Karl der Große - einige Fragen

Goldkrone

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Hallo liebe Forianer, :winke:

wie ich zu meiner Schande gestehen muss, ist in meinen Bemühungen, mir ein möglichst breites Bild der Geschichte zu machen, das frühe Mittelalter immer etwas kurz gekommen.

Um dem Abhilfe zu schaffen, war ich zum 1200. Todesjahr Karls des Großen nach Aachen gefahren, nachdem ich vorher die Vita Karoli und ein etwas neueres Buch über ihn gelesen hatte. Schon damals hatte ich einige Fragen zu seiner Politik, die sich mir auch nach Besuch der Ausstellungen nicht erklärten.
Doch wie bei vielen "Hobbyhistorikern" üblich, musste ich diese Fragen zugunsten des alltäglichen Betriebs leider ad acta legen.

Gestern habe ich mir die dreiteilige Dokumentation über Karl den Großen auf arte angesehen (kommt dienstags (15.03) auch noch mal um 20.15 auf phoenix, klare Empfehlung!) und wusste über die gröbsten Ereignisse noch ganz gut Bescheid, aber auch diese Dokumentation konnte meine Fragen nicht beantworten.
Daher wollte ich sie euch stellen:

1. Wieso kam Karlmann seinem Bruder zum Kampf gegen das aufrührerische Aquitanien nicht zur Hilfe? Was waren seine Beweggründe bzw. gibt es Vermutungen über die politische Strategie Karlmanns gegen seinen Bruder?

2. Nachdem Karlmann überraschend verstarb, machte sich Karl zum Alleinherrscher über das Gebiet, dass sein Vater Pippin an die beiden vererbt hatte. Daraufhin flüchtete Karlmanns Frau Gerberga mit dem gemeinsamen Sohn Pippin zum langobardischen Hof, an dem König Desiderius regierte.
Desiderius war jedoch mit Karl verbündet - wieso gewährte er also seinen Feinden Asyl?

Danke
 
1. Wieso kam Karlmann seinem Bruder zum Kampf gegen das aufrührerische Aquitanien nicht zur Hilfe? Was waren seine Beweggründe bzw. gibt es Vermutungen über die politische Strategie Karlmanns gegen seinen Bruder?

2. Nachdem Karlmann überraschend verstarb, machte sich Karl zum Alleinherrscher über das Gebiet, dass sein Vater Pippin an die beiden vererbt hatte. Daraufhin flüchtete Karlmanns Frau Gerberga mit dem gemeinsamen Sohn Pippin zum langobardischen Hof, an dem König Desiderius regierte.
Desiderius war jedoch mit Karl verbündet - wieso gewährte er also seinen Feinden Asyl?

Danke

Im September 768 war der Vater Pippin der Jüngere gestorben. Am 6. Oktober 768 wurden Karlmann in Soisson und Karl in Noyon zu Königen gesalbt. Die beiden Orte liegen 40 Kilometer voneinander entfernt. Nimmt man die Bedeutung von Soisson und die übertragenen Länder als Maßstab, so fällt die Bedeutung auch von Noyon als Krönungsort etwas zu Ungunsten von Karl aus.
Aquitanien wurde beiden verantwortlich zugeteilt. Schon wenige Monate nach der Doppelkrönung sah sich Karl veranlasst gegen Aquitanien vorzugehen. Er traf sich mit seinem Bruder zu Gesprächen in Vienne. Sie blieben ergebnislos. 769 startete Mutter Bertrada einen diplomatischen Alleingang um den Langobardenkönig Desiderius einzubinden. Sie traf sich vorher zu einem Gespräch mit Karlmann in Selz.
Von den Gesprächen mit Desiderius kam Bertrada mit einer seiner Töchter zurück über die Alpen um sie mit Karl zu vermählen. Da lief also einiges an Karlmann vorbei. Ob er damit einverstanden sein konnte? Er starb ja dann, wie es heißt an "Nasenbluten", nicht ohne vorher seine Seele Gott befohlen zu haben.
Warum dann seine Frau Gerberga mit Söhnen zu Desiderius floh, ob sie eventuell auch eine Tochter von ihm war? Die Quellen lassen einen da und dem Folgenden etwas ratlos zurück.
Der Papst, der sich vorher nicht genug über die "dreckigen" Langobarden auslassen konnte, floh dann sogar aus Angst um sein Leben in die Arme derselben. (Hägermann/Karl der Große).
 
(1) Daraufhin flüchtete Karlmanns Frau Gerberga mit dem gemeinsamen Sohn Pippin zum langobardischen Hof, an dem König Desiderius regierte.
(2) Desiderius war jedoch mit Karl verbündet - wieso gewährte er also seinen Feinden Asyl?
(1) ...um die dynastische Bahn aufs richtige Gleis zu bringen, pflegte man in diesen rauhen Zeiten gelegentlich dynastisch störende Thronprätendenten rabiat zu killen (die Verfahrensweisen der Merowinger und Goten waren im späten 8. und frühen 9. Jh. noch bestens in Erinnerung) - so gesehen fürchtete Witwe Gerberga möglicherweise um das Leben ihres Sohnes.
(2) immerhin stellten die Langobarden zunächst noch eine militärische Macht dar, in dereren Schutz man sich begeben konnte: wer wäre sonst in Frage gekommen? Natürlich Byzanz, aber das ist weit weg - indes vom Langobardenhof ist es ins byz. Exarchat Ravenna nichtmehr weit.

Natürlich geben die Quellen das nicht her, aber es ist nicht völlig unwahrscheinlich - nu und Desiderius sollte etwas später ja recht unschöne Erfahrungen mit seinem Verbündeten Karl machen...
 
Das Exarchat Ravenna existierte allerdings nicht mehr, da es 751 von den Langobarden erobert wurde. Der nächste byzantinische Stützpunkt war Venedig; im Süden Teile Süditaliens.

Zur Eingangsfrage Nr. 2: Die Beziehungen zwischen Karl und Desiderius hatten wohl gelitten, weil Karl kurz vor Gerbergas Flucht seine Frau, Desiderius' Tochter, verstoßen hatte.
 
Zuletzt bearbeitet:
(1) ...um die dynastische Bahn aufs richtige Gleis zu bringen, pflegte man in diesen rauhen Zeiten gelegentlich dynastisch störende Thronprätendenten rabiat zu killen (die Verfahrensweisen der Merowinger und Goten waren im späten 8. und frühen 9. Jh. noch bestens in Erinnerung) - so gesehen fürchtete Witwe Gerberga möglicherweise um das Leben ihres Sohnes.

Karmanns Witwe Gerberga floh also mit ihren Kindern nach Italien. Karl habe es aber geduldig ertragen. Einhard ergänzt noch, die Witwe habe sich ohne hinreichende Gründe unter den Schutz des Desiderius gestellt. (Ähnlich rührselig weiß Einhard von den Unkeuchheiten der Töchter Karls zu berichten: Karl habe von diesen Gerüchten gehört, ließ es sich allerdings nicht anmerken.)
Und das Bündnis mit Desiderius war für Karl nach dem Tod Karlmanns ohnehin nicht mehr von Nutzen, deshalb verstieß er Desiderius’ Tochter nach nur einjähriger Ehe.

(2) immerhin stellten die Langobarden zunächst noch eine militärische Macht dar, in dereren Schutz man sich begeben konnte: wer wäre sonst in Frage gekommen? Natürlich Byzanz, aber das ist weit weg - indes vom Langobardenhof ist es ins byz. Exarchat Ravenna nichtmehr weit.

Natürlich geben die Quellen das nicht her, aber es ist nicht völlig unwahrscheinlich - nu und Desiderius sollte etwas später ja recht unschöne Erfahrungen mit seinem Verbündeten Karl machen...

Ein Teil des Heeres belagerte gleichzeitig Verona. Obwohl die Stadt zu den am stärksten befestigten im langobardischen Reich gehörte, ergab sich Gerberga. Adelchis (ein Sohn des Desiderius) konnte fliehen und gelangte über Umwege nach Konstantinopel. Da es vor der Stadt anscheinend keine Kampfhandlung gab, wurde Gerberga an Karl ausgeliefert. Was mit ihr und ihren bzw. Karlmanns Söhnen anschließend geschah, ist nicht bekannt. (Hägermann)
 
Das Exarchat Ravenna existierte allerdings nicht mehr, da es 751 von den Langobarden erobert wurde. Der nächste byzantinische Stützpunkt war Venedig; im Süden Teile Süditaliens.
danke für die Korrektur! Das hatte ich völlig vergessen - - offenbar war dann für Karlmanns Witwe der Weg nach Byzanz halt noch weiter (wenn sie diesen geplant hätte)
 
Ich bedanke mich für die vielen aufschlussreichen Antworten, es ist immer wieder erstaunlich, wie viel Wissen in diesem Forum zusammengetragen wird!

Gruß Goldkrone
 
Wenn die Fragen beantwortet sind, würde mich dies noch als Gegenfrage interessieren:

2. Nachdem Karlmann überraschend verstarb, machte sich Karl zum Alleinherrscher über das Gebiet, dass sein Vater Pippin an die beiden vererbt hatte. Daraufhin flüchtete Karlmanns Frau Gerberga mit dem gemeinsamen Sohn Pippin zum langobardischen Hof, an dem König Desiderius regierte.
Desiderius war jedoch mit Karl verbündet - wieso gewährte er also seinen Feinden Asyl?

Ist diese Version - speziell das "daraufhin" - so in der Doku gebracht worden?

Dazu gibt es nämlich auch eine andere Interpretation bzw. quellenkritische Darstellungen.
 
Ist diese Version - speziell das "daraufhin" - so in der Doku gebracht worden?

Dazu gibt es nämlich auch eine andere Interpretation bzw. quellenkritische Darstellungen.

Lieber silesia,

in der Dokumentation wurde eine Verbindung von Gerbergas Flucht und Karls Alleinherrschertum zumindest sehr nahe gelegt, ob sie ausdrücklich hergestellt wurde, kann ich jedoch nicht mehr genau sagen.

Die andere Interpretation interessiert mich aber wirklich. Kannst du kurz Auskunft geben? :winke:

Gruß
Goldkrone
 
Schlage ich morgen nach.

Ich meine, bei Bachnach gibt es eine abweichende Herleitung und die Hypothese, dass die Flucht zunächst nach Rom zum Papst führen sollte.
 
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