Ich hatte einen relativ langen Kommentar geschrieben, der leider verloren gegangen ist, ich versuche ihn zu rekonstruieren:
Ich habe nie das Wort Kollektivschuld benutzt/benutzen wollen.
Primo Levi hat sehr schön zusammengefasst, was die Lehre sein sollte, die wir aus dem Verbrechen "Deutschlands" ziehen sollten:
Besucher, betrachte die Überreste dieses Lagers und bedenke: Aus welchem Land du auch kommen magst, du bist kein Fremder. Sorge dafür, daß deine Reise nicht umsonst ist, daß unser Tod nicht umsonst ist. Dir und deinen Kindern vermittelt die Asche von Auschwitz eine Warnung. Möge die Frucht des Hasses, dessen Spuren du hier siehst, keine neue Saat tragen, weder heute noch jemals. Warum diese Lehre in besondere Weise für "Deutsche" gilt, erläutere ich jetzt:
Wenn ich davon spreche, dass "Deutschland" ein Verbechen begangen hat, dann definiere ich die Nation Deutschland so:
Wenn von Nation gesprochen wird, ist gemeinhin eine große Gruppe von Menschen gemeint, die sich im Besitz gemeinsamer Merkmale wähnen. Über diese identifizieren sie sich als Angehörige eines Kollektivs. So grenzen sie sich von anderen Gruppen ab. Dazu kommt der Anspruch auf ein bestimmtes Territorium. (Artikel der Süddeutschen Zeitung). Das heißt eine nationale Identität hat verschiedene Merkmale, das sind u.a. Sprache, Religion, Geschichte, etc. Aber auch andere Charakterzüge.
Der Holocaust war ein Verbechen, welches von dem "gewöhnlichen Deutschen" begangen wurde:
Aus Ernst Klees Buch "Schöne Zeiten". Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer: Deutsche Landser nahmen mitunter lange Wege in Kauf, um beim blutigen 'Schützenfest' die besten Plätze zu ergattern. Mitunter muß man schon von Hinrichtungs-Tourismus sprechen. Und: Häufig waren die meisten bis auf wenige Ausnahmen "gerne bereit, bei Erschießungen von Juden mitzumachen. Das war für sie ein Fest! (...) Da hat keiner gefehlt. Ich betone nochmals, daß man sich heute ein falsches Bild macht, wenn man glaubt, die Judenaktionen wurden widerwillig durchgeführt. Der Haß gegen die Juden war groß, es war Rache, und man wollte Geld und Gold. Wir wollen uns doch nichts vormachen, bei den Judenaktionen gab es etwas zu holen.
Es war (ist?) also ein Teil der "deutschen Identität" Antisemit (und damit damals Nazi zu sein). Goldhagen macht das vor allem am 09.11.1938 fest: Die Pogromnacht war wohl das aufschlußreichste Ereignis der gesamten NS-Zeit. In diesen Stunden hätte das deutsche Volk Gelegenheit gehabt, Solidarität mit seinen jüdischen Mitbürgern zu bekunden. Statt dessen besiegelte es das Schicksal der Juden, indem es die Herrschenden wissen ließ, daß es mit dem eliminatorischen Unternehmen einverstanden war...
Und führt weiter aus: Für den ganz normalen Deutschen waren Juden ein Auswurf, entsprechend war mit ihnen umzugehen.
Das heißt der ganz normale Vertreter der "deutschen Identität", der "Otto-normal-Deutsche" war Antisemit. Es war geradezu (ist geradezu?) "nicht-deutsch" kein Antisemit zu sein.
Natürlich war der "ganz normale Deutsche" nicht das alleinige Element, durch das die Vernichtungsmaschinerie entstehen musste, aber welche anderen Faktoren noch notwendig wahren ist jetzt nicht Thema. Um also einmal Zygmut Bauman zu zitieren: Die Wahrheit ist, dass die einzelnen 'Elemente' des Holocaust - die ihn in ihrer Summe erst möglich machten - durchaus normal waren. Ein "normales" Element ist nunmal auch die "deutsche Identität". Und daraus kann man lernen: Die Faktoren selbst, die den Holocaust aller Wahrscheinlichkeit nach historisch erst ermöglichten, haben sich nur wenig verändert - oder zumindest können wir uns dessen nicht sicher sein. (Zygmut Bauman). Und genau deshalb trägt jeder "Deutsche", jeder, der "deutsch" sein will, diesen besonderen Auftrag jeglicher Annäherung an das größte Verbrechen an der Menschheit, das Verbrechen, das aus der "deutschen Identität" enstanden ist, zu verhindern.