Der bärtige Jesus

Wobei auch Hadrians Bart eine Anlehnung an griechische Vorstellungen war, und dort wurde der Bart zumeist von Philosophen kultiviert, nachdem seit Alexander auch die griechischen Staatsportraits bartlos wurden. Daraus entwickelte sich eine Traditionslinie, in der die Bärte immer länger wurden, über Antonius Pius und Marc Aurel bis zu Commodus und Septimius Severus. Caracalla zeigt eine gekürzte Barttracht, und die Soldatenkaiser des 3. Jhs. haben einen "gepickten" Bart, um damit die Nähe zum Heer auszudrücken.
 
Ich weiß leider nicht mehr wo ich das aufgeschnappt habe, aber irgendwo habe ich mal gelesen, dass es in Judäa/Galiläa zu Zeiten Jesu zumindest in den unteren Bevölkerungsschichten aufgrund der Floh- und Läuse"gefahr" übrlich war, dass man sowohl Haare als auch Bart eher kurz trug. :grübel:
 
Auf mich wirkt die Debatte ein bisschen wie der Versuch einer Klärung der Frage, welche Farbe denn nun das Fell des Einhorns hat unter besonderer Berücksichtigung seiner Darstellung auf Gemälden und Grafiken. Ich habe nur einen Beitrag entdeckt (aber nicht alle gesichtet), der die fragwürdige Historizität der Jesusgestalt (kurz) thematisiert. Ansonsten wird über den Fragegegenstand so sinniert, als sei dieser ein objektives historisches Faktum. Ist er aber nicht. Warum also nicht auch darüber reflektieren, ob Moses einen Bart trug, oder gar Abraham? Auch über diese Figuren gibt es in der Bibel detaillierte pseudo-biographische Schilderungen. Nur dass die Existenz dieser Figuren von der Geschichtswissenschaft mit weitgehendem Konsens bezweifelt wird - was nicht so schwer fällt, da ihre virtuellen Schultern nur eine Religion mit relativ geringer Mitgliederzahl tragen, während auf den Schultern der Jesusfigur die verbreitetste Religion dieses Planeten lastet (über 2 Milliarden Mitglieder) - was die Infragestellung ihrer objektiven Existenz psychologisch enorm zu erschweren scheint.
 
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Hallo Chan,

zum einen geht es glaube ich hauptsächlich um die Darstellung Jesu in der Kunst und den Wandel derselbigen. Nur bedingt geht es daraus resultierend tatsächlich um die Frage nach der Mode des galiläischen Wanderpredigers.

Zum anderen musst du unterscheiden zwischen Jesus als Sohn Gottes, dem Erlöser und der potenziellen Figur Jesus als historische Person. Ich halte es für nahezu ausgeschlossen, dass sich das Christentum so schnell und so weit hätte ausbreiten können ohne sich auf einen realen Kern beziehen zu können - bereits rund 10 Jahre nach der möglichen Kreuzigung lassen sich soweit ich weiß in Antiochia erste frühchristliche Gemeinden feststellen.

Dass es also irgendeinen Wanderprediger im ersten nachchristlichen Jahrhundert gegeben hat, der eventuell "Yeshua ibn Yussef" oder dergleichen geheißen hat und auf den die Erzählungen zurückgehen (und sich logischerweise dann verselbstständigten nach dem klassischen Stille Post-Prinzip), halte ich für fast schon faktisch. Die Frage ist, ob dieser lediglich ein Prediger von vielen war, die es erwiesenermaßen zu jener Zeit in Hülle und Fülle gab, oder ob er tatsächlich Sohn Gottes ist inkl. Auferstehung, Himmelfahrt und Co. Dies ist dann aber eine Frage des Glaubens, deren Beantwortung nicht Aufgabe der Geschichtswissenschaft ist.

Viele Grüße,
Fredegar
 
Nur dass die Existenz dieser Figuren von der Geschichtswissenschaft mit weitgehendem Konsens bezweifelt wird - was nicht so schwer fällt, da ihre virtuellen Schultern nur eine Religion mit relativ geringer Mitgliederzahl tragen, während auf den Schultern der Jesusfigur die verbreitetste Religion dieses Planeten lastet (über 2 Milliarden Mitglieder) - was die Infragestellung ihrer objektiven Existenz psychologisch enorm zu erschweren scheint.

Das hat mit Psychologie erstmal nichts zu tun.
Der Spielraum, die historische Existenz der Jesusfigur zu bezweifeln, ist einfach zeitlich sehr eng.
Zwischen Abraham und den frühesten jüdischen Schriften über Abraham klaffen viele Jahrhunderte. Da liegen Zweifel an der Historizität schon sehr nahe.
Zwischen Jesus und den frühesten christlichen Schriften über Jesus liegen höchstens Jahrzehnte, wenn nicht sogar nur wenige Jahre.


Die Psychologie kommt ins Spiel, wenn man sich fragt, welche objektiven Gründe es geben sollte, die Existenz eines historischen Jesus zu bezweifeln.
Wobei zwischen "historischem Jesus" und "Jesusfigur" natürlich zu trennen ist.
 
Ich möchte Fredegar da zustimmen, hier geht es nicht um die Historizität der historischen Figur, sondern um die kunsthistorische Darstellung der religiös aufgeladenen Figur, die Historizität, für die - da möchte ich Fredegar und Sepiola zustimmen - sehr viel mehr spricht als dagegen, ja, ich halte die Zweifel daran sogar für ideologisch motiviert, diskutieren wir besser in dem vom Korinther verlinkten Thread.
 
Um das Thema wieder aufzugreifen: Der Sarkophag von Junius Bassus († 25. August 359) zeigt (gemischt) mehrere Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament, darunter den bartlosen Jesus zwischen zwei Aposteln, Jesus beim Einzug in Jerusalem, seine Gefangennahme und das Gericht mit Pontius Pilatus, hier allerdings ohne erhaltenen Kopf. Bei den Szenen, in denen sein Kopf erhalten ist, wird er bartlos/jung gezeigt (oben Szenen Mitte und beide rechts, unten mittlere Szene).

Sarcophagus_of_Junius_Bassus_-_Cast_in_Rome.jpg


Ähnlich eine Glasschale aus Cástulo aus dem 4. Jhdt. Dort wird Jesus mit dem Kreuz als Siegeszeichen zwischen zwei Aposteln gezeigt.
la-patena-de-castulo.html
 
Eine Mitdiskutantin hat korrekterweise darauf verwiesen, dass es ein Gebot gab, sich keine Glatze zu rasieren und den Bart nicht zu beschneiden, und sie hat auch eine Stelle aus dem Tanach angeführt:
Leviticus (3. Mose) 21, 5

Im Buch Leviticus (Leviticus ( 3.Mose) 19, 27 gibt es eine weitere Stelle:

" Ihr sollt euer Haar am Haupte nicht rundherum abschneiden, noch euren Bart stutzen."

Viele orthodoxe Juden nahmen oder nehmen das sehr ernst, und das galt auch für Altgläubige der orthodoxen Kirche.
Viele Altgläubige hielten es für Sünde, sich den Kinnbart zu rasieren. Dem General Scheremetjew verweigerte sein Vater den Segen, weil sich Boris Scheremetjew nach europäischer Mode kleidete und den Kinnbart rasierte.
Im petrinischen Russland nahmen viele Altgläubige große Repressalien in Kauf, um ihren Bart behalten zu können, bis Peter teilweise nachgab und die Pflege eines langen Vollbartes gegen Gebühr erlaubte. Es wurde sogar eine eigene Bartsteuer eingeführt und Metallplaketten ausgegeben, auf denen ein Bart zu sehen war und die Aufschrift

"Steuer bezahlt"

Personen aus der engeren Umgebung des Zaren mussten freilich damit rechnen, dass der Zar ihnen höchstpersönlich die Rauschebärte rasierte und dabei so rücksichtslos vorging, dass manche eine bleibende Narbe behielten, nachdem Peter sich als Barbier betätigte.

Doch zurück zu Jesus und der Bartmode in Palästina und in der Diaspora. Wie Jesus ausgesehen hat, das weiß man natürlich nicht, da es aber zumindest ein Gebot gab/gibt im Judentum, den Bart nicht zu rasieren
gibt es zumindest eine schriftliche Quelle, die zu der Frage, ob Jesus bartlos war oder nicht plausible Indizien liefert. Der Vergleich mit Fellfarben von Einhörnern ist reine Polemik, auf die man in einer sachlichen Diskussion verzichten sollte. Das gleiche gilt auch für küchenpsychologische Deutungen
 
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Allerdings schreibt Paulus, der Jesus ja nie in life gesehen hat, im 1.Korinther 11. Dass lange Haare bei Männern eine Schande sind.
Wenn die Beschreibungen von Paulus Person stimmen hätte ihm die Stelle im Leviticus bekannt sein müssen. Hat er sich vielleicht bewusst von Jüdischen Traditionen ab- und den Römischen Gepflogenheiten zugewandt. Mit Sicherheit hatten die Worte Paulus einen großen Einfluss auf die Christen die er erreichte. Leider schreibt er hier nichts über Bärte.
 
Allerdings schreibt Paulus, der Jesus ja nie in life gesehen hat, im 1.Korinther 11. Dass lange Haare bei Männern eine Schande sind.
Dass Paulus Jesus nie gesehen hat, würde eine Rolle spielen, wenn er Jesu physische Gestalt beschrieben hätte. So gibt er nur Auskunft über einen Sachverhalt, wie die Zeitgenossen - oder zumindest er, Paulus - das sahen. Zumindest scheinen das nicht alle so gesehen zu haben wie Paulus, sonst hätte er keinen Anlass über unverhüllte Frauen und ungeschorene Männer zu schimpfen. Die Frage ist natürlich, wie die Stelle zu verstehen ist. Vom Bart redet er ja, wie du korrekt feststellst, nicht, er redet von langem Haar bei Männern, welches sich nicht gehöre. Aber wie ist "lang" definiert?
 
Das ist vielleicht nur ein Nebenaspekt, aber ab wann wird er denn als Gekreuzigter gezeigt? Die frühen und bartlosen Darstellungen zeigen ihn ja bei Lebenstationen oder als Genrefigur - wenn er einer antiken Gottheit angeglichen wird.
Da finde ich diese Glasschale sehr interessant. Wie kommt man denn zu der Datierung? Interessanterweise hält dort die Mittelfigur (Jesus?) das Marterkreuz, während zwischen Alpha und Omega das Namenskreuz zu sehen ist, welches ja wohl das ursprüngliche christliche Symbol war. Hier kommt es also auch zu einer gravierenden Änderung der Darstellungsart.
 
Das ist vielleicht nur ein Nebenaspekt, aber ab wann wird er denn als Gekreuzigter gezeigt?

Die frühste bekannte Darstellung der Kreuzigung ist die Karikatur „Alexamenos betet seinen Gott an“, eine in den Wandputz des Palatin eingeritzte Zeichnung wahrscheinlich vom Anfang des 2. Jh.s. Die Christen selbst stellten Christus anfänglich nicht in der entehrenden Kreuzigungsszene dar, sondern als Fisch-Symbol, als Christus-Monogramm, als guten Hirten oder jünglingshaften Helden.

tf9bfda_102_christus_alexamenos_betet_gott_an_ro.JPG
 
Ich habe die Tür der Kirche Santa Sabina in Rom anzubieten, um 430 (?), Jesus bärtig und in Kreuzigungspose, aber ohne vollständiges Kreuz.
 
Wenn Du dem link folgst, ist oben in der Kopfzeile die Darstellung als pdf geboten.
Darin sind auch die schönen Bilder enthalten.
 
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