Gemüsesorten im Mittelalter

Von wegen "frühes Mittelalter".
Volumus quod in horto omnes herbas habeant, id est lilium, rosas, fenigrecum, costum, salviam, rutam, abrotanum, cucumeres, pepones, cucurbitas, fasiolum, ciminum, ros marinum, careium, cicerum italicum, squillam, gladiolum, dragantea, anesum, coloquentidas, solsequiam, ameum, silum, lactucas, git, eruca alba, nasturtium, parduna, puledium, olisatum, petresilinum, apium, levisticum, savinam, anetum, fenicolum, intubas, diptamnum, sinape, satureiam, sisimbrium, mentam, mentastrum, tanazitam, neptam, febrefugiam, papaver, betas, vulgigina, mismalvas, id est althaea, malvas, carvitas, pastenacas, adripias, blidas, ravacaulos, caulos, uniones, britlas, porros, radices, ascalonicas, cepas, alia, warentiam, cardones, fabas maiores, pisos mauriscos, coriandrum, cerfolium, lacteridas, sclareiam. Et ille hortulanus habeat super domum suam Iovis barbam.
De arboribus volumus quod habeant pomarios diversi generis, prunarios diversi generis, sorbarios, mespilarios, castanearios, persicarios diversi generis, cotoniarios, avellanarios, amandalarios, morarios, lauros, pinos, ficus, nucarios, ceresarios diversi generis. Malorum nomina: Gozmaringa, Geroldinga, Crevedella, Sperauca, dulcia, acriores, omnia servatoria; et subito comessura; primitiva. Perariciis servatoria trium et quartum genus, dulciores et cocciores et serotina.
aus: capitulare de villis - eine Quelle, die durchaus un peu älter als 16. Jh. ist. ;)

Allerdings taucht die Gurke hier noch nicht in der aus dem slawischen stammenden sprachl. Form auf.
 
Sepiola wird sich auf die angebliche Entlehnung des Wortes Gurke aus dem Slawischen bereits im Frühen Mittelalter (wobei sich mein angeblich nur auf den Entlehnungszeitpunkt, nicht auf die Herkunftssprache bezieht) bezogen haben, das nämlich behauptet der von dir referenzierte Wikipedia-Artikel:

Gurke leitet sich her von dem altpolnischen ogurek, heute ogórek [ɔˈgurɛk], derselben Bedeutung. Dieses bereits im frühen Mittelalter aus den slawischen Sprachen übernommene Substantiv stammt...
 
Sepiola wird sich auf die angebliche Entlehnung des Wortes Gurke aus dem Slawischen bereits im Frühen Mittelalter (wobei sich mein angeblich nur auf den Entlehnungszeitpunkt, nicht auf die Herkunftssprache bezieht) bezogen haben, das nämlich behauptet der von dir referenzierte Wikipedia-Artikel:

Bezogen habe ich mich genau auf die Aussage, die ich zitiert habe:

was da zu lesen ist (im 16. Jh. aus dem tschech. eingedeutscht) ist wohl falsch

16. Jahrhundert ist richtig!



aus: capitulare de villis - eine Quelle, die durchaus un peu älter als 16. Jh. ist. ;)

Dafür ist nicht klar, ob da wirklich die Gurke gemeint ist - oder eher eine Kürbisart:
Im frühma. Capitulare de villis werden zwar cucumeres erwähnt; die Zuordnung dieses Namens zur Gurke ist jedoch noch unsicher.
Reallexikon der Germanischen Altertumskunde


zu #42: "Cucumer"

Die Pflanze, die wir heute als Gurke bezeichnen (Cucumis sativus), stammt aus dem nördlichen Ostindien und war im deutschen Mittelalter nur wenig bekannt. Unter "Cucumer", der auch als "korbis" o.ä. glossiert wird, ist der Flaschenkürbis Lagenaria (= Cucurbita lagenaria), der in Afrika heimisch ist, zu verstehen.
http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/9594/1/Erbar_Zimmermann_2009.pdf
 
Ich habe mich selbst auch schon öfters mit solchen Fragen beschäftigt. Die Sache von den Schriftquellen her aufzulösen ist schlicht unmöglich.
Bei den Gemüsen ist die Sprache herrlich unkonkret. Der Kürbis ist ja das meiste Beispiel. Flaschkürbis, Pumpkin, Gurke, Zucchini ... kann man alles Kürbis nennen.
Genauso ist es mit den Bohnen. Die heute übliche Bohne stammt aus Amerika. Im Mittelalter war jedoch bereits die Ackerbohne/Saubohne bekannt, die heute nur noch als Viehfutter verwendet wird.
Beim Latein ist es auch kaum besser. Das gleiche Wort kann einen Apfel oder die Bitterorange bezeichnen, vgl. Capitulare de villis.
Schlimm ist auch das Wort Rübe. Und eine Hammelmöhre ist auch gar keine Möhre sondern eine Pastinake. Die Kohlrübe ist auch was anderes als Kohlrabi. Blaukraut, Rotkohl ...:rofl:
Die Semiotek der Gemüsesorten hat übrigens auch kaum etwas mit den tatsächlichen Verwandtschaftsbeziehungen bzw. Arten zu tun. Ganz unterschiedliche Gemüsesorten (Mangold, Ölrübsen, Chinakohl, Rote Beete) sind nah verwandet, während auf den ersten Blick oder Biss identische (Pastinak, Wurzelpetersilie) eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben.
 
Das capitulare de villis enthält beides, cucumeres und cucurbitas.

Erbar Zimmermann deutet cucurbitas als Flaschenkürbis:
Zwei Beispiele: Bei den "cucurbitas" im "Capitulare de villis" (ca. 795) ist man geneigt, den Kürbis so wie wir ihn heute kennen, darin zu sehen. Aber der Kürbis Cucurbita pepo stammt aus Mittelamerika und kam erst nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus zu uns. Ähnlich verhält es sich mit der Identifikation von "fasiolum" im "Capitulare". Hier drängt sich die Gattung Phaseolus auf, zumal die Bohnen in Italien "fasioli" heißen. Aber die Heimat der Gartenbohne ist ebenfalls der (mittel-süd)amerikanische Kontinent. In beiden Fällen handelt es sich im Mittelalter um Pflanzen aus Afrika, einmal den Flaschenkürbis Lagenaria vulgaris (=Cucurbita lagenaria) und im Falle der Bohnen kommen die Kuherbse Vigna unguiculata und die Helmbohne Dolichos lablab in Frage.

Es ist unwahrscheinlich, dass mit den zwei Begriffen (cucumeres und cucurbitas) ein und dasselbe Gemüse gemeint sein soll - eher ist es so, dass im Capitulare de villis zwischen cucumer und cucurbita unterschieden wird.

Freilich zeigt Erbar / Zimmermann, dass bei Macer und späteren Quellen unter cucumer / kumir / korbis der Flaschenkürbis gemeint ist - möglicherweise zeigt das einen regional unterschiedlichen Gebrauch des Wortes.

Was das RGA betrifft: https://books.google.de/books?id=mj...page&q="Gurke" "Capitulare de villis"&f=false erwähnt etliche Gurkenfunde in westslaw. otton. Grenzregion, zudem einen auffallenden Gurkensamenfund (nicht Kürbisse) in Braunschweig aus dem 12. Jh.. Ganz offenbar war die Gurke im Mittelalter nicht unbekannt. Sie wird dann zwar bei hildegard nicht erwähnt, aber dafür bei Albertur Magnus (steht alles im erwähnten RGA Link)

Das Wort Gurke stammt eindeutig aus dem slaw., das altpoln. ogurek bietet sich am besten an. Die erste schriftl. Erwähnung Gurcke datiert um 1500, womit allerdings nicht gesagt ist, dass die Entlehnung erst im frühen 16. Jh. stattgefunden hat. Lästigerweise haben wir aber keine älteren Belege für das Wort Gurke. Aber wir haben mindestens eine deutlich ältere Entlehnung aus dem altpoln. / westslaw., die Grenze (von granica) aus ottonischer Zeit. Insofern ist nicht ausgeschlossen, dass ogurek ebenfalls früher als um 1500 sozusagen überschwappte. Und später die Kukumer / Gugummere verdrängte, so wie wir heute überall Gurke sagen und Gugummer nur noch dialektal auftaucht.
 
Also die Gurke scheint mehr im Altertum (Antike) bekannt gewesen und verwendet worden zu sein. Im Mittelalter war sie eher unbekannt, aber nicht nur.

Gurke | Mittelalter - Alltag, Leben und Sterben
Arcimboldos Sommer aus 1563, oder Pieter Aertsens Gemüseverkäuferin aus 1567 zeigen, dass um die Mitte des 16. Jhs. Gurken in ganz Europa bestens etabliert waren. Kaum vorzustellen, dass dies im MA nicht so gewesen wäre, wenn bereits die ersten Gemüsemaler die Gurke zuvorderst in ihrem Sortiment sahen.
 
Arcimboldos Sommer aus 1563, oder Pieter Aertsens Gemüseverkäuferin aus 1567 zeigen, dass um die Mitte des 16. Jhs. Gurken in ganz Europa bestens etabliert waren. Kaum vorzustellen, dass dies im MA nicht so gewesen wäre, wenn bereits die ersten Gemüsemaler die Gurke zuvorderst in ihrem Sortiment sahen.

Arcimboldos Sommer zeigt nicht nur eine Gurke, sondern auch einen Maiskolben.

Und der Vertumnus außer dem Maiskolben auch noch Peperoni (aber keine Gurke).

Welche Relevanz hat das für die Verbreitung von Gurken, Mais und Peperoni im Mittelalter?
 
Zuletzt bearbeitet:
Und die fehlenden Belege lassen sich weder durch die Grenze noch durch die Cucumer ersetzen.
Dank dieses Totschlagarguments werden die Braunschweiger Gurkensamen (siehe RGA) auf ewig namenlos bleiben müssen... ;)
Das erinnert mich an die Frage, wie alt die ältesten Belege recht beliebter Sprachen sind (z.B. russ., poln., kelt., alban. usw) - ich erinnere mit großer Freude daran, denn die altpoln. graniza ist meines Wissens nirgendwo in einem polnischen Text aus dem 12. Jh. überliefert :yes: und trotzdem versteigen sich die Sprachhistoriker dazu, das Wort Grenze als im 12. Jh. aus dem poln. entlehnt zu bezeichnen.
...die Welt ist voller Teufel, aber die Gurke aß Tiberius dennoch gern :)
 
Dank dieses Totschlagarguments werden die Braunschweiger Gurkensamen (siehe RGA) auf ewig namenlos bleiben müssen... ;)
Wo hier das "Totschlagargument" sein soll, weiß ich nicht. An den Braunschweiger Gurkensamen besteht kein Zweifel, sie sind aber sprachwissenschaftlich nun mal nicht auswertbar.

Das Fischen von sprachwissenschaftlichen Thesen aus nicht vorhandenen Belegen wollen wir doch Berufeneren überlassen...


ich erinnere mit großer Freude daran, denn die altpoln. graniza ist meines Wissens nirgendwo in einem polnischen Text aus dem 12. Jh. überliefert :yes: und trotzdem versteigen sich die Sprachhistoriker dazu, das Wort Grenze als im 12. Jh. aus dem poln. entlehnt zu bezeichnen.
Warum muss die in einem polnischen Text überliefert sein?
Es reichen doch lateinische Texte eindeutigen Inhalts wie dieser hier:

"... ut ab ipsa civitate Olavia metae, quae Polonice Graenizen dicuntur..."

Siehe auch...
 
Es ist unwahrscheinlich, dass mit den zwei Begriffen (cucumeres und cucurbitas) ein und dasselbe Gemüse gemeint sein soll - eher ist es so, dass im Capitulare de villis zwischen cucumer und cucurbita unterschieden wird.
Für den Flaschenkürbis gibt es verschiedene Verwendungen. Neben dem Verzehr des Gemüse dient der Flaschenkürbis zur Herstellung von Flaschen (Kalebassen) und anderen Gebrauchsgegenständen. Die Verwendung verschiedener Begriffe ergibt daher durchaus Sinn. Als Gemüse wird der Flaschenkürbis unreif geerntet, genau wie Gurken. Für die Kalebassenherstellung muss der Flaschenkürbis voll ausgereift sein und getrocknet werden.

Ein weiteres Problem beim Capitulare de villis ist die Größe des Gebietes. Das Reich Karls des Großen umfasste Frankreich, Westdeutschland, Norditalien usw., also Gebiete zwischen Mittelmeer und Nordsee mit entsprechend verschiedenem Klima. Der Anbau von Flaschenkürbissen ist in vielen Regionen Deutschlands im Freiland nicht möglich, weil die Pflanzen extrem wärmebedürftigt sind. Das kann man nicht einfach alles auf Norddeutschland übertragen - genauso wenig wie italienische Renaissance-Gemälde.

Bei der Gurke gibt es die gleichen Probleme. Die Pflanze ist extrem pflegeaufwändig. Ohne Bewässerung, Vorziehen im Haus, Hochbeet oder Abdeckung der Pflanzen ist ein Anbau von Gurken im Freiland in den meisten Teilen Deutschlands nicht möglich bzw. ist mit witterungsbedingten Totalausfällen zu rechnen. Interessanterweise sieht es in Österreich schon ganz anders aus, Gurken kommen dort zum Teil auch verwildert vor. Wenig überraschend ist dann natürlich auch, dass es besonders viele frühmittelalterliche Funde von Gurkensamen in der Slowakei gibt. Ich halte es daher für sehr wahrscheinlich, dass der Gurkenanbau von Süden her in Europa ausbreitete, eventuell begünstigt durch die mittelalterliche Warmzeit. Das macht den Gurkensamen aus Braunschweig um so interessanter.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das kann man nicht einfach alles auf Norddeutschland übertragen - genauso wenig wie italienische Renaissance-Gemälde.
Wenn die ersten Frucht und Gemüsemaler (Niederlande) auf ihren Marktszenen bereits um 1560 häufig Gurken abbilden, könnte man dies schon als Zeichen sehen, dass die Gemüsesorte auch im Norden etabliert war. Warum sollten also Gurken etwas Neues gewesen sein?


Ich halte es daher für sehr wahrscheinlich, dass der Gurkenanbau von Süden her in Europa ausbreitete, eventuell begünstigt durch die mittelalterliche Warmzeit.
»Insgesamt sprechen die Daten für Asien als die Ursprungsregion des gemeinsamen Vorfahren von Gurke und Melone: Für beide Spezies konnten die Wissenschaftler Vorgängerpopulationen im Himalaya nachweisen.«, meint planzenforschung.de.
 
Wenn die ersten Frucht und Gemüsemaler (Niederlande) auf ihren Marktszenen bereits um 1560 häufig Gurken abbilden, könnte man dies schon als Zeichen sehen, dass die Gemüsesorte auch im Norden etabliert war.
Das Thema hier heißt "Gemüsesorten im Mittelalter".
Die Maler um 1560 kannten das Mittelalter nur vom Hörensagen.
Welche Relevanz haben ihre Abbildungen für Walahfrid Strabo, Hildegard von Bingen oder Albertus Magnus?
 
Wobei man gerade über den Gemüse und deren Anbau von einem Zeitraum von gerade mal 1000 Jahren spricht:grübel: , Respekt.
Und wenn man dan sich auf Europa begrenzt, selbst da ein Gebiet hat, mit unterschiedlichen Klimazonen, selbst bei dem Gebiet, welches Karl dem Großen Untertan war. Und auch das jeder Landstrich eine eigene Kulinarische Kultur hat, was ebenfalls Auswirkungen auf den Anbau von Gemüse hat ist auch klar.
Wenn ich nach Spanien blicke wird dort der mehrmalige Religionswechsel auch seine Spuren hinterlassen haben, das gilt auch für Süditalien oder dem Balkan.
Nur mal so...

Apvar
 
Für den Flaschenkürbis gibt es verschiedene Verwendungen. Neben dem Verzehr des Gemüse dient der Flaschenkürbis zur Herstellung von Flaschen (Kalebassen) und anderen Gebrauchsgegenständen. Die Verwendung verschiedener Begriffe ergibt daher durchaus Sinn.
zwei verschiedene Wörter für den differierenden Reifungsgrad ein und derselben Frucht (von ein und derselben Pflanze) ??
 
So leid es einigen tun wird: Karls Reich bestand nicht nur aus dem heutigen Deutschland. Und in Gallien gibt es doch die 1000jährige Fundlücke hinsichtlich der Gurken nicht. Oder?

Und es wird doch sicher schon verschiedene Kürbiszüchtungen gegeben haben.

Egal wie man es mit den Gurken hält, gibt es keine Notwendigkeit zwei Namen kompliziert zu ein und demselben Gegenstand zu erklären.

Dass sie sich Jahrhunderte später aus dem Slawischen Sprachraum nach Deutschland verbreiteten heißt auch nicht, dass sie auch schon unter den Karolingern Assoziationen des Fremden wecken mussten. Natürlich kannte man sie nicht überall. Aber das gilt auch für andere Früchte des Capitulare de Villis.
 
Egal wie man es mit den Gurken hält, gibt es keine Notwendigkeit zwei Namen kompliziert zu ein und demselben Gegenstand zu erklären.
Da stimme ich dir sofort zu!

Dass sie sich Jahrhunderte später aus dem Slawischen Sprachraum nach Deutschland verbreiteten heißt auch nicht, dass sie auch schon unter den Karolingern Assoziationen des Fremden wecken mussten. Natürlich kannte man sie nicht überall. Aber das gilt auch für andere Früchte des Capitulare de Villis.
Auch das ist so plausibel, dass ich da zustimme.

Und die Verbreitung von Pflanzen aufgrund klimatischer Bedingungen bedarf auch keiner wortreichen Zweifel.

Vielmehr interessant ist an dieser Diskussion die Frage, welchen Stellenwert man dem jeweils ältesten schriftlichen (sprachlichen) Nachweis zumisst. Natürlich spielt hierbei auch eine Rolle, wie dieser älteste sprachlich/schriftliche Nachweis auftaucht. Um dasan einem Beispiel klar zu machen: man wird wohl kaum den Namen Crocus eindeutig alt-alemannisch einordnen, aber einen Alemannen-Anführer, den die Römer Crocus nannten, kann man nachweisen, und zwar ein paar Jahrhunderte bevor die ersten alt-alemannischen Sprachzeugnisse auftauchen. (Hierzu müssen wir nicht ins Detail gehen, das alles kann man googeln)

Die eigentliche Frage ist: wie geht man mit den jeweiligen ältesten Sprachzeugnissen um:
altpolnisch allgemein:
- altpolnisch ist schriftlich belegt leider nicht sonderlich alt: in allerlei Glossen etc. des 11.-13. Jh. tauchen altpolnische Namen etc auf, der erste längere altpolnische Text datiertaus dem frühen 14. Jh. -- mit anderen Worten: das altpolnische für die karolingische und ottonische Zeit ist nur als sprachhistorisches Konstrukt fassbar.
- das altpolnische granica (Grenze) taucht erstmals im 12. Jh. auf
- das altpolnische (?) ogurek (Gurke) taucht erstmals um 1500 als Gurcke auf
- "altpolnisch" ist zugleich irgendwie schwammig: es soll vom 9. bis ins 16. Jh.gebräuchlich gewesen sein (was mir zweifelhaft erscheint, aber Tante Wiki stellt es so dar)
- angeblich ohne jeden Zweifel stammen die deutschen Wörter Gurke und Grenze aus dem (alt)polnischen (oder mindestens aus dem westslawischen) ... das eine ist im 12., das andere im frühen 16. Jh. als Entlehnung nachweisbar.

Da stellt sich die Frage: ist der jeweilige Zeitpunkt der schriftlichen Quelle auch automatisch der Zeitpunkt der Entlehnung?

Freunde harter Fakten, unnachgiebig und stur, mögen sagen: erst ab 1500 taucht "Gurke" als Entlehnung aus dem späten altpoln. als deutsches Wort mit der Bedeutung "Salatgurke" auf. Vorher nicht. Peng. Aus.

Angesichts der mindestens 300 Jahre älteren Entlehnung der Grenze aus dem altpolnischen (s.o.) neige ich dazu, auch der Entlehnung der Gurke ein deutlich früheres Datum zu gönnen. Denn in eben demselben Sinn denke ich, dass die erste schriftliche Erwähnung des ostgermanischen Namens Theoderich nicht den ältesten Gebrauch dieses Namens dokumentiert (sondern lediglich den frühesten überlieferten schriftlichen).

Der früheste schriftlich überlieferte Nachweis eines Wortes bedeutet nicht, dass dieses Wort nicht schon vor seiner schriftlichen Fixierung da gewesen wäre! Wäre das anders, müsste man schließen, dass es vor den allerersten germanischen Sprachzeugnissen keine germanische(n) Sprache(n) nebst ihren germ. Wörtern gegeben haben könne...

Kurzum: die Entlehnung "Gurke" aus dem altpoln. muss älter sein als ihr erster schriftlicher Nachweis. Wir können lediglich mangels schriftlicher Zeugnisse nicht genau eingrenzen, um wie viel älter.

Aber wir haben Indizien:
- Braunschweig (erhebliche Mengen an Gurkensamenfunden aus dem 12. Jh.) ist nicht lichtjahreweit von der poln.-dt. Grenzregion entfernt
- erhebliche Gurkensamenfunde aus dem 8.-14. Jh. im gesamten westslaw. Siedlungsraum sind nachgewiesen.

Und dann kommen die historisch-klimatischen Bedingungen hinzu. In Gallien war es kein Problem, Kaiser Tiberius Lieblingsgemüse (die Gurke) anzubauen. Und die lat. cucumer bedeutet nichts anderes als Gurke. Und die cucumer wurde als Kukumer/Gugummer entlehnt (im süddt. Dialekt bis heute)

Bezogen auf das capitulere de villis: meiner Ansicht nach spricht nichts gegen cucumer = Gurke und cucurbitas = Kürbis (Flasachenkürbis)

Die Gurke mag lange Zeit von Westen her als Gigummer (cucumbre etc.) benannt worden sein, von Osten her setzte seitdem Mittelalter (!) der Name Gurke (aus dem poln.) durch.
 
Man müsste auch sonst Erklären, wie der Bedeutungswandel von 'cucumer' vor sich gegangen ist.

Solche Bedeutungswandel gibt es wie Sand am Meer, Maglor hat ja schon darauf hingewiesen. Wenn Du Lust hast, kannst Du ja einige der nachgewiesenen Bedeutungswandel erklären.

Aus dem Griechischen ágūros (ἄγουρος) ‘unreif’ wurde bekanntlich - durch slawische Vermittlung - unsere Gurke.
Aus dem Griechischen pépōn (πέπων) ‘reif’ stammt das lateinische pepo, was die Melone* bezeichnet.
Das deutsche Wort "Melone" kommt aus dem Italienischen und geht dort aufs (Graeco-)lateinische mēlopepo ("Apfelmelone") zurück.

Im Italienischen wird mit "cocomero" heute die Wassermelone bezeichnet.

Das Lateinische "pepo" hat sich im Spanischen als "pepito" erhalten, dort bezeichnet es aber - die Gurke!

Noch eine witzige Bedeutungsverschiebung: Der "Erdapfel" konnte im Alt- und Mittelhochdeutschen alles Mögliche bezeichnen. Neben Kürbis, Melone, Alraune usw. finden wir da auch - die Gurke!

erdapful* 28, erdaphul*, ahd., st. M. (i): nhd. „Erdapfel“, Kürbis, Melone, Alpenveilchen, Mandragora, Große Fetthenne; ne. „earth-apple“, pumpkin; ÜG.: lat. alcanna Gl, (crassula) Gl, (cucumer) Gl, cyclamen Gl, malum Matianum Gl, malum terrae Gl, melo Gl, (orbicularis) Gl, pepo Gl; Q.: Gl (10. Jh.); I.: Lüs. lat. malum terrae?; E.: s. erda, apful, EWAhd 2, 1119; W.: mhd. ërtaphel, st. M., Mandragora, Gurke; nhd. Erdapfel, M., Erdapfel, DW 3, 745
EDIT: http://www.koeblergerhard.de/ahd/ahd_e.html
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben