Hitler-Ludendorff-Prozess

Portugreece

Mitglied
Ich habe eine Frage zum Hitler-Ludendorf-Prozess im Jahr 1923 in der Weimarer Republik. Die Angeklagten Hitler, Roehm, Ludendorff sowie ihre Gefolgsleute bekamen fuer den gescheiterten Kapp-Putsch eine sehr milde Strafe. Hitler musste nur fuer ein Jahr in Festungshaft.
Was ist der Grund dafür? War der Richter Neidhardt kein (überzeugter) Demokrat bzw. Republikaner? Warum konnte er Hitler und die Putschisten nicht schärfer bestrafen? Ließen die damaligen Gesetze das nicht zu?
Und warum forderte schon die Staatsanwaltschaft "mildere Umstaende"?
Neidhardt begründete die Bestrafung Hitlers nach deutschen Mastaeben damit, dass er zwar formell Österreicher sei, aber er noch niemanden gesehen habe, der "so deutsch denkt".

Hat das ganze vielleicht etwas mit der Verwaltung allgemein zu tun? Schließlich saßen in den Behoerden immer noch dieselben völkisch-konservativen Eliten aus der Kaiserzeit. Aber "nationalistisch-monarchistisch" ist doch nicht = "antisemitisch-nationalsozialistisch-demokratiefeindlich"?:confused::confused:
 
Ich habe eine Frage zum Hitler-Ludendorf-Prozess im Jahr 1923 in der Weimarer Republik. Die Angeklagten Hitler, Roehm, Ludendorff sowie ihre Gefolgsleute bekamen fuer den gescheiterten Kapp-Putsch eine sehr milde Strafe. Hitler musste nur fuer ein Jahr in Festungshaft.
Was ist der Grund dafür? War der Richter Neidhardt kein (überzeugter) Demokrat bzw. Republikaner? Warum konnte er Hitler und die Putschisten nicht schärfer bestrafen? Ließen die damaligen Gesetze das nicht zu?
Und warum forderte schon die Staatsanwaltschaft "mildere Umstaende"?
Neidhardt begründete die Bestrafung Hitlers nach deutschen Mastaeben damit, dass er zwar formell Österreicher sei, aber er noch niemanden gesehen habe, der "so deutsch denkt".

Hat das ganze vielleicht etwas mit der Verwaltung allgemein zu tun? Schließlich saßen in den Behoerden immer noch dieselben völkisch-konservativen Eliten aus der Kaiserzeit. Aber "nationalistisch-monarchistisch" ist doch nicht = "antisemitisch-nationalsozialistisch-demokratiefeindlich"?:confused::confused:


Der ganze Prozess war eine Farce. Eigentlich hätte Hitlers Fall wegen Hochverrat in Leipzig vor dem Staatsgerichtshof verhandelt werden müssen. Da hätte ihm die Todesstrafe, mindestens aber 10 Jahre Zuchthaus gedroht, und man hätte ihn danach nach Österreich abschieben können. Den Fall vor einem bayrischen Volksgericht zu verhandeln, war ein klarer Rechtsbruch.

Die Herren von Kahr und von Lossow wollten aber nicht, dass ihre unrühmliche Rolle im Bierhallenputsch breitgetreten wurde, und es gelang ihnen mit Hilfe des bayrischen Justizministers einzufädeln, dass der Fall in München verhandelt wurde.
Hitler war für Neidhard übrigens kein Unbekannter, der hatte ihn zwei Jahre vorher wegen Landfriedensbruch überaus milde verurteilt.
Wegen dieser Angelegenheit stand Hitler noch unter Bewährung. Kahr und von Lossow haben Neidhard beeinflusst, Hitler schonend zu behandeln, und es wurde ihm dafür eine Beförderung vom Landgerichtsdirektor zum Präsidenten des Oberlandesgerichts München in Aussicht gestellt, die 1933 erfolgte.


Kahr wurde in der "Nacht der Langen Messer" am 30.Juni 1934 auf Hitlers Befehl umgebracht.
Hitler wurde zu 5 Jahren komfortabler Festungshaft verurteilt, ihm wurde aber (rechtswidrig) Bewährung in Aussischt gestellt. Ludendorf wurde freigesprochen. Staatsanwalt und Richter ließen es zu, dass Hitler das Gericht als Podium für stundenlange Tiraden gegen die "Novemberverbrecher" zur Verfügung gestellt.
 
Kann man daraus den Schluss ziehen, dass Neidhardts politische Einstellung wahrscheinlich mit der von Hitler ähnlich oder sogar identisch war?
Warum konnte man keine Rechtsmittel gegen den rechtswidrigen Prozess einlegen? Oder begeben wir hier uns schon zu sehr in juristische Details?

Lg Portugreece
 
Dazu hätte es eine Staatsanwaltschaft geben müssen, die ein Interesse daran gehabt hätte, das zu verfolgen. Hitler war damals außerdem noch weitgehend unbekannt und Ludendorff galt als Kriegsheld.
 
In der Weimarer Republik untersuchte der Mathemathiker Emil Julius Gumbel politische Morde von 1919- 1922. Von 376 Morde insgesamt wurden 354 von rechten, 22 von linken Aktivisten begangen. Für die 22 Morde linker Aktivisten gab es 10 mal Todesstrafe, 250 Jahre Zuchthaus und 3mal lebenslänglich. Für die 354 rechten Morde (darunter die Opfer Mathias Erzberger und Walther Rathenau) gab es 1mal lebenslänglich, 90 Jahre Zuchthaus und 730 RM Geldstrafe. Kurt Tucholsky, der u. a. als Prozessbeobachter an der Verhandlung gegen mehrere rechte teilnahm, die Maximilian Harden zusammengeschlagen hatten, der im Kaiserreich einer der bekanntesten Journalisten, Theaterkritiker und Herausgeber der Zeitschrift "Die Zukunft" war, dass die Justiz auf dem rechten Auge blind sei.

https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Julius_Gumbel
 
Galt Luddendorf auch bei den sozialdemokratischen Waehlern als Kriegsheld?

Ludendorff hatte sich in der Weimarer Republik früh als Politiker der extremen Rechten exponiert. Zuvor war er allerdings nach dem Waffenstillstand 1918 kurzfristig unter falschem Namen nach Schweden geflüchtet. Dies wurde ihm sehr negativ ausgelegt, und sein prominentester Gegner, Kurt Tucholsky, griff ihn gerade deswegen immer wieder an.
Die SPD wird ihn wohl eher als Gegner aufgefasst haben.
Allerdings hatte diese in Bayern während des Hitlerprozesses nicht viel melden. Dort regierte die BVP, deren Ministerpräsident Gustav von Kahr sogar in der frühen Phase des Hitlerputsches offen für die Putschisten war. Auch NSDAP und DNVP als die beiden stärksten rechten Parteien waren in Bayern schon sehr stark.
 
Der ganze Prozess war eine Farce.

Diese Beschreibung ist sicherlich zutreffend und beleuchtet die prekäre Situation einer Justiz, die während der Weimarer Republik es nicht geschafft hat, ihren wilhelminischen Charakter und ihre politische Gesinnung abzustreifen.

Generell ist mit Kirchheimer sicherlich festzuhalten, dass die Justiz, in Fortführung ihrer Rolle während der Kaiserzeit, eine "politische Justiz" war, sofern es um die "öffentliche Ordnung" ging. In ihrer Funktion unterwarf sie das politische Handeln der Akteure einer gerichtlichen Überprüfung und steuerte somit direkt den Umfang der Aktivitäten der politischen Akteure.

Deutlicher noch stellt Kehr die Justiz in den Zusammenhang mit der Ausformung der Bürokratie während des Kaiserreichs und sieht sie insgesamt in der Funktion, die Strukturen und vor allem die Werte des wilhelminischen Deutschlands abzusichern. Und in diesem Fall vor allem gegen die in ihrer Bedeutung zunehmenden politischen Repräsentaten der Arbeiterschaft, wie beispielsweise die SPD.

Vor diesem Hintergrund vertritt Müller die These, dass die Justiz eine sehr einseitige Rolle bei der Verfolgung politisch motivierter Gewalt gespielt hatte. Die Richterschaft neigte, so Müller, mehrheitlich der DNVP zu und stand psychisch unter dem Schock der "Dolchstoßlegende" und dem Verhalten der "Vaterlandslosen Gesellen" bzw. der "Novemberverbrecher".

Diese politischen wilhelminischen Werte und Weltbilder nahm die Justiz und in besonderem Maße auch die Richterschaft als Erbe mit in die Weimarer Republik.

Vor diesem Hintergrund erschien das Agieren der linken Parteien, auch im Sinne Carl Schmitt, dem Muster der Freund vs. Feind-Erkennung zu folgen, und in besonderem Maße zu verfolgen.

Demgegenüber schien das Agieren der deutschnationalen (Ludendorff etc.) bzw. rechtsextremen Kräfte (Hitler) eine "legitime politische Handlung", da sie die "deutsche Ehre" vorgab schützen zu wollen.

Den massiven Umfang dieser Rechtsbeugung durch eine politische Justiz in der Weimarer Republik beschreibt Müller drastisch.

In der Folge der Ausrufung des "Volksstaates Bayerns" und der Ausrufung einer "Räterepublik" veranstalteten die Reichswehrtruppen ein "Blutbad", indem sie ca. 1100 Arbeiter standrechtlich erschoss. In der Folge sprachen Gerichte in diesem Zusammenhang ein Todesurteil und 2209 Freiheitsstrafen aus.

Der Kapp-Putsch, März 1920, der die Spitze der hochverräterischen Aktivitäten darstellte, führte zwar zu 200 standrechtliche Erschießungen durch die Putschisten!!!!!!!, aber führte nur anschließend zu einer Verurteilung der Putschisten. Weitere 507 weitere Verbrechen, die verfolgt wurden, wurde durch die Amnestie vom 4. August 1920 der weiteren Strafverfolgung entzogen.

Diese einseitige Strafverfolgung durch eine politische Justiz zog sich durch die Weimarer Republik hindurch und kann für die politischen Morde bzw. Fememorde ähnlich beurteilt werden.

In diesem Kontext ist auch der Prozess gegen Hitler und Ludendorff zu sehen und findet seinen "Höhepunkt" in der Rechtfertigung der brutalen politischen Morde von Hitler gegen Teile der NS-Bewegung im Rahmen der "Nacht der langen Messer".

Insgesamt zeigt sich daran, dass die politische Kultur, auch als eine demokratische Gesinnung, nach 1918 nicht erzwungen werden konnte und die Freiheit von "Justitia" in ihrer Urteilsfindung grundsätzlich ein Merkmal eines Rechtsstaates ist. Allerdings in diesem Fall die Verfassungsnorm und die Verfassungsrealität nicht übereinstimmten.

Ergo: 1918 hätten die demokratischen Parteien mit eisernem Besen die wilhelminische Bürokratie "reinigen" müssen und alle anti-demokratischen Kräfte aus dem Amt entfernen müssen. Das betraf vor allem das Außenministerium, die Reichswehr und die Justiz.


Kehr, Eckart, Die Diktatur der Bürokratie, in ders. (1965): Der Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. v. Hans-Ulrich Wehler. Berlin: de Gruyter, S. 244ff.
Kirchheimer, Otto (1993): Politische Justiz. Verwendung juristischer Verfahrensmöglichkeiten zu politischen Zwecken. Hamburg: EVA.
Müller, Ingo (1987): Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz. München: Kindler.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dazu hätte es eine Staatsanwaltschaft geben müssen, die ein Interesse daran gehabt hätte, das zu verfolgen. Hitler war damals außerdem noch weitgehend unbekannt und Ludendorff galt als Kriegsheld.


Ganz so unbekannt war Hitler 1923 auch in Norddeutschland nicht mehr, und er hatte bereits mehrere ältere Damen der Gesellschaft, die ihn mit Parteispenden und Liebesgaben überhäuften. In München hatte er sich nicht nur in Bierkellern als Redner einen Namen gemacht ("der hat a Goaschn, den kennt ma brauche"), und Anfang der 20er konnte er mühelos den Zirkus Krone mit Zuschauern füllen, die bereit waren, Eintritt dafür zu bezahlen, ihn reden zu hören.

Mancher sah sich "den Trommler" und "König von München wie eine Kuriosität auf dem Oktoberfest an. Er war damals zuweilen noch unsicher und ungelenk und sah sich noch nicht als den unbestrittenen "Führer". Vor Ludendorff, hatte der ehemalige Weltkriegsgefreite einen Heidenrespekt. Erst im Verlauf des Prozesses gelang es ihm, sich aus Ludendorffs Schatten zu lösen und aus dem Trommler wurde der "Führer"
 
Ja, Hitler war schon früh bekannt. Zu den Bierkellern kamen selbst Kommunisten, um sich Hitlers Reden anzuhören. Dies kann man im Film "Hitler - Aufstieg des Bösen" sehen.
 
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