Straßenkämpfe und Saalschlachten während der Weimarer Republik in Berlin

Ein Beispiel, wie sich Geschichtswahrnehmung über die Jahrzehnte verändert, etwas simplifiziert aber nichtsdestowenigertrotz korrekt:

In den ersten Jahrzehnten hat man die NS-Zeit und die vorangehenden Straßenkämpfe der Weimarer Republik allenfalls stiefmütterlich behandelt. Eine echte Auseinandersetzung mit der NS-Zeit fand allenfalls vor den Entnazifizierungekommissionen statt oder vor Gericht (Auschwitzprozesse, Einsatzgruppenprozesse), im Übrigen versuchte man jedoch, eine Auseinandersetzung möglichst zu umgehen.
Und man muss auch sagen, dass die Einstufung von der Kommission auch die wirtschaftlichen Interessen der Menschen berührte. Wer in der "falschen" Gruppe landete, hatte ein Anrecht auf ein öffentliches Amt, ein Unternehmen zu führen, Rente und die meisten Sozialleistungen verwirkt.
In Teilen hält das bis heute an, man denke etwa an die Empörung, die bei der Wehrmachtsausstellung geäußert wurde oder - insbesondere im ländlichen Raum, wo es weniger anonym ist, an die Schweigekartelle. Die Nazis, das waren immer die Führungsclique und ein paar Parteisoldaten bzw. SS und Gestapo. Also "die anderen". Aber "wir" doch nicht.
Was es natürlich gab in den ersten Jahren nach dem Krieg, waren Erinnerungsgemeinschaften, die sich untereinander versicherten. Wir können heute von Polizeieinheiten nachweisen, dass diese für den Fall einer Anklage richtiggehend Aussagen und Alibis organisierten, dass sich die einzelnen Mitglieder eines Batallions nicht verplapperten.
In der damaligen Wahrnehmung aber war Geschichte vor allem eines, nämlich Männersache.

Mitte der 60er Jahre kommt erstmal eine etwas breitere gesellschaftliceh Auseinandersetzung mit der NS-Zeit. Klassisch wird das mit der sogenannten 68er-Generation verbunden (die mehr Mythos und mittlerweile auch von vielen Feindbild ist). Im Zuge der zumindest öffentlichkeitswirksam verbreiteten linken Ideologeme dieser Zeit erinnerten sich die Frauen auch wieder der Emanzipation. Da alles unter dem Aspekt der Herrschaft wahrgenommen wurde, wurde auch in der damls eher noch nicht institutionalisierten Geschlechtergeschichte, die damals wie heute vorwiegend von Frauen betrieben wurde, alles unter dem Aspekt der Herrschaft wahrgenommen: Nämlich der Herrschaft des Mannes über die Frau. Frauen seien in erster Linie Opfer der Nazis gewesen.

Mittlerweile - und hier komme ich auch auf das eigentliche Threadthema der Straßen- und Saalschlachten in der WR zu sprechen - ist die Geschlechtergeschichte institutionalisiert und man sieht das mit der Rolle der Frau sehr viel differenzierter. Ja, sogar so, dass die Frauen nur als Opfer wahrzunehmen auch eine Form des Sexismus ist.
Dass die Nazis eine gewisse Rollenverteilung wünschten und, einmal an die Macht gekommen, viele der Freiheiten, welche sich die Frauen erkämpft hatten wieder einschränkten, Frauen aus dem Berufsleben an den Herd verbannten und in ihnen in erster Linie Gebärmaschinen sahen (man denke nur an das bronzene, silberne und goldene Mutterkreuz, eine Art Militarisierung der Mutterschaft), steht dabei außer Frage. Nichtsdestotrotz waren Frauen eben nicht nur unterdrückte Opfer der Nazis, nein, sie waren auch Täterinnen. Dabei muss man gar nicht an Frauen des SS-Helferinnen-Korps denken, etwa Ruth Neudeck, sondern kann viel früher, eben bereits in der WR ansetzen. Die Republik hatte den Frauen das Wahlrecht gebracht, aber Untersuchungen zufolge wählten gerade Frauen überdurchschnittlich häufig antirepublikanisch (meist wohl eher monarchistisch als völkisch, nämlich DNVP).*
Nach den ersten Erfahrungen mit Straßenschlachten in der Weimarer Republik wurden Teilnehmer von Demonstrationszügen dann von der Polizei verstärkt nach Waffen durchsucht (Messer, Pistolen, Schlagstöcke bzw. -ringe). Hier kamen dann die Frauen ins Spiel, welche unter das schaulustige Publikum gemischt die Waffen mit sich führten, die dann im späteren Verlauf des Tages bei Straßen- und Saalschlachten Verwendung fanden. Nebenbei führten sie auch gut organisiert Näh- und Verbandszeug mit sich, um Wunden und Risse an der Kleidung schnell versorgen zu können.

*Die KPD als antirepublikanische linke Partei scheint bei Frauen dagegen nicht sehr einflussreich gewesen zu sein, von Thälmann ist der Spruch überliefert - und offenbar war er sich der Doppeldeutigkeit nicht einmal bewusst -, dass man die Frauen mit den unteren Organen bearbeiten solle.
 
Sowohl als auch.
 

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"Eine echte Auseinandersetzung mit der NS-Zeit fand allenfalls vor den Entnazifizierungekommissionen statt oder vor Gericht (Auschwitzprozesse, Einsatzgruppenprozesse), im Übrigen versuchte man jedoch, eine Auseinandersetzung möglichst zu umgehen.
Und man muss auch sagen, dass die Einstufung von der Kommission"

Du, El Quijote, meinst ganz offensichtlich, das Entscheidungsorgan. https://de.wikipedia.org/wiki/Spruchkammerverfahren, nämlich die Spruchkammer.

Der Begriff Kammer, wie auch sonst bei Besetzung des Spruchorgans in der Form eines Gerichts mit mehreren Personen üblich, taucht schon in Art. XXIV des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus v. 5.3.1946 (Gesetz Nr. 8) auf, wo es heißt: "Die Entscheidung über die Einreihung in die Gruppen der Verantwortlichen und die Festsetzung der Sühne erfolgt durch Kammern." Art. XXX V 1. " Die Kammern regeln das Verfahren nach freiem Ermessen." (entnommen dem mir im Original v. 9.3.1946 vorliegenden "Wiesbadener Kurier")

Mir liegt im Original ein Schreiben des Großhessischen Staatsministeriums - Der Minister für Wiederaufbau und politische Befreiung- Spruchkammer Oberlahn - vom 4.12.1946 mit dem AZ Ob. 794/46 vor, mit dem der Betroffene ersucht wurde, ....bei der hiesigen Spruchkammer...vorzusprechen...Der öffentliche Kläger...Ermittler."

Die Klageschrift mit dem gleichen AZ v.7.1.1947 ist an die Spruchkammer Oberlahn gerichtet. Es heißt darin: "Die örtliche Zuständigkeit der Spruchkammer ist nach Art. 29 ( richtig Art XXIX, Adolina ) des Gesetzes begründet."

Daß der Begriff "Kommission" verwendet wird, kann darauf gegründet sein, daß in Berlin z.B. abweichend vom Gesetz Nr. 8 eben nicht Spruchkammer gesagt oder geschrieben wurde wegen abweichender Besatzungsmacht zu Hessen. Eventuell auch in Loslösung vom Ermittlungsstadium und der "gerichtlichen" Entscheidung als Oberbegriff für die am Verfahren insgesamt beteiligten Personen außer den Beschuldigten.

Jedenfalls meine ich sagen zu dürfen, El Quijote, daß zu Deiner Aussage nur der Begriff "Spruchkammer" paßt, nicht aber "Kommission".
 
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Und jetzt machen wir wieder einen Nebenkriegsschauplatz auf, wo aus einer Mücken ein rechthaberischer Elephant wird ...
 
Nun Adolina, du siehst ja selbst, in Berlin-Wilmersdorf, welches zum britischen Sektor gehörte, konnte sogar die Spruchkammer selbst in den Absender Entnazifizierungskommission setzen.

Aber vielleicht können wir jetzt zum Thema zurückkehren?
 
Vamos, wie wäre es, wenn Du Dich einmal über die Situation einer benachbarten größeren Stadt informierst, falls das möglich ist? Das kommt bei schulischen Seminararbeiten sowohl bei Klassenkameraden wie bei Lehrern oft recht gut an, weil man dann einen gewissen Bezug zum eigenen Lebensumfeld herstellen kann. Außerdem wird auf einer lokalen Ebene nochmals deutlicher, was politische Gewalt im Einzelnen bedeuten konnte. Natürlich müsstest Du das ins "große Ganze" einbetten, aber das wirst Du ja vermutlich ohnehin vorhaben.
 
Einen hilfreichen Einblick in das "linke" Arbeitermilieu in Berlin bietet der Roman von Neukrantz "Barrikaden am Wedding".

Mit seinem Roman schildert er -relativ korrekt - das Milieu im "Roten Wedding" und die Rahmenbedingungen, die bis dahin die kollektive Identität der Arbeiterschaft bestimmt haben. Es wird zudem deutlich wie stark der Rechtsruck durch die NSDAP als Angriff auf die kollektive Identität gewertet wurde. Nicht als intellektueller Konflikt, sondern als Angriff auf die Organisationen der linken Arbeiterschaft, nicht zuletzt weil deutlich war, dass sie in ihrer freien Form unterdrückt werden würden.

Und es wird auch deutlich, dass trotz der "Sozialfaschismusthese" die Übereinstimmung mit grundsätzlichen Zielen mit der SPD deutlich höher war wie mit der NSDAP (vgl. dazu Fromm)

https://books.google.de/books?id=qRJOCwAAQBAJ&printsec=frontcover&dq=fromm+arbeiter&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjKn8C5sszRAhUKuhQKHdvIB10Q6AEIHDAA#v=onepage&q=fromm%20arbeiter&f=false


Fromm, Erich (2015): Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches. Eine sozialpsychologische Untersuchung. . 1. Auflage. Hg. v. Rainer Funk. München: Edition Erich Fromm.
Neukrantz, Klaus (1931): Barrikaden am Wedding: Die wahre Geschichte des Berliner Blutmai 1929. Mit einer Einführung in Leben, Zeitgeist und Werk von Klaus Neukrantz. Unter Mitarbeit von Frieling, Wilhelm Ruprecht (Hrsg) Oberbaumverlag.
 
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Ich kenne diesbezüglich nur den Berliner Verkehrsarbeiterstreik 1932, wo Kommunisten und Nationalsozialisten gemeinsam einen Streik organisierten, gemeinsam demonstrierten und gemeinsam auf die Polizei losgingen. Man scheint bei kleineren Gelegenheiten öfters gegen die Regierung/SPD kooperiert zu haben.

Vgl. hier: WEIMARS ENDE: ?NAZIS UND KOZIS? - SPIEGEL SPECIAL Geschichte 1/2008

In diesem Zusammenhang , Papa Leo, bin ich auf das Werk von Christian Striefler, Kampf um die Macht, Propyläen 1993, gestoßen und möchte ergänzend ein Zitat beifügen: "Die kommunistische Anhängerschaft war keineswegs so festgefügt, wie ideologisch bedingte Vorurteile glauben machen wollen. Bei einzelnen, gemeinsam gegen das parlamentarische System durchgeführten Aktionen wie dem Volksentscheid zur Auflösung des Preußischen Landtages, gemeinsamen Diskussionsveranstaltungen oder dem BVG - Streik überlagerte die Zusammenarbeit ex negativo zeitweise die Feindschaft. Vor allem an der Basis war der Wille zur totalen Umwälzung stärker als ideologische Fernziele. In den Parteiführungen wurden diese Gemeinschaftsaktionen jedoch (dann S. 384) einzig deshalb zugestimmt, um Glaubwürdigkeit und Akzeptanz bei den Anhängern der anderen Seite zu erlangen."

Der Verfasser schildert eine ganze Reihe von gewaltsamen Auseinandersetzungen gerade auch in Berlin.
 
"Mittlerweile - und hier komme ich auch auf das eigentliche Threadthema der Straßen- und Saalschlachten in der WR zu sprechen - ist die Geschlechtergeschichte institutionalisiert und man sieht das mit der Rolle der Frau sehr viel differenzierter. Ja, sogar so, dass die Frauen nur als Opfer wahrzunehmen auch eine Form des Sexismus ist.
Dass die Nazis eine gewisse Rollenverteilung wünschten und, einmal an die Macht gekommen, viele der Freiheiten, welche sich die Frauen erkämpft hatten wieder einschränkten, Frauen aus dem Berufsleben an den Herd verbannten und in ihnen in erster Linie Gebärmaschinen sahen" (Nr. 21)

Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang interessant, El Quijote, daß Wilhelm Reich den Begriff "Gebärmaschine" bereits in seiner Schrift "Massenpsychologie des Faschismus", aus September 1933 verwandte.

"Damit die objektiven kriegsimperialistischen Ziele des monopolistischen Kapitals mit Sicherheit erfüllt werden, ist eine Veränderung der Frauen in dem Sinne unerläßlich, daß in ihnen keinerlei Auflehnung gegen die ihnen aufgehalste Funktion, Gebärmaschine (gefettet und kursiv durch mich, Adolina)zu sein, aufkommen kann. Das heißt, die Funktion der Sexualbefriedigung darf die der Fortpflanzung nicht stören, und zudem würde eine sexualbewußte Frau niemals willig den reaktionären Parolen folgen, die ihre Versklavung beabsichtigen." (S.72)

Reich argumentiert damit zugleich antinationalsozialistisch, weil er den Nationalsozialismus quasi als verlängerten Arm des "monopolistischen Kapitals" ansieht.
 
Zuletzt bearbeitet:
[FONT=&quot]Seminarkurs am Gymnasium.[/FONT]
[FONT=&quot]Da hätte ich erst einmal die Frage, geht es um eine Dokumentation oder um ein Kolloquium, oder um beides?[/FONT]

[FONT=&quot]Ich bin etwas über die Fragestellung verwundert.[/FONT]
[FONT=&quot]Weil, ein solcher Kurs geht wohl in der Regel ein Jahr lang.[/FONT]
[FONT=&quot]Und da meine ich, da müssten eigentlich (ich halte mich mal nur die Frage!) der Rotfrontkämpferbund (RFB) der Kommunisten (Erich Mielke war z.B. auch Mitglied des RFB) und die Sturmabteilung (SA) der Nationalsozialisten ein Begriff sein. Die haben sich geprügelt wo immer sie aufeinander trafen. Auf den Straßen, in Versammlungssälen usw.[/FONT]
[FONT=&quot]Darüber hinaus finden wir ja in der Weimarer Republik noch viele weiter kämpferische Auseinandersetzungen (aus Fragestellung > Schlachten <) mit politische Hintergrund.
[/FONT]
[FONT=&quot]Wer sich damals nicht so herumgeprügelt hat war m.W. die SAJ. Würde ich im Seminarkurs nicht unerwähnt lassen. Wurde ja auch 1933 verboten.
[/FONT]
[FONT=&quot]Ich glaube auf der Homepage der „Bundeszentrale für politische Bildung“ findet man sehr viele Aussagen dazu und man kann diese auch als Kompass/Richtschnur für weitere Recherchen benutzen.[/FONT]
[FONT=&quot]Hier z.B.: „Kampf um die Republik 1919 – 1923“. Und bei der bpb findet man auch die folgenden Jahre. [/FONT]
 
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Götz Aly beschreibt ja auch in "Hitlers Volksstaat", dass es der NSDAP durchaus gelang, einige Arbeiter so zu überzeugen, dass sie NSDAP wählten.
 
[FONT=&quot]Seminarkurs am Gymnasium.[/FONT]
[FONT=&quot]Da hätte ich erst einmal die Frage, geht es um eine Dokumentation oder um ein Kolloquium, oder um beides?[/FONT]

[FONT=&quot]Ich bin etwas über die Fragestellung verwundert.[/FONT]
[FONT=&quot]Weil, ein solcher Kurs geht wohl in der Regel ein Jahr lang.[/FONT]
[FONT=&quot]Und da meine ich, da müssten eigentlich (ich halte mich mal nur die Frage!) der Rotfrontkämpferbund (RFB) der Kommunisten (Erich Mielke war z.B. auch Mitglied des RFB) und die Sturmabteilung (SA) der Nationalsozialisten ein Begriff sein. Die haben sich geprügelt wo immer sie aufeinander trafen. Auf den Straßen, in Versammlungssälen usw.[/FONT]
[FONT=&quot]Darüber hinaus finden wir ja in der Weimarer Republik noch viele weiter kämpferische Auseinandersetzungen (aus Fragestellung > Schlachten <) mit politische Hintergrund.
[/FONT]
[FONT=&quot]Wer sich damals nicht so herumgeprügelt hat war m.W. die SAJ. Würde ich im Seminarkurs nicht unerwähnt lassen. Wurde ja auch 1933 verboten.
[/FONT]
[FONT=&quot]Ich glaube auf der Homepage der „Bundeszentrale für politische Bildung“ findet man sehr viele Aussagen dazu und man kann diese auch als Kompass/Richtschnur für weitere Recherchen benutzen.[/FONT]
[FONT=&quot]Hier z.B.: „Kampf um die Republik 1919 – 1923“. Und bei der bpb findet man auch die folgenden Jahre. [/FONT]

Nur nebenbei:
Die bpb ist eine Behörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern mit Erziehungs(!)auftrag zur Demokratie (Reorientation(!)):

https://de.wikipedia.org/wiki/Bundeszentrale_für_politische_Bildung
 
Götz Aly beschreibt ja auch in "Hitlers Volksstaat", dass es der NSDAP durchaus gelang, einige Arbeiter so zu überzeugen, dass sie NSDAP wählten.

Wohl nicht nur einige, Papa Leo. In dem vorerwähnten Werk von Striefler heißt es insbesondere hinsichtlich der Zeit bis Sommer 1933 : "Um die KPD zu vernichten, brauchte sie nicht offiziell verboten zu werden. Die stärkste Partei der Reichshauptstadt brach in wenigen Monate nahezu vollständig zusammen. Die Parteiarbeit kam zum Erliegen. ..Das lag gewiß auch an den zahlreichen Übertritten an der Basis zu den Nationalsozialisten. Bei Siemens nahmen nationalsozialistische Betriebszellen geschlossen kommunistische Betriebszellen in ihren Reihen auf. Wilhelm Pieck räumte ein, daß RGO - Gruppen sich der NSBO angeschlossen hatten; angeblich mit der Absicht, dort revolutionäre Arbeit zuleisten. Die SA wurde geradezu überschwemmt von Mitgliedern des illegalen RFB. Ganze Gruppen traten mitsamt ihren Schalmeienkapellen zu den Nationalsozialisten über. Ob echte Begeisterung, Anpassung oder sogar der Versuch der Unterwanderung das ausschlaggebende Motiv waren, bleibt ungewiß..(Striefler, S. 380)
 
Striefler wird instrumentalisiert, für die Darstellung eines NS als Reaktion auf eine bolschewistisch-kommunistische Bedrohung.

Die Einschätzung aus der Dissertation von Bischkopf 2013:

"Seine [Anm.: Strieflers] umfangreiche Arbeit, die sich jedoch oftmals zu unkritisch der aufgefundenen Quellen bedient, ist indessen Noltes These vom „Europäischen Bürgerkrieg“ verpflichtet und sucht daher letztlich die zur NSDAP abströmenden Protestwähler für ihre Entscheidung zu entschuldigen, indem ihr Verhalten als verständliche, ja fast zwangsläufige Reaktion auf den kulturzerstörenden Bolschewismus und die revolutionäre Aggression der KPD dargestellt wird; schließlich sei die „grundlegende Bedrohung […] vom Bolschewismus aus[gegangen], und es schien vielen nur noch eine Frage der Zeit, wann sich kommunistische Vernichtungsprophetien in Deutschland durchsetzten“.

Strieflers Anliegen ist es daher, die erste Untersuchung zu verfassen, „die sich mit der Frage auseinandersetzt, ob die nationalsozialistische Warnung vor dem Bolschewismus nicht in der Realität eine Begründung hatte“. Folgerichtig charakterisiert er die Parteipolitik und Gewalt der Nationalsozialisten auch als „Gegenstrategie der NSDAP“ gegen die Aufstandsvorbereitungen der KPD. Letztere waren zwar unzweifelhaft vorgenommen worden, blieben zumeist aber in theoretischen Plänen stecken oder konnten nur dilletantischen Charakter erlangen (was den Polizeibehörden durchaus bekannt war).

Eine „Rettung vor dem Bolschewismus mit legalen Mitteln“ stellt er dementsprechend ostentativ infrage! Dass die NSDAP dabei ernsthaft als sozialistische Arbeiter-Partei anzusehen sei, die dem deutschen Arbeiter tatsächlich mehr zu bieten hatte als die KPD, steht für Striefler außer Frage, und er beteuert auf Grundlage dieser Annahme, dass weitaus mehr Kommunisten zu den Nationalsozialisten übergelaufen seien als andersherum.

Doch um das behauptete Bedrohungspotential der KPD entsprechend belegen zu können, bedient sich Striefler zeitweilig fraglicher, ja zweifelhafter Methoden, und er greift – wenn es darum geht, die Stärke der Partei oder vermeintliche Gräueltaten von Kommunisten hervorzuheben – ungeniert allein auf nationalsozialistische Quellen zurück. Auch bei dem Versuch, das angenommene, stärkere Abströmen von Kommunisten zur NSDAP belegen zu können, verfährt der Autor auf diese Weise und zieht dafür mitunter allein nationalsozialistische Quellen heran. Und so belegen seine vermeintlichen Beweise lediglich den anhaltenden Erfolg und die Effektivität nationalsozialistischer Propaganda, die stets versucht hatte, den breiten Einbruch der NSDAP in die marxistische Arbeiterbewegung vorzutäuschen. Bereits der Titel seiner Arbeit suggeriert einen „Kampf um die Macht“, der jedoch nicht zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten ausgefochten wurde, sondern sich eher als – mitunter willentlicher und vorauseilender – Rückzugskampf einer zusammenbrechenden Republik und ihrer (bürgerlichen) Eliten unter den Angriffen der NSDAP gestaltete."

S. 13+14.

Adolina scheint von diesen Hintergründen und dem Kontext keine Ahnung zu haben (oder es ist zufällig wieder mal ihr einziges Buch in der Garage). Sonst wäre zum Gleichgewicht Fischer, Rosenhaft oder Schumann für das Thema empfohlen worden.
 
Von Silesia wurden die dubiosen Bezüge von Striefler ausgeführt und die Einschätzng des Zerfalls der KPD bis in den Sommer 1933 durch Striefler wirkt mehr wie dubios. Dieses vor allem vor dem Hintergrund nach der Machtergreifung. In die Zeit zwischen Januar 1933 und Sommer 1933 fallen u.a. der Reichstagsbrand, das Ermächtigungsgesetz, Göring as preußischer Innenminister, die massive Übernahme von SA-Personal in die Polizei und die explosionsartige Ausweitung der Anzahl "wilder" Konzentrationslager. Es war somit die Zeit des deutlichsten Ausbaus des Straßenterrors des NSDAP und der Legitimation durch die neue Regierung unter Hitler nach der Machtergreifung.

Es ist zudem anzumerken, dass beispielsweise Wildt und Kreutzmüller auf die Legendenbildung - vor allem durch das Buch von Goebbels "Kampf um Berlin" als Gauleiter von Berlin - hinweisen. Es gehört zur Legendenbildung der NSDAP, dass die NSDAP das "Rote Berlin" erobert hätte, so das Resümee von Wildt und Kreutzmüller.

Interessant sind die Ausführungen von Wildt und Kreutzmüller zudem, da sie eine extrem gewaltbereite, chaotische und vor allem undisziplinierte SA bis 1933 zeigen, die sich teilweise sogar massiv und militant - gewaltorientiert - gegen die eigene Parteileitung (Gauleiter Goebbels) inszeniert hatte. Nur durch die direkte Intervention von Hitler konnte dieser Streit deeskaliert werden.

Zwei weitere Aspekte sind zudem bemerkenswert:
- Die "national-sozialistische" Orientierung des "linken" Flügels, zum dem u.a. auch der Berliner SA-Mann "Wessels" zählte. Und teilweise einwe begrenzte Attraktivität auch der NSDAP für die Arbeiter erklärt. Die Hitler durch eine "sozialistische" Rhetorik in seinen Wahlkämpfen gezielt versuchte auch anzusprechen. Was ihm wieder Sympathien im bürgerlichen Lager kostete, wie Burleigh (The Third Reich: A new History, S. 670 ff).

Auf diesen Aspekt der Problematik der "Stimmenmaximierung" auf der Linken durch die gemeinsamen Aktionen von KPD und NSDAP während des Berliner Verkehrsarbeiterstreiks im November 1932 und der Furcht der bürgerlichen Mitte vor einer revolutionären Situation in der WR, weisen auch Wildt und Kreutzmüller hin (S. 31).

- Die undisziplinierte und gewaltbereite Haltung in weiten Teilen der SA die Erklärung für den "Röhm-Putsch" und den damit beendeten Machtkonflikt zwischen der Partei - also Hitler etc. - und der NS-Bewegung - also SA und Röhm -.

Diese spezielle Situation in Berlin kann man in den deutschen Gesamtkontext einbetten, wie Peukert es zeigt (vgl. die Rezension) und es wird deutlich, wie gravierend die politische Fehleinschätzung des NS-Systems durch die KPD war.

Und dass die KPD aus diesem Grund in den ideologischen Zielen der Theorie des "Sozialfaschismus", einer unrealistischen Sicht auf die Möglichkeit eines revolutionären Widerstands und der zentralistischen Organisationskultur

Ähnlich lief die Repression im Rahmen der Machtergreifung auch in der Provinz ab, wie Bosch quellenorientiert es dokumentiert.


Peukert:
http://library.fes.de/jportal/servlets/MCRFileNodeServlet/jportal_derivate_00022949/afs-1982-716.pdf

Wildt & Kreutzmüller
https://books.google.de/books?id=ZwXR3cdMoT0C&printsec=frontcover&dq=wildt+berlin+1933&hl=de&sa=X&redir_esc=y#v=onepage&q=wildt%20berlin%201933&f=false

Bosch, Manfred (1985): Als die Freiheit unterging. Eine Dokumentation über Verweigerung, Widerstand und Verfolgung im Dritten Reich in Südbaden. Konstanz: Verlag des Südkurier.
 
Zuletzt bearbeitet:
Gibt es irgendein Problem mit Erziehungsaufrägen zur Demokratie,
oder haben die eingestreuten Ausrufezeichen keinen tieferen Sinn?

Nein, keineswegs, silesia. Für mich gibt es nur ein Problem, wenn staatliche Sicherheitsinstitutionen - Exekutivorgane - sich damit befassen. Das erinnert an bestimmte Zeiten.
 
Nein, keineswegs, silesia. Für mich gibt es nur ein Problem, wenn staatliche Sicherheitsinstitutionen - Exekutivorgane - sich damit befassen. Das erinnert an bestimmte Zeiten.


[FONT=&quot]Was nun nicht heißt das ich bpb nicht wieder verwende, wenn es zum Thema passt.[/FONT]
[FONT=&quot]Ich komme aus 2 Diktaturen.[/FONT]
[FONT=&quot]Die 1. habe ich allerdings kaum persönlich wahrgenommen, mehr die Fol[FONT=&quot]gen[/FONT]. Die 2. bis zu meinem 49. Lebensjahr.[/FONT]
 
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