Man sollte an dieser Stelle aber deutlich sagen, dass das lediglich weitere Hypothesen sind, denen sicher längst nicht alle Indogermanisten und Archäologen zustimmen werden. Das "Indogermanenproblem" ist damit nicht gelöst, jedenfalls solange, bis andere Fachwissenschaftler Stellung bezogen haben.
Was ich z.B. dort überhaupt vermisse ist die von Alexander Häusler vorgetragene Hypothese einer autochthonen Entwicklung der Proto-Indoeuropäer (PIE) und ihrer Sprache in Europa ohne jede Invasion oder Zuwanderung von außen. Dazu hat er mehrere Schriften veröffentlicht, u.a. die hier (wurde bereits weiter vorn thematisiert):
Da liegt offenbar ein grobes Missverständnis vor.
Die Veröffentlichung kann das auch nicht lösen, und dazu wird in dem Kommentar von Lazaridis, Haak, Patterson, David Anthony und Reich folgendes gesagt:
"The ultimate question of the Proto-Indo-European homeland
is unresolved by our data".
Deutlicher geht es nicht. Es wird ausgeführt, dass manche der homeland-Thesen durch die genetischen Ergebnisse an Plausibilität gewonnen haben, andere verloren haben. Im Übrigen sind bzgl. der Verbreitung des PIE zwei Fragestellungen zu klären:
- das Gefälle in der genetischen Verwandtschaft zu Yammaja zwischen Nord- und Südeuropa (erklärungsbedürftig ist im Kontext der Thesen der hohe Anteil der genetischen "Verwandtschaft" der Schnurkeramiker
- die genetische "Verwandtschaft" nach Südosten bis Indien, die die Ausbreitungsthese mit dem Yamnaja-homeland erschüttern oder bestärken kann
Dieter schrieb:
Und wieder sind es - unter anderem - die Kugane der Gimbutas, die als Leitobjekte herangezogen werden. Allerdings ist der von Gimbutas geprägte Begriff "Kurgan-Kultur" inzwischen ein wenig aus der Mode gekommen und man spricht von der Ockergrab - oder Grubengrabkultur oder auch von der Jamnaja-Kultur. Alles Synonyme für die gleiche Sache.
Wie Anthony (Co-Autor auch dieser neuen Studie) an anderer Stelle erklärt hat, ist die Kurgan-Völker-Definition Gimbutas
weder identisch noch synonym zu Yamnaja. Der volksbezogene Kurgan-Begriff von Gimbutas ist nach Anthony zu weit und unbrauchbar, und stimmt nicht mit der hier in der Studie vorgestellten Fokussierung auf Yamnaja überein.
David Anthony: The Horse, The Wheel and Language: How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes shaped the modern World , S. 306: "Why not a Kurgan Culture?"
Dieter schrieb:
Bis gestern noch wird eine "Invasion aus der kaspisch-pontischen Steppe" als Mythos und Lügenszenario verschrien und nun plötzlich soll es genau das gegeben haben, was die verunglimpfte Marija Gimbutas seit jeher postulierte.
Das ist im ersten Teil falsch und im zweiten neben der Sache (weil die homeland-Hypothese überhaupt nicht beantwortet wird). Gimbutas ist hier überhaupt nicht Thema (sie wird neben Mallory und Anthony mit ihrer 1956-Publikation unter "Steppe-Hypothesen" einmal einsortiert).
Die zwei breit diskutierten homeland-Hypothesen im Fokus und Widerstreit (neben ein paar anderen) sind die - verkürzt:- Anatolien- und die Steppe-Hypothese. Soweit Mallory, Anthony und Co. sich professionell mit "Steppe-Szenarien" befassen, oder diese fachwissenschaftlich vertreten, wird dies auch nicht mit Schubladen wie "Mythos" oder "Lügenszenario" belegt.
Um was es hier im Kern geht:
die genetische Verwandtschaft zu den Schnurkeramiker - wenn man die aDNA-Daten als repräsentativ für die damalige Bevölkerung sieht -
stellt die Verbreitungshypothese für PIE auf einen neuen Stand. "Franchise-Modelle" nach Anthony bzw. "Elite-Dominanz"-Vorstellungen nach Mallory für die Ausbreitung werden in Frage gestellt.
Wie oben dargestellt, belegen die genetischen Daten eine massenhafte Migration. Die ideologisch aufgeladene Diskussion kriegerischer Invasionen, die gewaltsame Unterwerfung hellhäutig-matriarchal-friedlicher Zentraleuropäer durch männerdominierte Steppenkrieger (Gimbutas, und das wäre nach Deiner Fassung als Mythos "verunglimpft" worden) wird überhaupt nicht untersucht, also weder angesprochen noch bestätigt noch verworfen. Gimbutas Mythen stehen hier also überhaupt nicht zur Debatte, sondern die sozio-kulturellen und ethnischen Ausbreitungshypothesen der letzten 15 Jahre.
Das wird natürlich Gimbutas-Fans (diejenigen, die an ihren ideologisch aufgeladenen Hypothesen hängen) natürlich nicht davon abhalten, bei der Publikation mit dem Hinweis aufzuspringen: Aha, also Kurgan! (was das überhaupt mit "Kurgan" zu tun hat, ist oben mit Verweis auf Anthony erklärt, aber das interessiert beim "Aufsteigen" natürlich weniger :rofl: )
Heine schrieb:
Repräsentativität der untersuchten Proben. Möglicherweise erhielten sich vor allem die Skelette der besonders bestatteten Oberschicht.
Du hast das nochmal schön auf den Punkt gebracht. Dieses Problem wird vermutlich auch nicht mit weiteren Untersuchungen in östlicher Richtung geklärt, erhärtet sich aber vielleicht als Problem aus dem Nord-Süd-Gefälle der Verwandtschaft in Europa (was für "Oberschicht" oder die Mitnahme von Bestattungsritualen sprechen könnte)