Römische Kaiser, Konzile und der Westen

R

Rhesus-Affengott

Gast
Eine Frage nach der Lektüre des folgenden Textes:
Der Sieg des Islams von Edward Gibbon - Text im Projekt Gutenberg


1. Wieso wurden eigentlich die Merowinger beseitigt und durch Karolinger ersetzt?
2. Es gab im Abendlande einmal eine Zeit, in der viele wichtige Entscheidungen durch Konzile getroffen worden sind. Sog.
Konziliarismus, in dem längst nicht NUR geistliche Fragen behandelt wurden, sondern zum Teil meines Wissens auch Friedensstiftung Ideen eine Rolle spielte. Kann man das eigentlich als den Beginn dessen betrachten?
3. Es scheint bei den griechischen Kaisertum keine Parlamente, keine Mitsprache von Adligen gegeben zu haben, stimmt das denn?
 
Nur um das zu klären: Du weißt, dass das ein mehr als 200 Jahre alter Text ist, ja? Das macht ihn zwar nicht weniger interessant und Gibbon ist als Historiker sicher seiner Zeit voraus, aber wir befinden uns hier in einer Zeit vor der eigentlichen Geschichtswissenschaft mit einem etablierten Methodenapparat.

1. Wieso wurden eigentlich die Merowinger beseitigt und durch Karolinger ersetzt?
Weil sie de facto nicht mehr die Macht hatten, nur noch den Titel.

2. Es gab im Abendlande einmal eine Zeit, in der viele wichtige Entscheidungen durch Konzile getroffen worden sind. Sog.
Konziliarismus, in dem längst nicht NUR geistliche Fragen behandelt wurden, sondern zum Teil meines Wissens auch Friedensstiftung Ideen eine Rolle spielte. Kann man das eigentlich als den Beginn dessen betrachten?
Worauf bezieht sich das und dessen?
 
3. Es scheint bei den griechischen Kaisertum keine Parlamente, keine Mitsprache von Adligen gegeben zu haben, stimmt das denn?
Es gab kein gewähltes Parlament nach unserem Verständnis, aber den Senat als eine Art Versammlung von Würdenträgern. Seine faktischen Mitsprachemöglichkeiten waren meist gering und hingen auch von der Stärke des Kaisers (auch ob er aus seinen Reihen hervorgegangen war, einer kaiserlichen Familie entstammte oder sich beim Militär hochgedient hatte) ab. In den Wirren des 4. Kreuzzugs konnte der Senat sogar einen Kaiser wählen, aber das war eine Ausnahme. Im Allgemeinen brachte die Mitgliedschaft im Senat eher Ansehen als Mitsprache.
 
2. Es gab im Abendlande einmal eine Zeit, in der viele wichtige Entscheidungen durch Konzile getroffen worden sind. Sog. Konziliarismus, in dem längst nicht NUR geistliche Fragen behandelt wurden, sondern zum Teil meines Wissens auch Friedensstiftung Ideen eine Rolle spielte. Kann man das eigentlich als den Beginn dessen betrachten?

EQ ist verständlicherweise unklar, worauf du "das" und "dessen" präzise beziehst. Ich vermute aber, dass das "das" sich auf die Beschäftigung mit "geistlichen Fragen" und das "dessen" sich auf die "Friedensstiftung" bezieht - umgekehrt macht es kaum Sinn, da geistliche Fragen per se ein Grundthema christlicher Konzilien sein sollten und es auch meistens waren.

Antwort: man kann. Beispiel: Auf dem Konzil von Reims (1119) hat Papst Calixt II. postuliert, dass Christus sich "für den Frieden" (per pace) vom Himmel auf die Erde begeben hat. Er habe, so der Papst, zwischen Gott und Menschen einen Frieden etabliert (durch sein Blutopfer - Historizität ungesichert...), der es den Christen zur Pflicht macht, allen Mitgliedern der christlichen Gemeinde ein Leben in Frieden zu sichern. Als stützenden Beleg zitierte der Papst Joh 14,27.

Es handelt sich hier, zunächst einmal, um eine "geistliche Frage" (Warum begab sich Christus zu den Menschen?), aus der in den Augen des Papstes logisch folgt, dass es für Christen Pflicht ist, sich für "Friedensstifung" einzusetzen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es gab kein gewähltes Parlament nach unserem Verständnis, aber den Senat als eine Art Versammlung von Würdenträgern. Seine faktischen Mitsprachemöglichkeiten waren meist gering und hingen auch von der Stärke des Kaisers (auch ob er aus seinen Reihen hervorgegangen war, einer kaiserlichen Familie entstammte oder sich beim Militär hochgedient hatte) ab. In den Wirren des 4. Kreuzzugs konnte der Senat sogar einen Kaiser wählen, aber das war eine Ausnahme. Im Allgemeinen brachte die Mitgliedschaft im Senat eher Ansehen als Mitsprache.
Ich habe die Frage extra bei meiner Beantwortung ausgeklammert, weil sie etwas kniffliger ist. (Abgesehen davon fehlte mir hier das Wissen, welches du hast. ;) ) Auch in vormodernen Gesellschaften benötigt der Herrscher Berater, muss das Einverständnis der wichtigsten Leute seines Reiches einwerben. Immer wenn Herrschern das nicht gelungen ist, hatten sie mit Aufständen zu kämpfen.

Antwort: man kann. Beispiel: Auf dem Konzil von Reims (1119) hat Papst Calixt II. postuliert, ...
Wobei das 12. Jhdt. schon ein recht spätes Beispiel für kirchliche Versuche der Friedensstiftung ist. Bereits nach dem Zusammenbruch der karolingischen Herrschaft auch im Westfrankenreich griff die Kirche im Prinzip in die Geschicke "Frankreichs" ein, da die kapetingische Königsherrschaft zunächst vergleichweise schwach war und kaum über die Île de France hinaus als ordnende Macht funktionierte. Die tregua Dei, die auch in den spanischen Königreichen kopiert wurde, legte die Tage an denen überhaupt gekämpft werden durfte, fest und versuchte den Raubzügen der Adeligen zumindest ein Regularium zu geben, welches der Bevölkerung eine Art von Sicherheit gab.
 
Wobei das 12. Jhdt. schon ein recht spätes Beispiel für kirchliche Versuche der Friedensstiftung ist. Bereits nach dem Zusammenbruch der karolingischen Herrschaft auch im Westfrankenreich griff die Kirche im Prinzip in die Geschicke "Frankreichs" ein, da die kapetingische Königsherrschaft zunächst vergleichweise schwach war und kaum über die Île de France hinaus als ordnende Macht funktionierte. Die tregua Dei, die auch in den spanischen Königreichen kopiert wurde, legte die Tage an denen überhaupt gekämpft werden durfte, fest und versuchte den Raubzügen der Adeligen zumindest ein Regularium zu geben, welches der Bevölkerung eine Art von Sicherheit gab.

Das ist richtig; mir ging es aber darum, ein Beispiel für eine "kausale" Verbindung zwischen "geistlichen Fragen" und "Friedensstiftung" im Konzilien-Kontext zu nennen, wofür das Konzil von Reims sich ganz gut eignet - immer vorausgesetzt, dass das der von ihm so gemeinten Fragestellung des Ursprungsposters entspricht, was wir vermutlich nie erfahren werden. Vielleicht wäre es aber besser, die diffuse Fragestellung, gleich wie gemeint, auszuklammern und sich nur anzuschauen, was wirklich geschehen ist.

Die anarchischen Praktiken des Adels tangierten die Sicherheit der klerikalen Güter ab dem 10. Jh. zunehmend drastisch. Das dürfte wohl der vorrangige Grund für die angestrebte "Regulierung" sein und weniger die bedrohte Sicherheit der Bevölkerung. Man sollte dabei bedenken, dass diese Güter keine Geschenke des Himmels, sondern entweder Geschenke des Adels waren oder (später) durch militärische Aktionen (Kreuzzüge) erworben wurden, ihre Herkunft war also auch im ersteren Fall keineswegs friedlich (Adelsbesitz war immer gewaltsam entstanden).

Angesichts dieser Gefahr sahen die Klerikalen sich gezwungen, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dagegenzuhalten, sie benutzten also ihre religiöse Autorität, um eine größtmögliche Kontrolle über das Verhalten der Aggressoren zu gewinnen. Sehr weit kamen sie dabei natürlich nicht, ihre Maßnahmen beschränkten sich auf die Etablierung von Feier- und Sonntagen als Zeiten der "Waffenruhe Gottes" (italienisch "tregua di dio" / lateinisch "treuga dei"), die als von ´Gott´ gewünscht ausgegeben wurden. Kriegsführung wurde nicht verboten, sondern nur punktuell eingeschränkt.

Das erste Konzil, das sich mit dem Problem befasste, fand 1027 in Elne-Toulouges-Roussillon statt und traf folgende Festlegungen:

+ keine Kriegstätigkeiten zwischen Samstag 15 Uhr und Montag 7 Uhr. Begründung: Am Sonntag habe der Mensch ´Gott´ zu ehren.

+ keine Gewalttaten gegen unbewaffnete Klerikale, gegen Kirchgänger und gegen Männer in Frauenbegleitung

+ keine Überfälle auf Kirchen und auf Gebäude im Radius von 45 Metern um eine Kirche (d.h. Überfälle auf 46 Meter entfernte Gebäude waren legitim...)
 
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