Fußball und Diktatur- Die WM 1978 in Argentinien

Scorpio

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Nach dem peinlichen Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft in der Vorrunde der WM in Russland und der noch peinlicheren Wahlkampfhilfe von Gundogan und Mehsut Özil für Erdogan wurde-völlig zu Recht Kritik laut. Deutsche Fußballfunktionäre und Spieler scheinen schon seit langem eine gewisse Faszination für autoritäre, faschistoide Systeme zu haben. Der "Kaiser" Franz Beckenbauer sagte, dass er in Katar keinen einzigen Sklaven gesehen hatte. Manfred Kaltz sagte 1978, es belaste ihn nicht, dass in Argentinien gefoltert werde. Er sei dorthin gekommen, um Fußball zu spielen. Mannschaftskapitän Hans-Hubert "Bertie" Vogts lobte das diktatorische Argentinien bei der WM 1978 : "Argentinien ist ein Land sei, in dem Ordnung herrscht. Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen." Politische Gefangene konnte er natürlich auch gar nicht sehen, weil die Militärjunta sie im wahrsten Sinne des Wortes einfach verschwinden ließ. Eine besonders beliebte Methode bestand darin, politische Gefangene bei lebendigem Leib aus einem Hubschrauber in den Rio de la Plata zu werfen.

Wenn die deutsche Equipe wirklich politische Gefangene gesehen hätte, wäre zu bezweifeln gewesen ob Vogts und andere Spieler sie als solche erkannt hätte oder hätte erkennen wollen. Sklaven und politische Gefangene müssen anscheinend mit einer Eisenkugel herumlaufen, um von deutschen Fußballern und -Funktionären überhaupt Zur Kenntnis genommen zu werden.

Aus sportlicher Sicht mag die WM 2018 den Tiefpunkt deutscher Fußballkultur darstellen, aus politischer Sicht ist noch reichlich Raum nach unten, und in dieser Hinsicht war wohl-bis jetzt- die WM 1978 tatsächlich der Tiefpunkt. An Folter, Schiebung und politische Peinlichkeiten, an Menschen die man aus nichtigen Gründen inhaftierte und "verschwinden ließ", an den Besuch der Nazi-Ikone Hans Ulrich Rudel im deutschen Trainingscamp 1978 erinnert sich heute kaum noch jemand, wohl aber an die "Schmach von Cordoba", die 2:3 Niederlage der deutschen Nationalmannschaft gegen Österreich.

Herrmann Neuberger, bügelte selbstherrlich jede Kritik an Rudels Besuch ab. Eine Kritik komme einer Beleidigung aller deutschen Soldaten gleich. Neuberger hatte kritische Spieler wie Paul Breitner erst gar nicht mit nach Argentinien genommen. Franz Beckenbauer, Paul Breitner und Uli Stielicke durften an der WM nicht teilnehmen, weil sie bei "ausländischen Vereinen" spielten. Breitner und Stielicke bei Real Madrid, Beckenbauer bei Kosmos New York. Sepp Mayer sagte später, dass man intern schon über die Militärrdiktatur diskutiert habe, nur zu sagen wagte keiner etwas. Die Spieler des Vizeweltmeisters von 1974 und 1978 Niederlande hatten Argentiniens Diktator immerhin den Handschlag verweigert, und das glleiche wagte auch der Trainer der argentinischen Nationalmannschaft Menotti. Den deutschen Spielern hatte Neuberger solche Allüren verboten. Sporthistoriker und Journalisten bezweifeln, ob sportlich alles ganz sauber verlief. Es besteht der begründete Verdacht, dass Argentiniens Equipe im Spiel gegen Peru(6:0, Halbzeit 2:0) gedopt war und die Peruaner Argentinien gewinnen ließen wie es die Österreicher 1982 bei der WM in Spanien taten, um der deutschen Nationalmannschaft das Weiterkommen zu ermöglichen. Insgesamt wird man wohl die WM 1978 als die wohl perfideste sportliche Propagandainszenierung seit den Olympischen Spielen von 1936 in Berlin bezeichnen können.

Argentiniens WM-Sieg stabilisierte das diktatorische Regime, erst 1982 wurde es gestürzt, nachdem es sich im Versuch, eine nationale "Besoffenheit" zu erzeugen und das "Wir-Gefühl" von 1978 zu wiederholen in das Abenteuer des Falkland-Krieges stürzte.

Ich hätte mir nach dem überaus spannenden 2.1 Spiel der deutschen Mannschaft gegen Schweden auch gewünscht, dass die deutsche Nationalmannschaft sich steigert und vielleicht so großartigen Fußball wie bei der WM 2014 in Brasilien zeigt. Jetzt nach dem Debakel den Kopf von Jogi Löw zu fordern und Spielern wie Özil die Hauptschuld daran zu geben, ist ebenso ungerecht wie billig.

Immerhin bleiben einem dadurch "´Schland, ´Schland Gesänge und WM-Analysen von selbsternannten Fußballexperten und ExpertInnen erspart und aberwitzig blöde Werbemaßnahmen für Mineralwolle, Klopapier und alles Mögliche im Windschatten der Fußball-WM erspart.

Vielleicht sollte man das sportliche Debakel einmal nutzen, darüber nachzudenken, welche propagandistische Wirkung eine Fußball-WM entfalten kann, um autoritäre, totalitäre und faschistoide Regime zu stabilisieren. Gleichzeitig stellt sich natürlich auch die Frage, wieviel politisches Fingerspitzengefühl und Bewusstsein man von deutschen Nationalspielern und Fußballfunktionären erwarten kann und erwarten sollte.

Ich fürchte, die Antwort lautet: "Nicht allzu viel, womöglich gar keins".

Natürlich wird sich jeder, der das kritisiert, den Vorwurf der Nestbeschmutzung gefallen lassen müssen. Es ist aber die Frage, wer das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland mehr beschädigt. Der/die Nestbeschmutzerin, der/die kritikwürdige Mißstände offen ausspricht oder Spieler und Funktionäre, die aus mangelnder Sensibilität, mangelndem politischen Bewusstsein oder auch einfach nur aus Ignoranz, dickfelliger Selbstherrlichkeit und nicht zuletzt auch aus ökonomischen Interessen noch in Katar, Nordkorea und Saudi Arabien kicken lassen würden, wenn nur die Kasse stimmt und Sklaverei, Folter und Totalitarismus einfach nicht zur Kenntnis nehmen oder ihnen noch Positives abgewinnen können, wenn nur Ordnung herrscht.
 
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Nach dem peinlichen Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft in der Vorrunde der WM in Russland und der noch peinlicheren Wahlkampfhilfe von Gundogan und Mehsut Özil für Erdogan wurde-völlig zu Recht Kritik laut.
Wobei Özil zumindest im letzten Spiel noch einer der besten deutschen Spieler war. Also der vielfach kolportierte Zusammenhang mit dem deutschen Spiel und Özils (und Gündogans) Fehltritt ist ein Narrativ, den besonders eine Ecke pflegt und dem wir hier nicht folgen sollten (keine Sorge, ich weiß, dass du dem nicht folgst, musste die Stelle aber zweimal lesen).

Politische Gefangene konnte er natürlich auch gar nicht sehen, weil die Militärjunta sie im wahrsten Sinne des Wortes einfach verschwinden ließ. Eine besonders beliebte Methode bestand darin, politische Gefangene bei lebendigem Leib aus einem Hubschrauber in den Rio de la Plata zu werfen.
Die zudem meist unter Betäubungsmitteln standen, damit die eh schon geringe Überlebenschance noch minimiert würde.

Herrmann Neuberger, bügelte selbstherrlich jede Kritik an Rudels Besuch ab. Eine Kritik komme einer Beleidigung aller deutschen Soldaten gleich.
Das war halt zwanzig Jahre vor der Wehrmachtsaussstellung und bis heute sehen die manche als Nestbeschmutzung an.

Interessant in diesem Zusammenhang im Übrigen auch - auch wenn man die Parallelen der Militärditaturen in Argentinien und Chile bedenkt -, wenn man fünf Jahre weiter nach vorne schaut, die Qualifikation zur WM 1974 1973. Man muss nur über die Andenkette hinüber schauen, in die andere Hälfte der "República de Transandinia" (welche die chilenische Band Quilapayún mal bei einem Konzert in Argentinien ausrief). Dort sollte zwei Monate nach dem Militärputsch vom 11. September 1973 das Rückspiel des Spiels Sowjetunion:Chile stattfinden, genauer: Im Estadio Nacional de Chile. Nach dem Putsch war das Stadion (ebenso wie das namensähnliche Estadio de Chile, in dem der Sänger Victor Jara umgebracht wurde) in ein Konzentrationslager umgewandelt. Bis zu 40.000 Personen wurden hier (gleichzitig etwa 7.000) gefangen gehalten, viele vor Ort erschossen. Am 20. November sollte das Qualifikationsspiel stattfinden, nicht einmal zwei Wochen zuvor waren die letzen Gefangenen hier festgehalten(, gefoltert oder erschossen) worden. Die Sowjetunion weigerte sich, ihre Spieler nach Chile zu schicken. Und so wurde ein Spiel angepfiffen mit 15.000 mehrheitlich uniformierten Zuschauern in einem Stadion in das 100.000 Zuschauer gepasst hätten. Das Spiel wurde angepfiffen, Chile hatte Anstoß. Ein Tor fiel, das Spiel war aus. Denn da kein sowjetischer Spieler auf dem Platz stand oder sich gar in Chile befand, konnte kein Wieder-Anstoß ausgeführt werden.
 
Die FIFA, die es schon damals an politischer Sensibilität mangeln ließ, disqualifizierte die SU im Übrigen und wertete den Sieg Chiles als 2:0.
 
Der "Kaiser" Franz Beckenbauer sagte, dass er in Katar keinen einzigen Sklaven gesehen hatte.Manfred Kaltz sagte 1978, es belaste ihn nicht, dass in Argentinien gefoltert werde. Er sei dorthin gekommen, um Fußball zu spielen. Mannschaftskapitän Hans-Hubert "Bertie" Vogts lobte das diktatorische Argentinien bei der WM 1978 : "Argentinien ist ein Land sei, in dem Ordnung herrscht. Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen."

Gut, dass du diese unsäglichen Dinge ansprichst.

Der Franz ist ja ein netter Typ, was ich auch bei einem kurzen persönlichen Gespräch mit ihm feststellen konnte, sein Katar-Statement aber ist insofern naiv, als er den Begriff "Sklave", wie er von Katar-Kritikern verwendet wird, allzu wörtlich, d.h. in seiner antiken Bedeutung nimmt:

Ich hab' nicht einen einzigen Sklaven in Katar g'sehn! Die laufen alle frei 'rum, weder in Ketten gefesselt noch mit irgendeiner Büßerkappe am Kopf.

Streng genommen hat Franz also recht gehabt, denn von der Definition eines Sklaven her (menschliches Eigentum eines anderen Menschen) sind die WM-Arbeiter in Katar wohl nicht als Sklaven anzusehen. Dennoch sind ihre Arbeitsbedingungen sehr inhuman, wovon der Franz allerdings, aus welchen Gründen auch immer, ablenken wollte:

WM 2022 in Katar: Arbeiter werden weiter wie Sklaven behandelt - WELT

Was Argentinien 1978 angeht, möchte ich vor allem auf den Fall Elisabeth Käsemann hinweisen, den wohl größten Skandal in der bundesdeutschen Außenpolitik überhaupt, insofern man Genscher und Schmidt (als passiv gebliebene Mitwisser) als mitverantwortlich für den grausamen Tod der Elisabeth Käsemann, Tochter des bedeutenden Theologen Ernst Käsemann, ansehen kann.

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Der Hauptgrund für diese Passivität war der damals (1977) gerade laufende Deal von Siemens mit der argentinischen Junta über die Einführung des PAL-Farbfernsehens in Argentinien aus Anlass der WM. Die Verhandlungen sollten durch eine politische Intervention (Forderung nach der Freilassung von Elisabeth Käsemann) nicht gestört werden.

Der DFB spielte in diesem Kontext auch eine sehr unglückliche Rolle.

Hier sind ein paar Sekundärquellen:

(zum Wikipedia-Artikel über E. Käsemann:

Ich bin mir sicher, dass dieser Artikel vor kurzem zensiert und gekürzt wurde, eventuell im Kontext der aktuellen WM 2018. Als ich ihn zuletzt vor vielleicht einen halben Jahr einsah, konnte man darin noch ausführlich über die Verwicklung des DFB in den Skandal lesen. Jetzt wird das Thema mit keinem Wort erwähnt. Auch diverse Details der Misshandlung von Elisabeth, z.B. dass sie in ihrer Gefangenschaft zahllose Male vergewaltigt wurde, sind aus dem Artikel gelöscht worden. Dieses Detail war nach dem jetzt noch zu lesenden Satz "Die spätere Obduktion in Tübingen ergab, dass sie aus nächster Nähe erschossen worden war" erwähnt worden, wurde aber, wie gesagt, aus unerfindlichen Gründen gelöscht.)

EBSCOhost | 120074825 | Die Fußballweltmeisterschaft 1978 in Argentinien: ein Sündenfall.

Zitat (Abstract):

The Military Junta has been ruling Argentina for two years when they invited the world to celebrate the Football World Cup in their country in 1978. Already more than a year earlier it became public that the Junta committed severe crimes against humanity to eliminate political opposition. Among the thousands of victims were men and women from many foreign countries, including Germany. International protests arose und initiatives were founded to boycott the World Cup, however FIFA and the German Football Association (DFB) were playing along with the Junta, who used the world cup to blind the international public and to cover up the cruel and ugly reality of their government

Elisabeth Käsemann – Wikipedia

Zitate:

Käsemann wurde in der Nacht vom 8. auf den 9. März 1977 in Buenos Aires verhaftet und in ein geheimes Haft- und Folterlager verschleppt. Wochenlang blieb sie für die Angehörigen spurlos verschwunden. Während dieser Zeit wurde sie schwer gefoltert.
(...)
Angehörige von deutschen „Verschwundenen“ erhoben vor allem schwere Vorwürfe gegen die deutsche Botschaft in Buenos Aires unter dem Botschafter Jörg Kastl und gegen das Auswärtige Amt. Es gibt, wie im Fall Käsemann eingehend dokumentiert ist, zahlreiche Hinweise, dass die deutschen Behörden trotz eindringlicher Appelle der Familien wenig unternahmen, um bei den argentinischen Behörden zugunsten der Verhafteten zu intervenieren.
(...)
1983 stellten Angehörige deutscher „Verschwundener“ Strafanzeige gegen Genscher und Beamte des Auswärtigen Amtes und der Deutschen Botschaft wegen unterlassener Hilfeleistung. Während Genscher durch seine Abgeordnetenimmunität vor einer Strafverfolgung geschützt war, wurde zumindest gegen Beamte des Auswärtigen Amtes und der Deutschen Botschaft ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eröffnet.


http://www.faz.net/aktuell/feuillet...-ard-dokumentation-das-maedchen-12972669.html

Zitat:

Von denen kommt bei Friedler auch einer zu Wort: der ehemalige Gefängniswärter Roberto Zeolitti, der zu 22 Jahren Haft verurteilt wurde. Er spricht von der Elektrofolter, der auch Elisabeth Käsemann ausgesetzt wurde, von den Vergewaltigungen, vom Flehen der Gefangenen, sie zu verschonen. „Sie zerstörten uns Stück für Stück“, sagt eine Argentinierin, die im Konzentrationslager „El Vesubio“ war. Sie sah, wie Elisabeth Käsemann mit fünfzehn anderen abtransportiert wurde. Die argentinische Junta wird wenig später berichten, bei einer Schießerei seien sechzehn Terroristen ums Leben gekommen. Die sechzehn Gefangenen wurden hingerichtet, fast nackt, mit verbundenen Augen, davon berichtet ein Soldat, der zu dem Einsatz befohlen wurde.
Und die deutschen Fußballspieler? Sie waren ahnungslos und wurden vom damaligen DFB-Chef Hermann Neuberger, der von der Geschichte wusste, bewusst ahnungslos gehalten. Worüber sich Paul Breitner, Berti Vogts, Sepp Maier und Karl-Heinz Rummenigge erschüttert zeigen. Doch wenigstens im Nachhinein, sagt Paul Breitner, müsse man sich der Verantwortung stellen. Wenn man sich über einen solchen Vorfall nicht empören könne, worüber denn dann?


Der politische Mord an Elisabeth Käsemann: Wie das Auswärtige Amt und der DFB in Argentinien versagten - Medien - Tagesspiegel

Zitat:

Der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, der ein Interview schon zugesagt hatte, ist lieber doch nicht gekommen. Er hätte sich Fragen aussetzen müssen zum Tod der deutschen Studentin Elisabeth Käsemann, die 1977 während der argentinischen Militärdiktatur in Buenos Aires verschleppt, gefoltert und nach wochenlanger Haft im Alter von 30 Jahren ermordet worden war – ohne dass sich die Regierung ihres Heimatlands jemals für sie eingesetzt hätte.

Foltermord: Warum rettete Genscher deutsche Studentin nicht? - WELT

Zitat:

Über das Schicksal von Elisabeth Käsemann sagt Däubler-Gmelin heute: „Unsere damalige Regierung hat sie schmählich im Stich gelassen, als die argentinischen Henker die unschuldige junge Frau folterten und ermordeten.“ Sie würde es begrüßen, wenn Hans-Dietrich Genscher wenigstens im Nachhinein den Angehörigen seine damalige Haltung erklären würde.
Auch Ulrich Käsemann will von Genscher eine Erklärung. Keine Entschuldigung, weil er fürchtet, dass diese ohnehin nur mit „Vertuschungen“ verbunden wäre. Aber er möchte, dass die Vorgänge von damals restlos aufgeklärt werden, damit sich solche Fälle nie mehr wiederholen können. Bis heute kann Käsemann nicht verstehen, warum der Deutsche Fußball-Bund das Freundschaftsspiel damals nicht abgesagt hat. Seine Schwester, davon ist er überzeugt, würde dann noch leben.
 
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Streng genommen hat Franz also recht gehabt, denn von der Definition eines Sklaven her (menschliches Eigentum eines anderen Menschen) sind die WM-Arbeiter in Katar wohl nicht als Sklaven anzusehen.

Über die Tagespolitik wollen wir hier ja nicht reden, dennoch möchte ich hier einhaken. De facto wird den Nepalis ihr Lohn vorenthalten und einfach abreisen können sie nicht, weil sie aufgrund qatarischen Rechts ihre Pässe beim Arbeitgeber hinterlegen müssen. Sprich: Auch wenn es sich formaljuristisch vielleicht um freie Arbeitnehmer handelt: Sie leben unter inhumanen Bedingungen, erhalten kein oder nur einen Teil ihres Gehalts und sind dem Wohl und Willen ihrer Arbeitgeber ausgeliefert.

Ich bin mir sicher, dass dieser Artikel vor kurzem zensiert und gekürzt wurde, eventuell im Kontext der aktuellen WM 2018. Als ich ihn zuletzt vor vielleicht einen halben Jahr einsah, konnte man darin noch ausführlich über die Verwicklung des DFB in den Skandal lesen. Jetzt wird das Thema mit keinem Wort erwähnt. Auch diverse Details der Misshandlung von Elisabeth, z.B. dass sie in ihrer Gefangenschaft zahllose Male vergewaltigt wurde, sind aus dem Artikel gelöscht worden.

Das Schöne bei Wiki-Artikeln ist ja, dass sie eine nachvollziehbare History haben. D.h. du kannst zu früheren Artikelvarianten zurückkehren.
 
Das war halt zwanzig Jahre vor der Wehrmachtsaussstellung und bis heute sehen die manche als Nestbeschmutzung an.
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Sicher, die These von der "sauberen Wehrmacht" war 1978 noch nicht so in Frage gestellt wie das heute der Fall ist. Hans Ulrich Rudel hatte sich nach dem Krieg aber so eindeutig als unbelehrbarer Nazi, Nazi-Fluchthelfer und Waffenhändler positioniert, dass da wirklich keiner- auch nicht Neuberger- im Zweifel darüber sein konnte welcher politischen Überzeugung Rudel anhing.

Was war das aber auch für ein Totschlagsargument, um jeden auch noch so zarten Anflug von Kritik an Rudels tiefbrauner Gesinnung und Vergangenheit abzubügeln! Jeder der Rudel kritisiert, und das völlig zu Recht, beleidigt damit jeden Wehrmachtssoldaten, der freiwillig oder unfreiwillig Gesundheit, Leib und Leben für ein verbrecherisches System riskiert hat und für eben dieses System verheizt wurde.

Kriegsverbrechen der Wehrmacht waren auch 1978 offenkundig, dass eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung das nicht zur Kenntnis nahm oder nehmen wollte und an der Legende der sauberen Wehrmacht festhielt, ist eine andere Frage. Von einem DFB-Präsidenten hätte man durchaus erwarten können, dass ihm das 40 Jahre nach den Nürnberger Prozessen bekannt ist.

In jedem Fall aber hätte man sehr wohl von Neuberger erwarten können, etwas mehr kritische Distanz zu einer Nazi-Ikone wie Rudel zu wahren. Rudel hat ja nicht nur vor 1945 in den höchsten Tönen von Hitler gesprochen und wirklich keinen Zweifel an seiner politischen Gesinnung gelassen. Seine hohen und höchsten Kriegsauszeichnungen mögen ja durchaus aus militärischer Sicht verdient gewesen sein, Panegyrisches Lob für den "Kriegshelden" Rudel kam 1978 nur noch aus der rechtsextremen und rechtsradikalen "Schmuddelecke" , Leuten wie Gerhard Frey, der in seiner Nationalzeitung in den höchsten Tönen von Rudel sprach. Offiziere der Bundeswehr, die Rudel eingeladen und hofiert hatten, haben damit dem internationalen Ansehen der Bundesrepublik massiv geschadet, und das Bundesverteidigungsministerium hat solche Einladungen stark kritisiert. Von einem DFB-Funktionär, der in herausragender Stellung die Bundesrepublik vertrat hätte man auch 1978 mehr Fingerspitzengefühl und kritische Distanz erwarten können und müssen.

Wenn man Neubergers Art und Weise, Kritik an der Person von Hans- Ulrich Rudel schon im Keim zu ersticken konsequent zu Ende denkt, dann war nicht etwa der bekennende Nazi, Fluchthelfer und Waffenhändler Rudel das Problem, sondern jeder Kritiker, der es wagte, am hochdekorierten Kriegshelden Rudel Kritik zu üben. Wer Rudel konnte ja wohl kaum den Anspruch erheben, dass seine politische Überzeugung repräsentativ für alle deutschen Soldaten der Wehrmacht war. Da hat es ja schon auch einige gegeben, die nach 1945, manche auch davor, erkannt haben für wen und für welches System sie sinnlos verheizt wurden und die nach 1945 am Wiederaufbau und der Errichtung eines demokratischen Deutschland beteiligt waren. Wer Rudel kritisierte, der beleidigte vielleicht alle/viele bekennenden Nazis, sicher aber nicht alle deutschen Soldaten.

Solche dialektischen Feinheiten hätte man einem DFB-Präsidenten schon zutrauen können und eigentlich auch zutrauen müssen. Vom Ausmaß der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die sich während der Militärjunta in Argentinien ereigneten, mag man 1978 noch nichts gewusst haben. Eine Ahnung, dass Ordnung keine Diktatur aufwertet und massive Menschenrechtsverletzungen nivelliert, sollte man auch von einem Spieler der Nationalmannschaft erwarten können.
Notfalls kann man sich ja außer einem Steuerberater und Ghostwriter auch einen PR-Berater engagieren.
 
Argentiniens WM-Sieg stabilisierte das diktatorische Regime, erst 1982 wurde es gestürzt, nachdem es sich im Versuch, eine nationale "Besoffenheit" zu erzeugen und das "Wir-Gefühl" von 1978 zu wiederholen in das Abenteuer des Falkland-Krieges stürzte.

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Die Militärjunta in Argentinien wurde erst 1983 gestürzt.
 
Noch ein paar Ergänzungen:

Während des Spiels Argentinien-Peru besuchte Argentiniens Diktator begleitet vom US-Außenminister Henry Kissinger die peruanische Equipe während der Halbzeit in der Kabine und machte ihnen die lateinamerikanische Solidarität klar. just in dem Moment, als das 4:0 für Argentinien fiel, explodierte im Haus von Juan Aleman einem Beamten des Wirtschaftsministeriums, der den sich Zorn von Offiziellen zugezogen hatte, weil er die WM als finanzielle Verschwendung kritisiert hatte, eine Bombe. Peru hatte während des Turniers sehr gut gespielt und die souverän spielende Mannschaft von Schottland und Iran geradezu vom Platz gefegt und ein Remis gegen den Vizeweltmeister von 1974 und 1978 Niederlande erzielt. Im Spiel gegen Argentinien agierten die Peruaner lustlos und zaghaft. Argentinien musste mit einer Tordifferenz von 4 Toren gewinnen, um weiter zu kommen. Peru war während der ersten 15 Minuten aktiv, hatte mehrere Torchancen und war die bessere Mannschaft. Nach dem besuch von Argentiniens Diktator Videla schienen sie völlig von der Rolle. Im Finale gegen die Niederlande hatten die Oranjes zunächst den Vorteil. Die Partie war von vielen Fouls auf beiden Seiten begleitet. In der Verlängerung schienen sie wie verwandelt, und es wurde der Verdacht des Dopings laut.
 
Wobei Özil zumindest im letzten Spiel noch einer der besten deutschen Spieler war. Also der vielfach kolportierte Zusammenhang mit dem deutschen Spiel und Özils (und Gündogans) Fehltritt ist ein Narrativ, den besonders eine Ecke pflegt und dem wir hier nicht folgen sollten (keine Sorge, ich weiß, dass du dem nicht folgst, musste die Stelle aber zweimal lesen).
Tut mir leid, aber Özil war gerade auch im letzten Spiel definitiv wieder mit einer der schlechtesten deutschen Spieler. Insbesondere in der zentralen, kreativen Rolle als "10er" die ihm in Löws System eigentlich zugedacht ist, war er dieses Mal nahezu ein Totalausfall (er hatte vorher bis zum Schweden-Spiel unter Löw in allen Turnieren seit 2010 immer gespielt, wenn er nicht verletzt war).

Das sieht die Mehrheit der Sportkommentatoren in den Medien schon ganz richtig. Deshalb bekommt er fast durchweg auch nur die Note 5 oder schlechter beim Kicker und anderen Sportmedien. Er hat recht nahtlos an seine schlechte Leistung aus dem Mexiko-Spiel angeknüpft. Er bewegte sich kaum, war oft nicht anspielbar, agierte ideenlos mit Ball, meistens spielte er nur ungefährliche Querpässe und vor allem machte er dazu unser offensives Spiel fast immer langsam, auch in eigentlich günstigen Umschaltmomenten.

Ich hätte mir nach dem überaus spannenden 2.1 Spiel der deutschen Mannschaft gegen Schweden auch gewünscht, dass die deutsche Nationalmannschaft sich steigert und vielleicht so großartigen Fußball wie bei der WM 2014 in Brasilien zeigt. Jetzt nach dem Debakel den Kopf von Jogi Löw zu fordern und Spielern wie Özil die Hauptschuld daran zu geben, ist ebenso ungerecht wie billig.
Angesichts seiner schlechten Leistung in der zentralen Rolle als Spielmacher ist er leider mit einer der "Hauptschuldigen" am Ausscheiden. Nicht allein natürlich, aber schon maßgeblich.

Aber das ist eine rein sportliche Beurteilung seiner Leistung und diese hat als solche erst mal gar nichts mit seinem peinlichen Erdogan-Auftritt zu tun. Es gibt sicher einige Journalisten, die das nur zu gerne verknüpfen und Deutschland ist auch sicher eines der wenigen Länder, wo Nationalspieler die einem ausländischen Diktator als "ihrem Präsidenten" huldigen, nicht sofort vom Verband aus dem Kader ausgeschlossen werden bzw. werden würden.

Den Auftritt kann man im Jahr 2018 auch nicht damit entschuldigen, wie andere sich 1978 verhalten haben, angesichts der Werte für die der DFB heute selber stehen will. Sondern gerade um sich nicht wie 1978 zu verhalten, wären Konsequenzen angemessen gewesen, zumal in späteren Jahren deutsche Spieler für viel weniger nach Hause geschickt worden sind (z.B. Effenberg).

Aber da Özil auch schon davor immer schlechtere Leistungen bei Länderspielen gezeigt hat, sehe ich in dem Erdogan-Auftritt auch nicht die Ursache. Dies wird nur vom breiteren Publikum und Teilen der Medien, die Fußball nur zu WMs oder allenfalls EMs verfolgen nur nicht so wahrgenommen und dann dieser wohlfeile Zusammenhang konstruiert. Aber da muss man eigentlich tiefer ansetzen. Auch ist es eher die Frage, warum Löw ihn nicht schon viel früher auf die Bank gesetzt hat bzw. diesmal überhaupt mitgenommen hat, da er ja sonst immer vom "Leistungsprinzip" gesprochen hatte. Ähnliches gilt aber auch z.B. für Müller und Khedira.

Daher trägt selbstverständlich Löw selber die sportliche Hauptschuld und das zu schreiben ist weder ungerecht noch billig. Das liegt einfach in der Natur seines Jobs.

Ich will das Thema hier auch nicht weiter vertiefen, aber es wurde hier nun mal angesprochen.
 
Kissingers Rolle 1978 bzgl. der US-Politik war mehr als dubios.

Offenbar hintertrieb und sabotierte er mit privaten Initiativen den Schwenk der Carter-Regierung ab 1977, mit finanziellem und politischen Druck ein Ende des "Dreckigen Krieges" herbeizuführen, den die Junta in Argentinien führte und der min. 30.000 Tote forderte. Die Austrockung der US- und Internationalen Hilfe zeigte sich hier äußerst effektiv, und ist wohl mit verantwortlich für das argentinische Harakiri 1982 in der Endzeit der Junta, die sich nationalistisch aufgeladen bei den innenpolitischen Problemen zu halten versuchte. In der Verantwortlichkeit Kissingers in der Regierung (bis 1976) wurde dieses als notwendiger Krieg gegen "Terroristen", im Zuge des Kalten Krieges, gesehen. Die Carter-Regierung vollzog hier den Wechsel.
Siehe Literatur.
 
Den Auftritt kann man im Jahr 2018 auch nicht damit entschuldigen, wie andere sich 1978 verhalten haben, angesichts der Werte für die der DFB heute selber stehen will. Sondern gerade um sich nicht wie 1978 zu verhalten, wären Konsequenzen angemessen gewesen, zumal in späteren Jahren deutsche Spieler für viel weniger nach Hause geschickt worden sind (z.B. Effenberg).
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Mit sportlichen Analysen halte ich mich lieber zurück. Ich interessiere mich nicht sonderlich für Fußball und verfolge an Fußballevents eigentlich nur Weltmeisterschaften und Europameisterschaften aufmerksam mit.

Kritik ob berechtigt oder überzogen wird ja vor allem dann laut, wenn etwas in die Hose gegangen ist, und meistens ist es dann der Trainer, der seinen Hut nehmen muss oder von dem man fordert, dass er gehen soll.

Schwache Spiele ziehen sich eigentlich wie ein roter Faden durch die Geschichte der deutschen Nationalmannschaft.

1954 wurde die deutsche Nationalmannschaft in der Vorrunde sehr hoch von Ungarn geschlagen, und die halbe Nation forderte Sepp Herbergers Kopf. Nach dem "Wunder von Bern" im Endspiel gegen Ungarn war er dann der Held der Nation.
1974 startete Deutschland schwach und verlor ausgerechnet gegen die DDR in einer Vorrunde mit 0:1

1982 verlor die bundesdeutsche Mannschaft ihr erstes Match mit 1: 2 gegen Algerien. Es folgte der sogenannte "Nichtsangriffspakt" von Gijon, wo der Verdacht laut wurde, dass Österreich die Deutschen mit 0:1 gewinnen ließ. Die Mannschaft und vor allem Trainer Jupp Derwall standen damals massiv in der Kritik. Die deutsche Equipe steigerte sich dann aber, und es folgte der "Thriller von Sevilla" das Halbfinale gegen Frankreich, eine der besten Partien in der gesamten Fußballgeschichte. Die deutsche Mannschaft lag 1:3 zurück und drehte in den letzten 3-4 Minuten die ganze Partie. Karl Heinz Rummenigge erzielte den Anschlusstreffer und Klaus Fischer schoss mit einem seiner legendären Fallrückzieher den Ausgleichtreffer. Am Ende gewann die deutsche Nationalmannschaft die Partie nach Elfmeterschießen trotz eines verschossenen Elfmeters durch Uli Stielicke und zog ins Finale gegen Italien ein und wurde Vize-Weltmeister.
Bertie Vogts war als Trainer fast immer sehr umstritten, 1996 reichte es aber immerhin für den Gewinn der Fußball-Europameisterschaft. Auch Rudi Völler musste viel Kritik einstecken, berechtigte und überzogene. Nachdem die Chancen der deutschen Mannschaft als wenig chancenreich galten, wurde sie 2002 bei der WM in Japan und Südkorea Vizeweltmeister.
Jürgen Klinsmann trat nach dem "Sommermärchen" als Trainer zurück, weil er sich ausgebrannt fühlte, und vielleicht haben die Erfahrungen seiner Vorgänger mit öffentlicher Kritik ihn in seinem Entschluss bestärkt.
Jogi Löw ist Bundestrainer seit 2006. In dieser Zeit schnitt die deutsche Mannschaft, wenn ich mich nicht sehr täusche (abgesehen von 2018) nie schlechter ab als mit dem Erreichen des Halbfinales. Der dreifache Weltmeister Italien und der Europameister von 1988 und dreifache Vize-Weltmeister (1974, 1978, 2010) Niederlande scheiterten in der Qualifikation für die WM 2018. Hätte sich die deutsche Elf im Verlauf des Turniers gesteigert und wäre bis ins Halbfinale vorgedrungen, bin ich mir sicher, dass dann Löw ebenso frenetisch gefeiert worden wäre wie man jetzt nach seinem Rücktritt ruft, und auch von Özils posieren mit Erdogan wäre vermutlich keine Rede mehr gewesen.

Dass mein Beitrag so interpretiert wird, dass ich Özils damit entschuldige, wie andere sich 1978 verhalten haben, ist mir unbegreiflich.

Im Gegenteil habe ich das als de facto Wahlkampfhilfe für einen reichlich umstrittenen Politiker kritisiert. Özil steht damit allerdings in einer gewissen Tradition deutscher Spieler und Funktionäre, autoritären Regimes etwas positives abgewinnen zu können.

Der traurige Tiefpunkt dieser Tradition war nun tatsächlich die WM in Argentinien 1978. Auch aus sportlicher Sicht gehörte dieses Turnier zu den schwächsten Turnieren einer deutschen Nationalmannschaft. Der amtierende Weltmeister von 1974 schied nach der "Schmach von Cordoba" 1978 gegen Österreich aus. Parallelen zur WM 2018 drängen sich daher auf. Thema des Threads ist aber nicht die WM 2018 was wegen der Forenregeln ohnehin nicht möglich ist, sondern die WM 1978 in Argentinien und das Verhältnis von Fußball und Diktatur, da sich die WM in Argentinien als Stabilisator für die Militärjunta erwies.
 
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