Sternstunden Österreichs

Rovere

Premiummitglied
Was ist der Beitrag Österreichs zur Weltgeschichte? Gibt es einen solchen überhaupt? Was macht das Land an der Donau besonders? Oder handelt es sich "nur" um Regionalgeschichte?
 
Es dürfte schwer fallen, die Historie eines Landes, dass über 500 Jahre Mittelsüdosteuropa beherrschte, als Regionalgeschichte abzutun.
 
Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch - ABGB - von 1811/12 ist eines der großen Gesetzeswerke der Neuzeit. Während der nur wenige Jahre ältere Code Civil von Napoleon allgemein bekannt ist, wird sein Wiener Bruder ausserhalb der Nachfolgestaaten Ö-Us wenig rezipiert. (Obwohl die Geschichte dieses Gesetzeswerks noch in die Theresianische Epoche zurückreicht.)

Als Sternstunde ist dieses Gesetzbuch vor allem wegen seiner radikalen Bestimmungen zur Sklaverei zu bezeichnen:

§ 16. Jeder Mensch hat angeborne, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten. Sclaverey oder Leibeigenschaft, und die Ausübung einer darauf sich beziehenden Macht, wird in diesen Ländern nicht gestattet.

Ein interessanter Artikel dazu: http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_OeffentlicheSicherheit/2012/09_10/files/Menschenrechte.pdf
 
Als Sternstunde ist dieses Gesetzbuch vor allem wegen seiner radikalen Bestimmungen zur Sklaverei zu bezeichnen:

§ 16. Jeder Mensch hat angeborne, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten. Sclaverey oder Leibeigenschaft, und die Ausübung einer darauf sich beziehenden Macht, wird in diesen Ländern nicht gestattet.

Vielen Dank für den Hinweis.

Gerade die radikale "Folge" in Satz 2, Konsequenz aus der Grundfassung der Persönlichkeitsrechte (der unterstrichene Teil), ist interessant, was wir hier auch gerade hatten:
http://www.geschichtsforum.de/f82/literatur-allgemeines-pers-nlichkeitsrecht-49817/
 
Einen Beitrag Österreichs zur Weltgeschichte gibt es natürlich, schließlich war Österreich jahrhundertelang als europäische Großmacht maßgeblich in die Entwicklung des Kontinents involviert.
"Nur" Regionalgeschichte ist aber, realistisch betrachtet, die Geschichte Österreichs bis ins 15. Jhdt. und seit Ende des 1. WKs. Die Babenberger waren im HRR nur eine regionale Herrscherdynastie unter mehreren und kümmerten sich auch selbst meist primär um Regionalpolitik statt prominent in der großen Reichspolitik mitzumischen. Die Habsburger wiederum waren im Mittelalter meist in mehrere Linien geteilt und versuchten zwar, prominent in der großen Reichspolitik mitzumischen, befanden sich gegenüber den Luxemburgern und den Wittelsbachern aber lange Zeit eher im Hintertreffen. Was während dieser Zeit etwa in Innerösterreich oder Tirol vorging, war reichsweit und erst recht weltgeschichtlich eher unbedeutend. Aber auch die Könige Albrecht I., Friedrich der Schöne und Albrecht II. setzten weltgeschichtlich keine großen Akzente; Rudolf I. auch nur im Reichsrahmen.
In der Zwischenkriegszeit wiederum scheint das arg geschrumpfte Österreich - anders als das immer noch starke Deutsche Reich - international kaum noch wahrgenommen worden zu sein. Seit 1945 fand Österreich wohl nur zweimal internationale Beachtung: bei der Waldheim-Affäre und bei Antritt der ÖVP-FPÖ-Koalition. Wobei man "Beachtung" aber auch nicht mit "weltgeschichtliche Bedeutung" verwechseln darf. Dass Wien Sitz einiger (Regional-)Organisationen und Veranstaltungsort zahlreicher internationaler Konferenzen ist, macht auch nicht Österreich als solches weltgeschichtlich wichtig.
 
Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch - ABGB - von 1811/12 ist eines der großen Gesetzeswerke der Neuzeit. Während der nur wenige Jahre ältere Code Civil von Napoleon allgemein bekannt ist, wird sein Wiener Bruder ausserhalb der Nachfolgestaaten Ö-Us wenig rezipiert. (Obwohl die Geschichte dieses Gesetzeswerks noch in die Theresianische Epoche zurückreicht.)
Leider ist das ABGB eher kein Beispiel für einen Beitrag Österreichs zur Weltgeschichte. Seine Rezeption war - vor allem verglichen mit dem Code Civil - außerhalb Österreichs und Liechtensteins eher gering. Als das ABGB 1811 veröffentlicht wurde und am 1.1.1812 in Kraft trat, wurde die privatrechtswissenschaftliche Diskussion vom Code civil beherrscht. Einige westdeutsche Staaten hatten ihn bereits übernommen oder arbeiteten an eigenen Fassungen, in anderen wurde noch darüber diskutiert, teilweise ging man angesichts der schwindenden Macht Napoleons wieder von derartigen Plänen ab. Das ABGB wurde in den Überlegungen und im wissenschaftlichen Diskurs zunächst kaum berücksichtigt.
Im Gegensatz zum Code civil galt das ABGB außerhalb der habsburgischen Erbländer und des Sonderfalls Liechtenstein, wo es aufgrund der engen Beziehungen des Fürstenhauses zu Österreich und den Habsburgern übernommen wurde, nirgendwo unmittelbar. Die einzige Ausnahme bildete Bayern, das im Zuge zweier Gebietsbereinigungen zwei kleinere, zusammen nicht einmal 5000 Einwohner zählende österreichische Territorien erhielt, in denen das ABGB bis zum Inkrafttreten des BGB beibehalten wurde. Es wurde aber in mehreren deutschen Staaten bei den Kodifikationsdiskussionen berücksichtigt, vor allem im Großherzogtum Hessen, im Königreich Bayern und im Königreich Sachsen. Allerdings blieb es beim "Berücksichtigen"; zum Umsetzen kam es nicht. Im Großherzogtum Hessen gab es 1816 einen Anlauf, eine eigene Kodifikation zu erstellen, die sich am ABGB orientieren sollte, jedoch verlief das im Sande. In Bayern wurde später ebenfalls ein eng an das ABGB angelehnter Entwurf ausgearbeitet, der den Codex Maximilianeus ablösen sollte, aber nicht weiter behandelt wurde. Im Königreich Sachsen wurde in der Zeit um die Revolution herum ein massiv am ABGB orientierter Entwurf ausgearbeitet, allerdings galt das ABGB damals vielen schon als veraltet; letztlich wurde auch hier nichts daraus.
Etwas erfolgreicher war das ABGB in der Schweiz: Im Kanton Bern trat tatsächlich ein an das ABGB angelehntes "Berner Zivilgesetzbuch" in Kraft (ausgenommen im Jura, wo der Code Civil beibehalten wurde), das bis zum Inkrafttreten des Schweizer ZGB gültig blieb. Im Kanton Luzern gab es das an das ABGB angelehnte "Bürgerliche Gesetzbuch des Kantons Luzern", in Aargau das "Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für den Kanton Aargau". Auf das Schweizer Obligationenrecht und das Schweizer Zivilgesetzbuch, die schließlich diese Kantonskodifikationen ablösten, hatte das ABGB allerdings nur noch geringen Einfluss.

In Österreich ist das zwar bis heute ein Nationalmythos, aber international? Weltgeschichtlich?
 
Nun, Mozartkugeln, Vanillekipferl, grüner Veltliner , Palatschinken, Kaffee in verschiedensten Zubereitungen ....
Walzer, Mozart und seine Musik überhaupt. Das Gewinnen der Türkenkriege.
Die Beendigung des "kalten Krieges" durch die Grenzöffnung nach Ungarn, es hätte wohl ganz anders ausgesehen, wenn die DDR Bürger nicht hätten einreisen dürfen.

Weltgeschichte oder was am Ende daran wichtig ist, sind ja oft die "kleinen Selbstverständlichkeiten".
 
@ Ravenik
Das trifft für viele Reformversuche zu. Die Aufhebung der Leibeigenschaft unter Joseph II. beispielsweise. In einigen Staaten war der Schritt schon deutlich früher vollzogen worden, in anderen zeitgleich (Baden). Verdunkelt wurde die Geste sicherlich obendrein von dem Umstand, dass Joseph II. von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt wurde und insgesamt ein schwieriger Sonderling war (auch wenn man vielleicht noch den Prater und das mit dem Pflügen als volksnahe in die Erinnerung der Menschen übergegangene Aspekte erwähnen kann). Der Versuch einer Standartisierung der Sprache nach eigenem, österreichischen Vorbild wurde dann auch unter Joseph II. aufgegeben. Joseph von Sonnenfels war da sicherlich auch eine sehr wichtige Figur. Dass dies zeitgleich mit dem Niedergang kaiserlicher Autorität passierte, ist sicherlich kein Zufall.

Ich sehe als eine Sternstunde der Weltgeschichte bspw. die Brautfahrt Maria Antonias nach Paris. Von den Zeitgenossen wurde es auch so empfunden. Hier, so schien es, alliierten sich zwei der mächtigsten Staaten Europas vor aller Welt sichtbar. Dass Österreich sich dann in den 1770ern erneut nicht gegen Preußen (Kartoffelkrieg) durchsetzen konnte und die maroden Staatsfinanzen ab 1774 zusehends eine kraftvolle französische Außen- und Innenpolitik erschweren würden, das alles war ja noch nicht absehbar(!).
Dann denke ich bei Österreich natürlich vor allem an Karl V. und Ferdinand II.. Ferdinand II. vermochte es bei praktisch dauernd leeren Kassen durch geschicktes Taktieren fast noch einmal das Ruder in Deutschland zu Gunsten eines starken Kaisertums herum zu reißen. 1628-30 war er wahrscheinlich auf dem Gipfelpunkt seiner Macht - und wer weiß wie es ausgegangen wäre, wenn er nicht noch in dem Maße den konfessionellen Aspekt in seinen Forderungen mit einbezogen hätte (Restitution). Karl V. vermochte noch stärker aus eigener Kraft im Reich zu agieren und würde von mir als DER "Global Player" der Renaissance bezeichnet. Ein genaues Ereignis damit als DIE Sternstunde festzumachen, fällt mir freilich schwer.
 
Die von Dir gebrachten Beispiele haben alle eines gemeinsam: Letztlich endeten sie mehr oder weniger mit einem Scheitern. Der Dreißigjährige Krieg endete letztlich mit einem schwachen Kaisertum. Karl V. versuchte zwar viel, aber so richtig erfolgreich war er letztlich nicht. Den Schmalkaldischen Krieg gewann er zwar, konnte aber den Protestantismus trotzdem nicht niederringen. Die Constitutio Criminalis Carolina war zwar ein bedeutendes Projekt, galt aber nur subsidiär. Die Türkengefahr konnte nicht dauerhaft gebannt werden, auch Ungarn konnte er sich bzw. seinem Bruder nicht sichern. In Italien konnte er wenigstens nach vielem Hin und Her Mailand langfristig für Habsburg sichern und Frankreich aus Italien verdrängen, aber der Sacco di Roma ist nicht gerade als "Sternstunde" in die Weltgeschichte eingegangen.
 
Naja, aber was endet nicht mit einem Scheitern, wenn man es auf ganz lange Sicht betrachtet?

Und macht ein erfolgreicher Ausgang eine Sternstunde der Weltgeschichte aus?

Sind nicht auch gerade Niederlagen Sternstunden der Weltgeschichte?

Wie weit will man in der Betrachtung der Auswirkungen gehen?

Beispiel Trafalgar. Klar war das ein großer Sieg. Sicherlich war das aber nicht der Beginn der Vorherrschaft der Briten zur See und genausowenig ihr Ende. Es ist einfach in der Eindeutigkeit der Ergebnisse, in der Menge der Verluste allein schon auf franz. Seite eine deutliches Zeugnis. Wenn man sich die 50-60 Jahre zuvor anschaut, haben die Franzosen, Spanier und wer auch immer auch laufend, d.h. sogar überwiegend Niederlagen durch die Briten einstecken müssen. Nelsons Tod war sozusagen hollywoodreif, Nelson war eine schillernde, berühmte Figur in seiner Zeit und darüber hinaus. Villeneuve war dagegen eine tragische Figur. Noch deutlicher können sich kaum Sieger (Heldentod, Veteran und Sieger in unzähligen Schlachten) und Verlierer (Gefangener, wahrscheinlich Selbstmörder im Anschluss, vordem auch keine dolle Statistik als Flottenkommandeur) voneinander abheben. Die Protagonisten tragen wohl auch immer ihren Teil dazu bei, dass ein Ereignis im Bewusstsein bleibt. Heute denkt man bei Trafalgar sicherlich auch weiter und dann an das Kolonialreich, die Bürde die damit Großbritannien auch auferlegt bekam, vielleicht sogar als Ire an die Nelsonstatue in Dublin, die gesprengt worden war - so sehr kann sich ein Bild ändern.
 
Was genau hat der Angriff auf die Sowjetunion mit "Sternstunden" österreichischer Geschichte oder einem Beitrag Österreichs zur Weltgeschichte zu tun (außer dass natürlich auch österreichischstämmige Truppen beteiligt waren und dass Hitler gebürtiger Österreicher war)?
 
Ach so, Du meinst, als Rapid deutscher Meister wurde.
Da hätten wir aber schon die Krux: Rapid wurde deutscher Meister in der deutschen Meisterschaft, insofern kann man das nur sehr bedingt als Sternstunde des österreichischen Fußballs bezeichnen.

Ich bin übrigens nicht Wiener.
 
Ein Problem (jedenfalls für eine Historieninteressierte, die sich lieber in der Geschichte vor 1900 tümelt und gerne auf Zeitreise ins 15. Jahrhundert geht) stellt sich da schon die Frage:
Was ist eine österreichische Sternstunde bzw. was ist Österreich eigentlich vor 1918, also ehe die heutige Republik Österreich gegründet wurde?

Fragen mit Beispielen "Zwinkern":

Ein römische Kaiser (Mark Aurel) stirbt in Wien. (Historische korrekte Formulierung: "soll in Vindobona (auf dem Areal, wo heute die Stadt Wien steht) gestorben sein".) Ist das bereits eine österreichische "Sternstunde", weil auf dem heutigen Gebiet von Österreich, das es als Land oder gar Staat noch nicht gab, damals bereits ein "Promi" gestorben ist?
------------

Österreich tritt das erste Mal als Land in Erscheinung, in einer Urkunde unter Kaiser Otto II. - der Beginn der österreichischen Geschichte?
Einwand: dieses "Osterrichi" umfasste nur einige Teile des heutigen Bundeslandes Niederösterreich. (Was ist denn mit dem Bundesland Kärnten, das sogar noch früher nachgewiesen ist, oder z. B. mit der heutigen Steiermark? "Zwinkern"
------------

Ein Markgraf von Österreich (Name: Leopold, nach gängiger Zählung Leopold der Dritte, auch der Heilige genannt) begeht im 12. Jahrhundert Verrat an einem dt.-röm. Kaiser (Heinrich IV.), nachdem ihm dessen Sohn (später Kaiser Heinrich V.) als Belohnung dafür die Hand seiner verwitweten Schwester (Agnes) versprochen hat, deren Nachkommen aus erster Ehe die nächste dt.-röm. Kaiserdynastie wurden.
Nur ein lokales Ereignis?
Oder doch eine österreichische Sternstunde? (Für den Markgrafen bedeutete diese fragwürdige Entscheidung sicherlich einen Aufstieg auf der Karriereleiter.)

Aber sein Österreich umfasste damals nur das heutige Bundesland Niederösterreich (und vermutlich nicht einmal dieses als Ganzes). Also ist eigentlich keine österreichische Geschichte, sondern nur niederösterreichische Geschichte?

(Das einzige, was mit Sicherheit heute erwiesen scheint: Mit der Mitgift seiner Ehefrau konnte der Markgraf jene drei Klosterstiftungen verwirklichen - ein wesentliches Argument für seine spätere Heiligsprechung)
------------

Was wäre gewesen, wenn es Premysl Ottokar II. gelungen wäre, Herzog von Österreich (dem damaligen Niederösterreich) und Steiermark (damals noch mit Teilen des heutigen Oberösterreichs) zu bleiben? Würde dann die Steiermark heute als Teil von Österreich gelten? Oder wären sie und (Nieder-)Österreich heute Teile von Tschechien, wie das z. B. bei Böhmen oder Mähren der Fall ist?
Würde sich dann auch noch die Frage stellen: Sind Österreicher/innen Deutsche? (Eine Frage, die ich persönlich sehr langweilig finde. Also bitte nicht wieder darüber diskutieren.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Diese Unterscheidung zwischen Niederösterreich und Österreich kann ich nicht ganz nachvollziehen.
Analog dazu dürfte man über die Geschichte der USA erst reden, nachdem auch Alaska Bundesstaat geworden war?
 
Zurück
Oben