Völkermord an deutschen Siedlern im Zuge des Herero-Aufstandes?

Maglor

Aktives Mitglied
Der tatsächlich Verlauf stellt daher klar, dass Mahareros Manifest kein Genozidaufruf gewesen ist, so wie das auch aus den Befehlen und Absprachen und dem Verständnis der Herero-Kapitäne hervorgeht.
Wieso denn das? Bei Völkermord geht es um die Absicht, eine Bevölkerungsgruppe ganz oder teilweise zu zerstören. Unterstellt man, dass Samuel Maharero nur die deutschen Männer in Namibia oder auch nur in Hereroland töten wollte, hat er doch bereits den Tatbestand erfüllt. Samuel Maharero hatte die Absicht, ganz speziell die Deutschen im Hereroland zu vernichten.

Gerade weil Samuel Maharero den Befehl gab, Engländer, Buren, Nama, Bastards usw. zu schonen, ist doch klar ersichtlich, was er wollte, nämlich alle Deutschen töten. Es war eben keine blinde Gewalt chaotisch agierender Wilder, sondern systematisches Vorgehen.

Die weitgehende Schonung von Frauen und Kinder durch die aufständischen Herero ist auch nicht so ungewöhnlich und widerspricht einem Völkermordvorwurf keineswegs. Auch von Trotha befiehlt den seinigen nur die Männer zu töten und Frauen und Kinder nur fortzujagen. Die gleiche Vorgehensweise (also lediglich die Männer werden erschossen) gab es auch beim Völkermord an den Armeniern und beim Massaker von Srebrenica.
Ergänzend muss natürlich noch erwähnt werden, dass die Herero zwar in der Regel Leib und Leben der deutschen Frauen und Kinder schonten, sie jedoch vertrieben und die Höfe der deutschen Siedler anzündeten. Es handelte sich also um eine zielgerichtete Vertreibung aller Deutschen.
Warum Maharero die Missionare schon wollte, erklärt sich vielleicht in seiner Verwurzelung im christlichen Glaube. Zumindest bei den Nama spielten christlich-eschatologische Vorstellungen während ihres Aufstandes eine große Rolle.
 
Wieso denn das? Bei Völkermord geht es um die Absicht, eine Bevölkerungsgruppe ganz oder teilweise zu zerstören. Unterstellt man, dass Samuel Maharero nur die deutschen Männer in Namibia oder auch nur in Hereroland töten wollte, hat er doch bereits den Tatbestand erfüllt. Samuel Maharero hatte die Absicht, ganz speziell die Deutschen im Hereroland zu vernichten.

Selbst wenn er alle - deutschen - Siedler getötet hätte, dann wäre es ein Verbrechen und ein Massenmord gewesen. Es hätte aber in keiner Weise die soziale und kulturelle Reproduktion der Deutschen als Ethnie oder Nation nachhaltig betroffen und sie nicht in ihrem Bestand gefährdet.

Zu einem Genozid an den Deutschen durch die Herero wäre es dann geworden, sofern die Herero, Nama etc. ihre "Flotte" bestiegen hätten und in Deutschland eingefallen wären und dort zwei Dinge getan hätten:

- eine vorsätzliche massenhafte Tötung von Deutschen vorgenommen hätten, die die Gesamtpopulation deutlich reduziert hätte und der verbleibenden Population ein Überleben nach den bisherigen Standards entweder unmöglich oder sehr erschwert hätte
- die Basis der sozialen und kulturellen Reproduktion in Deutschland zerstört hätten, die eine komplette Neuorientiertung der kollektiven Identität bedeutet hätte

Und somit im Ergebnis ein Deutschland hinterlassen hätten, das sich deutlich in seiner Population und seiner kulturellen Reproduktion unterschieden hätte im Vergleich zu dem Zeitpunkt, vor dem fiktiven Angriff der Nama auf das Deutsche Reich.

Diese Sicht in Anlehung an die aktuelle Genozid-Forschung. Bei Lemkin findet sich ein anthropologisch bzw. soziologisch definierter Begriff des Genozids (vgl. beispielsweise Link S. 79ff).

So schreibt Lemkin, dass es nicht notwendig ist, dass eine vollständige Auslöschung vorliegen muss, damit man von einem Genozid sprechen kann, sondern es zu einer bewußten „crippling“ einer Gruppen, eines Stammes oder eines Volkes kommt (vgl. Beitrag von Moses und Lemkin im Original, S. 79)

Dieses „crippling“ zielt auf die soziale bzw. kulturelle Reproduktion der Gruppe ab und durch den Genozid wird die kollektive Identität der Gruppe beschädigt. In dieser Sicht folgt er der zentralen Bedeutung von Kultur für die Reproduktion von sozialen Einheiten wie sie in Gesellschaften, Staaten, Nationen zusammen gefaßt sind. Und folgt in seiner Sicht der von Malinowski.

https://de.wikipedia.org/wiki/Bronis%C5%82aw_Malinowski

In diesem Sinne resümiert Moses: „Consequently, he [also Lemkin]concluded „the destruction of cultural symbols is genocide. To destroy their function menaces the existence of the social group which exists by virtue of its common culture.“ (Moses)

Und fährt fort Lemkin zu zitieren: „Consequently, Lemkin was disturbed by occupations like German colonial rule in Africa that ultimately culminated in genocide in German South West Africa….Their culture and members were aussaulted in a concerted attack rather than fading away. Plainly, Lemkin was as concerned with the loss of culture as with the loss of life.“

Ähnlich betont Shaw die Zerstörung der kulturellen und sozialen Reproduktion als zentral in der Theorie von Lemkin. Insofern ist „Massen-Mord“ hinsichtlich der Auswirkungen auf die kulturelle und die soziale Reproduktion von einem Genozid abzugrenzen.


Lemkin, Raphael (2008): Axis rule in occupied Europe. Laws of occupation, analysis of government, proposals for redress. 2nd ed. Clark, N.J.: Lawbook Exchange
Moses, Dirk A. (2013): Raphael Lemkin, Culture, and the Concept of Genocide. In: Donald Bloxham und A. Dirk Moses (Hg.): The Oxford handbook of genocide studies. Oxford, New York: Oxford University Press S. 19–41.
Shaw, Martin (2013): Sociology and Genocide. In: Donald Bloxham und A. Dirk Moses (Hg.): The Oxford handbook of genocide studies. Oxford, New York: Oxford University Press, S. 142–162.

Lemkin: Axis ...
https://books.google.de/books?id=y0...ult&ct=result&redir_esc=y#v=onepage&q&f=false
 
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So schreibt Lemkin, dass es nicht notwendig ist, dass eine vollständige Auslöschung vorliegen muss, damit man von einem Genozid sprechen kann, sondern es zu einer bewußten „crippling“ einer Gruppen, eines Stammes oder eines Volkes kommt (vgl. Beitrag von Moses und Lemkin im Original, S. 79)
das bedeutet also, dass die dt. Kolonialtruppen inklusive dt. Kolonisten keine Gruppe der genannten Art darstellen, und dass folglich ein fiktiver Massenmord an diesen Kolonisten samt Kolonialtruppen keinen Genozid bedeuten würde (weil noch genügend dt. eventual-Kolonisten & -Truppen im fernen Heimatland weilen) - hab´ ich das richtig verstanden?
 
das bedeutet also, dass die dt. Kolonialtruppen inklusive dt. Kolonisten keine Gruppe der genannten Art darstellen, und dass folglich ein fiktiver Massenmord an diesen Kolonisten samt Kolonialtruppen keinen Genozid bedeuten würde (weil noch genügend dt. eventual-Kolonisten & -Truppen im fernen Heimatland weilen) - hab´ ich das richtig verstanden?

Ein Genozid wird nicht durch die Anzahl der Opfer definiert, sondern durch die Auswirkungen auf die Gesellschaft. Das unterscheidet das Konstrukt des "Genozids" von anderen Formen des Massenmords. Wobei sicherlich auch deutlich zu sagen ist, dass die humanitäre Katastrophe in beiden Fällen gleich sein kann. Es ist lediglich ein unterschiedliches Konstrukt.

Das habe ich mit dem fiktiven Beispiel verdeutlichen wollen, um eine symmetrische Situation zu konstruieren zwischen den - umfangreichen - Möglichkeiten eines von Trotha und den - sehr beschränkten - Möglichkeiten von Herero - oder Nama - Stammesfürsten, wie der Genozid-Gedanke aus meiner Sicht - realistisch - zu bewerten wäre.

Ansonsten ist es hilfreich, sich mit den Kriterien und den Abgrenzungen im Rahmen des "Whitaker-Report" zu beschäftigen, da dort explizit formuliert wird, dass man eine inflationäre Verwendung des "Genozid"-Begriffs vermeiden will und man listet dort eine Reihe von Genoziden auf.


https://en.wikipedia.org/wiki/Sub-Commission_on_the_Promotion_and_Protection_of_Human_Rights#Whitaker_Report
 
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Selbst wenn er alle - deutschen - Siedler getötet hätte, dann wäre es ein Verbrechen und ein Massenmord gewesen. Es hätte aber in keiner Weise die soziale und kulturelle Reproduktion der Deutschen als Ethnie oder Nation nachhaltig betroffen und sie nicht in ihrem Bestand gefährdet.
Weil Nazi-Deutschland die Juden in Amerika und im Nahen Osten verschonte, ist die alleinige Ausrottung der Juden Europas auch kein Völkermord. Gleiches gilt für die Armenier, sie wurde ja auch nur innerhalb des Osmanischen Reiches verfolgt und um ihren Fortbestand im Russischen Reich oder gar in Österreich-Ungarn haben sich die Jungtürken nicht gekümmert.
Ich nutzte fast wörtlich die UN-Konvention von 1948. Dort steht, dass die Absicht eine Gruppe teilweise vernichten zu wollen, bereits Völkermord ist.

Die Morde an deutschen Siedlern zu Beginn des Hereroaufstandes bedeuteten gemessen an der Gesamtbevölkerung in Deutsch Süd-West einen erheblichen Einschnitt.
Anfang 1902 wohnten im Schutzgebiet 4674 Europäer (2595 Deutsche, 452 Engländer, 1354 Buren etc.) Von den Deutschen waren 857 Beamte und Soldaten, 220 Kaufleute und Händler, 267 Farmer, 564 Handwerker und Arbeiter. Meyers Lexikon 1905
Ausgehend von der obigen Bevölkerung von 2595 Deutschen im gesamten Schutzgebiet Deutsch Süd-West ermordeten die Herero innerhalb weniger Tage im Januar 1904 ca. 5 % der deutschen Bevölkerung Deutsch Süd-Wests.
Die Möglichkeiten der Herero und Nama waren daher keineswegs beschränkt. Hätten sich, so wie Samuel Maharero es er wünschte, weitere Völker sofort seinem Aufstand angeschlossen und nicht erst den Deutschen als Hilfstruppen gedient, hätte sich auch eine symmetrische Situation in Deutsch Süd-West ergeben können.
 
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Der Hinweis auf die UNO-Konvention ist problematisch. Bitte kurz die Rezension der Diss von Eicker ansehen, die Silesia verlinkt hatte. Dort wird die Problematik der rechtlichen Bewertung anschaulich beleuchtet.

Insofern bewegen wir uns im Bereich der historischen Bewertung und nicht im Bereich einer völkerrechtlichen Diskussion.

Die Morde an deutschen Siedlern zu Beginn des Hereroaufstandes bedeuteten gemessen an der Gesamtbevölkerung in Deutsch Süd-West einen erheblichen Einschnitt.

Ausgehend von der obigen Bevölkerung von 2595 Deutschen im gesamten Schutzgebiet Deutsch Süd-West ermordeten die Herero innerhalb weniger Tage im Januar 1904 ca. 5 % der deutschen Bevölkerung Deutsch Süd-Wests.

Sofern ich das richtig verstehe heißt es folgendes: Es gab einen Genozid der Herero an den deutschen Siedlern in DSWA.

Sofern ich das also richtig verstanden habe. Dann solltest Du daraus eine Dissertation machen und diese These des Genozids an den Deutschen in DSWA durch die Herero und Nama schnellstens publizieren.


Weil Nazi-Deutschland die Juden in Amerika und im Nahen Osten verschonte, ist die alleinige Ausrottung der Juden Europas auch kein Völkermord.

Nein, nicht korrekt. Du definierst die "Juden" als globale, homogene Ethnie. Das ist aber nicht korrekt für die soziale und kulturelle Reproduktion der jüdischen Population beispielsweise in Deutschland, die sich gravierend von anderen Ländern in Europa unterschied.

Durch den Holocaust wurden unterschiedliche soziale Kulturen jüdischer Populationen beispielsweise in Deutschland, Polen oder in der UdSSR zerstört. Abgesehen davon, dass die jüdische Population in den USA wieder andere Muster der kulturellen Reproduktion aufwies und somit nicht ohne weiteres als gemeinsame jüdische Gesamtpopulation angesehen werden kann (auch wenn das ein Herr Hitler behauptet hatte)

Insofern wurde durch die Ausrottung der Juden beispielsweise in Deutschland durchaus ein Genozid konstituiert, da das Leben nach 45 für Juden in Deutschland nach anderen, neuen sozialen und kulturellen Regeln ablief. Es war nicht mehr so wie vor 33 und konnte nicht ohne weiteres durch kulturelle Implantationen aus den USA in seinem Zustand vor 33 original rekonstruiert werden.
 
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Die Deutschen sind aber doch auch keine homogene Ethnie. Die Süd-Wester unterschieden sich erheblich von den Reichsdeutschen, hatten einen eigenen Hut, ein eigenes Lied usw.:grübel:

Die tatsächliche Heterogenität einer Gruppe spielt keine Rolle. Nach Max Weber ist das subjektive Zusammengehörigkeitsgefühl ausschlaggebend.
Max Weber schrieb:
Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, derart, dass dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht ‚Sippen‘ darstellen, ‚ethnische‘ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft objektiv vorliegt oder nicht.
Ethnische Gruppen sind immer konstruiert. Objektive Unterschiede spielen
Die Juden sahen sich trotz ihrer Heterogenität als ein Ganzes, das zusammengehört.

Aus dem gleichen Grund muss man die Herero von damals auch als ethnische Gruppe verstehen und nicht als bloße Teilpopulation der Bantu etc., obwohl sie sich vielleicht kulutrell nur geringfühig von Himba, Ovambo u.a. unterschieden.
Es spielt auch keine Rolle, dass die Herero ein sehr junges Volk war, das auch kaum mehr als 100 Jahre vor den Deutschen in jenem Land ansässig war und sich erst im 19. Jahrhundert unter dem Warlord Maharero als Nation firmierte.
 
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Ein Krieg ist nicht gleich ein Völkermord. Daher müsste gefragt werden, ob Samuel Maherero die männlichen Kolonisten als Krieger betrachtete.

Denn es war Tradition dies möglichst überraschend zu beseitigen, wenn die Indigenen Südwestafrikas Krieg führten.

Näher an die Diskussion um Begrifflichkeiten kommt man schon, wenn man fragt, ob es Völkermord ist, wenn die männliche Bevölkerung dezimiert werden soll, um selbst die Überlegenheit zu behalten, oder den Gegner an der Kriegführung zu hindern. Das Römische Reich und die jenseits der Grenze regelmäßig niedergehaltenen Barbaren werden da mitunter als Beispiel genannt. In wie weit man da auch nach Südafrika blicken kann, kann ich nicht sagen.
 
Ein Krieg ist nicht gleich ein Völkermord. Daher müsste gefragt werden, ob Samuel Maherero die männlichen Kolonisten als Krieger betrachtete. ...

Näher an die Diskussion um Begrifflichkeiten kommt man schon, wenn man fragt, ob es Völkermord ist, wenn die männliche Bevölkerung dezimiert werden soll, um selbst die Überlegenheit zu behalten, oder den Gegner an der Kriegführung zu hindern.

Das spricht völlig zutreffend den Kern des Problems für den Tatbestand eines Völkermordes an.

Wieso denn das? Bei Völkermord geht es um die Absicht, eine Bevölkerungsgruppe ganz oder teilweise zu zerstören. Unterstellt man, dass Samuel Maharero nur die deutschen Männer in Namibia oder auch nur in Hereroland töten wollte, hat er doch bereits den Tatbestand erfüllt. Samuel Maharero hatte die Absicht, ganz speziell die Deutschen im Hereroland zu vernichten.

Gerade weil Samuel Maharero den Befehl gab, Engländer, Buren, Nama, Bastards usw. zu schonen, ist doch klar ersichtlich, was er wollte, nämlich alle Deutschen töten. Es war eben keine blinde Gewalt chaotisch agierender Wilder, sondern systematisches Vorgehen.

Die weitgehende Schonung von Frauen und Kinder durch die aufständischen Herero ist auch nicht so ungewöhnlich und widerspricht einem Völkermordvorwurf keineswegs.

Ich fand diese Argumentation überraschend, insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine solche Qualifikation mW nicht intensiv in der Literatur diskutiert wird.

Wenn ich da etwas übersehen habe, bitte ich um Hinweis. In den mir vorliegenden Publikationen ist das nicht der Fall, was mich zunächst einmal vorsichtig macht, so etwas als Hypothese aufzustellen.

Daraufhin habe ich nochmals die verfügbaren Stellungnahmen zur Kategorie Völkermord angeschaut. Der Hinweis von Riothamus war dabei in die richtige Richtung erfolgt.

Es geht bei der "Absicht" im Völkermord konkret darum, Angehörige einer definierbaren Gruppe ausschließlich deswegen zu vernichten, weil sie Angehörige dieser Gruppe/Teilgruppe sind.

Das Problem besteht in der Vermischung von Kriegshandlungen mit dieser genozidalen Absicht. Das "männliche Deutsche" hier

- (zumindest auch!) als potenzielle Kriegsteilnehmer angesehen worden sind, und dafür auch geeignet, weil in den Kolonien regelmäßig bewaffnet,
- und als männliche Bevölkerung tatsächlich zB im Kampf um belagerte Plätze aktiv geworden sind,

ist wohl nicht ernsthaft zu bestreiten.

"Ist das Angriffsziel hingegen die Vernichtung von Zivilisten der Gegenseite in einem Umfang, der die Schwelle zur Teilgruppe erreicht, und lassen sich die Zivilisten einer geschützten Gruppe iSd. § 6 zuordnen, so ist der Tatbestand erfüllt, auch wenn das kollektive Endziel über diese Teilgruppenvernichtung hinaus zB auf Machtgewinn gerichtet ist. Auf der Ebene des Einzeltäters ist jedoch auch dann stets sorgsam zu prüfen, ob er bei seiner Einzeltat den (kollektiven) Vernichtungsplan erkannt hat, oder ob er bei der Vornahme seiner Handlung davon ausgegangen ist, an einer lokal begrenzten (zB Vergeltungs-)Aktion mitzuwirken."
Münchner Kommentar, TZ 94 zu § 6 VStGB. (als beispielhaftes Zitat für die internationale Anschauung des dolus specialis, special intent).

So angewendet zB auch vom BayObLG, Urteil vom 23.5. 1997 - 3 St 20/96:
"...fehlt der notwendige Nachweis im subjektiven Bereich. Solange nicht auszuschließen ist, dass der Angeklate die Erschießung für ein – wenn auch unzulässiges und verwerfliches – Mittel halten konnte, die Muslime von weiteren Angriffen auf serbische militärische Einheiten abzuschrecken, muss zu seinen Gunsten davon ausgegangen werden, dass er eine hinter dieser Aktion stehende Absicht der Zerstörung der Gruppe der Muslime nicht erkannt hat."

eingrenzend also:

"Auch bei der hier dargelegten weiten Auslegung der Gruppenzerstörungsabsicht begrenzt dieses Merkmal den Anwendungsbereich von § 6 in signifikantem Maße. So werden von § 6 Fallgestaltungen nicht erfasst, bei denen sich die Gesamttat zwar gegen einen erheblichen Teil einer nationalen Gruppe richtet, bei denen die einzelnen Gruppenmitglieder jedoch nicht wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, sondern zB wegen ihrer oppositionellen politischen Gesinnung [Anm: oder weil sie eben als männliche, potenzielle "Kriegsteilnehmer" gewertet werden) getötet oder verletzt werden."
MünchKom, TZ 91.

Dabei ist noch völlig außer Acht gelassen, wie eine Diskussion um das "Aufstandsrecht" der Hereros im Zuge dieser Kolonialherrschaft zu werten ist, und ob die "männliche deutsche Bevölkerung" hier - unterschiedslos, sämtlich - "nur" als direkter Vertreter/Exponenten/möglicher Verteidiger der Kolonialherrschaft zum Ziel der Gewalt wurden und keine "beliebig" ausgesuchte Gruppe.

Der "special/specific intent" bzw. dolus specialis richtet sich dann mindestens gleichgerichtet darauf, die Vertreter der unterdrückenden Kolonialherrschaft zu beseitigen (wie explizit aus den Ausnahmen ersichtlich!), und diese Beseitigung ist Kern des Aufstandes und auch erkennbar abgeschlossen, wenn die Herrschaft beseitigt ist. Der Vorwurf des Völkermordes ist dann ausgeschlossen, was nichts dazu aussagt, ob Kriegsverbrechen oder Morde vorliegen.

Es sollte misstrauisch machen, wenn die historische Diskussion diesen Vorwurf für die erste Phase des Aufstandes nicht aufgreift, und auf der Ebene "gewöhnlicher" Kriegsverbrechen und Morde bleibt, wenn über die Tötungen bei Beginn des Aufstandes gesprochen wird.

Maglor müsste also etwas näher erläutern, was unter der "Absicht" tatsächlich in der Kategorie Völkermord zu verstehen ist.
 
Um es gleich vorweg klar zu stellen, da ich ja das Zitat Mahereros in dem anderen thread ins Spiel gebracht habe, ich halte den Aufruf nicht für eine Absichtserklärung bzgl. eines Völkermordes. Allerdings stimme ich zu, daß dieser Aufruf durchaus so interpretiert werden kann, daß er die Definition der UN-Völkermordkonvention erfüllt.

Ein Krieg ist nicht gleich ein Völkermord.
Dem stimme ich zu. In jedem Krieg werden (beträchtliche) Teile einer Nation oder ethnischen Gruppe vernichtet.


Daher müsste gefragt werden, ob Samuel Maherero die männlichen Kolonisten als Krieger betrachtete.
Nein. Diese Frage ist zwar interessant, aber für die Frage ob es ein Genozid war, unerheblich. Dann müssten wir ja auch Trothas Sichtweise vom Rassenkrieg u.ä. akzeptieren. Die Kolonisten waren Zivilisten, die von den Herero angegriffen wurden, um sie umzubringen, weil sie Deutsche waren.

Denn es war Tradition dies möglichst überraschend zu beseitigen, wenn die Indigenen Südwestafrikas Krieg führten.
Nun, es war auch "Tradition" von Kolonialkriegen oder zB den Indianerkriegen, massenhaft Ureinwohner zu massakrieren, inklusive Frauen und Kinder. Das sollte aber kaum zur Rechtfertigung dienen.

Näher an die Diskussion um Begrifflichkeiten kommt man schon, wenn man fragt, ob es Völkermord ist, wenn die männliche Bevölkerung dezimiert werden soll, um selbst die Überlegenheit zu behalten, oder den Gegner an der Kriegführung zu hindern. Das Römische Reich und die jenseits der Grenze regelmäßig niedergehaltenen Barbaren werden da mitunter als Beispiel genannt. In wie weit man da auch nach Südafrika blicken kann, kann ich nicht sagen.
Es ist die Frage, wie die männliche Bevölkerung dezimiert werden soll, als Folge von (brutaler) Kriegsführung oder durch massenhafte gezielte Tötung männlicher Kombattanten UND Nichtkombattanten zum Zwecke der Vernichtung einer Gruppe und ohne direkte militärische Notwendigkeit. Gerade dein Beispiel Cäsar hat meines Erachtens nach gezeigt, daß oft beide Seiten keine Rücksicht auf Zivilisten nehmen, weder die der anderen Seite, noch die der eigenen.
 
ich halte den Aufruf nicht für eine Absichtserklärung bzgl. eines Völkermordes.

Zustimmung.
Ansonsten wäre forschungsseitig ein Diskurs vorzutragen, in dem mit Expertise, Quellen und völkerrechtlichen Grundlagen gegenteilige Meinungen begründet werden.

Dem stimme ich zu. In jedem Krieg werden (beträchtliche) Teile einer Nation oder ethnischen Gruppe vernichtet.
Was in der Literatur unter dem Aspekt diskutiert wird, dass Kriegsverbrechen und Genozid vermischt auftreten können und auseinander zu halten sind.

Doch, wie in #10 gezeigt.

Diese Frage ist zwar interessant, aber für die Frage ob es ein Genozid war, unerheblich.
Dass es unerheblich wäre, ist falsch, wie laufende Verfahren über Genozidverbrechen zeigen. Es ist sogar ein Hauptproblem der Verfahren, weil darauf Exkulpationsstrategien aufbauen.

Dann müssten wir ja auch Trothas Sichtweise vom Rassenkrieg u.ä. akzeptieren.
Die eine Beurteilung hat mit der anderen nichts zu tun. Selbst eine Einrede gegen einen deutschen Völkermord kann nicht auf die Absicht eines durch Hereros verübten Völkermordes gestützt werden.

Mir ist auch aus der Literatur keine so weitgehende Argumentation bekannt.

Die Kolonisten waren Zivilisten, die von den Herero angegriffen wurden, um sie umzubringen, weil sie Deutsche waren.
Genau dieser dolus specialis wäre zu belegen, und zwar nur (!) dieser Grund.
Da das aussteht, ist das lediglich eine Hypothese.

Wenn das keine Privatmeinung sein sollte: Wo finde ich die in der einschlägigen Literatur?

... spielt hier keine Rolle.
 
Wenn das so stimmt, wären Deutsch-Französischer Krieg und 1.Weltkrieg Völkermord, da es beiden Seiten auch darauf ankam, die Bevölkerungszahl und die Wehrfähigen Teile der Bevölkerung zu reduzieren.
 
Ich fand diese Argumentation überraschend, insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine solche Qualifikation mW nicht intensiv in der Literatur diskutiert wird.

Wenn ich da etwas übersehen habe, bitte ich um Hinweis.
Hier im Forum habe ich die These schon 2010 in den Raum geworfen.

Nun ein konkretes, ich denke ungewöhnliches, aber auf seine Art recht eindeutiges Beispiel:
(Nun, ob es sinnvoll, historisch korrekt, fair, rechtens... ist, Völkerrecht von 1948 auf 1904 anzuwenden, ist die andere Frage.)

Im Januar 1904 verkündete Häuptling Samual Maharero per Brief an die Großen seines Stammes:

Zitat:
"An alle Großleute meines Landes. Ich bin Samuel Maharero, Oberhäuptling der Herero. Ich kämpfe, tötet alle Deutschen. Ich habe einen Befehl an alle meine Leute angefertigt, daß sie nicht weiter ihre Hände legen an folgende: Engländer, Bastards, Bergdamara, Nama, Buren. Alle diese rühren wir nicht an. Tut dies nicht! Ich habe einen Eid geschworen, daß dieser Beschluß nicht bekannt werden darf, auch nicht den Missionaren. Genug!"


Er will alle Deutschen töten (lassen), Afrikaner, Mischlinge, andere Europäer sowie Missionare hingegen verschonen. Die Gewalt ist also gegen eine genau bestimmte Menschen-Gruppe gerichtet.

Was plante Samual Maharero anderes als Völkermord im Sinnne UN-Konvention von 1948, auch wenn er 1904 natürlich nicht wissen konnte, dass er genau diese vor hatte:

Samual Maharero hatte den Plan das deutsche Volk zumindest teilweise, nämlich den Teil in der Kolonie Deutsch-Süd-West-Afrika in Gänze, zu vernichten, daher Völkermord.

Tatsächlich beginnt der Aufstand der Herero im Januar 1904 wie folgt:
Herero-Krieger überfallen wahllos alle Deutschen, die sie finden können. Gehen zu den Höfen nichtsahnender Siedler, töten die Männer, verschonen hingegen in der Regel Frauen und Kinder. In wenigen Tagen werden über 100 Deutsche getötet, fast ausschließlich Zivilisten.
Darauf folgte die bekannte Niederschlagung des Herero-Aufstandes durch die von General von Trotha befehligten deutschen Truppen.
Die Sache mit dem "alle Deutschen töten" hat bekanntlich nicht geklappt.​

Wie könnte man darüber diskutieren:
1. Es könnte die leidige Diskussion um Vergeltung, Rechtfertigung, Aufwiegen von Unrechten, Rechtmäßigkeit von Landbesitz, Kolonien etc. aufkommen.
2. Man könnte versuchen, die Überfälle während des Herero-Aufstandes als gewöhnliche Massaker darzustellen, wobei zu klären wäre, was an Massaker gewöhnlich ist. Oder man könnte darauf verweisen, dass das Töten aller erwachsenen Männer des gegnerischen Stammes eine ganz normale vorhumanistische Kriegstaktik sei...
3. Man könnte auf die geringe Zahl von Opfern verweisen. 123 Menschen sind ja noch lange kein Volk. (Aber eigentlich ist ja die Völkermordsdef. der UNO nicht erfolgsabhängig sondern von der Absicht abhängig.)

Ein Krieg ist nicht gleich ein Völkermord. Daher müsste gefragt werden, ob Samuel Maherero die männlichen Kolonisten als Krieger betrachtete.
Man kann sich natürlich fragen, ob Samuel Maharero die männlichen Kolonisten als Krieger betrachtete, es macht er für die Bewertung des Massakers genauso wenig einen Unterschied, wie die Frage, ob von Trotha alle Männer der Herero als potenzielle Krieger. Man kann sich höchstens fragen, obwohl Samuel Maharero eine Art Unrechtsbewusstsein bzgl. des Massakers hatte.
Ich möchte, ausgehend von Samuel Mahareros Worten, davon ausgehen, dass er zumindest zwischen Missionaren und sonstigen deutschen Männern unterschieden hat. Darin kann man ein Indiz sehen, dass die christliche Religion zumindest Einfluss auf sein Handeln hatte.
Samuel Maharero hätte auch in den Nama potenzielle Gegner sehen können und sie waren es auch genauso viel oder wenig wie die deutschen Siedler. Immerhin gab es einen Jahrezehnte andauernden Konflikt zwischen beiden Völkern und die Nama hat sich dem Aufstand der Herero (noch) nicht angeschlossem, sondern standen in der Schlacht am Waterberg viel mehr auf der Seite deutschen Schutztruppe.

Denn es war Tradition dies möglichst überraschend zu beseitigen, wenn die Indigenen Südwestafrikas Krieg führten.
Ich halte nicht für sinnvoll, dass Massaker ethnisierend zu betrachten. Samuel Maharero hatte sich bereits von vielen Traditionen der Herero verabschiedet und keines in einer indigenen Tradition gefangen. Wie oben angemerkt angemerkt, ließ er die Missionare verschonen.
Das Christentum scheint eine große Bedeutung zu spielen. Es wird nicht an der Notwendigkeit der Missionare gezweifelt. Wichtig erscheint mir, dass sie die Witbooi, die ich im folgenden immer wieder heranziehe, sich bereits noch Gründung des deutschen Schutzgebietes an die Rheinische Mission wandten, män möge ihnen Missionare schicken. Die Orlam waren zwar vor den Repressalien der Buren geflohen, wollten aber auf die religiöse Unterweisung durch Missionare keineswegs verzichten.
Der Prozess einer Europäisierung der Herero hatte schon vor Ankunft der Deutschen begonnen. Sie hatten indirekt von Orlam Nama Teile der europäischen Kultur und Technik übernommen, u.a. Schrift, Religion, Tracht, Feuerwaffen.

Die Stämme der Orlam Nama standen lange unter Einfluss der Buren Südafrikas, wurden sogar als Mischvolk aus Buren und Khoisan verstanden, daher "Baster"/"Bastards". Insbesondere die Afrikaner und Witboois hatten sogar die auf dem niederländischen aufbauende Sprache Afrikaans von den Buren übernommen. Es ist konstruiert, dass man in diesen Bevölkerungsgruppen eine indigene Bevölkerung sieht.

Im 19. Jahrhundert gerieten die Herero unter die Herrschaft der Nama-Gruppe Afrikaner. Deren Kaptein Jonker Afrikaner stützte seine Herrschaft wiederum auf den ihm untergebenen Herero-Kaptein Maharero, der von Jonker Afrikaner aufgebaut wurde. Maharero kehrte seinen Status jedoch um, erhob sich über die Afrikaner und machte sie zu seinen Untergebenen.

Es war auch nicht, dass erste mal, dass die Herero völkermordähnliche Massaker verübten. Sein Vater Maharero ließ in der sogenannten "Blutnacht von Okahandja" am 23.08.1880 sämtliche Nama töten, die angetroffen wurden.

Auslöser war die „Blutnacht von Okahandja" vom 23. August 1880, in der der Herero-Häuptling Maharero alle in seinem Machtbereich lebenden Nama auszurotten versuchte. Nur wenige entkamen mit Müh und Not dem Massaker, unter ihnen auch Hendrik Witbooi, der sich mehr zufällig bei Maharero aufgehalten hatte. Widerstand und Gottesfurcht im Namibiana Buchdepot
Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Massaker von Okahandja von 1880 und denen während des Herero-Aufstandes. In Okahandja ließ Maharero als der Beherrscher des Landes die ihn untergebenen Orlam unter einem Vorwand im Schlaf überfallen. Die Herero standen also auf dem Gipfel ihrer Macht. Die Orlam-Gruppe der Afrikaner verlor dadurch dauerhaft ihre politische und militärische Bedeutung.
Die Gründe für das Massaker vo 1880 an den Orlam in Okadandja hat einen durchsichtigen Grund. 30 Jahre zuvor hatten die Afrikaner dort ein Massaker an den Herero verübt.
Die Massaker seines Nachfolgers Samuel Maharero richteten sich jedoch die keine die herrschende Bevölkerungsgruppe. Gemeinsam ist natürlich das Überraschungsmoment.

Das Beispiel der Afrikaner zeigt, dass den Herero sehr wohl bewusst gewesen sein muss, dass es möglich ist ein anderes Volk auszurotten. 1897 verschwanden die Afrikaner in letzter Auseinandersetzung mit den Deutschen, wobei sich das Vorgegen der Deutschen gegen die letzten auch die Züge eines Massakers geht, nur mit dem Unterschied, dass die Ermordung der letzten Afrikaner als Hinrichtung betrachtet wurde.
Wichtig ist an der Stelle noch die Dominanz der Afrikaner im 19. Jahrhundert.
Wikipedia-Artikel Herero schrieb:
Das 19. Jahrhundert war in Namibia geprägt durch ständige Auseinandersetzungen und gegenseitige Raubzüge zwischen Herero einerseits und den Nama und Orlam andererseits. ... Die Orlam-Afrikaner waren dabei am erfolgreichsten - es gelang ihnen Mitte des 19. Jahrhunderts die fast völlige Ausrottung der Herero (vgl. Vedder: Das alte Südwestafrika, S. 369: „Das Hererovolk hat, soweit wir es kennen, aufgehört zu bestehen.“)
Es gab also aus der jüngsten Geschichte der Herero sehr wohl ein Beispiel dafür, dass es ihnen gelungen ist einen technologisch und militärischen Gegner endgültig zu bezwingen und zwar bei der Ausgangslage, dass die Herero vollständig besieht und unterworfen sind. Warum hätte Samuel Maharero mit den deutschen nicht auch gelingen können, was Maharero Senior mit den Orlam-Afrikanern offensicht gelungen ist.
Ich widerspreche daher insbesondere der Darstellung, dass eine Vernichtung der Deutschen durch die Herero unrealistisch erscheinen muss.

So bleibt weiterhin zu überlegen, welchen Blick die indigene Bevölkerung auf derartige Massaker hatte. Zeitgenössischer Kritik aus der Sozialdemokratie bezeichneten von Trothas Vorgehen als Metzgerhandwerk. Der Nama Hendrik Witbooi (erst auf deutscher Seite, kurze Zeit später Anführer der Nama im Aufstand) hatte aber offenbar einen ganz anderen Blick.
Vorweg: Ich unterstelle, dass Samuel Maharero ähnlich gebildet und sozialisiert war Hendrik Witbooi. Beide stammten zumindest aus angesehenen Kapitän- bzw. Warlorddynastien und Maharero und sein Nachfolger traten ganz im Stil der Orlam-Kapitäne auf.
Hendrik Witbooi schrieb:
Wie ihr wisst, bin ich seit geraumer Zeit unter dem Gesetz, in dem Gesetz und hinter dem Gesetz gelaufen, und zwar wir alle mit aller Gehorsamkeit, doch in der Hoffnung und mit der Erwartung, dass Gott der Vater […] uns erlösen würde aus dieser zeitlichen Mühsal. Soweit habe ich in Frieden und mit Geduld ertragen, und alles, was auf mein Herz drückte, habe ich an mir vorbeigehen lassen …
Aus der Sicht Witboois handelte es bei der brutalen Niederschlagung des Herero-Aufstandes um die Durchsetzung des Gesetzes. Er habe das Gesetz ertragen.
Dies steht natürlich ganz im Gegensatz zu von Trotha, der die Meinung vertrat im Krieg gegen die Afrikaner seien Gesetze anzuwenden.
Hier zeigt sich also ein anderes Verständnis von Herrschaft und Gesetz, die scheinbar mit dem Anrecht verbunden untergebene Bevölkerungsgruppen zu beseitigen. Es wäre an der Stelle noch herauszuarbeiten, ob diese Ansicht eine "traditionell" afrikanischen oder "indigenen" Ansichten aufbaut oder ob die Orlam hier auf ihrem burisch-europäischen Erbe aufbauen. Witbooi kann natürlich einen deutschen Vernichtungsfeldzug das Gesetz halten, wenn doch schon die Ausrottung der Afrikaner Gesetz gewesen war. Für Witbooi ergibt sich aber das Problem, dass die Einhaltung des Gesetzes nicht zur christlichen Erlösung führt und hat darin einen Widerspruch in der kolonialen Herrschaftsideologie entdeckt. Der Widerspruch zwischen Christentum und Gewaltherrschaft wird jedoch nicht gelöst. Für deutsche Seite beschäftigte sich damit nur insofern, dass sie angab, es handele sich bei den Herero und Nama um eine wilde Heiden. Diese Ansicht ist jedoch gänzlich zu verwerfen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hier im Forum habe ich die These schon 2010 in den Raum geworfen.

Das meinte ich nicht. Ich hatte entsprechende (Fach-)Literatur nachgefragt, also Expertise, die sich mit dieser These beschäftigt.

Dieses Problem der "überschießenden Innentendenz" ist nach wie vor nicht beantwortet. Grundlegend (#10) ist dies zu klären:

"Weiß also der Täter, dass sich die Gesamttat gegen Individuen um deren Gruppenzugehörigkeit willen richtet, so besitzt er die im Tatbestand vorausgesetzte Absicht. Auch bei der hier dargelegten weiten Auslegung der Gruppenzerstörungsabsicht begrenzt dieses Merkmal den Anwendungsbereich von § 6 in signifikantem Maße. So werden von § 6 Fallgestaltungen nicht erfasst, bei denen sich die Gesamttat zwar gegen einen (iSv. oben Rn 73 ff.) erheblichen Teil einer nationalen Gruppe richtet, bei denen die einzelnen Gruppenmitglieder jedoch nicht wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, sondern zB wegen ihrer oppositionellen politischen Gesinnung* getötet oder verletzt werden."

* etc. etc.

Was bei den angegriffenen Männern nicht nur wahrscheinlich, sondern sicher der Fall gewesen sein wird.

Im Weiteren zum Problem "Männer" als "Teilgruppe", selbst wenn diese nur wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit und nicht aus Motiven des Aufstandes angegriffen worden wären, erläutert am Beispiel Srebrenica (wo das Problem des Widerstandes gegen einen Aufstand keine Rolle spielt:

"... versteht die bosnisch-muslimischen Männer in Srebrenica also offenbar als eine qualitative Teilgruppe einer (größeren) räumlichen Teilgruppe. Eine solche Kombination unterschiedlicher Kriterien führt zu einer Auflösung des Gruppenbegriffs und ist daher nicht plausibel. Die Einstufung der in Srebrenica begangenen Straftaten als Völkermord setzt daher voraus, dass es bei der Gesamttat um die Zerstörung nicht lediglich der bosnisch-muslimischen Männer, sondern der aller bosnischen Muslime in Srebrenica ging."

MünchKom zum StGB, Völkermord, TZ 77.

Deine weiteren Überlegungen gehen an diesem Kernproblem vorbei.

Und selbst wenn diese "Teilgruppe" abbildbar wäre, scheitert die Argumentation an der zwingend "überschießenden Innentendenz", die Angriffe nur wegen der Gruppe, und nicht wegen des vermuteten Widerstandes der Männer nachzuweisen.

Analogiefälle aus anderen Massenmorden spielen dabei keine Rolle, sondern die Tatbestandsvoraussetzungen und "Absicht" beziehen sich auf 1904 und nichts sonst.
 
Silesia, du argumentierst also, daß deutsche Kolonisten umgebracht werden durften, da die Herero davon ausgehen konnten, daß von diesen Siedlern früher oder später eine Gefahr ausgeht?
 
Silesia, du argumentierst also, daß deutsche Kolonisten umgebracht werden durften, da die Herero davon ausgehen konnten, daß von diesen Siedlern früher oder später eine Gefahr ausgeht?

Wenn ich die ansonsten sichtbare Empfindlichkeit an den Tag legen würde, gäbe es jetzt eine mittelschwere Explosion.

So dreht sich mir als jemandem, der sich seit 30 Jahren mit Militärgeschichte befasst, und keinen Kriegstoten so ansieht, dass er "umgebracht werden durfte", nur der Magen um.

Um das eindeutig klarzustellen:

Mit "umgebracht werden dürfen" hat das Nullkommanichts zu tun. Vor Gericht würde dieser Trick "versuchte Umkehrung der Beweislast" heißen.

Die komplexe Frage der "Absicht" ist allein durch denjenigen zu klären, der hier auf Genozid plädiert. Die Hürden liegen in den dargestellten Definitionen.

Es ist nachzuweisen, dass

1. diese Männer eine (Teil-)Gruppe darstellten, die
2. aus der "überschießenden Innentendenz" umgebracht wurden, dass sie ethnisch, religiös, regional, uniform der Gruppe angehörten und
3. kein sonst überschießendes Motiv ("Oppositionell" reicht aus) bestanden hat.

Die Beweislast trifft den, der 1. bis 3. behaupten will.

Und da Völkerrecht hier nur Hilfswissenschaft der Geschichtswissenschaft darstellt, würde ich gelten lassen, eine herrschende Meinung aus dem Kreis mit Expertise anzuführen, die das als nachgewiesen ansieht.
 
Silesia schrieb:
Wenn ich die ansonsten sichtbare Empfindlichkeit an den Tag legen würde, gäbe es jetzt eine mittelschwere Explosion.
Ich wollte dir keinesfalls unterstellen, daß du das gut findest oder gar Vergnügen empfindest, sondern meinte das "dürfen" rein rechtlich. Du brauchst dich also nicht aufregen. Ich hätte die Frage allerdings nicht so flapsig formulieren sollen. Dennoch aber interessant zu sehen, daß du bei einer Frage kurz vor der Explosion stehst, während du bei Unterstellungen anderer gegenüber mir doch weitaus gleichgültiger agierst.

Silesia schrieb:
So dreht sich mir als jemandem, der sich seit 30 Jahren mit Militärgeschichte befasst, und keinen Kriegstoten so ansieht, dass er "umgebracht werden durfte", nur der Magen um.
Nicht, daß ich pazifistische Weltanschauungen nicht akzeptiere, aber als ehemaliger Soldat erscheint mir ein Krieg in dem keiner umgebracht werden darf recht merkwürdig.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Nun ,das Strafrecht kennt den objektiven und den subjektiven Tatbestand und bei der vorliegenden Fragestellung liegt m.E. beim "subjektiven Tatbestand" der Hase im Pfeffer, nämlich beim Motiv und der Zielsetzung der Aktion
Ziel der Nazis war ganz offenkundig und offiziell die Vernichtung der "jüdischen Rasse" was immer sich die braunen Wirrköpfe darunter vorstellten-und dieser Vernichtungswille richtete sich gegen alle Juden auch die in Amerika oder England . Im Falle des "Endsieges wären auch diese betroffen gewesen- daher Völkermord
Ziel der Herero war die Vertreibung der deutschen Kolonisten, die übrigens kein eigenständiges Volk darstellten aus dem von ihnen okkupierten Land, nicht jedoch die Vernichtung aller Deutschen- ein vollig anderes Motiv also und daher lag hier auch kein Völkermord vor.
Umgekehrt zielte Trottas Aktion gegen die Nama auf eine Vernichtung des ganzen Volksstammes ab und war auch subjektiv so gewollt-hier hätemn wir also wieder den Tabestand erfüllt.
 
silesia, ich habe deine Ausführungen zum deutschen Völkerstrafgesetzbuch jetzt intensiv gelesen. Das Völkerstrafgesetzbuch ist Teil des Strafrechts. Im Strafrecht geht es immer um einen konkreten Täter, den Angeklagten. Strafrechliche Verurteilungen richten sich gegen Einzelpersonen. Es geht darum, ob einer Person aufgrund ihrer konkreten Einzeltaten vorgeworfen werden kann, Völkermord begangen zu haben. Darum ist auch die Innentendenz der ausführenden Person, also des Angeklagten so bedeutsam. Es wird vorausgesetzt, dass die Gesamttat Völkermord war. Danach kann geprüft werden, ob auch der Einzeltäter des Völkermordes schuldig ist. Es ist daher der subjektive Tatbestand des Einzelnen nachzuweisen.

Dieses Problem der "überschießenden Innentendenz" ist nach wie vor nicht beantwortet. Grundlegend (#10) ist dies zu klären:

"Weiß also der Täter, dass sich die Gesamttat gegen Individuen um deren Gruppenzugehörigkeit willen richtet, so besitzt er die im Tatbestand vorausgesetzte Absicht. Auch bei der hier dargelegten weiten Auslegung der Gruppenzerstörungsabsicht begrenzt dieses Merkmal den Anwendungsbereich von § 6 in signifikantem Maße. So werden von § 6 Fallgestaltungen nicht erfasst, bei denen sich die Gesamttat zwar gegen einen (iSv. oben Rn 73 ff.) erheblichen Teil einer nationalen Gruppe richtet, bei denen die einzelnen Gruppenmitglieder jedoch nicht wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, sondern zB wegen ihrer oppositionellen politischen Gesinnung* getötet oder verletzt werden."

Hier geht konkret, um das Wissen des Täters. Kennt der einzelne Täter, der die Einzeltat ausführt, überhaupt einen den Plan der Gesamttat? Übertragen auf den den Fall der Herero wäre zu fragen, ob der einzelne Herero, der eine deutsche Farm überfiel und einen Farmer tötete, wusste, dass er mit dieser Handlung zur Erfüllung eines Gesamtplan der Gruppenzerstörung beitrag. In § 6 Abs. 1 Nr. 1 VStGB ist ausdrücklich vom Töten einer Person die Rede.

Samuel Maharero hat seine Gruppenzerstörungsabsicht zumindest den Großleuten seines Volkes bekannt gegeben und Befehl an alle seine Leute gegeben. Letzlich bleibt seine Samuel Mahareros Anordnung "tötet alle Deutschen" die einzige Grundlage zur Annahme einer Gruppenzerstörungsabsicht.

Deine weiteren Überlegungen gehen an diesem Kernproblem vorbei.

Und selbst wenn diese "Teilgruppe" abbildbar wäre, scheitert die Argumentation an der zwingend "überschießenden Innentendenz", die Angriffe nur wegen der Gruppe, und nicht wegen des vermuteten Widerstandes der Männer nachzuweisen.

Analogiefälle aus anderen Massenmorden spielen dabei keine Rolle, sondern die Tatbestandsvoraussetzungen und "Absicht" beziehen sich auf 1904 und nichts sonst.
Es geht darum, welche konkrete Absicht der einzelne Herero-Krieger hatte, als er einen deutschen Zivilisten tötete. Kannte er Samuel Mahareros Befehl? Wollte er ihnen ausführen? Hatte er andere Gründe einen deutschen Farmer zu töten?

Wichtig für die Einschätzung dieser Frage ist meiner Meinung nach auch der Zeitpunkt des Massakers. Es stand ganz zu Beginn des Aufstandes, also noch vor Beginn der eigentlichen Kampfhandlungen. Mir falle ehrlich gesagt kaum andere Gründe für einen Herero, warum er noch vor Kriegsbeginn gezielt deutsche Männer ermorden sollte, außer dem entsprechenden Befehl des Kapteins. Diese Sache kann für den Einzelnen jetzt natürlich nicht mehr auflösen. Es muss daher bei der Frage bleiben, ob Samuel Maharero in Gruppenzerstörtungsabsicht den Befehl "tötet alle Deutschen" gab oder ob er irgendwas ganz anderes vorhatte.
 
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