Straßenkämpfe und Saalschlachten während der Weimarer Republik in Berlin

Götz Aly beschreibt ja auch in "Hitlers Volksstaat", dass es der NSDAP durchaus gelang, einige Arbeiter so zu überzeugen, dass sie NSDAP wählten.

Aber Aly beschäftigt sich mit der Zeit nach der Machtergreifung. Nicht der Zeit der Strassenkämpfe. Und er beschreibt die Käuflichkeit auch, aber nicht nur, der Arbeiterklasse. Nicht ideologische Nähe zwischen nationalen und internationalen Sozialisten.

Allerdings haben zu Zeiten des Volkstaats sogar alle Arbeiter NSDAP "gewählt": gelungene Kombination aus Wahlpflicht und Einparteiensystem.

Ich wollte mich dem Thema mal annähern und hab wenig Hinweise auf prominente Überlaufer oder Massenübertritte gefunden. Obwohl die NSDAP rsp. Goebbels und die Strassers da recht rührig waren.

Silesia und Thane haben wohl recht, wenn sie Berichten über Parteiwechsel in der Kategorie "erfolgreiche NS-Propaganda" ablegen.
 
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Nein, keineswegs, silesia. Für mich gibt es nur ein Problem, wenn staatliche Sicherheitsinstitutionen - Exekutivorgane - sich damit befassen. Das erinnert an bestimmte Zeiten.
In bestimmten Zeiten hat es dem bpb vergleichbares gegeben und einer inhaltlichen Diskussion gestellt?
 
Aber Aly beschäftigt sich mit der Zeit nach der Machtergreifung. Nicht der Zeit der Strassenkämpfe. Und er beschreibt die Käuflichkeit auch, aber nicht nur, der Arbeiterklasse. Nicht ideologische Nähe zwischen nationalen und internationalen Sozialisten.

Allerdings haben zu Zeiten des Volkstaats sogar alle Arbeiter NSDAP "gewählt": gelungene Kombination aus Wahlpflicht und Einparteiensystem.

Ich wollte mich dem Thema mal annähern und hab wenig Hinweise auf prominente Überlaufer oder Massenübertritte gefunden. Obwohl die NSDAP rsp. Goebbels und die Strassers da recht rührig waren.

Silesia und Thane haben wohl recht, wenn sie Berichten über Parteiwechsel in der Kategorie "erfolgreiche NS-Propaganda" ablegen.

Dass Aly sich vorwiegend mit der Zeit nach 1933 beschäftigt ist richtig, aber ganz am Anfang schreibt er auch über die Zeit vor 1933 (ich muss die Stelle jetzt aber erst suchen).
Wenn Wahlen nach der Machtergreifung gemeint gewesen wären, hätte ich das nicht erwähnt, denn dass nach 1933 keine echten Wahlen mehr statt fanden, ist mir auch klar. Ich bin mir nicht sicher, wo Du in meiner Anmerkung eine ideologische Nähe zwischen NSDAP und "internationalen Sozialisten" herausgelesen hast, dennoch ist das 25 Punkte Programm der NSDAP voll mit Arbeiter- bzw. sogar KPD/SPD Forderungen.
 
Ich bin mir nicht sicher, wo Du in meiner Anmerkung eine ideologische Nähe zwischen NSDAP und "internationalen Sozialisten" herausgelesen hast, dennoch ist das 25 Punkte Programm der NSDAP voll mit Arbeiter- bzw. sogar KPD/SPD Forderungen.

Hab ich nicht aus deinem Kommentar. Aber wie du jetzt so richtig anmerkst: eine rotbraun Sosse
 
Ich bin mir nicht sicher, wo Du in meiner Anmerkung eine ideologische Nähe zwischen NSDAP und "internationalen Sozialisten" herausgelesen hast, dennoch ist das 25 Punkte Programm der NSDAP voll mit Arbeiter- bzw. sogar KPD/SPD Forderungen.

An anderer Stelle im Forum wurde zum "linken Flügel" folgendes ausgeführt. Der Sozialismusbegriff des NS-Regimes und der KPD bzw. der Comintern haben fast keine inhaltliche Schnittmenge.

Träger dieses "linken" Kurses waren neben den Strasser Brüdern, auch punktuell der damalige Gauleiter Joseph Goebbels. Teilweise ergänzt durch die ähnlich diffusen Vorstellungen eines Röhms im Kontext der SA. Ihre diffuse und deswegen auch konsensuale Zielvorstellung war es, der NSDAP ein antikapitalistisches "sozialrevolutionäres" Profil zu geben [1]. Inhaltlich orientierte sich die Vorstellung an einem "faschistisch-korporativstaatlichen Aufbau des Reiches, in dem Schwerindustrie und Großgrundbesitz verstaatlicht werden sollten"[3,S.146]. Bei den einzelnen antikapitalistischen Positionen ergaben sich buntschillernde Abweichungen, die jedoch ab 1930 deutlich zurück gedrängt wurden und Personen wie Gottfried Feder und seine Schriften zur "Zinsknechtschaft" keinerlei Bedeutung mehr hatten [4,S.101 ff]

Aus dieser ideologischen Konfrontation ergab sich ein temporärer Konflikt zwischen Hitler und den Strasser Gebrüdern, der zunächst im Jahr 1925 mit einem Patt endete und Hitler die Stellung von Strasser anerkannte. Und geographisch auf ein Nord-Süd-Konflikt hinauslief, nicht zuletzt da in den traditionellen Arbeitermilieus eine "sozialistische Wahlrethorik" erforderlich war, um Wählerstimmen zu gewinnen. Gelöst wurde dieser Konflikt zwischen den beiden Positionen erst im Rahmen der "Nacht der langen Messer" im Juni 1934 mit der Ermordung von Gregor Strasser.

Trotz dieses Konflikts weist Bracher darauf hin, dass Hitler nach der Entlassung aus Landsberg (20.12.1924) als Retter der Bewegung sich zu stilisieren wußte und trotz Richtungskämpfen, auch mit den Gebrüdern Strasser, die NSDAP reorganisierte und deutlich auf den "Führer"-Kult einschwörte. Ein Kult, der gerade nicht programmatisch orientiert war, sondern situativ und taktisch agierte [3,S. 142]

Die NS-Programmatik zeichnete sich nicht durch eine Festlegung auf definierte Zielsetzungen aus, trotz des Vorhandenseins der "25 Punkte" [6, S. 265]. So äußert beispielsweise G. Strasser in einer Rede: "Nationalsozialismus ist das Gegenteil von dem, was heute ist." [4,S. 98]. Es ist die Negation des Bestehenden, die das revolutionäre Prinzip der NS-Bewegung ausmachte und aus dem sie die Dynamik bezog.

In diesem Kontextder Negation ist auch die Adaption des "Sozialismus" angesiedelt. Bracher klassifiziert sie als eine "nationalistisch überhöhte Sammelparole und entzog sich allen konkreten Bestimmungen, die über die Polemik gegen jede sachlich-inhaltliche Festlegung hinausführen könnten [4, S.99]. Ähnlich äußert sich Kershaw, der resümiert, dass die "soziale Ideologie" der Nazis in der Geschichtswissenschaft in der Regel als "propagandistische Heuchelei" wahrgenommen wurde [8,S.256]

In diesem Sine äußert sich Goebbels: "Unser Sozialismus ist das Ergebnis eines nationalen Gerechtigkeitsgefühls...Wir sind weder eine Rechts- noch eine Linkspartei und haben in unserer politischen Weltanschauung nichts mit bürgerlichen oder marxistisch Rückständigen zu tun" und eine ähnliche nationale Adaption bzw. eher Verfremdung des Sozialismus-Konzepts nimmt erneut Goebbels vor, wenn er er schreibt: "Der Sozialismus wird Wirklichkeit werden, wenn dieses Vaterland frei gemacht wird." [ebd,S.99]

Inhaltlich - sofern man eine positive inhaltliche Bestimmung vornehmen möchte - orientierte sich dieses nationalsozialistische utopische soziale Denken, wie Turner meint, des "linken Flügels" an einer rückwärtsgerichteten Modernisierung der Deutschen Gesellschaft, das durch eine Art Zunftwesen und bäuerliche Gemeinschaft gekennzeichnet war. Und resümiert: "Obgleich sie selbst diese anti-kapitalistischen Vorstellungen als "Sozialismus" bezeichneten, haben diese mit den im modernen Sozialismus herrschenden Auffassungen nichts zu tun." [5,S. 154]

Sofern also die NS-Adaption des "Sozialismus"-Konzepts überhaupt einen inhaltlichen politisch relevanten Kern aufwies, stand er in der Tradition eines "demagogischen Sozialimperialismus" [4,S. 99 und 101], der nach innen sich gegen "Juden" und "Marxisten" richtete und nach außen für "Revision" und "Expansion" einstand.Diese Haltung kann man auch deutlich als Unterschied zwischen eher NS-Wählern und Wählern des linken Parteienspektrums deutlich aufzeigen.[10]

In diesem Sinne wurde die NS-Bewegung dann auch primär als militant "anti-marxistisch" wahrgenommen [ebd,S. 99] in Deutschland und auch im Ausland.

Die SA verkörperte dabei als Organisation innerhalb der NSDAP am stärksten den "sozialrevolutionären Flügel" der NS-Bewegung. Nicht zuletzt aufgrund der persönlichen Verbitterung vieler SA-Leute wurde eine "zweite Revolution erwartet, die für die ca. 4 Mio SA-Miglieder deutliche soziale Verbesserungen bringen sollte.

Diese Einstellung muss jedoch deutlich relativiert werden bzw. im Kontext der Vorstellungen von Röhm als neuer "revolutionärer Gneisenau" gesehen werden und auch die damit zusammenhängenden Ambitionen, die SA zum zentralen politischen Machtfaktor in Deutschland zu machen.

So schreibt Bracher zu den "sozialrevolutionären" Vorstellungen von Röhm, dass man sich davor hüten sollte,in seinen politischen Vorstellungen, eine weitreichende politische Konzeption" zu sehen.[2,,S. 882] Vielmehr identifiziert Bracher in der Einstellung eher eine Fortentwicklung des egalitäre "Frontsozialismus" der Schützengräben des WW1. Zudem wird insbesondere Röhm eine besondere Verbundenheit zur monarchischen Idee und zu den Wittelsbachern insbesondere nachgesagt.

Und Bracher faßt das Weltbild von Röhm dahingehend zusammen: "Die Quintessence des Röhmschen "Sozialismus" bestand also in der Lehre, dass alle Übel der Welt von den Menschen herrühren, die sich von eigenen Interessen beherrschen und andere dafür sterben lassen, und daß daher nur die Sodaten, die von diesen Fehlern frei sind, für die politische Führung in Frage kommen. Es war ein Weltbild von erschütternder Naivität und Beschränktheit...".[2,S.884]

Das Konzept von Röhm war ein Machtpolitisches Konzept und kein auf die gesellschaftliche Transformation abzielender Ansatz, und hatte bestenfalls mit einem pseudo egalitären Aktionismus, der den Kampf zu zentralen Daseinform stilisierte, eine symbolische Nähe zu den Aktion der Bolschewiken.

Und genau so interpretierte Hitler die Haltung Röhms, ohne ihn direkt zu benennen, und sagt:"Er wisse ganz genau, dass es viele unzufriedene Kreaturen gäbe, deren Ehrgeiz nicht saturiert worden sei. ...Er werde das Treiben dieser Subjekte nicht mehr lange ansehen, sondern plötzlich dazwischen fahren."[7,S.261]

Relevant ist dieses Äußerung, weil er den Interessenkonflikt und nicht die ideologische Ebene thematisiert, die bestenfalls instrumentalisiert wurde, um Ansprüche geltend zu machen.

Abschließend eine Bewertung der unterschiedlichen Flügel, weil suggeriert wird, dass der "linke" Flügel bedeutsamer war als es der Realität entsprach. Und Bracher schreibt: "Damit beantwortet sich die Frage, wieweit die Geschichte des Nationalsozialismus auch ohne Hitler denkbar sei...nur er in der Lage,...in der Herrschaft des Dritten Reichs zu führen" [3, S. 140].


[1] Bauer: Nationalsozialismus. Wien, Böhlau, 2008, bes. S.154ff und auch S.235ff
[2] Bracher, Sauer, Schulz: Die Nationalsozialistische Machtergreifung, Köln, Westdeutscher Verlag,1962,bes. S.880 ff
[3] Bracher: Die deutsche Diktatur, Frankfurt, Ulstein, 1983, bes. 133 ff
[4] Bracher: Die Auflösung der Weimarer Republik, Düsseldorf, Droste, 1984, bes. S.96 ff
[5] H.A. Turner: Faschismus und Anti-Modernismus, in: Nationalsozialistische Außenpolitik, W. Michalka (Hg), Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1978, S.148-174
[6] Zehnpfennig: Adolf Hitler: Mein Kampf. München, Fink, 2011
[7] Broszat: Der Staat Hitlers.Wiesbaden, Matrix Verlag, 2007
[8] Kershaw: Der NS-Staat. Hamburg, Nikol-Verlag, 2009
[9] Fromm: Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches, Stuttgart, DVA, 1980
 
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Mittlerweile - und hier komme ich auch auf das eigentliche Threadthema der Straßen- und Saalschlachten in der WR zu sprechen - ist die Geschlechtergeschichte institutionalisiert und man sieht das mit der Rolle der Frau sehr viel differenzierter.

Auf die Intensität der Mythen und Legendenbildung der NSDAP bzw. der SA in ihrem Bezügen die "Schlacht um die Straße" zu gewinnen, wurde bereits hingewiesen.

Interessant ist zudem, dass der Narrativ der SA, das auch stark über das Genre der SA-Romane transportiert wurde, sich in den Metaphern des Krieges ausdrückte und somit der politische Konflikt in der Hauptstadt in den Begriffen einer "Eroberungsrethorik" (vgl. Wildt S. 39) seinen Niederschlag fand.

"Der Gegner in diesem Krieg galt dabei nicht als gleichwertig, sondern wurde als moralisch und rassisch minderwertig charakterisiert." (Wildt, S. 39) Dabei bezog man sich auf koloniale Vorbilder und unter dieser Perspektive führte man einen "tollen Bucschkrieg". "womit sie [die SA] implizit als legitime weiße Ordnungsmacht gegen die "roten Wilden" aufgewertet wurde (ebd. S. 39).

Neben diesem kriegs- bzw. kolonialorientierten Narrativ, so Wildt und Reschke, war eine starke "geschlechtercodierung" vorhanden. Aus der Sicht der NS-Ideologie wurde Berlin als "entsetzliche Steinwüste mit Parfüm und Frauenfleich" (ebd. S. 40) dargestellt, die es zu erobern galt. Die "Weiber der Kommune" sollten durch die im Männerbund ausgeübte paramilitärische Gewalt in die Schranken verwiesen werden.

"Am Beispiel der Hauptstadt meinten führende Nationalsozialisten den Untergang der Staates durch das "bürgerlich-weibliche Lebenssystem des Urbanismus", eine als weiblich und jüdisch konnotierte Konsum- und Freizeitkultur, besonders deutlich beobachten zu können." (ebd. S. 40).

Insofern waren die Auseinandersetzungen in Berlin mehr wie lediglich "Randale", sondern eine Form von Kulturkampf gegen eine offene und tolerante Gesellschaft.

Und zielten somit auch auf die sich in der Weimarer Republik zunehmend emanzipierenden Frauen ab.

Wildt, Michael; Kreutzmüller, Christoph (Hg.) (2013): Berlin 1933 - 1945. Siedler.
 
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Gibt es eigentlich Hinweise, dass an diesen Kämpfen auch Frauen in nennenswertem Umfang beteiligt waren? Beide Parteien (KPD und NSDAP) waren ja besonders stark von Männern geprägt, aber es gab ja durchaus auch Frauen, die sich ihnen anschlossen.
 
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