zum Autor Hermann Schreiber

albaicin

Neues Mitglied
hallo liebe Wissende,
ich hab ganz hinten im Bücherschrank gefunden: "Wie die Deutschen Christen wurden" von Hermann Schreiber. Nun bin ich auf Seite 90 und da soll man ja bekanntlich entscheiden, ob man das Buch zu Ende lesen soll oder besser nicht. Das Buch ist nun etwas tendenziös abgefasst, mit einigen Vorurteilen behaftet. Z.B. ist es für ihn kein Problem, wenn ein übereifriger Missionar heidnische Heiligtümer zerstört, aber jegliche Kirchenzerstörung ist ein Akt barbarischer, grausamer, ungebildeter Gesinnung.
Nun meine Frage: kennt jemand von euch diesen Autor, das Buch ist schon älteren Datums: Ersch.jahr 1984 und wenn ja: ist er wissenschaftlich gesehen ernst zu nehmen oder sind seine Erkenntnisse sehr subjektiv? und/oder auch veraltet?
Grüße
Roswitha
 
War ein österreichischer Sachbuchautor von sehr großer Produktivität, reichte von Büchern über das maurische Spanien bis zu einer Romanserie im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Wissenschaftlich belanglos, aber angenehm zu schmökern.
 
Von der Bewertung, die der Autor vornimmt, hängt es ja nicht ab, ob die Fakten stimmen. Du kannst ihn ja trotzdem, mit der entsprechenden kritischen Distanz, weiterlesen.
 
Nun bin ich auf Seite 90 und da soll man ja bekanntlich entscheiden, ob man das Buch zu Ende lesen soll oder besser nicht.

Warum "soll" man das gerade auf "Seite 90" und warum kann man nicht schon vorher erkennen, woran man bei dem Autor ist?

"Wie die Deutschen Christen wurden" von Hermann Schreiber

Mir ist aufgefallen, dass es eine Publikation (von 2016) von einem Prof. Dr. Klaus Fitschen (die Nennung der akad. Titel macht hier zufällig Sinn, Scorpio) mit dem gleichen Werktitel "Wie die Deutschen Christen wurden" gibt, lediglich erweitert mit dem Untertitel "Geschichte der Mission", wobei der Haupttitel auf dem Buchcover deutlich hervorgehoben wird und der Untertitel nur ganz unaufällig erscheint, was klar anzeigt, dass der Haupttitel keine Einheit mit dem Untertitel bildet.

Eine Bedeutung hat das insofern, als Werktitel urheberrechtlich automatisch geschützt sind, sobald ein Werk publiziert ist (in diesem Fall das Werk von H. Schreiber). Da frage ich mich schon, was sich Autor und Verlag des zweiten Werks dabei gedacht haben...
 
Wenn sie gedacht haben, dann wahrscheinlich, dass das bei einem schlichten inhaltsbeschreibenden Titel im Stil von „Die besten Kochrezepte“ nicht wirklich ein rechtliches Problem darstellt.
 
Eine Bedeutung hat das insofern, als Werktitel urheberrechtlich automatisch geschützt sind, sobald ein Werk publiziert ist (in diesem Fall das Werk von H. Schreiber). Da frage ich mich schon, was sich Autor und Verlag des zweiten Werks dabei gedacht haben...

Nach deutschem Recht sind Werktitel nicht urheberrechtlich geschützt!

Ein Werktitelschutz ergibt sich aus dem Markengesetz: § 5 MarkenG - Einzelnorm

Während das Urheberrecht erst 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers erlischt, endet der Titelschutz bereits, wenn der Titel längere Zeit nicht lieferbar ist.
 
vielen Dank für eure Antworten. Ich werde das Buch weiter lesen, obwohl mich die Subjektivität schon etwas nervt, vielleicht sollte ich mich einfach amüsieren. Das mit der "Seite 90" ist ein kleiner Insiderwitz hauptsächlich für Liebhaber der Belletristik. Bis dahin sollte/kann/darf/will man sich Zeit lassen, sich einlassen auch mal auf einen etwas sperrigen Text, einfach um auch mal etwas Neues kennenzulernen und evtl. auch schätzen zu lernen.
El Quijote: bist auch Spanienliebhaber?
 
Schreibers Einstellung "böse" Heiden - "gute" Christen dürfte noch von einer Geschichtsvorstellung geprägt sein, die den Verlauf der Geschichte als eine unausweichliche Entwicklung sah, die aber letztlich der Fortschritt erforderte. (Gut zu erkennen in den historischen Romanen des 19. Jahrhunderts, die dem Schema von Walter Scott folgen: Geschichte als Konflikt zwischen "Rückschritt" und "Fortschritt", wobei die Sieger weniger die Guten oder die Verlierer die Bösen sind, sondern die Siegerseite steht stets für den "Fortschritt", weswegen sie siegreich ist.) Das Christentum löste (vordergründig betrachtet) das Heidentum letztlich ab, das Christentum ist in dem Modell von Fortschritt und Rückschritt die Zukunft und das Heidentum die Gegenwart. Diese Geschichtssicht, die bis in den 1968er-Jahren zumindest im deutschen Sprachraum noch üblich war, dürfte die Ursache für Schreibers Darstellung sein.

Andererseits finde ich, dass das ausgehende 20. und jetzige 21. Jahrhundert mit dem Modell der "politischen Korrektness" nicht wirklich besser sind. Letztlich bedeutet "Politische Korrektness" nicht etwa Fairness bei der historischen Wertung, sondern hier wird gleich im Voraus festgelegt, wer gut (und daher unangreifbar) und wer böse (und daher Freiwild) ist. Überspitzt bedeutet das: Für die zu "Guten" Erklärten gilt "politische" Korrektness" (die jede kritische Sicht dazu verbietet), die zu "Bösen" Erklärten sind dagegen von jeglicher Rücksichtnahme ausgeschlossen, jeder kritische Blick, der für sie sprechen könnte, ist verboten. Darüber, wer zu diesen "Guten" und zu diesen "Bösen" gezählt wird, entscheiden die derzeitige Machtpositionen.

Daher finde ich Schreibers "gute" Christen und "böse" Heiden sogar menschlich sympathischer. Die vermeintliche Fortschrittsthese wirkt auf mich naiver (und daher auch ehrlicher) als die "Politische Korrektness", die ich selbst als sehr heuchlerisch empfinde.
 
Du verwechselst politische Correctness (im Übrigen ein ideologischer Begriff von rechtsaußen, ursprünglich aus den USA, der seit Jahren sehr erfolgreich ge-frame-t wird und mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist) mit Ideologie. Politische Korrektheit beschreibt Dinge, die man nach Meinung bestimmter Leute nicht sagen dürfe. Also eine Tabuisierung der "Wahrheit", wenn diese nicht dem politischen "Mainstream" (der aus Sicht der Rechten immer "links", "liberal" oder in den letzten Jahren "links-grün-versifft" ist, entspräche. Es mag sein, dass es im politischen Diskurs tatsächlich so etwas wie eine politische Tabuisierung gibt, wobei die Tabuisierung abhängig von der jeweiligen politischen Gruppe ist. Ist z.B. die Tabuisierung von Problemen einer Einwanderungsgesellschaft für die Kreise, welche das Schlagwort der Political Correctness in den politischen Diskurs einge-frame-t* haben ein Beispiel für Political Correctness, ist für dieselben Personen die Thematiserung von Verbrechen der Wehrmacht Nestbeschmutzung. Was als politisch korrekt oder unkorrekt wahrgenommen wird, ist also, jenseits des ideologischen Kampfbegriffes, eine Frage der eigenen ideologischen Positionierung.

Natürlich stehen Historiker und andere Geisteswissenschaftler nicht außerhalb des politischen Diskurses. Das geht fast gar nicht. Aber zum Handwerkszeug gehört eben auch die kritische Überprüfung der eigenen Haltung. (Ideologiekritik). Und bevor etwa der Historiker ein Werturteil zu einem historischen Sachverhalt fällen kann, muss er zunächst einmal ein Sachurteil dazu fällen. (Etwa: Welche Handlungsoptionen standen den Handelnden zur Verfügung und konnten sie die Folgen ihres Handelns abschätzen?) Und bevor er ein Sachurteil fällen kann, muss er sich zunächst einmal heuristisch betätigen. Im Idealfall kommt dabei ein brauchbares und weitgehend ideologiefreies Ergebnis heraus.

So kann ich z.B. zu dem Ergebnis kommen, dass die Hinrichtung des Französischen Königs 1791 in der histoirschen Situation folgerichtig war (Sachurteil) und diese dennoch gleichzeitig moralisch verurteilen (Werturteil). (Ich möchte darum bitten, dies ausschließlich als Bsp. für die mögliche Differenz zwischen Sach- und Werturteil zu verstehen.)

*Warum ich das mit dem Framing wiederholt so betone: Als Historiker, ob nun beruflich oder hobbymäßig, sollten wir Framing als solches erkennen und es dekonstruieren.
 
Schreibers Einstellung "böse" Heiden - "gute" Christen dürfte noch von einer Geschichtsvorstellung geprägt sein, die den Verlauf der Geschichte als eine unausweichliche Entwicklung sah, die aber letztlich der Fortschritt erforderte. (Gut zu erkennen in den historischen Romanen des 19. Jahrhunderts, die dem Schema von Walter Scott folgen: Geschichte als Konflikt zwischen "Rückschritt" und "Fortschritt", wobei die Sieger weniger die Guten oder die Verlierer die Bösen sind, sondern die Siegerseite steht stets für den "Fortschritt", weswegen sie siegreich ist.) Das Christentum löste (vordergründig betrachtet) das Heidentum letztlich ab, das Christentum ist in dem Modell von Fortschritt und Rückschritt die Zukunft und das Heidentum die Gegenwart. Diese Geschichtssicht, die bis in den 1968er-Jahren zumindest im deutschen Sprachraum noch üblich war, dürfte die Ursache für Schreibers Darstellung sein.
Im 19. Jhdt. scheint es mir bei so manchen deutschen Autoren (nämlich solchen, die national, antiklerikal und protestantisch eingestellt waren) eher umgekehrt gewesen zu sein: dass sie die Verdrängung des Heidentums durch das katholische Christentum bedauerten.
 
Du verwechselst politische Correctness (im Übrigen ein ideologischer Begriff von rechtsaußen, ursprünglich aus den USA, der seit Jahren sehr erfolgreich ge-frame-t wird und mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist) mit Ideologie. Politische Korrektheit beschreibt Dinge, die man nach Meinung bestimmter Leute nicht sagen dürfe. Also eine Tabuisierung der "Wahrheit", wenn diese nicht dem politischen "Mainstream" (der aus Sicht der Rechten immer "links", "liberal" oder in den letzten Jahren "links-grün-versifft" ist, entspräche.
Wenn mich nicht alles täuscht, stammt das mit dem links-grün- versifft-zu ergänzen wäre noch "Kinderfickerpartei" aus dem Machwerk von Akif Pirinci "Die Große Verschwulung". Pirinci hat früher mal Katzenkrimis wie "Felidae" geschrieben, anscheinend ist ihm das letzte bisschen Kreativität ausgegangen, und er publiziert jetzt im stramm rechten Antaios-Verlag, in dem auch Werke von stramm rechten Kameraden, Geschichtsrevisionisten und Holocaust-Leugnern verlegt werden. Pirinci ist auch gern gesehener Gast bei Pegida und AFD-Veranstaltungen.
 
Im 19. Jhdt. scheint es mir bei so manchen deutschen Autoren (nämlich solchen, die national, antiklerikal und protestantisch eingestellt waren) eher umgekehrt gewesen zu sein: dass sie die Verdrängung des Heidentums durch das katholische Christentum bedauerten.

Vielleicht wäre auch zu berücksichtigen, dass das Modell von Walter Scott doch sehr Einfluss auf die Entwicklung des historischen Romans des 19. und 20. Jahrhunderts hatte. Ein Tendenz bei Scott (in den meisten seiner Romane) ist, dass es bei ihm die Verlierer gewöhnlich nicht unbedingt die Bösen sind und die Sieger die Guten. (Ein wesentlicher Unterschied zur Gegenwart, wo die Geschichtsromane gewöhnlich diese Sicht ideologisch bedienen.) Zwar steht der Autor gewöhnlich auf der Seite des "Fortschritts" (oder zumindest der "mittlere" Held darf da einen "privaten" Kompromiss finden), aber meistens ist eine gewisse Trauer um das Vergangene, was diesem "Fortschritt" weichen muss, zu spüren, obwohl diese Vergangenheit keineswegs nur positiv dargestellt ist. (Sehr gut erkennbar in "Waverley".)

Diesem Modell dürften auch jene deutschsprachigen Autorinnen und Autoren gefolgt sein, wenn sie zwar einerseits das Christentum als "Fortschritt" sehen, sodass es schon wie selbstverständlich wirkt, dass das "Heidentum" dem Weichen muss, aber eine gewisse Trauer, um das "Heidentum" spürbar machen, dass eben dem "Fortschritt" weichen muss, weil es nicht mehr "zeitgemäß" ist.
 
---Das Buch ist nun etwas tendenziös abgefasst, mit einigen Vorurteilen behaftet. Z.B. ist es für ihn kein Problem, wenn ein übereifriger Missionar heidnische Heiligtümer zerstört, aber jegliche Kirchenzerstörung ist ein Akt barbarischer, grausamer, ungebildeter Gesinnung.

Das Buch würde ich deshalb schon in die Tonne kloppen. Heuchlerischer geht es ja nicht mehr! Dabei haben Missionare ja ganz gezielt heidnische Kultur zerstört. So eine dumme Doppelmoral. Da kommt mir das Kotzen!!

---Du verwechselst politische Correctness (im Übrigen ein ideologischer Begriff von rechtsaußen, ursprünglich aus den USA, der seit Jahren sehr erfolgreich ge-frame-t wird und mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist) mit Ideologie. Politische Korrektheit beschreibt Dinge, die man nach Meinung bestimmter Leute nicht sagen dürfe. Also eine Tabuisierung der "Wahrheit", wenn diese nicht dem politischen "Mainstream" (der aus Sicht der Rechten immer "links", "liberal" oder in den letzten Jahren "links-grün-versifft" ist, entspräche. Es mag sein, dass es im politischen Diskurs tatsächlich so etwas wie eine politische Tabuisierung gibt, wobei die Tabuisierung abhängig von der jeweiligen politischen Gruppe ist. Ist z.B. die Tabuisierung von Problemen einer Einwanderungsgesellschaft für die Kreise, welche das Schlagwort der Political Correctness in den politischen Diskurs einge-frame-t* haben ein Beispiel für Political Correctness, ist für dieselben Personen die Thematiserung von Verbrechen der Wehrmacht Nestbeschmutzung. Was als politisch korrekt oder unkorrekt wahrgenommen wird, ist also, jenseits des ideologischen Kampfbegriffes, eine Frage der eigenen ideologischen Positionierung.

Das hast du sehr gut erkannt. Bravo!

---Wenn mich nicht alles täuscht, stammt das mit dem links-grün- versifft-zu ergänzen wäre noch "Kinderfickerpartei" aus dem Machwerk von Akif Pirinci "Die Große Verschwulung". Pirinci hat früher mal Katzenkrimis wie "Felidae" geschrieben, anscheinend ist ihm das letzte bisschen Kreativität ausgegangen, und er publiziert jetzt im stramm rechten Antaios-Verlag, in dem auch Werke von stramm rechten Kameraden, Geschichtsrevisionisten und Holocaust-Leugnern verlegt werden. Pirinci ist auch gern gesehener Gast bei Pegida und AFD-Veranstaltungen.

Traurig. Die Filmversion von Felidae mochte ich eigentlich...
 
Zuletzt bearbeitet:
Du verwechselst politische Correctness (im Übrigen ein ideologischer Begriff von rechtsaußen, ursprünglich aus den USA, der seit Jahren sehr erfolgreich ge-frame-t wird und mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist) mit Ideologie.
Als ich vor langer Zeit den Begriff hörte, kam der nicht von rechts. So schreibt auch der Wikipedia-Artikel zur Politischen Korrektheit:
"Seit Beginn der 1990er-Jahre wurde der Ausdruck von einer reinen Selbstbeschreibung zunehmend auch zu einem pejorativ gebrauchten Kampfbegriff der politischen Rechten in den USA"
 
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