beispielsweise, wäre er beispielsweise der Mitfühlende gewesen, wäre einer der Guten in der Geschichte gewesen, einer der Guten der Geschichte kann Hitler jedoch nicht sein, da Hitler beispielsweise in Ton-und Bilddokumenten von Volks- und Reichsfeinden redet, die es gilt als Mitmenschen nicht zu behandeln. Was ist mit einer aktuellen Ächtung des beispielsweise Menschen Ächtenden, des geschichtlichen Redners Hitler gewonnen? Die Moralische Verurteilung Hitlers. Die moralische Verurteilung beispielsweise Hitlers Reden, verhindert beispielsweise die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.
 
@excideuil: Ein Einzelereignis ist vermutlich wenig geeignet die Persönlichkeit einer Person zu erkunden, besonders wenn wir dazu auch noch auf einen subjektiven Bericht angewiesen sind.
Von dem von mir geschilderten Einzelereignis gibt es viele Beispiele. Wenn wir aber bei einem Ereignis nicht bestimmen können, ob der Wutausbruch echt war oder nicht, können wir es dann bei mehreren?
Selbst, wenn es gelänge, zu beweisen, dass Napoleon zu impulsivem Handeln neigte, was hieße das? Gar nichts.
Wenn wir aber z.B. Hitler betrachten wollten, hätten wir reichlich authentisches Material zur Verfügung: Tonaufnahmen, Tonfilmaufnahmen, sebst verfasstes Textmaterial: Bei dieser Menge an authentischem Material kann man sich gar nicht mehr verstecken. Das ist etwas grundlegend anderes als isolierte Ereignisse, wie das von dir geschilderte.
Na, ja, das Vorhandensein von Bild- und Tonaufnahmen bedeutet doch nur, dass es eine weitere "Spielwiese" gibt. Mehr nicht.
Wer will denn aus dem Text einer Ansprache und der Mimik und Gestik auf die Psyche des Redners schließen. Sichtbar wird zudem doch nur eine Momentaufaufnahme eines Redners, dessen Tagesform nicht bekannt ist, wir also nicht wissen, ob er nicht vllt. gerade ein wenig erkältet und heiser war, oder sein Kreuz noch nicht gemacht hat oder was auch immer.
Also auch wieder nur Spekulation.

Ich frage mich besorgt, was der Zusammenhang von Diktator und Narzissmus überhaupt soll? Ein Diktator ist ebenso ein Machtmensch wie ein Politiker, der in einer Demokratie die Politik einer Nation leitet. Was soll/kann denn damit bewiesen werden?

Grüße
excideuil
 
Die ganze Situation spricht dafür, dass Napoleons "Wutausbruch" kalkuliert, vielleicht auch fehlkalkuliert - weil er sich lächerlich machte - war. Für eine Inszenierung spricht der Wutausbruch in der Öffentlichkeit gegenüber der Ruhe in der Zurückgezogenheit. Einen Raum zur Entgegnung lässt Napoleon dem Botschafter nicht, da er sich sofort zurückzieht. Somit ist - vor einer Öffentlichkeit - die Kriegsschuldfrage geklärt.
 
...Wenn wir aber z.B. Hitler betrachten wollten, hätten wir reichlich authentisches Material zur Verfügung: Tonaufnahmen, Tonfilmaufnahmen, sebst verfasstes Textmaterial: Bei dieser Menge an authentischem Material kann man sich gar nicht mehr verstecken.

Aha. Was sagt uns dann dieser jahrzehntelange Disput?
Psychopathographie Adolf Hitlers ? Wikipedia

Welche fachwissenschaftliche Meinung hat sich in dem Zuge herausgebildet?
Welche Rolle spielt bei dem "reichlichen Material" die fehlende psychiatrische Beobachtung als Teil der Diagnostik?

Ansonsten schließe ich mich den Hinweisen von Sepiola, ElQ und excideuil an.
 
Von dem von mir geschilderten Einzelereignis gibt es viele Beispiele. Wenn wir aber bei einem Ereignis nicht bestimmen können, ob der Wutausbruch echt war oder nicht, können wir es dann bei mehreren?
Selbst, wenn es gelänge, zu beweisen, dass Napoleon zu impulsivem Handeln neigte, was hieße das? Gar nichts.
Wie gesagt, Napoleon ist wesentlich schwieriger zu beobachten, weill wir nur mittelbare Berichte haben, was sein Reden samt Gestik und Mimik anbelangt. Ein, zumal pschologisch ungeschulter, Beobachter ist aber keine sonderlich gute Quelle für diese Fragestellung.

Na, ja, das Vorhandensein von Bild- und Tonaufnahmen bedeutet doch nur, dass es eine weitere "Spielwiese" gibt. Mehr nicht.
Wer will denn aus dem Text einer Ansprache und der Mimik und Gestik auf die Psyche des Redners schließen. Sichtbar wird zudem doch nur eine Momentaufaufnahme eines Redners, dessen Tagesform nicht bekannt ist, wir also nicht wissen, ob er nicht vllt. gerade ein wenig erkältet und heiser war, oder sein Kreuz noch nicht gemacht hat oder was auch immer.
Also auch wieder nur Spekulation.
Das sehe ich deutlich anders. Ich meine schon, dass die Kombination von Stimmführung, Gestik und Mimik viel dem Beobachteten unbewußte Informationen enthalten, die er kaum absichtlich unterdrücken oder gar fälschen kann. Hierfür ein einfaches Beispiel: Wenn ich mit Säuglingen und Kleinkindern kommuniziere, fällt mir auf, dass sie fast immer richtig interpretieren, ob meine Freundlichkeit und Zuwendung echt sind oder ich eigentlich gedanklich woanders bin. Ich habe durchaus einige Erfahrung mit dieser Altersgruppe, zumal ich selbst zwei Kinder habe. Meine Versuche mich zugewandt und interessiert zu geben, entlarven kleine Kinder aber praktisch immer, während sie ganz anders reagieren, wenn ich ohne Nebengedanken auf sie eingehe.
Hitler gegenüber habe ich den deutlichen Vorteil, wesentlich mehr über Psychologie zu wissen. Es würde mich doch sehr wundern, wenn Hitler auf diesem so sehr mit dem Juden Sigmund Freud assoziierten Gebiet versiert gewesen wäre. Er war offenbar ein sehr begabter Redner. Das aber funktioniert sicherlich besser aus der Intuition und der inneren Identifikation mit Rollenmustern als aus kognitiven Einsichten in Gesetzmäßigkeiten nonverbaler Kommunikation. Luis Buñuel z.B., der unglaublich psychologische Filme gedreht hat (sehr, sehr sehenswert!), hasste es auf das Thema Psychologie angesprochen zu werden. Offenbar konnte er auf kognitiver Ebene nichts damit anfangen.

Ich frage mich besorgt, was der Zusammenhang von Diktator und Narzissmus überhaupt soll? Ein Diktator ist ebenso ein Machtmensch wie ein Politiker, der in einer Demokratie die Politik einer Nation leitet. Was soll/kann denn damit bewiesen werden?
Ich verstehe den Unterschied so, dass hier Diktator eher im Sinne von Gewaltherrscher gemeint ist. Ich glaube ein freundlicher Diktator, der niemandem etwas zu Leide tut, ist in der Fragestellung nicht gemeint. Es ist doch durchaus interessant, warum der eine Herrscher, wie auch immer zur Herrschaft gelangt, zum Gewaltherrscher wird, während ein anderer milde und menschenfreundich bleibt.
Hier wieder ein Hinweis auf Hitler: Theoretisch hätte er doch nach Sicherung seiner Herrschaft auch ein milder Herrscher sein können, er hätte es bei Polemik belassen und niemanden ermorden lassen können, er hätte den Krieg vermeiden und schlicht verwalten können. Hat er aber nicht. Er hätte vermutlich wsentlich länger und im Sinne seiner Ziele wesentlich nachhaltiger erfolgreich wirken können, wenn er sich nicht so monströs entwickelt hätte, wie wir es nun leider feststellen müssen. Ich würde die Ursachen dafür wesentlich in seiner Persönlichkeit vermuten.
Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und dem Gebrauch politischer Macht scheint mir insofern sehr bedeutsam für die Frage, welche Persönlichkeitsmerkmale einen Bewerber ungeeignet für führende Staatsämter machen. Natürlich vorausgesetzt, man findet es belangvoll Gewaltherrschaften abzuwenden.
 
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Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und dem Gebrauch politischer Macht scheint mir insofern sehr bedeutsam für die Frage, welche Persönlichkeitsmerkmale einen Bewerber ungeeignet für führende Staatsämter machen. Natürlich vorausgesetzt, man findet es belangvoll Gewaltherrschaften abzuwenden.

@Hans

Diesen Gedanken konsequent zu Ende gedacht, müßten also alle Aspiranten auf ein "führendes Staatsamt" sich einer psychiatrisch/psychologischen Begutachtung unterziehen? :grübel:

Mit Verlaub, das kann doch nicht Dein Ernst sein.

M.
 
Diesen Gedanken konsequent zu Ende gedacht, müßten also alle Aspiranten auf ein "führendes Staatsamt" sich einer psychiatrisch/psychologischen Begutachtung unterziehen? :grübel:
Diesen Gedanken sollte man - wenn auch unter einem anderen Blickwinkel - ruhig weiterverfolgen.

Es gibt
(a) Personen mit unterschiedlicher Persönlichkeit
und
(b) politische Funktionen mit unterschiedlichem Anforderungsprofil
außerdem gibt es
(c) gesellschaftliche/politische Mechanismen, welche Person in welche Funktion kommt
und
(d) die Möglichkeit, eine Funktion
- gut auszuführen, genau so, wie sie "gemeint" ist
- schlecht auszuführen, i.S.v. Unfähigkeit
- missbräuchlich auszuführen, z. B. um sich selbst einen - materiellen oder neurotischen - Gewinn zu verschaffen, und sie dabei davon zu entfernen "wie sie gemeint ist".

(Zu letzterem siehe auch http://www.geschichtsforum.de/f39/kleptokratie-ein-herrschaftsmodell-mit-zukunft-37163/ )

Natürlich gilt das auch für die Nr. 1 selbst.

Am Nationalsozialismus fällt mir auf, dass dort einige Gestalten auftauchen, die dem letzten Punkt zuzuordnen wären, die entweder trotz ihrer deformierten Persönlichkeit in die Position geraten sind, oder die sogar genau wegen derselben zielgerichtet in diese Position gebracht worden sind. Himmler z. B. hat eine solche Personalpolitik gezielt betrieben.
 
@ Hans
In silesias Link kannst du nachlesen, was die ex-post Untersuchungen zu Hitlers Psyche bislang gebracht haben: nämlich nichts!

Aber, selbst, wenn es gelänge, zweifelsfrei nachzuweisen, dass Hitler nicht oder psychisch krank gewesen wäre, was bedeutet dies dann, was ließe sich daraus schlussfolgern?
M.M.n. nichts, denn ich kann nicht aus der psychologischen Situation einer einzelnen Person heraus eine Diktatur erklären. So nach dem Motto: Es musste ja so kommen, denn Hitler war psychisch krank.
Die Fixierung ausschließlich auf eine oder mehrere Person(en) lenkt zudem von den tatsächlichen gesellschaftlichen Ursachen, die den Keim einer Diktatur in sich tragen ab.

Und damit muss deine Schlussfolgerung falsch sein:
Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und dem Gebrauch politischer Macht scheint mir insofern sehr bedeutsam für die Frage, welche Persönlichkeitsmerkmale einen Bewerber ungeeignet für führende Staatsämter machen. Natürlich vorausgesetzt, man findet es belangvoll Gewaltherrschaften abzuwenden.
So, so, man nehme bei Führungs-Politikern ein Auswahl nach "guten" Kriterien vor und dann sind Gewaltherrschaften verhindert?
Von diesem schmalen Brett stürzst du unweigerlich ab!

Grüße
excideuil
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und dem Gebrauch politischer Macht scheint mir insofern sehr bedeutsam für die Frage, welche Persönlichkeitsmerkmale einen Bewerber ungeeignet für führende Staatsämter machen. Natürlich vorausgesetzt, man findet es belangvoll Gewaltherrschaften abzuwenden.


Psychologie bestimmt Kriterien, dass heißt Persönlichkeitsmerkmale die einen Menschen zum „führenden Staatsmann“ erklären. Diese Kriterien folgenden Politiker verkörpern dann das Ende der Gewaltherrschaft. Nicht nur Geschichte zeigt diesbezüglich völlig anderes. Die von dieser Psychologie herkommende Verkennung und Verdrehung von Staat/Politik, Geschichte (und Gegenwart) gehört in die Literatur, in der die Empörung beispielsweise über staatliche Strukturen, in der Moral, die Definition des zu Verurteilenden Anderen zu finden ist. Psychologie der Verkennung und Verkehrung nicht nur von Staat/Politik, Geschichte (Gegenwart), mit der die Analyse vorgefundener Gegebenheiten verfehlt wird.
 
Aha. Was sagt uns dann dieser jahrzehntelange Disput?
Psychopathographie Adolf Hitlers ? Wikipedia

Welche fachwissenschaftliche Meinung hat sich in dem Zuge herausgebildet?
Welche Rolle spielt bei dem "reichlichen Material" die fehlende psychiatrische Beobachtung als Teil der Diagnostik?

Ansonsten schließe ich mich den Hinweisen von Sepiola, ElQ und excideuil an.

silesia,

Du weist aus meiner Sicht sehr zurecht darauf hin, dass sich bei den nachträglichen psychopathologischen Betrachtungen zu Hitler keine konsistente "fachwissenschaftliche Meinung" herausgebildet hat.
Stattdessen finden wir sehr Unterschiedliches und auch viel Spekulatives.
Man darf sich auch fragen, ob dies nicht die beurteilende Zunft weit mehr spiegelt als das Objekt ihrer Betrachtung . :pfeif:
Also inwiefern die vielen Protagonisten, die sich hier bei Hitler zu Wort meldeten, bei irgendeiner Person überhaupt zu einer deckungsgleichen "Analyse" gelangen können oder konnten.

Andererseits wird man aber kaum umhinkommen, wenigstens den Versuch zu unternehmen ein Charakterbild herausragender geschichtlicher Gestalten zu rekonstruieren.
Es kann hierbei nützlich erscheinen mehrere typische Merkmale begrifflich zusammenzufassen.

Blöderweise aber sind gerade diese Begriffe, wiewohl sie tauglich sein könnten, sehr stark von einer "Wissenschaft" belegt,
die möglicherweise erst die Evolutionsstufe erklommen hat, in der sich etwa Astronomie befand, als sie sich von der Astrologie zu trennen begann.

Zudem gibt es eine sonderbare moderne Neigung Charaktereigenschaften nicht etwa als solche hinzunehmen, sondern diese (nicht zuletzt zum Vorteil der "analysierenden Zunft") mit dem Stempel des Krankhaften zu versehen.
Galeotto hat das m.E. sehr gut zusammengefasst:
Ich verstehe gar nicht warum hier ständig auf einem Krankheitsbild herumgeritten wird.

Nimmt man etwa ..
Diagnostische Kriterien
Zur Diagnose der NPS müssen mindestens 5 der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

1. hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit
2. Ist stark eingenommen von Phantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz, Schönheit oder idealer Liebe
3. glaubt von sich „besonders“ und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder angesehenen Personen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder nur mit ihnen verkehren zu können
4. verlangt nach übermäßiger Bewunderung
5. legt ein Anspruchsdenken an den Tag
6. ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch
7. zeigt einen Mangel an Empathie
8. ist häufig neidisch auf andere und glaubt andere seien neidisch auf ihn/sie
9. zeigt arrogante Züge, überhebliche Verhaltensweisen oder Handlungen
... als Krankheitsbild,
führt die Anwendung auf historische Gestalten sofort aufs Glatteis.

Betrachtet man es aber als eine Beschreibung eines Charakters innerhalb der stets vorhanden großen Spannweite des Normalen,
dann gibt das ein ganz anderes Bild.
Dann finden wir den Herrn Hitler ebenso wie den trivialen Herrn Karl

Und das ist eben keine Krankheit, sondern beschreibt einfach nur einen üblen Charakter innerhalb einer Gemeinschaft.
Ein solcher ist stets vorhanden.

Und obzwar es naheliegend und vernünftig ist, die Umstände zu beleuchten welche derartige Charaktere an die Spitze der Entscheidungsgewalt spülten,
muss die Szenerie unvollständig bleiben,
ohne den Versuch jene zu beschreiben,
die diese Rolle eroberten.

Grüße hatl
 
Psychopathographie als Grenzen historischer Wissenschaft?

In diesem Thread wurden verschiedene Themen angesprochen, die nicht unbedingt auf der gleichen Ebene zu verhandeln sind:

Zum einen wurde schon angesprochen, daß die Narzißmusproblematik eher ins disziplinäre Feld der Psychoanalyse falle, deren Geltungsbereich insofern im politischen ihre Grenze findet, als in Frage stehende "charismatische" Persönlichkeiten in der Regel sich keiner Analyse unterziehen würde. Thanepower, der dieses Argument bereits früh einbrachte (http://www.geschichtsforum.de/692281-post7.html) trennte dieses Problem von der Herrschaftsinszenierung, und so will ich es folglich halten, wenn ich im folgenden, wie schwierig auch immer, Adolf Hitler beispielhaft diskutieren möchte.
Hinsichtlich der hier auch geführten Debatte über die Frage, ob ihm beispielsweise eine narzißtische Persönlichkeitsstörung zuzuschreibbar wäre, will ich gleich klarstellen: Was hier im Anschluß an den offiziellen psychiatrischen Diagnosen seit Beginn der 1980er Jahre als grundlegend narzißtisches Störungsbild skizziert wird, ist zwar aus psychoanalytischen Diskursen hervorgegangen, bleibt aber - unter Berücksichtigung einer gewissen Psychodynamik - rein deskriptiv. Der Ansatz, der hinsichtlich der Narzißmusproblematik in der Analytischen Sozialpsychologie, der im Zusammenhang psychoanalytischen Narzißmusdiskussion der 1970er Jahren entstanden war (ich meine Thomas Ziehes Pubertät & Narzißmus), trug dieselben Schwächen, wie die damals entstehende Selbstpsychologie: man suchte die Ursachen des Störungsbildes - nun als Neuen Sozialisationstypus - in der mangelnden mütterlichen Fürsorge. Aber das sei nur nebenbei bemerkt. Ich will nun zu Adolf Hitler kommen:

Aus einem narzißmustheoretischen Kontext heraus schrieb Alice Miller beispielsweise von "seine[n] ungelebten, in der Grandiosität abgewehrten Schmerzen" (1980, S.189) Arno Gruen, den Klaus hier mit ins eingebracht hatte (http://www.geschichtsforum.de/692289-post12.html), kritisierte sie dafür, daß sie Adolf Hitler als leidenden Menschen konstruierte und wollte in ihm den Prototypen des Psychopathen sehen, eines Krankheitsbildes, das übrigens wohl in der früheren Version des psychiatriediagagnostischen Manuals (DSM-II) aufgenommen wurde. Nichts desto weniger trifft sich Gruen mit Miller in seinen Werken in der Zurückführung der Psychpathologie auf die Abspaltung der Emotionen via Identifikation mit dem Aggressor, der im Falle Hitlers vor allem sein tyrannisierender Vater war.
Freilich bleibt hier der Einwand, den bald Silesia vorbrachte (http://www.geschichtsforum.de/693284-post71.html): der Mangel klinischer Erfahrung mit dem fraglichen Subjekt.
Tatsächlich bietet der Link zur Zusammenstellung der Pathographie Adolf Hitler aufschlußreiche Informationen und letztendlich war es der dortige Hinweis auf die Hitlerbiographie von Rudolf Olden (1935), den Alice Miller u. a. auch zitiert, der mich bspw. bei ihr dann doch auch nachlesen ließ. Der im Link aufgeführte Georg Victor, der über Hitler Ende der 1990er Jahre eine Biographie verfaßt, könnte sich übrigens auf einige Überlegungen Millers zum Antisemitismus gestützt haben, während Arno Gruen übrigens seine Position mit Sicherheit auf den dort aufgeführten Gustav Bychowski, der in den 1940er Jahren u. a. auch eine Pathographie Hitlers erstellte, abstützen konnte (ohne dies explizit zu vermerken).

Persönlich interessant fand ich die fast legendäre Überlieferung einer hysterischen Konversionsstörung* (Erblindung) im vorpommerschen Lazarett Pasewalk nach dem zweiten WK I, wobei diese psychogene Erkrankung bemerkenswerter Weise von Hitler (Mein Kampf) selbst überliefert wurde - ich finde diesen Hinweis insofern auch instruktiv, als sich ausgehend von der autobiographischen Beschreibung ggf. die von Jan Armbruster als Schwäche der Psychopathographieforschung fokussierte Hysteriediagnose direkt abschwächen läßt.

Komme ich nun zu der ebenfalls in den 1940er Jahren im Dienst des us-amerikanischen Nachrichtendienstes entstandenen Diagnose Hitlers als „ein Hysteriker am Rande der Schizophrenie“ (Walter C. Langer). Auf den ersten Blick erscheint das merkwürdig: Hysterie (Neurose) -> Schizophrenie (Psychose) - aber es ist nichts anderes als die ambulatorische Schizophrenie Zilboorgs oder das, was später als eine der narzißtischen Problematik nahe verwandten Kategorie konzipiert wurde: das Borderlinesyndrom* - Zeitnah wäre allerdings auch noch die Bezeichnung einer schizotypischen Störung.
Mag Sigmund Freud beispielsweise diese Bezeichnung seinerzeit noch unbekannt gewesen sein, wäre er doch laut Charles Singer davon "überzeugt" gewesen, "daß Hitler im medizinischen Sinne geisteskrank ist. Er sagt jedoch, daß dieser Typ des Wahnsinns unglücklicherweise vermutlich nicht bald zum Stadium der Verwirrtheit führen wird." (zit. nach Gilman in der dt. Übers. 1994)
In einem solchen Beurteilung dürfte dann vor allem noch das psychopathographischen Profile interessant sein, das ebenfalls noch vor Ende des WK II verfaßt wurde: Henry Murray prognostizierte beim Zusammenbruch seines Wahnsystems einen Selbstmord Hitlers, der bekanntlich auch als eine unbezweifelte historische Tatsache verwirklicht wurde. Murray bezog sich u. a. wohl auch auf Hermann Rauschnig, der von "Zuständen, die an Verfolgungswahnsinn und Persönlichkeitsspaltung nahe heranreichen" (zit. nach Miller, 1980, S.204) berichtete.

* Die im Wikipedia-Link aufgeführten Informationen hinsichtlich der modernen Bez. für die hysterische und auch borderline Störung sind m. E. irreführend: die komplexe Posttraumatische Belastungsstörung wird eher nur von Traumatheoretikern, die freilich durchaus das Borderline-Syndrom darunter subsumiert wünschen, favorisiert, hat sich aber im DSM-V bisher noch nicht durchgesetzt, wenn auch die PTBS seit 2013 zu den Persönlichkeitsstörungen zählt; nach wie vor wird eine davon differentialdiagnostisch unterschiedene Borderline- und narzißtische (ebenso wie schizotypische) Persönlichkeitsstörung abgegrenzt. Die Angabe einer histrionischen oder dissoziativen Persönlichkeitsstörung als Bez. einer heutigen Diagnose von Konversionsstörungen ist insofern falsch, als in ihnen die Umsetzung einer psychogen verursachten somatischen Störung kein Kriterium darstellt - zumindest, was die DSM-Kriterien betraf, wenn auch ohne ätiologische Annahme, eine Konversionsstörung weiterhin auffführte; im ICD-10 hingegen kann die dissoziative Störung auch Konversionsstörungen aufweisen (vgl. Konversionsstörungen: Diagnose, Klassifikation und Therapie ; mit 22 Tabellen - Marc Kößler, Carl Eduard Scheidt - Google Books)

Die hier nur ansatzweise zusammengestellten Hinweise aus der klinischen Literatur könnten, wenn ich das resümieren darf, durchaus auch im klinischen Sinne eine Psychopathographie sinnvoll ergeben, die allerdings psychohistorisch noch etwas detaillierter argumentieren müßte. Daß es darüber derzeit keinen Konsens gibt, wie kritisch eingewendet wurde, geht über die zugrunde liegenden Fakten aber vermutlich hinaus, insofern zugrunde legbare psychologische oder auch neurobiologische Theorien zum Thema der Psychpathologie auch nach über einem Jahrhundert Psychiatriegeschichte zu sehr divergieren. Schon allein im Hinblick auf die Psychoanalyse lassen sich variationsreich Narzißmustheorien aufführen, die das Hitlersche Wahnsystem, über das es eigentlich gar keinen Zweifel geben sollte, psychologisch aufzuklären versuchen wollten. Ein historischer Zugang müßte darüber hinaus einem Psychologierungsverdacht souverän begegnen können, indem er zugleich die Geschichte der Psychiatrie und deren immanente Aporien reflektiert. Aber ich fürchte, auch darin erübrigt sich die psychohistorische Problematik nicht einmal:

Ich habe oben strategisch die Frage nach der Herrschaftsinszenierung ausgeschlossen. Der Hinweis auf die autobiographische Referenz Adolf Hitlers wirft allerdings implizit diese auf, und zwar in narrativer Hinsicht: Die hysterische Konversionsreaktion steht im Kontext seines Entschlusses, selbst politisch aktiv zu werden. Hier müßte sorgfältig analysiert werden, um widerspruchslos aufzuklären, warum es nicht öffentlich anging, daß die psychgene Erblindung als Krankheitssymptom identifzieren zu lassen: Ein gewisser M. Müller soll in seinen Erinnerungen überliefert haben, daß Karl Wilmanns im Jahre 1933 seinen Lehrstuhl für Psychiatrie in Heidelberg verlassen mußte, weil er in einem Kolloquium "Hitler als Beispiel für eine 'psychogene Amaurose' [...] genannt habe" (L. Hermle, 1988, S.108)

Lit. (nicht angegebene Verweise bei Wikipedia - siehe Silesias Link)
Alice Miller, Am Anfang war Erziehung (Suhrkamp, 1980); Arno Gruen, Der Verrat am Selbst (dtv, 1986); Gilman (im engl. Original): Freud, Race, and Gender - Sander L. Gilman - Google Books
Müller, Erinnerungen. Erlebte Psychiatriegeschichte 1920-1960. Berlin, 1982
L. Hermle, Karl Wilmanns (1973-1945. Fortschritte der Neurologie - Psychiatrie 56

 
Zuletzt bearbeitet:
Mit der "hysterischen Konversionsreaktion" meine ich eine begriflliche Kombination aus "hysterischer Reaktion" als "Konversion"; es handelt sich dabei um eine als funtionelle Störung definierte anatomische Einschränkung, sei es im motorischen Bereich (sprich: Lähmungen oder Tics), in der Sensorik (also des Sehen, Hörens, u. ä.) - auch Anästhesien zählen dazu, was ich kuzerhand als Empfindungstaubheit umschreiben möchte; ferner andere somatische Erscheinungen wie Schmerzempfindungen.
Das hysterische Spektrum im klassischen Sinne, d. h. wie es in den Jahrzehnten der Entstehung der Psychoanalyse beschrieben wurde, wäre damit noch nicht vollständig umrissen. Bei Dr. Hoffmann zu Anfang des WK I habe ich die zunächst schwer eingängige Formulierung gefunden, daß das charakteristische Merkmal der Hysterie - somatisch gesehen - die Unechtheit der Krankheit sei, als Scheincharakter des spezifisch Hysterischen; das meint nichts anderes als ein somatoformes Kranheitsbild, das Freud dahingehend zu charakterisieren versuchte, daß es die Anatomie nachahme. Es ist aber nicht psychosomatisch in dem Sinne, daß eine organische Schädigung vorläge. Eigentlich wollte ich bei der Konversion den Ohnmachtsanfall miteinbeziehen, aber das Symptom paßt wohl nicht in diese enge Definition und basiert psychologisch eher auf einem anderen Mechanismen. Wenn man allerdings den Gleichgewichtssinn als eingeschränkt mit einbezieht, ließe sich wenigstens der Schwindel mit aufnehmen. Stavros Mentzos (1982) erinnert mich gerade daran, daß auch Sprachstörungen hinzugenommen werden dürfen.

Wie dem auch sei, scheint mir eine solche Konversionssymtomatik tatsächlich von Hitler selbst beschrieben:

Vom Rahmen her als Berufungserzählung aufgebaut, steht voran die Dolchstoßlegende ("das Gift der Heimat"), deren Resultat auf eine demütigende Niederlage hinausläuft, deren düstere Theatralität Adolf Hitler selbst inszeniert, um sich als Retter des Vaterlandes zu prognostizieren.
Hitler stilisiert sich als Protagonist an der Nordwestfront, an der die Kameradschaft bereits politisch intoxikiert war, lag keinen Monat später "etwas Unbestimmtes, aber Widerliches in der Luft": er wollte offensichtlich die gärende Revolution, die er noch für eine "Ausgeburt der Phantasie" hielt und doch wörtlich: erleben mußte, nicht verstehen und so wurde sie für ihn auch denn ein plötzlicher und unvermittelt hereinbrechendes "Unglück".

Der politischen Vergiftung an Front war noch vor Ort eines nachts Mitte Oktober 1918 der plötzliche Senfgas-Angriff gefolgt, und es waren nahezu unmittelbar ("Bis Mitternacht") die ersten Kameraden gefallen, aber er selbst hätte dort erst "[g]egen Morgen" im Viertelstundentakt ärgeren Schmerz empfunden; dann "um sieben Uhr früh stolperte und schwankte ich mit brennenden Augen", um Meldung zu machen und "chon einige Stunden später waren die Augen in glühende Kohlen verwandelt, es war finster um mich geworden."
Die Erkrankung einer "doppelten Konjunktivitis" - meint wohl eine stark verquollen Augenlieder, wodurch die Augen geswissermaßen geschützt werden - sei nach Hermle (1988) durch "einwandfreie Dokumente" nachgewiesen, während Lidz & Wiedemann (1989) in ihrer Stellungnahme es für nicht ausschließbar halten, "daß ursprüngliche Berichte von den Nazis vernichtet und durch anderslautende 'Dokumente' ersetzt wurden". In der Vossischen Zeitung könnte von einer Verschüttung die Rede gewesen sein (s. unten), wozu ich leider keine weiteren Informationen finden konnte.

Zu seiner mutmaßlich zügigen Genesung, bedenkt man den kurzen Zeitraum von maximal dreieinhalb Wochen, schreibt Hitler hingegen: "Mir war es in letzter Zeit etwas besser ergangen. Der bohrende Schmerz in den Augenhöhlen ließ nach; es gelang mir langsam, meine Umgebung in groben Umrissen wieder unterscheiden zu lernen" - und just in einem kurzen Augenblick des 10. Novembers, da er erfährt, daß die Republik ausgerufen wurde (als Resultat einer Revolution, an die er nicht glaubte) - diesen Moment, den er impressionistisch beschreibt (deprimierte Athmosphäre: "es legte sich tiefste Niedergeschlagenheit wohl auf alle Herzen" - soziale Traurigkeit: "Ich glaube, daß kein Auge die Tränen zurückzuhalten vermochte") vergleicht er in fast aufschlußreicher Weise mit dem Tage "am Grabe der Mutter", als er zuletzt geweint hatte - und nun als gar das Vaterland verbrecherisch verraten worden - so sieht er es, schwindelt es ihn akut und er hat den Rückfall in die Erblindung:
"Während es mir um die Augen wieder schwarz ward, tastete und taumelte ich zum Schlafsaal zurück, warf mich auf mein Lager und grub den brennenden Kopf in die Decke und Kissen." Und in der darauf folgenden Zeit will er versucht haben, sich "über das ungeheure Ereignis klar zu werden", während ihm "die Scham der Empörung und der Schande in der Stirn [brannte]."
Auf diesen meiner Ansicht nach verräterischen Satz folgt seine Kontrastierung seines "ganzen Schmerzes der Augen" zu dem für ihn desaströsen "Jammer", den er zwar "so oft schon befürchtete, nur gefühlsmäßig nie zu glauben vermochte."
Für einen Alice Miller-Kenner wie mich überrascht in der Tat nicht im nächsten Absatz davon zu lesen, daß in den darauf folgenden Nächten auch der "Haß" in ihm "wuchs". Was in Hitlers literarischer Beschreibung seiner Reaktion nämlich ziemlich eindeutig zeigt, ist die Verdrängung anderer Emotionen, ihre Abspaltung und Projektion: Er ist unfähig zur Trauer - um auf eine wichtige These der Mitscherlich anzuspielen.

Es wäre also die Aufgabe, die Argumente der Historiker zu prüfen, die sich hinsichtlich dieser Episode "entsprechend zurückhaltend [äußern]" oder ihr "wenig Bedeutung bei[messen]" (Armbruster, 2009, S.20), ferner im übrigen, ob einwandfrei ausgeschlossen werden konnte, daß Eduard Foster das kriegsneurotische Subjekt untersucht haben könnte, der - sofern er in Pasewalk als Arzt eingesetzt war - immerhin ein Spezialist für eine solche, nämlich hysterische Reaktion war, angesichts dessen er ein Jahr zuvor über diese Erkrankung publiziert hatte.
Letztendlich ist auch schwer zu beurteilen, ob es mehr als ein Gerücht war, wie Hermle tendentiös mit Hinweis auf die Vossische Zeitung angibt: aus der Lektüre seiner autobiographischen Aufzeichnung jedenfalls kann man guten Gewissens gemäß meines Eindruckes eine hysterische Reaktion Hitlers herauslesen.
Bekannt ist ebenfalls, daß sich infolge des WK I eine massive Anzahl von Kriegsneurosen, deren geläufigere zumindest pejorative Bezeichnung eben "Kriegshysterie" war, der eine Verweigerungshaltung als Motiv unterstellt wurde, etwa als "Flucht in die Krankheit" (Karl Bonhoefer) oder gar "Wille zur Krankheit" (E. Sokolowsky). Die Tochter von Karl Wilmanns meinte sich (wohl vage) erinnern zu können, daß ihr Vater ihr erzählt haben könnte, daß er Einsicht in irgendein Krankenblatt Hitlers gehabt hätte, die einzige Information, die darauf hindeutet ist für mich leider nur, daß er von einer "Verschüttung" Hitlers zum Ende des Krieges wußte, aus dem sich beispielsweise durchaus im heutigen Verständnis so etwas wie eine Trauma rekonstruieren ließe. (Vielleicht hatte Wilsmann aber auch "Mein Kampf" gelesen?)

Wie dem auch sei, um meine zusammengetragen Daten und Interpretationen hier abzuschließen, will ich nur noch bemerken, daß eine Paläo-Psychopathographie ein Verständnis von psychischer Erkrankung überhaupt entwickeln müßte, das heißt sie müßte eine sinnvolle Theorie für Lebens- und Krankengeschichte als Möglichkeit überhaupt in Betracht ziehen können, und das vermisse ich arg in dem Diskurs zum Problem.

Jetzt habe ich mich leider nicht weiter zum Narzißmus ausgelassen, aber ich stände dabei persönlich vor der Aufgabe, Arno Gruens Kritik an Miller zu akzeptieren, und nichts desto weniger zu versuchen, sie auch abzuweisen und hätte ggf. immer noch nichts zum Narzißmus gesagt, dessen Prolematik ich zudem auch eher von Bela Grunberger aufzurollen wünschte, was ein faszinierendes wie komplexes Unterfangen wäre. Andererseits wollte ich auch eigentlich nur kurz auf die Frage antworten :red:



R.A.E. Hoffmann, Über die Behandlung der Kriegshysterie in den badischen Nervenlazarette. Zeitschrift für die gesamte Neurologie & Psychiatrie 55/ (Dez., 1920), S.114
Metzos, Neurotische Konfliktverarbeitung. München, 1982, Abschnitt VIII. Variationen der reifen ('psychoneurotischen') Modi der Konfliktverarbeitung. 1: Der hysterische Modus
Ruth Lidz (geb. Wilmanns) & Hans-Rudlf Wiedemann, Karl Wilsmann (1873-1945). Fortschritte der Neurologie - Psychiatrie 57 (1989)
Armbruster, Die Behandlung Adolf Hitlers im Lazarett Pasewalk 1918: Historische Mythenbildung durch einseitige bzw. spekulative Pathographie. Journal für Neurologie, Neurochirurgie & Psychiatrie 10/4 (2009), S.18-23
Sokolowsky, Die Willenstätigkeit bei Hysterischen. Zeitschrift f. d. ges. Neurologie & Psychiatrie - zit. nach Hoffmann, a. a. O.
Bonhoefer - zit. nach Wolgang U. Eckart: <<Prof. Wolfgang U. Eckart: Hilfe für verwundete Seelen – Der Beginn der Traumaforschung im Ersten Weltkrieg>>
Hermle - siehe meinen vorhergehenden Beitrag
 
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