Gründe weshalb Wilson scheiterte!

emotionalcrippl

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Also meine Frage ist wesahlb scheiterte Wilson schlussendlich mit seinen 14 Punkten und seiner Völkerbundidee?
Ich meine es ist ja eigentlich eine gute Idee gewesen.. aber er hat nunmal nicht mit Deutschland zusammen gearbeitet, also sie wurden nicht wirklich aufgenommen in den Völkerbund und dann funktionert das ganze auch nicht. Und die USA hatte ja natürlich ihr Monodoktrin das besagte Amerika den Amerikanern, Europa den Europäern. Das waren so meine Ansätze vielleicht könnt ihr mir ja weiter helfen?
Danke euch für jede Antwort.
:winke:
 
Erstmal waren einige der 14 Punkte keine so gute Idee. Eine Kritik findet sich hier (Mitte der Seite): Opinion of Woodrow Wilson's 14 Points
Dann war da die US-Innenpolitik: Der Senat weigerte sich den Versailler Vertrag zu ratifizieren und damit dem Völkerbund beizutreten, weil er sich vom Präsidenten übergangen fühlte, und im Übrigen auch die Republikaner in den Senatswahlen 1918 die Mehrheit übernommen hatten (some things apparently never change...)
United States Senate elections, 1918 - Wikipedia, the free encyclopedia
Wilsons Demokraten hatten eh kaum eine Chance, die Stimmen der Deutschamerikaner, die 1916 wahlentscheidend gewesen waren (u.a. über 10% demokratischer Stimmenzuwachs im traditionell republikanischen Ohio) zu behalten, auch der Mittlere Westen ging (in Kansas, Nebraska, Wyoming, N. Dakota bis heute!) verloren. Da wurde dann lieber auf eine neue Basis, sprich Polnisch- und Italo-Amerikaner, gesetzt.

Deutschland hatte insofern schlechte Karten, als es im Frieden von Brest-Litowsk nicht gerade zimperlich mit Russland umgesprungen war - da war nicht viel alliiertes Entgegenkommen zu erwarten. Andere kamen jedoch noch deutlich schlechter davon - Österreich-Ungarn wurde zerschlagen, das Osmanische Reich auch, aber weder Kurden noch Syrer erhielten den ihnen vorher zugesagten Staat, die Slowaken landeten in der "Zwangsehe" mit den Tschechen, und Jugoslawien wurde auch kein wirkliches Erfolgsmodell. Die deutsche Kolonie Qingdao fiel nicht an China, sondern an Japan; von Punkt 9 ("Readjustment of the frontiers of italy along clearly recognizable lines of nationality", d.h. Selbstbestimmungsrecht der Süd-Tiroler) war nicht mehr die Rede, usw. Da hatte es vorher schon diverse Hinterzimmer-Deals der übrigen Allierten gegeben, und die "lame duck" Wilson war sowohl politisch als auch perönlich (Schlaganfall Anfang Oktober 1919) nicht in der Lage, diesen Deals viel entgegenzusetzen.

Schließlich bedeutete das Krigsende kein Kriegsende, sondern den Auftakt zu vielfachen Bürgerkriegen und/oder ethnischen Säuberungen (UdSSR, Türkei, Irland). Die USA und England waren nicht in der Lage, effektiv zu intervenieren. Die amerikanische Invasion in Sibirien scheiterte ebenso wie der britische Versuch, die Unabhängigkeit Georgiens zu wahren. Schnell wurde Schadensbegrenzung das Motto der Stunde, v.a. als die Iren 1919 anfingen, die Sache mit dem Selbstbestimmungsrecht ernst zu nehmen, und sich die amerikanischen Demokraten zwischen Baum (diplomatische Beziehung zu Großbritannien) und Borke (irischstämmige Wählerbasis) wieder fanden. Da rutschte dann das deutsche "Genöle" relativ schnell ziemlich weit nach unten auf der außenpolitischen "to-do-list"....
 
Ich weiß nicht, inwiefern Wilsons Völkerbundidee wirklich scheiterte. Der Völkerbund wurde doch gegründet, auch wenn die USA kein Mitglied werden wollten. Fraglich auch, ob wir ohne Wilsons Völkerbundidee heute eine UNO hätten.
 
Erstmal waren einige der 14 Punkte keine so gute Idee. Eine Kritik findet sich hier (Mitte der Seite): [link]

Solche links sind wenig hilfreich.

Dann war da die US-Innenpolitik: Der Senat weigerte sich den Versailler Vertrag zu ratifizieren und damit dem Völkerbund beizutreten, [1]weil er sich vom Präsidenten übergangen fühlte, und im Übrigen auch [2]die Republikaner in den Senatswahlen 1918 die Mehrheit übernommen hatten (some things apparently never change...)

Natürlich war die Ratifizierung ein innenpolitisches Schlachtfeld, was aber hier zum Verständnis nicht weiter hilft.

Der wichtige Aspekt, wieso Wilsons Visionen von einer Sicherheits-Partnerschaft und einem Sicherheitspakt über die pateipolitischen Gräben nicht durchgesetzt werden konnten, war ein grundlegender Dissens über die außenpolitische Bindung der USA, der in den letzten 7 Tagen vor der März-Abstimmung im Ringen um Artikel X kulminierte.

Dieser Artikel entschied darüber, ob der Völkerbund ein Konzept "kollektiver Sicherheit" werden sollte (mit den USA und einer darin gebundenen USA) oder ein Debatierklub.

Die Schwarz-Weiß-Betrachtung ist zunächst aufzulockern: es gab über parteilpolitische Grenzen (und Abstimmungstreue) hinweg durchaus die große Gruppe der "mild reservationists", repräsentiert letztlich durch die Gegenposition von Lodge zu Wilson. Der Versailler Vertrag war in dieser Endphase überhaupt nicht der Bruchpunkt, sowohl für Wilson (der ihn mitsamt der Kröten geschluckt hatte) als auch für die Reservationisten. Auch einem Lodge als republikanischem Wortführer ging es nicht um ein alles oder nichts bzgl. Versailles und Völkerbund. Der Bruchpunkt war vielmehr (nur) Artikel X, und genau zu dessen Relativierung gab es den Lodge-Vorschlag zu einem "wording", welches eine völlige Bindung der USA vermeiden sollte. Genau an dieser ideologischen Barriere scheiterte dann Wilson, der eben keinen halben Schritt in den Völkerbund auf das Lodge-Wording zu wollte, sondern die kompromisslose Variante zur Abstimmung kommen ließ.

Aus dem Umfeld des Präsidenten kamen Signale, dass eine weichgespülte Version passieren könnte, wie Lodge auch noch Stunden vor der Abstimmung vorschlug.

Den halben Weg - als parteipolitisches Taktieren, und der zukunft zu überlassen, wie sich die Bindung der USA entwickeln würde, wollte Wilson nicht gehen.

Dass er mit seiner grundlegenden Kritik - "Debatierklub oder Pakt kollektiver Sicherheit" - richtig lag, zeigten dann die 30er Jahre. Über den Schatten seiner Visionen zu springen, und erstmal (real)politisch mitzunehmen und einzusammeln, was ging, das wollte er nicht. Tragisch, dass die USA durchaus - dann außerhalb der (durch die formelle Abwesenheit der USA geschwachten) League of Nations - Teile deren Politik später mittrug.
 
Der wichtige Aspekt, wieso Wilsons Visionen von einer Sicherheits-Partnerschaft und einem Sicherheitspakt über die pateipolitischen Gräben nicht durchgesetzt werden konnten, war ein grundlegender Dissens über die außenpolitische Bindung der USA, der in den letzten 7 Tagen vor der März-Abstimmung im Ringen um Artikel X kulminierte.

Ergänzung:

Und dass dieses Ringen nichts speziell mit Versailles und dem Deutschen Reich (oder mit Iren, Italienern etc) zu tun hatte, zeigen gerade die massiven Interventionen der deutschorientierten Presse , inkl. Hearst.

Diese - die wie Hearst sich mit Kriegseintritt 1917 in der Masse als uneingeschränkt "amerikanisch" eingestellt hatten, selbst wenn sie zuvor den Neutralitätskampf heftig unterstützten - standen ebenfalls hinter den "reservationists", und forderten eine Volksabstimmung bzw. nationales Referendum gegen den Beitritt zum Völkerbund (die sie zu gewinnen hofften).

Die Vertreter des amerikanischen Isolationismus und Nationalismus befürchteten einhellig und polemisierten auch, dass der Völkerbund ein Instrument europäischer Kontrolle über die USA werden würde. Diese Befürchtung über die Instrumentalisierung war der Einigungskitt.
 
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker war in Mitteleuropa die reinste Farce - die Brennergrenze, die Abtretung des Feldsberger und des Gmünder-Gebiets an die Tschechoslowakei (beide Gebiete waren Teil von Niederösterreich, es gab fast nur deutschsprachige Bevölkerung dort), die Abtretung der überwiegend ungarisch-sprachigen Gebiete im Süden der Slowakei und in der Vojvodina, die Abtretung des kroatisch-sprachigen Binnenistrien an Italien, usw. - wir hatten es hier mit einem gut klingenden Slogan zu tun der in der auf die Vororte-Verträge folgenden Umsetzung Unmengen an bösem Blut zurückließ.
 
Die 14 Punkte standen teilweise im Gegensatz zu den Kriegszielen Frankreichs und der Briten. Zum anderen veränderte sich die Persönlichkeit Wilsons aufgrund seiner Erkrankung. Daher wurden die 14 Punkte von Wilson 1919 teilweise anders interpretiert als noch ein Jahr vorher.
 
Das Deutsche Reich hat bei der Aushandlung, besser Diktierung, der Friedensbestimmungen in Brest nicht gerade Fingerspritzengefühl bewiesen. Die deutsche Delegation ist äußerst brutal und rücksichtslos mit den Russen umgesprungen. In Versailles waren es dann die Deutschen die sich lautstark beklagten.

Wilson hatte sich gegenüber den Deutschen schon im Oktober 1918 äußerst zynisch verhalten. Um die Einleitung von Waffenstillstandsbedingungen gebeten, wurde daraus eine bedingungslose Kapitulation gedeichselt.

Auch während des Krieges haben die Alliierten kein Interesse an Friedensverhandlungen gehabt; sie wollten die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches und waren hierfür bereit Millionen von Menschenleben zu verheizen.

Und man muss sich nur die Liste der Kriege der USA vor dem Ersten Weltkrieg ansehen, auch unter Wilson seine Präsidentschaft, dann kommen mir Zweifel hinsichtlich der hohen moralischen Ansprüche der USA anderen gegenüber in jener Zeit.

Wilson wollte in Versailles einen gerechten und dauerhaften Frieden erreichen, ein sehr ehrbares und hohes Ziel, und ist damit klar und eindeutig gescheitert. Er hat die Franzosen und Briten einfach zu viel erlaubt. Aber er hatte ja schon im Kriege mit zweierlei Maß gemessen.
Versailles war zu sehr Rache, zu wenig Versöhnung. Das war der Nährboden für
den größten Verbrecher der Weltgeschichte.
 
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Zum anderen veränderte sich die Persönlichkeit Wilsons aufgrund seiner Erkrankung. Daher wurden die 14 Punkte von Wilson 1919 teilweise anders interpretiert als noch ein Jahr vorher.

Wilson konnte sich weder in Versailles noch innenpolitisch durchsetzen. Die innenpolitischen Kontroversen waren jedoch schon vor seiner Erkrankung zugespitzt, fokussiert auf den Artikel X der Völkerbundsatzung (bzw. auf die gleichlautende Klausel im VV, die Wilson durchgesetzt hatte in Übereinstimmung mit seinen 14 Punkten).

Ob seine Erkrankung tatsächlich eine Rolle spielte, oder er die Angelegenheit innenpolitisch im Vollbesitz seiner Kräfte hätte drehen können, ist mE spekulativ.

Tatsächlich hat er die Kompromissformel mit einem weicheren "wording" von Lodge noch am Vortag der Entscheidung im Senat ausgeschlagen. Politisch besser taktiert wäre möglicherweise, den halben Schritt zu machen und die Entwicklung mit weicher Einbindung der USA in den Völkerbund ihrer weiteren Dynamik zu überlassen (zumal die folgenden republikanischen Präsidenten ohnehin teilweise auch der Völkerbundlinie folgten, aber eben der Pakt der kollektiven Sicherheit so nicht realisiert wurde).
 
Wilson hatte sich gegenüber den Deutschen schon im Oktober 1918 äußerst zynisch verhalten. Um die Einleitung von Waffenstillstandsbedingungen gebeten, wurde daraus eine bedingungslose Kapitulation gedeichselt.

Diese Diskussion hatten wir im Forum (nmE in zwei Themen) bzgl. der Wilson-Noten. Tatsächlich ist die Verschärfung im Ton darauf zurückzuführen, dass das kurz vor dem Kollaps stehende Deutsche Reich - in dieser Situation recht dreist - eine Mitbesetzung in der Verwaltung der besetzten Gebiete verlangte.

Die heftige Reaktion der Wilson-Administration, insbesondere Lansing, ist nachvollziehbar. Die Bitte um Waffenstillstand während des Zusammenbruchs und angesichts der totalen Niederlage mit utopischen Vorstellungen zu verbinden, war ein gravierender politischer Fehler.


Wilson wollte in Versailles einen gerechten und dauerhaften Frieden erreichen, ein sehr ehrbares und hohes Ziel, und ist damit klar und eindeutig gescheitert. Er hat die Franzosen und Briten einfach zu viel erlaubt. Aber er hatte ja schon im Kriege mit zweierlei Maß gemessen.
Versailles war zu sehr Rache, zu wenig Versöhnung. Das war der Nährboden für den größten Verbrecher der Weltgeschichte.

Die Geburtshilfe für Hitler war die Inflation, der Steigbügelhalter die massive Wirtschaftskrise, die deutsche Inflation wiederum Folge des finanziellen Zusammenbruchs durch die gigantische Kriegsverschuldung. Reparationen wirkten zu dem Zeitpunkt makroökonomisch kaum, womit sich nun die Wirtschaftshistoriker intensiv beschäftigt haben.

Wie Versailles zeigte, war Wilson auch nicht in der Lage, Frankreich etwas zu untersagen. Der Anspruch Frankreichs gegen den totalen Kriegsverlierer Deutschland war innenpolitisch durch die hohen Verluste an Menschenleben, und die massiven Kriegsschäden (auch durch Besatzung) angeheizt. Große Teile der Westfront "fanden" in Nordfrankreich statt.

Wie die Republikjahre zeigten, war man auch bzgl. Völkerbund und Westgarantien mit Frankreich auf einem guten Weg, soweit besonnene unf politisch kluge Politiker dieses anleiteten. Verschärft wurde die Beziehung durch Rechtsaußen- und NS-Propaganda gegen die Friedensordnung von Versailles, übrigens heute international unter Völkerrechtlern als Geburtsstunde der Ächtung von Angriffskriegen angesehen. Wie die 1930er Jahre zeigten, war auch die frz. Sorge vor deutschem Revanchismus, die Niederlage im Weltkrieg auszuwetzen, nicht unbegründet.
 
Diese Diskussion hatten wir im Forum (nmE in zwei Themen) bzgl. der Wilson-Noten. Tatsächlich ist die Verschärfung im Ton darauf zurückzuführen, dass das kurz vor dem Kollaps stehende Deutsche Reich - in dieser Situation recht dreist - eine Mitbesetzung in der Verwaltung der besetzten Gebiete verlangte.

Die heftige Reaktion der Wilson-Administration, insbesondere Lansing, ist nachvollziehbar. Die Bitte um Waffenstillstand während des Zusammenbruchs und angesichts der totalen Niederlage mit utopischen Vorstellungen zu verbinden, war ein gravierender politischer Fehler.

Ich weiß.:winke: Ist trotzdem immer wieder spannend.

Das ist m.E. ein Teilaspekt. Im Hintergrund werkelten auch Lloyd George und Monsieur Clemenceau mit, mit denen sich Wilson auch abstimmte und die haben Druck gemacht. Zum Zeitpunkt war die Niederlage nicht total. Immerhin standen die deutschen Armeen "tief in Feindesland". Wilson und George und Clemenceau wollten die Räumung der von den Deutschen besetzten Gebiete, ohne auch nur die Verhandlungen zu eröffnen. Das ist auch schon reichlich dreist. 4 lange Jahre haben Frankreich und Großbritannien mit ihren großen Ressourcen vergebens versucht die Deutschen zu vertreiben.; ohne Erfolg.



Die Geburtshilfe für Hitler war die Inflation, der Steigbügelhalter die massive Wirtschaftskrise, die deutsche Inflation wiederum Folge des finanziellen Zusammenbruchs durch die gigantische Kriegsverschuldung. Reparationen wirkten zu dem Zeitpunkt makroökonomisch kaum, womit sich nun die Wirtschaftshistoriker intensiv beschäftigt haben.

Wie Versailles zeigte, war Wilson auch nicht in der Lage, Frankreich etwas zu untersagen. Der Anspruch Frankreichs gegen den totalen Kriegsverlierer Deutschland war innenpolitisch durch die hohen Verluste an Menschenleben, und die massiven Kriegsschäden (auch durch Besatzung) angeheizt. Große Teile der Westfront "fanden" in Nordfrankreich statt.
Sicher war es sehr schwer für Frankreich innenpolitisch einen maßvollen Frieden zu diktieren. Nur hat man sich damit kein Deut besser verhalten, als die Deutschen in Brest, ja sogar noch schlimmer. Die Deutschen haben sich immerhin mit den Russen an einem Tisch gesetzt und "verhandelt". Den Deutschen wurde in Versailles ja nicht einmal das zugebilligt. Stattdessen legte man Wert auf alberne und kleinliche Demütigungen, die vollkommen unnötig das Klima der Nachkriegszeit belasten musste. Nur wenige vernünftige Geister machten sich ernsthaft Sorgen darüber, wie das auf das geschlagene und gedemütigte Deutsche Reich wirken musste. Nur haben sich die verantwortlichen Regierungen der Alliierten darüber viel zu wenig bis gar keine Gedanken gemacht.

Versailles ist ganz gewiss nicht ohne Bedeutung. Hitler hat nicht umsonst immer wieder von den "Novemberverbrechern" gefaselt und erhielt damit bei den Konservativen und den Ultrarechten Zustimmung und Beifall.

Und Wilson hätte sicher wirtschaftlichen und finanziellen Druck auf seine störrischen Partner ausüben können, denn deren Schulden gegenüben den USA waren beträchtlich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nur haben sich die verantwortlichen Regierungen der Alliierten darüber viel zu wenig bis gar keine Gedanken gemacht.
Die Amis und die Briten haben da sehr wohl die Risiken gesehen. Nur hatten die Briten andere Prioritäten (vor allem ein größerer Anteil an den Reparationen) und die Amis einen immer mehr kranken Präsidenten und aufkommende Unstimmigkeiten mit dem eigenen Parlament.

Und Wilson hätte sicher wirtschaftlichen und finanziellen Druck auf seine störrischen Partner ausüben können, denn deren Schulden gegenüben den USA waren beträchtlich.
Diese Karte wurde ja immer mal wieder gezogen. Mit der Auswirkung, dass die Reparationsforderungen weiter anstiegen. Die Frage, was überhaupt leistbar war und welche Folgen dies haben würde, war ein großer Streitpunkt bei den Verhandlungen 1919.

Und Wilsons Haltung zum Deutschen Reich verhärtete sich immer weiter, teilweise war er nicht einmal mit eigenen, früheren Aussagen zu erreichen.
 
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker war in Mitteleuropa die reinste Farce ..
Nicht nur in Mitteleuropa. Die "Reißbrettgrenze" zwischen Syrien und Irak, die mindestens seit der Antike bestehende Kommunikationsräume im Euphrat-Tigris-Raum zerschneidet, ist einer der Gründe für den Aufstieg des "Islamischen Staats". Die den Kurden auch von den Briten versprochene eigene Staatlichkeit steht bis heute aus. Was für Mitteleuropa und den zweiten Weltkrieg gilt, ist in vielerlei Weise übertragbar auf die heutigen Probleme im Nahen Osten, auch auf den Kaukasus seit den späten 1980ern. Wobei die Formel "Selbstbestimmung = Staatlichkeit" sich zwar als effektives Mittel zur Promotion ethnischer Säuberungen erwiesen hat, aber mehrheitlich weder der poltischen Emanzipation noch der wirtschaftichen Entwicklung der betroffenen "Völker" sonderlich zuträglich war. Europa hat sich nicht grundlos für das multinationale/ multiethnische Kooperationsmodell der EU entschieden, das tendenziell - bei allen jeweiligen politisch-institutionellen Unterschieden und Schwächen - auch schon Österreich-Ungarn, dem Zaren- und Osmanischen Reich inhärent war.
Wilson hätte sicher wirtschaftlichen und finanziellen Druck auf seine störrischen Partner ausüben können, denn deren Schulden gegenüben den USA waren beträchtlich.
Interessanter Aspekt! Bei Wilson scheinen generell Intentionen, Proklamationen und Aktionen nicht unbedingt kongruent gewesen zu sein: Persönlicher Rassismus vs. "Selbstbestimmungsrecht der Völker" vs. Interventionismus in Lateinamerika; Frauenwahlrecht und Stärkung gewerkschaftlicher Rechte vs. massive Einschränkung der Meinungsfreiheit nach Kriegseintritt; "He kept us out of the war" im Wahlkampf 1916, und Kriegseintritt kurz danach, etc.
Dein Punkt passt ins Muster. (Innen-)politisch scheint er mir schwer erklärbar. Da gibt es einen Paul Moritz Warburg, Wilsons finanzpolitischer Berater, einer der Architekten der Fed und Board Governor (bis August 1918), sowie ein Gründungsvater des Council on Foreign Relations. Paul M. Warburg dürfte über das "financial leverage" der USA bestens informiert gewesen sein. Sein Bruder Max Warburg ist Mitglied der deutschen Delegation in Versailles, und verlässt die Verhandlungen in Protest über die für ihn unannehmbaren Bedingungen. Kaum vorstellbar, dass die Brüder nicht miteinander geredet (telegraphiert) haben, und Paul M. Warburg nicht sein ganzes, sicherlich nicht unerhebliches politisches Gewicht zu Gunsten deutscher Interessen in die Waagschale geworfen hat. Wenn er damit nicht durchdrang...
Wilson ist, auch und gerade in den USA, wegen der vorbeschriebenen Inkongruenzen einer der am kontroversesten diskutierten US-Präsidenten. Mag sein, dass von qualifizierter Seite schon ein Psychogramm seiner Persönlichkeit angefertigt wurde Falls nicht, wäre dies vielleicht an der Zeit.
Die Geburtshilfe für Hitler war die Inflation, der Steigbügelhalter die massive Wirtschaftskrise, die deutsche Inflation wiederum Folge des finanziellen Zusammenbruchs durch die gigantische Kriegsverschuldung. Reparationen wirkten zu dem Zeitpunkt makroökonomisch kaum, womit sich nun die Wirtschaftshistoriker intensiv beschäftigt haben.

Zweifacher Widerspruch (auf die Gefahr, OT zu geraten): Die Geburtshilfe war die "Dolchstoßlegende", und die wäre ohne den "Diktatfrieden von Versailles" wohl kaum entstanden bzw. weitaus weniger breitenwirksam geworden. Hitlers Popularitätsgewinne resultierten nicht aus Geldwertstabilität, sondern aus der "Lösung der Sudetenfrage", dem "Anschluß", und seiner "Heim ins Reich"-Politik.
Der "Steigbügelhalter" Weltwirtschaftskrise war keine Weltwirtschaftskrise. Es war eine amerikanische Wirtschaftskrise, die durch Kündigung amerikanischer Kredite an Deutschland, und dessen nach wie vor hoher Reparationsbelastung zur deutschen Wirtschaftskrise wurde, und dann auf andere Länder, insbesondere Kanada, Lateinamerika, Frankreich und Großbritannien, ausstrahlte. Die Wirtschaft der Sovietunion wuchs, China, Indien, Korea und die Phillipinen blieben praktisch unberührt, ebenso Schweden (4,5% Wachstum 1930, 3% Schrumpfung 1931). Japan erlebte eine kurzfristige Delle, die weder im Ausmaß (7-10% Schrumpfung) noch in ihrer Dauer (Wachstum wieder ab 1931) mit der Krise in den USA und West-/Mitteleuropa vergleichbar war; diese Delle erreichte mit 1-2 Jahren Verzögerung Indonesien und Malaysia. Die Welt ist größer als Nordamerika und West-/Mitteleuropa.
Social Democracy for the 21st Century: A Post Keynesian Perspective: The Great Depression in 9 Asian Nations: Real GDP Data
 
Hitlers Popularitätsgewinne resultierten nicht aus Geldwertstabilität, sondern aus der "Lösung der Sudetenfrage", dem "Anschluß", und seiner "Heim ins Reich"-Politik.

Wie können politische Erfolge H.s 1936 - 1939 Einfluss auf Polularitätsgewinne der NS-Bewegung 1923 - 1932 gehabt haben?
 
Eine Kausalitätskette von den Vororteverträgen 1919ff. bis in die Gegenwart lässt sich durchaus konstruieren und darlegen, keine Frage.

Dennoch finde ich die unmittelbaren Reaktionen auf die Wilsonsche Note interessanter. Ich stelle mal eine Quelle aus dem Oktober 1918 rein. Der Leitartikel der "Freien Pressse" ist dem Völkermanifest Kaiser Karls gewidmet. Der Redakteur bewertet dieses wenig optimistisch, warnt vor der "Balkanisierung Mitteleuropas" und stellt den engen Zusammenhang mit der Wilsonschen Note dar, gleichzeitig kritisiert er diese als ebenso unbestimmt und vage wie auch das Völkermanifest.
Abschließend spottet er über den "scheiternden" Ministerpräsidenten Hussarek als "Ministerium Wilson".
ÖNB/ANNO AustriaN Newspaper Online
 
Eine Kausalitätskette von den Vororteverträgen 1919ff. bis in die Gegenwart lässt sich durchaus konstruieren und darlegen, keine Frage.

Das ist wohl in einem deutlich umfassenderen Sinne richtig. Und es zeigt auch, wie polemisch es ist, hinter den Titel des Thread: "Gründe, weshalb Wilson scheiterte! " anstelle eines Fragezeichens ein Ausrufezeichen zu setzen. Gut, jedem seine Meinung.

Dennoch ist diese Position einseitig und wird der Komplexität der Organisation kollektiver Sicherheitsinteressen mit dem Ziel der Kriegsverhinderung nicht gerecht. Und die im Kern in den "Visionen" zum Völkerbund von Wilson angelegt waren. Dabei ist jedoch zu betonen, was auch in der entsprechenden Literatur immer deutlich gemacht wird, dass diese Positionen von Wilson noch nicht mal originäre Ideen waren, sondern er auf Vorläufer zugreifen konnte.

Wilson gebürt "lediglich" der Dank, sie in die Realpolitik erneut integriert zu haben, mit allen ihren idealistischen bzw. realpolitischen Widersprüchen.

Und der Völkerbund, die EU, die UNO und viele andere multinationale Institutionen zeigen deutlich, dass die Nationen versuchen, Interessenunterschiede ohne Krieg zu lösen. Zugegebener Maße mit sehr ambivalentem Erfolg, aber ohne diese Institutionen könnte die Erde deutlich kriegerischer aussehen.

Die - insgesamt - erfolgreiche Geschichte der kollektiven Sicherheitspoltik, wie Wilson es anstrebte, ist sehr gut bei Mazover beschrieben.

SEHEPUNKTE - Rezension von: Governing the World - Ausgabe 13 (2013), Nr. 10

https://books.google.de/books?id=E47INAEACAAJ&dq=Die+Welt+regieren:+Eine+Idee+und+ihre+Geschichte+von+1815+bis+heute&hl=de&sa=X&ved=0CCEQ6AEwAGoVChMIj5D3h-2ExgIVECDbCh01FgAV

Und es ist in der Diskussion bezeichnend, dass die gesellschaftlichen Probleme der Chanchenungleichheit der unteren Gesellschaftsschichten, die ethnischen Verwerfungen in Kombination mit einem wild wuchernden Nationalismus und die Frage der Angemessenheit der politischen Organe, die die autokratischen monarchischen Regime im DR, Russland und Ö-U hinterlassen haben, nicht berücksichtigt werden.

Es fiel den Demokraten die schwierige Aufgabe zu, diesen historischen Ballast auseinander zu sortieren und Europa eine neue Struktur der Nationalstaaten zu geben. Und man war sich dessen bewußt, dass nicht alle Lösungen optimal waren, aber dafür sollte der Völkerbund ins Leben gerufen werden und "evolutionär" sinnvolle Lösungen finden.

Vor diesen großen Aufgaben haben sich - vor allem - die autokratischen Monarchien 1914 erfolgreich gedrückt und aufgrund der Fülle von Problemen die Flucht nach Vorne - in den Krieg - angetreten. Es war das letzte "Hurra", und die letzte Chance, die Legitimation an anachronistische Herrschaftsstrukturen zu binden und den Versuch zu wagen, den Weg in die Vergangenheit zu beschreiten.

Vor diesem Hintergrund mutet die Kritik an Wilson, die im Moment sehr konzentriert in mehreren Threads vorgetragen wird, schon sehr undifferenziert an, zumal sie - einmal mehr - nicht besonders nah an den entsprechenden Darstellungen zu dieser Zeit, wie beispielsweise bei S. Marks, Z. Steiner, A. Tooze oder bei M. Macmillan, vorgetragen wird und statt dessen auf merkwürdige Internetseiten verweist, die eine dubiose pseudo-Bewertung von Wilsons Punkten mit Hilfe von "Scoring-Modellen" vornehmen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Um die "Peilung" zu erleichtern, die Zusammenfassung:

Oben ist die Meinung dargestellt worden, dass eine vorgetragene Kritik undifferenziert und einseitig sei. Ferner wurde angemerkt, dass die Themenüberschrift durch Feststellung ("!") statt Fragestellung ("?") polemisch wirkt.

Die Meinung kann man teilen oder nicht.

Wer diese Meinung und dem Urteil fehlender Differenzierung nicht teilt, dem steht es frei, dem in der Sache zu antworten und im Einzelnen zu widersprechen.

Bei Antworten sollte darauf verzichtet werden, Kritik an der Kritik auf die persönliche Ebene zu ziehen. Das sollte selbstverständlich sein, um einen Disput nicht eskalieren zu lassen.
 
Und es ist in der Diskussion bezeichnend, dass die gesellschaftlichen Probleme der Chanchenungleichheit der unteren Gesellschaftsschichten, die ethnischen Verwerfungen in Kombination mit einem wild wuchernden Nationalismus und die Frage der Angemessenheit der politischen Organe, die die autokratischen monarchischen Regime im DR, Russland und Ö-U hinterlassen haben, nicht berücksichtigt werden.
Das ist deine Meinung. Billige diese aber auch anderen zu ... [MOD]

Mir fällt auf, das du die Alliierten insgesamt, meiner Meinung nach, viel zu positiv würdigst. Grob vereinfacht könnte man sagen, dass das Deutsche Reich und sein Hauptverbündeter Österreich-Ungarn deiner Meinung nach einfach nur böse und verabscheuungswürdig sind und die Alliierten die lieben Onkels von nebenan. So kommt es zumindest rüber.

Wie sah es denn mit der Chancengleichheit in den USA für die Afroamerikaner und Indianer aus? Und wie in der Klassengesellschaft Großbritanniens? Wie sah es mit den ethnischen Verwerfungen in den USA aus?

Du tust so, als ob der Nationalismus ein Phänomen war, das auf Deutschland und Österreich beschränkt war. Du weißt es bestimmt besser, das es nämlich nicht so war.

Wilson und die USA waren ganz gewiss keine Heilsbringer.

Es fiel den Demokraten die schwierige Aufgabe zu, diesen historischen Ballast auseinander zu sortieren und Europa eine neue Struktur der Nationalstaaten zu geben. Und man war sich dessen bewußt, dass nicht alle Lösungen optimal waren, aber dafür sollte der Völkerbund ins Leben gerufen werden und "evolutionär" sinnvolle Lösungen finden.

Und da haben die verbliebenen Alliierten und allen voran Wilson bedauerlicherweise versagt.


Du blendest beispielsweise die aggressiven Kriege der USA einfach aus.

thanepower schrieb:
Vor diesem Hintergrund mutet die Kritik an Wilson, die im Moment sehr konzentriert in mehreren Threads vorgetragen wird, schon sehr undifferenziert an, zumal sie - einmal mehr - nicht besonders nah an den entsprechenden Darstellungen zu dieser Zeit, wie beispielsweise bei S. Marks, Z. Steiner, A. Tooze oder bei M. Macmillan, vorgetragen wird und statt dessen auf merkwürdige Internetseiten verweist, die eine dubiose pseudo-Bewertung von Wilsons Punkten mit Hilfe von "Scoring-Modellen" vornehmen

Solche Ausführungen sind meines Erachtens nach ... [MOD]
 
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