Ein paar übermüdete Gedanken…
Das "als Männer verkleidet" bezüglich des Tortosaner Ordens und anderer Frauen, die im Laufe des Mittelalters zu den Waffen griffen, ist eine neuzeitliche Fehldeutung aus der viktorianischen und später der frühfeministischen Phase, um geschichtlich verbürgte Tatsachen mit wechselnder Zielsetzung als absolute Ausnahmen darzustellen.
Etwa das "put on mens' clothes" in der Übersetzung "Verkleidung", Ähnliches auch in deutschsprachigen Texten ähnlich gehandhabt, ignoriert die Tatsache, dass von Frauen weiland streng erwartet wurde, sich feminin zu kleiden (nur in ländlichen Gegenden Osteuropas gibt es Hinweise darauf, dass bei "hosentragenden"* Frauen ein Auge zugedrückt wurde), die entsprechende Mode für eine körperliche Arbeit wie das Kämpfen aber extrem unpraktisch war und man bzw. frau eben nur Männerkleidung als verpönte Alternative blieb.
Ein weiteres, in der Fantasyliteratur entstandenes und leider selbst in amateurwissenschaftlichen Quellen gerne bedientes Klischee ist die Vorstellung der "weiblichen Rüstung", was man an dieser Stelle auch erwähnen könnte. Es handelte sich bei allen Arten von Schutzwaffen natürlich um rein zweckgebundene Gegenstände, die zwar verziert wurden, aber wenn sie für den Kampf bestimmt waren, nie ihre Schutzwirkung auf Kosten der Mode aufgaben. Neumodische Darstellungen von Jeanne d'Arc und Co. in weiblich konturierten Rüstungen sind schon aus rein praktischen Gründen Schwachsinn; kurz gesagt, die Tortosaner Frauen rüsteten sich mit dem, was gerade vorhanden war, und nach der Legende (das Museu de Tortosa enthält viele Funde und Dokumente zum Ordre de la Hache; wer über die Reconquista im Allgemeinen mehr erfahren will, wird auf seinem Spanienurlaub nicht viele bessere Adressen finden!) waren dies vor allem die Brünnen der gefallenen Ehemänner und Brüder.
[ *bei der Bruche und ihren Derivaten handelt es sich natürlich um keine Hose nach unserem Verständnis ]
Hallo Goldauge: Es gibt keine Frauen, welche im Mittelalter oder der frühen Neuzeit zum Ritter geschlagen worden wären - auch die adlige Frau galt grundsätzlich nicht als waffenfähig und war rechtlich dem Mann nicht gleichgestellt - d.h. unter dessen Vormundschaft.
Es gibt zahlreiche, leider oftmals nur im Rahmen der Heimatforschung diskutierte Funde, die belegen können, dass Frauen zwar nicht an Feldschlachten teilnahmen und teilnehmen durften, aber bei Belagerungen besonders im frühen Mittelalter und in den Pandemiejahren regelmäßig auch zu Waffendiensten herangezogen wurden.
Überdies weist besonders in Gegenden, in denen sich vorchristliche Einflüsse lange hielten, z.B. in Nord- und Osteuropa, eine nicht ganz unerhebliche Zahl weiblicher Skelettfunde, die auf die Zeit zwischen 800 und 1500 n.Chr. datiert wurden, Degenerationen auf, wie sie typischerweise bei Kriegern auftreten — etwa charakteristische Knorpelabrasionen, was sogar auf ein gewisses "Training" hinweist. Das schwedische Historiska Museet in Stockholm nennt für Schweden und Finnland (bedingt durch die lange Zugehörigkeit Finnlands zu Schweden forscht das Museum auch dort), wenn ich mich recht erinnere, "etwa zwei Dutzend" Funde von Gräbern, in denen Frauen in typischen Schiffgräbern bestattet wurden, die waschechten Kriegern vorbehalten waren, viele mit derartigen Degenerationen oder gar Kampfwunden, und alle mit Waffen als Grabbeigaben.
Daher sind Gegenden, welche die katholische Kirche nicht sehr im Griff hatte, für die Fragestellung wohl am interessantesten. Es wäre zumindest nicht uninteressant, einmal in der böhmischen Geschichte zu forschen, denn dass Frauen in den Reihen der Hussiten kämpften, ist erwiesen; außerdem übernahmen die Hussiten, als sie die Adamiten als Sekte auslöschten, dennoch teilweise deren Gebräuche und Gesetze, mutmaßlich um deren Sympathisanten in ihre Sache einzubinden, und gaben dem weiblichen Geschlecht dabei eine in Europa in jener Zeit einzigartig hervorgehobene Stellung.
Fechtbücher und Gerichtsakten weisen überdies darauf hin, dass im deutschsprachigen Raum Frauen mindestens zeitweise regelmäßig in eigener Sache Gerichtskämpfe bestritten. Ersteres bietet Raum für kuriose Anekdoten; ich kann mich an ein Fechtbuch erinnern (jedoch nicht an den Namen, die Quelle reiche ich nach!), das sich teilweise an Männer und Frauen richtet, die gegeneinander Gerichtskämpfe zu bestreiten hätten und zwei oder drei Seiten eigens dem Thema widmet, wie man(n) frau und umgekehrt… sagen wir… unter Zuhilfenahme anatomischer Eigenheiten der Geschlechter gezielt Schmerzen bereiten kann.
Einige dieser Traktate, jedoch nicht alle, legen übrigens nahe, dass bei manchen Kämpfen der Mann in einem Erdloch stehen (und sich kleiner machen) musste, wenn der Unterschied im Körperbau einfach zu groß war.
Es fällt auch auf, dass an der spanischen Eroberung Südamerikas, wenn man diese noch im Mittelalter verorten will, einige kämpfende Frauen teilnahmen wie bspw. Maria Estrada. Die Kirche erließ eigens das Gebot, dass nur verheiratete Frauen in die neue Welt reisen dürften, um derart abweichendem Verhalten einen Riegel vorzuschieben.
Bemerkenswert ist zudem, dass während des gesamten Mittelalters ein nicht völlig bedeutungsloser Teil der wenigen souveränen Herrscherinnen, von einer frühen Ethelfleda von Mercia bis hin zu Jadwiga von Polen, selbst Heere bewaffnet und gerüstet in die Schlacht führten, und teils (wie eben diese beiden) sogar eigenhändig kämpften, ohne dass die Chronisten darauf mit Empörung reagiert hätten — anders etwa als bei Eleonore von Aquitanien, deren nicht sehr ernstzunehmende Kreuzzugsteilnahme (die ihr den Spottnamen 'la dame aux jambes d'or' eintrug) großen Unmut erregte und sogar zu einer päpstlichen Epistel gegen sie führte. Ihr und Jeanne d'Arcs Auftreten weckte freilich Unmut, woraus ich schließe, dass die ganze Angelegenheit in Landen unter starkem kirchlichen und französischen Einfluss (man denke an das Salische Gesetz und weitere Einschränkungen, denen Frauen insbesondere hier unterlagen) anders gesehen wurde als z.B. in Süd-, Ost- und Nordeuropa. Freilich ist das nur eine Vermutung. Ihr widerspricht, dass Sichelgaita, die Frau des normannischen Herzogs Robert Guiscard, an wenigstens einer Schlacht (wenn auch nur unterstützend) teilgenommen haben soll.
Worauf ich mit der langen Vorrede hinausmöchte; ich bezweifle, dass die Aussage, Frauen seien für nicht waffenfähig erachtet worden, im Mittelalter flächendeckend und zu jeder Zeit volle Gültigkeit beanspruchen kann. Zwar implementierte die katholische Kirche im Verlauf des Mittelalters, als ihre Macht in Zeiten der Pest und aufgrund der allgemeinen Angst vor Hexen und Ketzern immer mehr wuchs, stets neue Regeln und Gesetze, die Frauen faktisch diskriminierten, doch war jenes Zeitalter längst nicht so frauenfeindlich, wie heute populär angenommen wird. Manche Römerin und manche Britin aus der viktorianischen Ära würde sich vielleicht erstaunt haben über die Freiheiten und Rechte, die eine Frau in manchen Gegenden Europas im frühen und Hochmittelalter genießen konnte, belegt schon durch die Tatsache, dass wesentlich mehr Frauen in dieser Zeit Grund und Reichtümer besitzen oder offiziell sanktionierte, nicht nur inoffiziell abgleitete Macht ausüben konnten, als mehrere Jahrhunderte lang vor- oder nachher.
Hindernis könnte daher m.E.n. die bspw. von Bernard von Clairvaux mitformulierte "Ideologie" sein, auf der das Rittertum ab der Zeit der Kreuzzüge fußte (demnach seien die mönchischen, also zwangsläufig männlichen Ordensritter die "echten", zumindest aber die besseren Ritter als die moralisch "degenerierten" weltlichen gewesen), und zweitens die höfischen Verhaltensweisen. Der starke Ritter als Beschützer des schwachen Geschlechts — wen sollte da das schwache Geschlecht beschützen? Die Rolle war längst besetzt, und wären Frauen auch vollumfänglich gleichberechtigt gewesen.
Die Frauen von Tortosa, die von ihren Zeitgenossen beileibe nicht nur ehrenhalber, sondern als vollwertige Ritter tituliert und behandelt wurden und auch das Recht hatten, Waffen zu führen, dürften aber in jeder Hinsicht einzigartig gewesen sein und ihre Stellung auf der Anerkennung des Grafen Raimund und der Bevölkerung Kataloniens fußen. Ich kenne keine Berichte über den Ablauf der Schlacht um Tortosa 1148, jedoch wird im Museu de Tortosa recht lapidar erwähnt, dass alle zeitgenössischen Quellen übereinstimmten, die Stadt wäre ohne die Verluste, welche die späteren Ritter von der Axt den Angreifern beibrachten, gewiss gefallen.
Man kann wohl festhalten: Im christlich und fränkisch-höfisch geprägten Europa bedurfte eine Frau, die dem "mannhaften" Kriegshandwerk aus eigener Entscheidung nachgehen wollte, einen hohen Rang und/oder eine eigene Machtbasis und/oder hohe Protektion, z.B. einen französischen Dauphin, und trotzdem sind die Beispiele rar. Wenn ich nach bloßem Quellenstudium ohne Überprüfung der Quellen, und die Frage des Strangerstellers ihrem scheinbaren Sinn nach auslegend, irgendeine Zahl aus dem Hut zaubern sollte, würde ich behaupten, dass zwischen den Jahren 800 und 1500 n.Chr. weniger als 100 Frauen "wie Ritter" (soll heißen, ritterlich gerüstet und bewehrt) gekämpft haben, also eine absolute Randerscheinung darstellten.
In aller Regel handelte es sich dabei entweder um Frauen, die selbst Macht in Händen hielten; oder die wie Sichelgaita einen Gemahl oder einen Gönner besaßen, der ihnen Freiheiten gab; oder die aus Gegenden stammten bzw. Organisationen wie den Taboriten angehörten, welche die Gesetze der Kirche und die Adelsbräuche nicht von Herzen anerkannten.
Jenseits des Ordre de la Hache sind meines Wissens nach keine Frauen verbürgt, ja nicht einmal erwähnt, die sich aus herrschaftlich sanktioniertem Recht "Ritter" nennen und rittereigene Privilegien, bspw. das Führen von Waffen, genießen durften.