Stammt TINA tatsächlich von Maggie?

silesia

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Diese These ist verschiedentlich zu finden, zB in einem Aufsatz von Jenkins über Thatchers „Erbe“.

TINA - There Is No Alternative - scheint in der politischen Kontroverse in Mode gekommen zu sein, wenn es darum ging, Öffentlichkeiten herzustellen, indem man gleichzeitig öffentliche Diskussionen ganz beendet oder mindestens darauf zielt, teilweise einzuschränken.

Im politisch-polemischen Schlagabtausch - hier nicht Thema - wird es dann gleich auch als neoliberales Phänomen markiert/abgewertet.*

Der Wikipedia-Artikel mit Verweis auf ein Oxford Dictionary gibt diese These auch wieder.

Stimmt das? Ist das als nicht in argumentativer Hinsicht als alter Hut anzusehen? Gibt es antike Beispiele? Oder soll das in diesem Gebrauch speziell neuzeitlichen politischen Diskursen zugeordnet werden?


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* so wieder diese Woche in einem Artikel von Queiroz, From the exclusion of the people in neoliberalism to publicity without a public, in der Palgrave Communications.
 
Ceterum censeo Carthaginem esse delendam ("Im Übrigen bin ich der Meinung das Karthago zerstört werden muss")? Damit soll Cato d. Ä. immer seine Reden vor dem Senat, egal zu welchem Thema, zum Ende hin garniert haben. Das ist zwar nicht wörtlich die Behauptung, eine bestimmte Politik sei alternativlos, aber letztlich war es doch das, was der olle Querulant damit ausdrücken wollte.
 
Ein spontaner Gedankengang. Dieses Muster durchbricht in seiner Alternativlosigkeit - bewußt und intentional - mindestens zwei philosophische Denkmuster:

1. These-Antithese- Synthese
2. Yin & Yang

Die angebliche Alternativlosigkeit verkürzt den Diskurs und es gibt weder Antithese, inklusive Synthese, und auch zu Yin kein Yang.

Es ist im historischen Kontext vielleicht auch kein Zufall, dass derartige rigide Konzepte die Vorläufer waren für die Entwicklung zu fake-News. Es geht im Diskurs nicht mehr um das Hinterfragen und den Versuch einer akkumulativen Vorstellung von Wissensproduktion.

Eine ähnliche Verkrustung gab es ja auch für die stalinistischen Staaten, für die auch TINA galt.

Insofern lassen sich wohl komparativ Ähnlichkeiten oder Angleichungen zwischen radikalen und autoritären Varianten des politischen System im Kapitalismus erkennen, dass ein zunehmend autoritärer Diskurs geführt wird.
 
"Wenn man den Wein eingeschenkt hat, muss man ihn auch trinken" --> Zeigt dieses französische Sprichwort nicht auch eine Alternativlosigkeit? Insofern hätte ich auch ein Beispiel, angebliche oder echte Alternativlosigkeiten gab es doch schon immer.
 
Es kommt drauf an, wie man die "Alternativlosigkeit" als Argument versteht. Wenn es darum geht, alle anderen Möglichkeiten im Keim zu ersticken dann sehe ich dies nicht als neues Phänomen - sondern eher als schwaches Argument der Ratlosigkeit.
In der Geschichte gibt es viele Varianten des "there is no alternative". Sei es das Konzept der Barabaren bei den Römern oder der schlichte Versuch, andere als Demagogen zu bezeichnen oder vorzuwerfen, man möchte der neue König von Rom werden oder auch: "Gott will es".
Das TINA-Prinzip gibt es schon so lange, so lange es Populisten gibt. Was Jenkins zu Thatcher sagen wollte ist eher, dass sie es in England salonfähig machte.
 
Die Verwendung des Wortes "muss" drückt schon Alternativlosigkeit aus
überspitzt. Aber wenn der Rahmen so eng gesetzt wird, wird es schwierig, vernünftig über TINA zu diskutieren. Vielmehr ist das doch ein rhetorisches Instrument, welches suggieriert, dass es innerhalb von praktischen und technischen Sachzwängen nur "one best way" gibt. Die besondere Betonung der Alternativlosigkeit diskreditiert andere Meinungen und beansprucht für sich selbst die politische Steuerung.
 
Im politisch-polemischen Schlagabtausch - hier nicht Thema - wird es dann gleich auch als neoliberales Phänomen markiert/abgewertet.*.

In "Tina" spiegeln sich die Traditionsbestände autoritärer Herrschaft wider. In Anlehnung an die Vorstellungen von Weber zum "Macht"-Konzept drückt sich in "Tina" der Versuch aus, im Sinne einer charismatischen Herrschaft" seine Macht einzusetzen, um eine politische Entscheidung durchzusetzen.

Diese Form der Ausübung von Macht ist kein neoliberales Phänomen, sondern ein der politischen Macht grunsätzlich immanent innenwohnendes Problem. Insbesondere Elitentheoretiker von Pareto über Mosca bis hin zu Michels ehernem Gesetz der Oligarchie benennt die Tendenz, auch in Demokratien die Macht bzw. auch die Herrschaftsausübung in den Händen Weniger zu konzentrieren. Im Kontrast dazu steht die "Befürchtung" von konservativen Theoretikern einer "Popularisierung" von politischen Entscheidung, die durch zufällige Mehrheiten und Stimmungen von "einer politisch emotionalisierten Straße" ausgehen (vgl. Diskussion um die Weimarer Verfassung).

Allerdings sind es nicht selten die sich am "populistischten" aufführenden Parteien, die im Effekt die autoritärsten Parteistrukturen und Mandants- und Ämterhäufung im Sinne der Monopolisierung von Macht kennen. Und "Tina" ideologisch ein integraler Bestandteil der Praxis derartiger Parteien ist.

Dieser Entwicklung zur Akzeptanz von Tina bzw. auch einer populistischen Variante kann im Rahmen eines demokratischen Regierungsmodell nur durch die Garantie einer funktionierenden pluralistischen Medienlandschaft entgegengewirkt werden, ähnlich wie sie Habermas in "Strukturwandel der Öffentlichkeit" historisch beleuchtet hat und in seinen Vorstellungen zum politischen Diskurs als positives Modell einer partizipativen demokratischen Gesellschaft entwickelt hat.

Und die Moral von der Geschichte:
Jede Gesellschaft hat soviel "Tina" im Rahmen seiner politischen Agenda wie die wahlberechtigten Bürger diese "alternativlosen" Varianten der Politik zulassen. Eine aktive "Civi Culture (Almond & Verba) verhindert, dass "Tina" als Politikstil in einer Demokratie die Chance hat, als pseudo-Diskurs akzeptiert zu werden.
 
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Besten Dank für die Meinungen und Hinweise!

Jenkins beschreibt das übrigens weniger plakativ als Maxime Thatchers, als - interessant - vielmehr unter dem Vorzeichen einer Übernahme und Absorption der Maxime durch Blair. Daher war mir auch nicht klar, warum Queiroz nun gerade Jenkins referenziert.
 
Diese Form der Ausübung von Macht ist kein neoliberales Phänomen, sondern ein der politischen Macht grunsätzlich immanent innenwohnendes Problem.
aber da England ja keine Oligarchie ist, muss man fragen, warum dennoch solche Instrumente der Machtausübung verwendet werden. Und da wiederum sind neoliberale Demokratien anfälliger, da der Staat und die Regierung in ihrem Regierungsanspruch zurückhaltender sind. Neoliberale Regierungen erzeugen Vertrauen, indem sie zeigen, dass sie sich an die Spielregeln halten. Dadurch werden sozialpolitische Korrekturen von Ungleichheit leise gehalten (siehe Krankensystem in England) und es wird erwartet, dass man nicht stark in den Markt investiert. und durch die TINA-Rhetorik wurde dann in England unter Thatcher deutlich gemacht, dass sich der Staat zwar zurück zieht, aber doch noch steuert!

Die Logik hinter dem Politikverständnissen muss man im Einzelfall beurteilen. Bei Thatcher stand dahinter die Idee, Konflikte zu schaffen und die Politikoptionen der Gegner zum schweigen zu bringen.
Blair wollte seine Parteigegner ruhig stellen und seinen eigenen Parteientwurf als den einzig vernünftigen darstellen.
Angela Merkel hingegen wollte ihre eigenen Kritiker ruhig stellen und ihre Art der konservativen Modernisierung salonfähig machen.

Gesellschaftlich fatal ist die Ausübung dieses Politikstils allemal, da sich z.B. die Opposition neu organisiert und der Boden für Populisten breit wird.

Wenn eine solche Handlung heutzutage angewandt wird sollte man sich fragen, was die politischen Notwendigkeiten sind und welche Handlungsspielräume die Politiker haben. Alternativlos ist eigtl nichts.
 
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