Werbung und Desertion von Soldaten im 18. Jahrhundert-How to, Motivation, Beweggründe

Scorpio

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In dem Thread Spielfilme die im 18. Jahrhundert spielen erwähnte Brissotin, dass freie Reichsstädte häufige und beliebte Rekrutenreservoirs waren für die Anwerbung von Soldaten. Aus meinen eigenen Forschung war mir bekannt, dass Frankfurt am Main bevorzugtes Revier der hessischen Werber war, Hessen-Kassel wie Hessen-Hanau, und dass die lokale Obrigkeit bereit war, mit Werbern zu konspirieren und selbst grobe Verstöße gegen Polizeiordnungen und Reichsgesetze zu decken. Der, oder besser ein Grund, dass man sich davon positive Impulse für den Dienstbotenmarkt erhoffte, war mir völlig neu. Ich ging davon aus, dass die Freie Reichsstadt Frankfurt, oder besser gesagt ihre Beamten das taten, um Rücksicht auf ansässige zünftige Handwerksbetriebe zu nehmen, die wie auch in vielen anderen Reichsstädten überbesetzt waren und Konkurrenz befürchteten.

Übergriffe der Werber, bis zum Kidnapping sind allgemein bekannt aus zeitgenössischen Quellen, und eines der wichtigsten Hilfsmittel war schon immer der Alkohol, nicht umsonst waren Gaststätten der beliebteste Ort, die Werbetrommel zu rühren. Andererseits war es wohl nicht ganz unübliche Praxis von manchen Gaunern, die sich anwerben ließen, um der Verfolgung zu entgehen, nur um dann bald darauf wieder zu desertieren. Ein fränkischer Bandit machte ein regelrechtes Geschäft daraus, als er schließlich gehenkt wurde, war er mehr als ein Dutzend Mal desertiert, nachdem er sich als Dragoner hatte anwerben lassen und hatte die meisten Male dabei noch ein Pferd mitgehen lassen.

Wie glaubwürdig sind Berichte über offene Gewalt und Kidnapping wie man es aus der Lebensgeschichte von Johann Gottfried Seume, dem Schweizer Ulrich Bräger (der arme Mann von Toggenburg) Sergej Lommonossow und anderen kennt?

Was waren die wichtigsten Gründe für Desertion und wie waren die Chancen, zu entkommen?
Wie lief überhaupt eine Anwerbung ab?
Welche Rituale waren mit Anwerbung von Angehörigen sogenannter "unehrlicher Berufe" verbunden?
Kennt jemand besonders originelle/schockierende "Werbergeschichten"?

Fragen über Fragen, das Thema erscheint jedenfalls interessant als ein besonderes Kapitel der Sozial- und Militärgeschichte, um nur in dem Thread über Rezensionen zu Filmen aus dem 18. Jahrhundert en Passant behandelt zu werden. Ich hoffe auf eine etwas aktivere Beteiligung!
 
Im Hochstift Paderborn waren Zwang und Gewalt offiziell verboten. Aber daran hielt man sich nicht immer.

Nachzulesen hierin. (Rechts oben auf PDF klicken.) Nun hielt das Hochstift im Frieden nur 2 Kompanien unter Waffen und im Krieg griff man zu einem Losverfahren, bei dem die Stadt- und Gemeinderäte die 'Unnützen' und 'Unruhestifter' auf Zettel schrieben. Dies musste man geheim durchführen, weil sonst die männliche Bevölkerung im geeigneten Alter verschwunden war. Auch Begnadigungen sollen selbst bei Kapitalvergehen nicht immer zum Erfolg geführt haben. Es sind Fälle bekannt, in denen sich Ämter verpflichteten die Versorgung der Hinterbliebenen zu übernehmen, wenn der Geworbene verstürbe. Im verlinkten Artikel ist auch das Vorgehen beschrieben, soweit es aus den Quellen deutlich wird.

Die schauerlichsten Geschichten dazu gehen hier aber darauf zurück, dass Preußen im Hochstift anwerben durfte. Der rührigste preußische Werber soll dabei ein Fähnrich Schwan gewesen sein, der hier bis heute als "Werber Schwan" berüchtigt ist. Sein Hauptquartier hatte er in Boke an der Lippe in einem der ältesten Gasthäuser der Gegend aufgeschlagen, das heute nach ihm als Schwanenkrug benannt ist. Germanisten mögen vom Schwanenkrug schon einmal gehört haben, da der Freiherr von Haxthausen dort viele Märchen, Sagen und Geschichten sammelte, die er den Gebrüdern Grimm zukommen ließ, u.a. wurde hier das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten aufgezeichnet. Das bedeutet aber auch, dass die Berichte über den Werber Schwan nicht ganz zuverlässig sind, auch wenn er historisch ist, und eher als das gelten können, was in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts über Werbungen erzählt wurde. Der Schwanenkrug war damals eine ergiebige Quelle für Geschichten, da viele Auswanderer und auch 'Hollandgänger' dort Station machten. Der entsprechende Fernweg existiert südöstlich der Lippe heute nicht mehr. Durch die Eisenbahn ging die Bedeutung der Nebenstrecke des Hellwegs durch das Münsterland verloren. Noch die Französische Nordarmee aber zog darüber 1812 nach Rußland.

Die schauerlichste Geschichte ist wohl, dass der Werber Schwan einen Zimmermann bat, einen Sarg für einen hochgewachsenen Menschen zu bauen. Dann bat er den hochgewachsenen Mann, der so groß sein sollte, wie der Verstorbene, sich hinein zu legen. Nun ließ er den Deckel aufnageln und trug den Zimmermann für die Riesengard fort. Doch der Handwerker soll, als man in Lippstadt ankam, erstickt gewesen sein. Je nach Version wird ergänzt, dass das das bessere Schicksal gewesen sei.

Bei Interesse kann ich zum Werber Schwan nochmal genauer nachsehen.
 
Die preußischen Werber hatten wohl den finstersten Ruf und schreckten selbst vor offener Gewalt und Entführung nicht zurück. In Hannover und anderen Territorien wurde ihnen das Betreten des Landes zeitweise verboten. Der russische Universalgelehrte wurde während seiner Studienzeit in Marburg auf einer Reise zwangsrekrutiert für die preußische Armee erst Monate später glückte es ihm, zu desertieren.

Den hessischen Werbern war durch landgräfliches Edikt Gewalt bei der Werbung verboten. Das war aber wie bei fast allen Mandaten und Edikten ein Potentialis. Übergriffe wurden, wenn es nicht mehr "unbürokratisch unter der Hand geregelt werden konnte, durchaus streng bestraft. Unteroffizieren drohte Degradierung und Spießrutenlaufen, Offizieren Festungshaft. Das kam aber in der Praxis nur vor, wenn die Werber den Falschen, etwa einen Studenten mit einflussreichen Verwandten schnappten. Mit zunehmender Kriegsdauer standen die Werber im Unabhängigkeitskrieg unter Druck, ausreichende Zahlen an Reserven anzuwerben. Seume hat zwar in seiner Autobiographie manches übertrieben, seine gewaltsame Werbung in Vacha (Thüringen9 halte ich aber mittlerweile für authentisch.
Solche groben Verstöße gegen Regeln waren aber eher die Ausnahme, und man griff lieber zu List und Tücke, unterstützt vom Alkohol. Ein Handwerksbursche ließ sich von Werbern einladen. Als er sehr betrunken war, hängte er sich Koppel eines Unteroffizier um und sagte "du bist meyn, ich bin dein, was du bist, will ich auch seyn." Die (preußischen) Werber bezahlten seine Zeche legten dass dann aber als Auszahlung des Handgelds aus und ließen sich das von Zeugen bestätigen. Das Ende vom Lied war, dass der arme Schlucker Soldat werden musste.
 
Mir fällt gerade ein: Mussten Reichsstädte die Werbung nicht zulassen, weil sich die Fürsten seit 1681 auf die Bereithaltung des Reichskontingents berufen konnten und die Werbung für das Reich dort erlaubt war?
 
1.
Der, oder besser ein Grund, dass man sich davon positive Impulse für den Dienstbotenmarkt erhoffte, war mir völlig neu. Ich ging davon aus, dass die Freie Reichsstadt Frankfurt, oder besser gesagt ihre Beamten das taten, um Rücksicht auf ansässige zünftige Handwerksbetriebe zu nehmen, die wie auch in vielen anderen Reichsstädten überbesetzt waren und Konkurrenz befürchteten.

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Übergriffe der Werber, bis zum Kidnapping sind allgemein bekannt aus zeitgenössischen Quellen, und eines der wichtigsten Hilfsmittel war schon immer der Alkohol, nicht umsonst waren Gaststätten der beliebteste Ort, die Werbetrommel zu rühren. Andererseits war es wohl nicht ganz unübliche Praxis von manchen Gaunern, die sich anwerben ließen, um der Verfolgung zu entgehen, nur um dann bald darauf wieder zu desertieren.

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Wie glaubwürdig sind Berichte über offene Gewalt und Kidnapping wie man es aus der Lebensgeschichte von Johann Gottfried Seume, dem Schweizer Ulrich Bräger (der arme Mann von Toggenburg) Sergej Lommonossow und anderen kennt?

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Wie lief überhaupt eine Anwerbung ab?

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Welche Rituale waren mit Anwerbung von Angehörigen sogenannter "unehrlicher Berufe" verbunden?
Kennt jemand besonders originelle/schockierende "Werbergeschichten"?

Fragen über Fragen, das Thema erscheint jedenfalls interessant als ein besonderes Kapitel der Sozial- und Militärgeschichte, um nur in dem Thread über Rezensionen zu Filmen aus dem 18. Jahrhundert en Passant behandelt zu werden. Ich hoffe auf eine etwas aktivere Beteiligung!
1. Es könnte regional unterschiedlich gewesen sein.
Was sollte es aber den Handwerkern helfen, wenn die Hessen warben? Als nichtzünftiger Handwerker durfte man ja eh nichts anbieten. Die Obrigkeit ging gegen Krämer u.ä. selbst auf dem Land vor, wenn sie Waren anboten, welche eine zünftige Handwerkerschaft in der Stadt produzierte und dort zu erwerben war.

2. Gaststätten waren ja nicht nur von Seiten der Werber beliebte Orte, sondern sie wurden ihnen auch bisweilen als einzige Orte zur Werbung von der Obrigkeit verordnet. Über die Dörfer zu tingeln, um dort den einen oder anderen Bauern für sich zu gewinnen, war wohl auch eine ziemliche Zeitverschwendung. Denn man darf sich die Dorfkrüge nicht als beständig mit Gästen besetzte Schankwirtschaften vorstellen. Die versteuerten Mengen an Getränken, die ich zu ein paar Wirtshäusern mal gefunden habe, verdeutlichen vielmehr, dass die Wirtshäuser eher selten aufgesucht wurden, wenngleich es bei den Einnahmen Schwankungen gab, die auch von großen dort abgehaltenen und auch nicht jährlich stattgefundenen Hochzeiten abgehangen haben mochten.

3.
Es taucht immer wieder auf. Es ist ja eine recht aktuelle Publkation zum Thema der Motivation zur von Soldaten in den Kabinettskriegen erschienen. Siehe hier die Rezension: Kabinettskriege: Book Review: Motivation in War by Ilya Berkovich Habe ich selber noch nicht gelesen, da ich zuviel mit Archivrecherche beschäftigt bin und keine Erkenntnisse zu meiner Region erwarte. Die meisten stürzen sich doch Duffy folgend auf die preußische Armee, wenn es um Deutschland geht.

4.
Flemming, selber ein Insider, schildert es ein wenig in seinem „Der vollkommene Teutsche Soldat“ (1726). Eine beredte Illustration daraus https://pictures.abebooks.com/NIEDERBAYERNANTIQUARIAT/20480193895.jpg zeigt wie Angeworbene besoffen gemacht wurden, sich gar übergeben mussten. Ob aus rein künstlerischen Gründen oder auf Fakten beruhend - hier findet die Rekrutierung auf einem Platz VOR einem Wirtshaus nicht in einem statt. Flemming kritisierte ja recht ausdrücklich die in Mode gekommenen Exzesse bei der Rekrutierung, räumt aber ein, dass ein guter Trunk durchaus dabei sein darf.
Ich habe mich lange bemüht mich mit dem genauen Prozedere vertraut zu machen. Wo es ausländische Werber waren, suchten sie eigentlich immer den Sitz der örtlichen Obrigkeit (Stadt, Fürst etc.) auf und baten um die Genehmigung zu werben. Bisweilen wurde ihnen sogar Unterstützung durch dieselbe beigegeben. Dann ging es mit entsprechenden Formularen in die Wirtshäuser. Ob immer ein Musiker dabei war, der mit Musik Aufmerksamkeit generierte, ist mir nicht ganz klar. In einer Prozessakte wegen der Verführung eines hällischen Untertanen ist in dem Zusammenhang von einem örtlichen Pfeifer die Rede, kein Militärmusiker. Aber der Pfeifer scheint eher die Werber (hohenlohe-schillingsfürstische) darauf hingewiesen zu haben, dass der eine Mann - das „Opfer“ - für die Werbung empfänglich wäre. Ließ sich jemand gewinnen, musste man wieder vor der Magistrat und anfragen, ob man diesen Geworbenen auch mitnehmen durfte.
Ich entsinne mich an einen Fall in Rudolstadt, wo ein von Preußen geworbener Rekrut mit dem Handgeld stiften ging und der Offizier um Hilfe bei der Ergreifung beim Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt anfragte.
 
Mir fällt gerade ein: Mussten Reichsstädte die Werbung nicht zulassen, weil sich die Fürsten seit 1681 auf die Bereithaltung des Reichskontingents berufen konnten und die Werbung für das Reich dort erlaubt war?
Was hat das miteinander zu tun? Die Reichsstädte mussten ja selber ihre Soldaten für das Reichskontingent ausheben - taten das auch m.E. sogar motivierter in den mir bekannten Fällen als weltliche und geistliche Fürsten. Im Gegenteil kenne ich praktisch turnusmäßig vom Kaiser verschickte Ermahnungen an Reichsstädte keine fremden Werbungen in ihrem Territorium zuzulassen. Das gab man scheinbar zu den Akten, ignorierte es aber prompt, wenn wieder ein fremder Werbeoffizier vorbei kam und man es für opportun hielt, keine Absage zu erteilen.
 
Die Werbung für das Reich war in den Reichsstädten seit alters her erlaubt, oder besser gesagt zuzulassen. (Meines Wissens versuchten die Reichsstädte mehrfach, z.B. unter Maximilian bei der Reichsreform dieser Pflicht ledig zu werden.) Nun fragte ich mich, ob die Werbung für ein Reichskontingent dazu zählte.

Es sei ergänzt, dass in manchen Landstrichen an den Durchlässen der Landwehr Gasthäuser standen, es also Punkte waren, die man nicht vermeiden konnte, da viele Landwehren ja erst im 19. Jh. auseinander geworfen wurden.
 
Eigentlich schon, die bedeutendsten Werbungen oder zumindest die finanziell stärksten "armierten Reichsstände" und ihre Interessenten warben ja nun gerade nicht für die Reichsarmee. Die größten und bedeutendsten Interessenten waren England/GB, die Generalstaaten der Niederlande und Fankreich. quer durch das Reich verlief eine Grenze zwischen dem britisch/niederländischen und dem französischen Markt. Bayern, Württemberg, die Pfalz, Hessen-Darmstadt, Sachsen und etliche andere Territorien waren traditionell mit Frankreich verbündet. Hessen-Kassel, Hessen-Hanau und andere vermieteten ihre Truppen an die Niederlande und GB. Landgraf Karl hatte dazu noch im 17. Jahrhundert Verträge mit Venedig und spaniemn abgeschlossen. Seit dem Spanischen Erbfolgekrieg bestanden beste Beziehungen zu den Niederlanden und zum Hof von St. James. Im Soldatenhandel mitzumischen war übrigens keineswegs zwingend mit Gewinnen verbunden. Um für potenzielle Interessenten attraktiv zu sein und es zu bleiben, musste die Armee gut ausgebildet sein. Hessen-Kassel wurde im Laufe des 18. Jahrhunderts abhängig von Subsidien und war gezwungen, aufzurüsten. Wilhelm VIII. verfügte über beste Kontakte zu den Seemächten, aber auch zu Kurfürst Karl-Albrecht von Bayern, wo sein Sohn (Friedrich II.) diente. Wilhelm hatte im Österreichischen Erbfolgekrieg sowohl an GB und die Niederlande vermietet, deren "pragmatische Armee" Maria-Theresia unterstützte und gleichzeitig mit Karl Albrecht Subsidienverträge abgeschlossen. So kam es, dass sich bei Dettingen auf beiden Seiten der Front hessische Truppen gegenüber standen. Wilhelm VIII. hatte aber auch dafür vorgesorgt und Klauseln eingefügt, dass hessische Truppen nicht aufeinander schießen mussten. Im Siebenjährigen Krieg hätte er sich am liebsten rausgehalten. seine Armee war an die Briten vermietet und stand an Rhein und Weser unter Ferdinand von Braunschweig. so kam es, dass die starke Armee nicht zur Stelle war, als die Landgrafschaft Kriegsschauplatz wurde. Kassel und Marburg wechselten über ein Dutzend Mal den Besitzer. Die Franzosen verwüsteten Hessen, aber auch die Alliierten lagen der Bevölkerung auf der Tasche, besonders die Legion britannique hatte einen schlechten Ruf und nahm den Bauern 1760 nahe der Festung Ziegenhain die Getreidevorräte ab. Bei den Alliierten hatte Erbprinz
Friedrich (II.) von Hessen, der als einziger hessischer Fürst zum Katholizismus konvertierte und 1760 Landgraf wurde, einen schlechten Ruf als unsicherer Kantonist. Im Gegensatz zu seinem Vater kritisierte Friedrich das Bündnis mit Preußen, und man traute ihm einen Wechsel der Koalition zu. das Misstrauen gegen Friedrich war so groß, dass Ferdinand von Braunschweig 1760 ein hannoversches Batallion in Kassel stationierte, um zu vermeiden, dass die Stadt womöglich den Franzosen übergeben wurde. Friedrich hatte im Krieg nur kleinere Kommandos, man hielt ihn ansonsten in seinem Aufenthaltsort bei Laune, und dieBriten zahlten großzügige Subsidien, die bis nach Kriegsende kulanterweise weiter gezahlt wurden.

Deshalb stellte man ihn im Exil kalt
 
So kam es, dass sich bei Dettingen auf beiden Seiten der Front hessische Truppen gegenüber standen. Wilhelm VIII. hatte aber auch dafür vorgesorgt und Klauseln eingefügt, dass hessische Truppen nicht aufeinander schießen mussten.
Hast Du dafür eine OOB, die das untermauert? Ich kenne keine Hessen bei Dettingen, auf keiner Seite.
 
Wenn das zutrifft, bin ich einem Faktoid aufgesessen. Die Subsidienverträge der hessischen Fürsten sind heute im Hessischen Staatsarchiv in Marburg. Den von Wilhelm VIII. habe ich selbst mal gelesen. Klauseln einzufügen, die verhinderten oder verhindern sollten, dass sich Landsleute beschossen, war durchaus übliche Praxis, eine Praxis, die Schweizer Kantone gerne praktizierten. Vor etlichen Jahren habe ich mich mal durch Aktenstaub gefressen und Subsidienverträge mit den Generalstaaten bearbeitet. Den mit der britischen Krone im Unabhängigkeitskrieg hat Fritz Kapp als Anhang seinem Buch "Der Soldatenhandel deutscher Fürsten" beigefügt. Die Schwarte gibt es kostenlos gemeinfrei im Internet wie auch Eduard Lowell. Lowell ist bei weitem angenehmer zu lesen. Kapp zitiert aus einem Buch eines Herrn von S., Werbeoffizier, der einige seiner Tricks verrät.
 
Ich habe eben festgestellt, dass ich vergessen hatte, dass die Bestimmung der Reichsdefensionalordnung, dass die Stände das Simplum unter Waffen bereithalten mussten, keine Rechtskraft erlangte. Damit ist die Überlegung schon von vornherein hinfällig.
 
Wenn das zutrifft, bin ich einem Faktoid aufgesessen. Die Subsidienverträge der hessischen Fürsten sind heute im Hessischen Staatsarchiv in Marburg. Den von Wilhelm VIII. habe ich selbst mal gelesen. Klauseln einzufügen, die verhinderten oder verhindern sollten, dass sich Landsleute beschossen, war durchaus übliche Praxis, eine Praxis, die Schweizer Kantone gerne praktizierten.
Natürlich war das so, dass Hessen-Kassel Subsidientruppen stellte. Nur waren diese eben nicht unter Noailles bzw. Stair dabei. 1743 kämpften Hessen in der Schlacht bei Simbach mit. Wackershofen Anno Domini: Ein Besuch des Schlachtfelds von Simbach - a visit of the battlefield of Simbach 2017
Das Dagonerregiment König wurde dabei fast völlig aufgerieben.

Wenn ich mich recht entsinne, gingen dann die Hessen nicht mit den Bayern in die Winterquartiere, da die Bayern in einem Waffenstillstandsvertrag nach der Schlacht bei Simbach und zum Zeitpunkt der Schlacht bei Dettingen vorerst als kriegsführende Macht aus dem Krieg ausschieden.

Broglie hat dann seine Armee, die sich immer stärker in Auflösung befand aus Bayern bzw. Süddeutschland im Juni/Juli 1743 zurückgezogen. Die Hessen werden in dem Zusammenhang nicht erwähnt. In den Ordres de Bataille im österreichischen Standardwerk zum Krieg tauchen sie auf keiner von beiden Seiten auf. Wenn ich es recht verstehe, sind die Hessen, die im englischen Sold standen, nach Flandern gegangen sein, um sich dort den Österreichern anzuschließen. Es handelt sich dabei um die Regimenter: Garde, Leib-Grenadiere, König von Schweden, Prinz Georg, Prinz Max und Prinz Friedrich von der Infanterie und die Kavallerieregimenter Leib-Regiment, Prinz Max, Graffendorf und Isenburg**.

Anfang 1744 erschienen dann wieder hessische Truppen in bedeutender Stärke auf dem Kriegsschauplatz am Oberrhein unter dem Befehl des Generals Clement. Sie nahmen an den höchst verlustreichen Kämpfen bei Weissenburg teil, wo der mittlerweile Clement ersetzende General Waldenheim tödlich verwundet wurde. Der Feldzug 1745 in Bayern war dann eine völlige Katastrophe für die Hessen, was nicht zuletzt auch an der verworrenen Politik Wilhelm VIII. lag, der am liebsten hätte seine Truppen vom Kriegsschauplatz abziehen wollen. Die Kriegsführung - mancher mag es als Verrat der Hessen auslegen - der hessischen Generalität machte dann Törrings Feldzugspläne von Anfang an zunichte.

* Österreichischer Erbfolge-Krieg, 1740-1748. Nach den Feld-Acten und anderen authentischen Quellen bearb. in der Kriegsgeschichtlichen Abtheilung des K. und K. Kriegs-Archivs, Wien, 1901, V.Band, S. 630 bzw. 636
** ebenda S. 266
 
Einige Hessen waren auch in die Kämpfe mit den Jakobiten in Großbritannien verwickelt. A der Schlacht von Culloden waren wohl auch die Hessen beteiligt, deren Kommando der Erbprinz Friedrich (II.) übernahm. Dessen Kriegführung scheint sich von der des Herzogs von Cumberland unterschieden zu haben, und die schottische Stadt Stirling ernannte ihn später zum Ehrenbürger.
 
A der Schlacht von Culloden waren wohl auch die Hessen beteiligt, deren Kommando der Erbprinz Friedrich (II.) übernahm. Dessen Kriegführung scheint sich von der des Herzogs von Cumberland unterschieden zu haben, und die schottische Stadt Stirling ernannte ihn später zum Ehrenbürger.
British Battles gibt folgende Regimenter an:
"Cobham’s (10th) and Kerr’s (11th) dragoons, Kingston’s Light Dragoons, the Royals (1st), Howard’s Old Buffs (3rd), Barrel’s King’s Own (4th) Wolfe’s (8th), Pulteney’s (13th), Price’s (14th), Bligh’s (20th), Campbell’s Royal Scots Fusiliers (21st), Sempill’s (25th), Blakeney’s (27th), Cholmondeley’s (34th), Fleming’s (36th), Munro’s (37th), Ligonier’s (48th) and Battereau’s (62nd) Foot."*

Ich kann mich auch an irgendein Buch aus dem 19.Jh. erinnert, welches detailliert die Zusammenstellung des hessischen Korps in Schottland darstellte. In Reed Brownings Standardwerk zum Österreichischen Erbfolgekrieg wird, wenn ich mich recht entsinne, erwähnt, dass die Hessen nur sehr unwillig im Krieg gegen die Schotten mitmachten und daher auch anders als von den Loyalisten beabsichtigt eingesetzt werden mussten. In Deutschland waren die Hessen meistens als ein zusammen bleibendes Korps verwendet, was gegen sich hatte, dass sie wegen ihrer in Relation zum Feind meistens geringen Stärke leicht isoliert geschlagen werden konnten. Es mag sein, dass sich diese Besonderheit Wilhelm VIII. ausdrücklich ausbedungen hatte wie das schon in den 1730ern bei diversen Staaten während des Polnischen Thronfolgekrieges usus war.

Ich finde es spannend, dass gerade die Hessen, obwohl als enorm diszipliniert geltend von hohem militärischem Wert, doch zeigen wie wichtig der Wille der individuellen Soldaten war. Vielleicht waren sie nicht ganz so aufmüpfig und daher als Subsidientruppen unbrauchbar wie die Württemberger im Siebenjährigen Krieg, aber sie verdeutlichen doch die Grenzen der Autorität der Großen über die Soldaten.

* Battle of Culloden
 
Sehr spannend finde ich 1745 das Drängen der Österreicher, dass sie alle Hessen in Bayern gefangen nehmen würden, wenn diese nicht in englischen oder holländischen Sold überträten. Die hessischen Generale Mansbach und Brand glaubten sich anfangs in einer guten Position, als die Österreicher aber die Rückzugswege über die Donau abgeschnitten hatten, mussten sie auf Zeit spielen. Wilhelm VIII. gab zu bedenken, dass er zuerst den König in Schweden fragen müsse, ob er die Truppen überlaufen lassen dürfte. Da sich noch französische Truppen in Hessen befanden, befürchtete der Landgraf Vergeltungsaktionen der Franzosen.

Aber das lenkt vom eigentlichen Thema ab...
 
Aber das lenkt vom eigentlichen Thema ab...

Da muss ich an die Signatur eines Forianers denken:

"Ich bin weit vom Thema abgewichen, aber nicht ungern." (Plinius d. J)

Die Werbung übernahmen in der Regel Offiziere, die von ihrem Landesherrn ein sogenanntes Werbepatent erhalten hatten, das sie zur Anwerbung von mehr oder weniger Freiwilligen legitimierte. Ein Werbertrupp wurde dazu von mehreren zuverlässigen Soldaten und Unteroffizieren begleitet, um für mögliche
Handgreiflichkeiten vorbereitet zu sein. Manche Werbetrupps führten dazu noch große, kräftige Hunde mit. Zur Unterstützung und um die nötige Aufmerksamkeit zu erregen, waren häufig auch Militärmusiker, Trommler und Pfeifer, anwesend, die im wahrsten Sinne des Wortes die Werbetrommel rührten. Als Treffpunkte dienten häufig Gastwirtschaften, in denen Soldaten ohnehin verkehrten. War erst einmal ein Kontakt zwischen Werbern und Interessenten hergestellt, fingen die Verhandlungen an über die Höhe des Handgeldes, die Dauer der Dienstzeit und den Zeitpunkt des Dienstantritts.

Die Höhe des Handgeldes hing stark ab vom Verhandlungsgeschick des künftigen Soldaten, von Angebot und Nachfrage, vom Alter des Anzuwerbenden, seiner Körpergröße und physischen Leistungsfähigkeit und ob er über Erfahrungen verfügte und vielleicht schon einmal gedient hatte. War ein Einvernehmen erzielt worden, begleitete der Rekrut die Werber in die Garnison. Dort wurde er ärztlich untersucht und dem Kompanie- oder Bataillonschef vorgestellt. Dieser befragte den Rekruten über die Umstände der Werbung und schloss einen Dienstvertrag, die sogenannte Kapitulation, mit ihm. War das geschehen, wurde der Rekrut von einem Auditeur oder Beeidigungskommissar noch einmal befragt, der ihn über die eigene Person, die Umstände der Werbung noch einmal befragte, um festzustellen, ob sie freiwillig geschehen war. Freiwillige genossen mehr Freiheit. Im Garnisonsstandort wurde auch sorgfältig nachgeprüft, ob der neue Rekrut sich nicht am Ende noch woanders verpflichtet hatte, um das Handgeld, eine Prämie, die der Weber für den Eintritt in die Armee zahlte, doppelt oder mehrfach zu kassieren. Endeten diese Inspektionen positiv, wurde der Rekrut vereidigt und schwor den Soldateneid, in dem er sich verpflichtete, seinem neuen Dienstherren treu und ehrlich zu dienen. War der Rekrut ein Angehöriger von sogenannten "unehrlichen Berufen" (Schäfer, Abdecker, Henker und viele andere), bedurfte es eines eigenen Rituals, den Rekruten für ehrlich zu erklären. Das geschah in der Regel vor versammelter Mannschaft. Das Regiment stellte sich im Karree auf, und der Rekrut trat mit abgewendetem Gesicht und seinem Hut zwischen den Zähnen vor den Regimentskommandeur und bat in einem formalisierten Dialog um Aufnahme. Darauf fragte der Kommandeur die Truppe, ob sie den neuen Bewerber aufnehmen werde. Darauf antworteten die Soldaten mit "ja", worauf der Bewerber seinen Hut und damit die "Unehrlichkeit" wegwerfen durfte. Er küsste die Fahne und den Degen des Kommandeurs und war damit in die Armee aufgenommen, bei Strafe des Spießrutenlaufens durfte keiner mehr dem aufgenommenen Rekruten seine Herkunft vorwerfen. War der Rekrut aufgenommen, bekam er seine Montur und war fortan dem Militärstrafrecht und seiner Gerichtsbarkeit unterworfen. Darauf begann die Grundausbildung.
 
1. Es könnte regional unterschiedlich gewesen sein.
Was sollte es aber den Handwerkern helfen, wenn die Hessen warben? Als nichtzünftiger Handwerker durfte man ja eh nichts anbieten. Die Obrigkeit ging gegen Krämer u.ä. selbst auf dem Land vor, wenn sie Waren anboten, welche eine zünftige Handwerkerschaft in der Stadt produzierte und dort zu erwerben war.

2. Gaststätten waren ja nicht nur von Seiten der Werber beliebte Orte, sondern sie wurden ihnen auch bisweilen als einzige Orte zur Werbung von der Obrigkeit verordnet. Über die Dörfer zu tingeln, um dort den einen oder anderen Bauern für sich zu gewinnen, war wohl auch eine ziemliche Zeitverschwendung. Denn man darf sich die Dorfkrüge nicht als beständig mit Gästen besetzte Schankwirtschaften vorstellen. Die versteuerten Mengen an Getränken, die ich zu ein paar Wirtshäusern mal gefunden habe, verdeutlichen vielmehr, dass die Wirtshäuser eher selten aufgesucht wurden, wenngleich es bei den Einnahmen Schwankungen gab, die auch von großen dort abgehaltenen und auch nicht jährlich stattgefundenen Hochzeiten abgehangen haben mochten.

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Es taucht immer wieder auf. Es ist ja eine recht aktuelle Publkation zum Thema der Motivation zur von Soldaten in den Kabinettskriegen erschienen. Siehe hier die Rezension: Kabinettskriege: Book Review: Motivation in War by Ilya Berkovich Habe ich selber noch nicht gelesen, da ich zuviel mit Archivrecherche beschäftigt bin und keine Erkenntnisse zu meiner Region erwarte. Die meisten stürzen sich doch Duffy folgend auf die preußische Armee, wenn es um Deutschland geht.

4.
Flemming, selber ein Insider, schildert es ein wenig in seinem „Der vollkommene Teutsche Soldat“ (1726). Eine beredte Illustration daraus https://pictures.abebooks.com/NIEDERBAYERNANTIQUARIAT/20480193895.jpg zeigt wie Angeworbene besoffen gemacht wurden, sich gar übergeben mussten. Ob aus rein künstlerischen Gründen oder auf Fakten beruhend - hier findet die Rekrutierung auf einem Platz VOR einem Wirtshaus nicht in einem statt. Flemming kritisierte ja recht ausdrücklich die in Mode gekommenen Exzesse bei der Rekrutierung, räumt aber ein, dass ein guter Trunk durchaus dabei sein darf.
Ich habe mich lange bemüht mich mit dem genauen Prozedere vertraut zu machen. Wo es ausländische Werber waren, suchten sie eigentlich immer den Sitz der örtlichen Obrigkeit (Stadt, Fürst etc.) auf und baten um die Genehmigung zu werben. Bisweilen wurde ihnen sogar Unterstützung durch dieselbe beigegeben. Dann ging es mit entsprechenden Formularen in die Wirtshäuser. Ob immer ein Musiker dabei war, der mit Musik Aufmerksamkeit generierte, ist mir nicht ganz klar. In einer Prozessakte wegen der Verführung eines hällischen Untertanen ist in dem Zusammenhang von einem örtlichen Pfeifer die Rede, kein Militärmusiker. Aber der Pfeifer scheint eher die Werber (hohenlohe-schillingsfürstische) darauf hingewiesen zu haben, dass der eine Mann - das „Opfer“ - für die Werbung empfänglich wäre. Ließ sich jemand gewinnen, musste man wieder vor der Magistrat und anfragen, ob man diesen Geworbenen auch mitnehmen durfte.
Ich entsinne mich an einen Fall in Rudolstadt, wo ein von Preußen geworbener Rekrut mit dem Handgeld stiften ging und der Offizier um Hilfe bei der Ergreifung beim Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt anfragte.

Danke für die Informationen!

Sehr viele, wenn auch zuweilen problematische, schwer einschätzbare Informationen finden sich in zeitgenössischen Kriminalakten. Viele Räuber und Banditen begannen ihre "Karriere" im Militär, benutzten das Militär, um sie fortsetzen zu können und Fahndungen und Razzien zu entgehen oder tarnten sich als Soldaten, gaben sich als Soldaten und Marodeure aus, um die Opfer einzuschüchtern und mögliche Gegenwehr auszuschalten oder gaben sich als Werber aus, weil solche Galgenvögel in diesem Gewerbe nicht weiter auffielen. Sicher illegal war, wenn Werber in Zivil ihr Gewerbe ausübten. Dass sie es dennoch taten, dafür gibt es einfach zu viele Berichte, unabhängig voneinander. Was in der christlichen Seefahrt immer wieder vorkam, das illegale oder legalisierte entführen von Personen mit List oder offener Gewalt verdeckt durch Schlepper, Lockvögel und Schläger oder offen durch sogenannte Pressgangs kam auch in der Werbung für Soldaten vor, vor allem dann, wenn die Nachfrage nach geeigneten Kandidaten groß war und sich die nötigen Reserven durch legale Werbetrupps nicht auftreiben ließen.

Sicher muss man zeitgenössische Berichte und Warnungen vor kriminellen Werbern im 18. Jahrhundert kritisch sehen, viele Berichte über sie waren schlicht Schauermärchen. Jeder Vergleich hinkt, aber ich muss dabei an moderne Berichte über "Mädchenhandel" denken oder an den Quatsch, den man uns in meiner Jugend über skrupellose Dealer erzählte, die angeblich vor Kindergärten und Schulen ihre Klientel suchten. Kein vernünftiger Mensch in diesem Gewerbe würde das tatsächlich tun. Kinder haben kein Geld, sind keinem Verhör gewachsen, die Eltern rufen die Polizei.

Offene Gewalt und systematische Entführung scheint mir ohnehin weit seltener vorgekommen zu sein, als das zeitgenössische Berichte und Schauermärchen suggerieren. List und Tücke waren wohl ohnehin wirkungsvoller.

Der schwäbische Bandit "Konstanzer Hans" erzählte eine Geschichte, wie er von österreichischen Werbern reingelegt wurde. Der Konstanzer Hans war damals noch relativ jung, und naiv. Österreichische Werber boten ihm eine außergewöhnlich hohe Summe als Handgeld an und überredeten ihn, sich als österreichischer Untertan auszugeben. Erst in Garnison erfuhr er, dass er ohne jetzt ohne Kapitulation Soldat werden musste. Der Konstanzer Hans nahm dann am Bayrischen Erbfolgekrieg teil und hielt sich nicht schlecht. Sein Kommandeur förderte ihn und er lernte beim Militär lesen und schreiben. Vielleicht wäre das Soldatenleben langfristig sogar eine Chance gewesen, aus dem Vagantenleben auszusteigen, aber sein tyrannischer Vater, ein Hausierer, bestand darauf, dass ihn sein Sohn begleitete und verbot ihm, sich noch einmal anwerben zu lassen.
 
Das klingt auch so, als ob der Konstanzer Hans keine Verwandten oder Bekannten hatte, die sich für ihn verbürgt hätten.

Wenn man aufmerksam beachtet wie oft in Steckbriefen von Uniformstücken die Rede ist, erkennt man aber schon, dass Deserteure als Entwurzelte nicht allzu selten zu Räubern oder Dieben wurden.
 
Das klingt auch so, als ob der Konstanzer Hans keine Verwandten oder Bekannten hatte, die sich für ihn verbürgt hätten.

Wenn man aufmerksam beachtet wie oft in Steckbriefen von Uniformstücken die Rede ist, erkennt man aber schon, dass Deserteure als Entwurzelte nicht allzu selten zu Räubern oder Dieben wurden.

Lips Tullian, der große Galantho, Adrian Bosbeck von der Großen Niederländischen Bande, Mathieu Rouhet genannt der "Major" ebenfalls aus dem Umfeld der Niederländer, Mathias Weber genannt Fetzer, Johann Bückler der Schinderhannes, Hoyum Moyses, genannt der "Lange Hoym" und viele andere Räuber und Banditen dienten in Armeen, nutzten das Soldatenleben als Tarnung oder Mittel, Fahndungen und Razzien zu entgehen und nicht wenige begannen ihre kriminelle Karriere als Soldat. Solche Banditen wurden sozusagen auf Staatskosten ausgebildet.
Junge Männer, die an unregelmäßige Soldzahlungen gewohnt waren, die auf eigene Faust durch plündern und marodieren ergänzt werden mussten, die sich an Waffengebrauch gewöhnten und gedeckt vom Militär Raub, Diebstahl und Erpressung ausüben konnten, waren einem bürgerlichen Leben oft entfremdet nach einigen Jahren. Dazu kam, dass sich die Obrigkeiten um eine Versorgung von Veteranen, Blessierten und Ausgedienten drückten. Auch brutale Sanktionen und Strafen trugen zur Verrohung bei. Schon ein verbogener Ladestock, ein falscher Tritt konnte die härtesten Strafen zur Folge haben. Manche Räuber wiederholten an ihren Opfern nur das, was Unteroffiziere, Henker und Gerichtsdiener mit ihnen gemacht hatten. Auch ausgekochte Ganoven und Banditen waren nicht davor gefeit, von skrupellosen Werbern übers Ohr gehauen zu werden. Jan Bosbeck war 7 Jahre Soldat gewesen, bei einem Dragonerregiment, das in Gent in Garnison lag, und er hatte seine Dienstzeit regulär abgerissen und war ehrenhaft entlassen worden. Auf einer Reise nach Hamburg fragte ihn ein Mitreisender, ob er sich als Diener verdingen wollte, in einem Hamburger Gasthaus erfuhr er noch rechtzeitig von einem Dienstmädchen, dass dieser Herr ein englischer Werber war, worauf Bosbeck sich noch rechtzeitig aus dem Staub machte. Bosbeck, der wie sein Bruder auch zur See gefahren war und auf Küstenseglern gedient hatte, ließ sich darauf auf einem Schiff anheuern, dass nach Amerika segeln sollte. Leider hatte er Pech, fiel vom Mastkorb und brach sich dabei zwei Rippen, worauf er in einem Hafen zurückblieb. Er schlug sich wieder nach Hamburg durch und eröffnete mit seiner zweiten Frau ein Gasthaus mit Bordellbetrieb in St. Pauli. Der Laden lief gut, und er hielt sich von kriminellen Geschäften zurück. Ein dummer Zufall wurde ihm zum Verhängnis. Seine Frau schrieb Briefe an ihre Familie in Holland, durch ein Missgeschick kam man Bosbeck auf die Schliche, und es wurde bekannt, dass er in Rotterdam in absenzia zum Tode verurteilt worden war und in Holland noch eine Frau hatte, ohne dass die Ehe geschieden wurde. Wegen schwerem Raub und Bigamie wurde Bosbeck verhaftet und sollte nach Holland ausgeliefert werden. Diesmal half ihm der Zufall. Ein Soldat des Begleitkommandos war ein ehemaliger Kamerad und ließ ihn kurz vor der Grenze entwischen. Er schlug sich als Puppenspieler durch, und traf wieder alte Kollegen. Diese waren begeistert, ihn als Chef der ehemaligen Holländischen Bande zu erkennen und nahmen ihn auf einen Raubzug mit.
 
Die Frage ist m.E. was man als "häufig" ansieht. Dir ging es ja darum, ob Verbrecher in den Heeren der damaligen Zeit eher selten waren oder eher die "Regel" und ob Anwerbung eher wüst vor sich ging oder ob das Anlocken unter Vorgaukeln falscher Verhältnisse z.B. üblich war.
Ich denke, das Problem ist, dass wir darüber keine Statistiken finden werden. Selbst die Werbeoffiziere für sich werden nicht verzeichnet haben, wieviele sie "normal" für sich gewinnen konnten und wieviele gepresst oder übers Ohr gehauen wurden. Dabei ist das Thema militär- wie kulturgeschichtlich von großem Interesse. Die Art und Weise wie geworben wurde, schlug sich sicherlich auf die Zuverlässigkeit der Truppen nieder. Ich denke sogar, dass das ein wesentlicherer Aspekt als die von sozialistischen Schriftstellern viel bemühte Moral durch glühende Begeisterung für sowas wie die Französische Revolution war.
Ich nehme an, der Anteil von Verbrechern an der Armee war in den meisten Armeen nicht besonders hoch. Andersrum war der Anteil von Soldaten unter den Räubern sehr hoch.

Hinsichtlich der Werbung sehe ich es so.
Es gab zahlreiche Staaten, die auf Zwangsmittel und Betrug nicht angewiesen waren. Die Armee war klein und es gab keine außenpolitischen Ambitionen - egal ob eigene Eroberungen oder Einbindung als Bündnispartner in einem Subsidien- oder Satellitenstaatensystem . Bei anderen Staaten war der Bedarf v.a. im Krieg zu akut und mit "legalen" Mitteln nicht zu decken. Bei manchen Staaten wie Sachsen-Weimar, Württemberg oder dergleichen waren die enormen militärischen Ambitionen eine Episode, die eng mit der Person des momentanen Herrschers zusammen hing (Carl Eugen hatte in Württemberg nach dem Siebenjährigen Krieg sein ernsthaftes Interesse an einer großen Armee scheinbar verloren).
Staaten, die auch in Friedenszeiten keinen großen Bedarf hatten, stellten sich nach meiner Erfahrung auch nicht plötzlich um und wählten gewaltsame Mittel. Dazu hätte ihnen ja in den meisten Fällen sowieso schon das Personal gefehlt, welches daran gewohnt war.

Die Desertion hängt ja eng mit verschiedenen Faktoren zusammen. Dabei ist es eigentlich egal, ob die Soldaten freiwillig kamen oder betrogen wurden. Eine extreme Verschlechterung der Versorgungslage mit Lebensmitteln oder Geld konnte rasch die zuverlässigsten Soldaten zu Rebellen machen. Ich denke da nicht nur an meine eigenen Beispiele, die ich schon hier und anderswo erwähnt habe und die auf Aktenstudium beruhen.
 
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