War Deutschland "Befreit"?

Ergänzend:
Remaking the conquering heroes : the social and geopolitical impact of the early American occupation of Germany
John Willoughby
Auch zu den sozialen Kontakten von GIs, Übergriffen und der Besorgnis betr. daraus resultierendem deutschen Widerstand.

Junkers Weltmarkt-Konflikt-Hypothese ist mE nicht plausibel, und makroökonomisch überzogen.
 
Gab einen grossen unterschied zivilisten im Irak auf 2003 (Zweiter Irakkrieg) und Zivilisten im Deustchland auf 1945 (Zweite Weltkrieg) - wie sie mit den siegreich US-Soldaten umgegangen sind?

(Mein deutsch ist nicht so gut. Ich lerne...)

MLH,
ich kenne eine ähnliche Diskussion mit einem gebürtigen Iraker den ich sehr mag.
Das ist ja schwer zu begreifen.
Warum haben wir die "Amis" schließlich geliebt, und warum die Bürger des Iraks nicht?
 
Für mich gibt es einige Parallelen und (leider) etliche Unterschiede in der Behandlung Deutschlands und des Iraks. Die Parallelen sind die Verantwortung für die Funktion der staatlichen Verwaltung des besiegten Regimes, die Versorgung der Bevölkerung und theoretisch die Entwaffnung. Dies wurde in Deutschland alles umgesetzt, wobei die Entwaffnug der kriegsmüden Bevölkerung und der zerschlagenen Einheiten wesentlich leichter vonstatten ging als z.B. es deutsche Stellen nach dem ersten Weltkrieg hätten schaffen können. Im Irak wurde hingegen sehr schnell die lokale Verantwortung abgegeben und auch die Versorgung lief nicht komplett über die Besatzungstruppen. Internationale Organisationen, Milizen und die Reste des alten Regimes waren nötig, setzten aber damit auch Grenzen in die ausgeübte Kontrolle.
Die Teilautonomie der Kurden und die Belassung einiger Kompetenzen in den Händen der Schiiten und Sunniten festigten die innere Spaltung des Iraks und verhinderten eine einheitliche Entwicklung, der Irak ist deshalb heute in vielen Bereichen nur noch ein künstliches Gebilde. Im Gegensatz dazu arbeiteten die Allierten in Deutschland vergleichsmäßig einheitlich und bei allen Unterschieden im Detail konnten so zumindest die Westländer leicht den Sprung zum Bundesstaat schaffen. Die gemeinsame Verwaltung Großberlins erfolgte auch zuerst mit den Sowjets besser als die vergleichbaren Schritte im Irak.

Den größten Unterschied sehe ich darin, dass in Deutschland die Allierten sich vorher mit dem Land vertraut gemacht haben und auf dieser Basis Entscheidungen getroffen haben, auch wenn sie im Einzelfall falsch bzw. kritikwürdig waren. Im Irak hingegen gab es zwar Geheimdienstberichte usw., aber die Truppe war doch meilenweit davon entfernt die Bevölkerung zu verstehen. Konfliktpotential innerhalb irakischer Gruppen konnte so natürlich nicht gut im Vorfeld erkannt werden und die Besatzungstruppen wurden so hineingezogen. Es wurde auch kein funktionierendes Konzept für einen Nachkriegsirak entwickelt.

In einem Buch über den ersten Irakkrieg (ich weiß nur nicht mehr welches) fand ich die Beschreibung der Jugendjahre von General Schwarzkopf sehr interessant, vor allem wie sehr doch die Amis über die lokale Situation im Iran informiert waren und so die Auswirkungen ihrer Aktionen besser einschätzen konnten. 50 Jahre später war an so eine umfangreiche Begleitung nicht mehr zu denken und noch weniger weitere 12 Jahre später nach dem Sturz Husseins.

Die Rolle der Besatzungstruppen führte so in Deutschland nach der allerersten Zeit schnell zu einer Akzeptanz zumindest der Briten und Amis, wobei natürlich Care-Pakete und Rosinenbomber während der Berlin-Blockade keine Entsprechung im Irak hatten. Aber es wurde meiner Einschätzung nach auch nicht versucht. Da die Führung keine Pläne für einen Nachkriegsirak vermitteln konnte, konnte die Truppe natürlich auch nicht daran anknüpfen. Kulturelle Unterschiede und ignorantes Auftreten konnten die Kluft zwischen Besatzern und Bevölkerung nicht verringern.
 
Da ich gerade wenig Zeit habe, auch wenn es platt klingt: Der Krieg im Iraq war ein Disaster, wo Dummheit und Verantwortungslosigkeit sich untereinander abwechselten.
 
Da ich gerade wenig Zeit habe, auch wenn es platt klingt: Der Krieg im Iraq war ein Disaster, wo Dummheit und Verantwortungslosigkeit sich untereinander abwechselten.
Ich sehe eher eine Parallelität davon als ein Abwechseln...
Ich halte beide von mir zitierten Kommentare für keine zutreffende Beschreibung des 3. Golfkrieges. Man sollte Krieg und Nachkriegszeit trennen. Gehen wir mal zu der Zeit vor dem Krieg zurück. Mir klingen da noch einige Militärexperten im Ohr, welche vor der kampfstarken "Republikanischen Garde" warnten. Der Krieg würde für die US-Truppen furchtbar werden, etc ...
In Wirklichkeit wurde die irakische Armee in kurzer Zeit vermichtend geschlagen.

Nächster Punkt, welcher in Deutschland gerne ignoriert wird:
Im Irak herrschten die Sunniten, eine Minderheit, über die beiden großen Gruppen der Schiiten und Kurden. Diese Herrschaft war extrem grausam. Die beiden anderen großen Bevölkerungsgruppen wurden drangsaliert. Unvergessen ist hier das Massaker von Halabdscha an den Kurden.

https://de.wikipedia.org/wiki/Giftgasangriff_auf_Halabdscha

Die Motive der Amis waren da sicherlich nicht von Gutmenschentum geprägt. Jedoch ist erstmal das Beseitigen des Saddam-Regimes per se eine gute Tat. Ich weine diesem Typen keine Träne nach.
Der Fehler wurde dann in der Zeit nach dem militärischen Sieg begannen. Die USA trauten den Schiiten als Mehrheit im Irak nicht. Man hatte Angst, dass der schiitische Iran einen zu großen Einfluss auf den Süden des Iraks bekommen konnte. Den Sunniten konnte man auch nicht vertrauen, da diese gerade ihre langjährige Dominanz über das Land verloren hatten und Rache wollten. Den Kurden konnte man auch keine Machtposition gewähren, da hier die Türkei dies verhinderte. Deshalb versuchte man das Land irgendwie zusammen zu halten und die Bevölkerungsgruppen zur Zusammenarbeit zu zwingen. Wie schon in Bosnien-Herzegowina funktioniert das auch dort nicht. Es bleibt halt nichts zusammen, was nicht zusammen gehört.
Die US-Besatzung musste mit schlechten Voraussetzungen kämpfen und hat es auch nicht in den Griff bekommen. Für die Bevölkerung war das Leben unter Saddam schlecht und unter der US-Besatzung ging es noch weiter bergab. Neben materieller Not wurde das Land mit Terror - überwiegend aus sunnitischen Kreisen - überzogen.

Jedoch sollte man heute mal die Lage in Basra anschauen - die Metropole der irakischen Schiiten. Was man in den Medien verfolgen kann, geht es dort wirtschaftlich aufwärts. Die Schreckensherrschaft der Sunniten ist Vergangenheit und mit dem Iran hat man ein Verhältnis gefunden, welches den arabisch-schiitischen Irakern Souveränität gibt.

Das autonome Kurdengebiet hätte ebenfalls wirtschaftlich besser dastehen können, als unter Saddam. Das Problem hier ist die ständige Einmischung der Türkei und sunnitische Eroberungen unter der Fahne des IS.

Für die arabisch-sunnitische Mitte sieht es eher düster aus. Falladschuh wurde gefühlt 10 x erobert und in Trümmern gelegt. Hier hat man sicherlich von US-Seite am meisten falsch gemacht.
 
Nächster Punkt, welcher in Deutschland gerne ignoriert wird:
Im Irak herrschten die Sunniten, eine Minderheit, über die beiden großen Gruppen der Schiiten und Kurden. Diese Herrschaft war extrem grausam. Die beiden anderen großen Bevölkerungsgruppen wurden drangsaliert. Unvergessen ist hier das Massaker von Halabdscha an den Kurden.
Du kannst mir wohl glauben, dass mir das alles sehr bewusst ist. Aber das war nicht der Grund des Krieges. Der Angriff auf Ḥalabǧa fand vor dem Kuweitkrieg statt. Also wenn man Saddam dafür hätte bestrafen wollen, dann doch 1988. Oder wenigstens 1990 während des Kuweitkriegs, als man den Shi'iten erst Hoffnung gemacht hat und als sie dann in offen Rebellion gegangen sind, von alliierter Seite den Krieg... öhm... beendet und die Shi'iten in der ... hat sitzen lassen.

Man hat 2003 einen Krieg vom Zaun gebrochen unter fadenscheinigen Gründen - womit ich nicht in Abrede stelle, dass Saddam ein grausamer Diktator war - hat die Weltgemeinschaft belogen, "Beweise" gefälscht. Man war im Kampf gegen al-Qa'ida - absolut berechtigt - greift dann aber ein weiteres islamisches Land an, welches - obwohl ebenfalls sunnitisch - ideologisch mit al-Qa'ida überhaupt nichts zu schaffen hat, der Präsident benutzt dabei das Wort crusade (wie dämlich kann man sein?!?), ist absolut beratungsresisten gegenüber den Verbündeten, man hat überhaupt keinen Plan dafür, was nach dem Krieg passieren soll (außer vielleicht, wer ans 'iraqische Öl herankommen sollte), missachtet nach der Flucht Saddams jegliche kulturelle Gepflogenheit (etwa, was den Privatbereich im islamischen Haus angeht), lässt Plünderer (etwa des 'iraqischen Nationalmuseums) gewähren, lässt Waffenarsenale unbeaufsichtigt. Eingesetzt in diesem Krieg werden (formal) erwachsene Kinder, deren Eltern ihre ethische Erziehung Ego Shootern überlassen haben, dementsprechend handeln diese GIs dann auch und ermorden teilweise unbewaffnete Leute auf der Straße, mit Distanzschussgewehren, aus Helikoptern oder via Drohnen.

Und dann hat man den Krieg, nachdem man ihn offiziell für beendet erklärt hat, outgesourct, indem man Verantwortung an Söldnerfirmen wie Blackwater abgetreten hat und sich damit noch mehr der politischen Kontrolle dessen, was die eigenen Streitkräfte taten, beraubt.

Jedoch ist erstmal das Beseitigen des Saddam-Regimes per se eine gute Tat. Ich weine diesem Typen keine Träne nach.
Das ist ein zweischneidiges Schwert. Im Westen würde niemand der geistig gesund ist, Saddam eine Träne hinterherweinen. Sein Sturz aber hat al-Qa'ida in den 'Iraq geholt, den IS überhaupt möglich gemacht. Für die Christen des 'Iraq war der Sturz Saddams eine Katastrophe. Sie sind erst ins Fadenkreuz von al-Qa'ida und dann des IS geraten.

Halten wir fest: Die Amerikaner hatten
- keine Ahnung von den Verhältnissen vor Ort
- keinerlei kulturelle Sensibilität (auch bei den Shi'iten sind sie überaus unbeliebt)
- kein Konzept für die Zeit nach dem Krieg
- ziemlich offensichtlich und dreist die Weltgemeinschaft belogen ("I am not convinced", Joschka Fischer), wie Colin Powell später zugab
- versucht die Franzosen und Deutschen unter Druck zu setzen

Mit diesem Krieg haben die USA (und ihre Verbündeten, die Aznars und Kaczinskys) die westlichen Werte in der islamischen Welt auf Jahrzehnte diskreditiert.
 
Kriegsgrundfrage: abgehakt. Frei nach Fouche: Das ist mehr als ein Verbrechen, das ist (war) ein Fehler.
Kriegsverbrechen von Kombattanten sind - fatalistisch betrachtet - kriegsimmanent (was nichts mit der Frage zu tun, sie zu ahnden). Unterschiede bestanden/bestehen historisch-empirisch nur in Intensität und Ausmaß, sowie im Anspruch, sie zu vermeiden und sie zu verfolgen.

Was von dem Rest (Tatsachenbehauptungen, Meinungen, Relevantes und Irrelevantes) ist nach Deiner Auffassung sine ira et studio diskutabel?
 
Also wenn man Saddam dafür hätte bestrafen wollen, dann doch 1988. Oder wenigstens 1990 während des Kuweitkriegs, als man den Shi'iten erst Hoffnung gemacht hat und als sie dann in offen Rebellion gegangen sind, von alliierter Seite den Krieg... öhm... beendet und die Shi'iten in der ... hat sitzen lassen.

Ich möchte hier jedoch hinzufügen, dass die alliierten Kriegsziele im Irak-Kuweit-Krieg (auch 2. Golfkrieg) 1990/91 durch die UNO-Resolutionen 660 und 678 definiert waren:

https://www.un.org/Depts/german/sr/sr_90/sr660-90.pdf
https://www.un.org/Depts/german/sr/sr_90/sr678-90.pdf

Danach war der Rückzug der irakischen Truppen aus Kuweit und damit die Wiederherstellung der kuweitischen Souveränität das Ziel, und nicht den Sturz der damaligen Regierung des Irak oder der Loslösung der schiitischen oder kurdischen Bevölkerungsgruppen bzw. -gebiete vom irakischen Staat. Also es sollte nur der Status quo ante 01. August 1990 (Invasion Kuweits durch Irak) hergestellt werrden.

Zum Schutz der Kurden und Schiiten im Norden bzw. Süden des Irak wurden sogenannte Flugverbotszonen gemäß UNO-Resolution 688 eingerichtet:

https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Northern_Watch
https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Southern_Watch
 
Die Bemerkung von ElQ bezieht sich auf das broadcasting eines US-Aufrufs an die Iraker, sich der Herrschaft Saddams zu entledigen.
Das wurde in Berichterstattungen wie die der BBC - sozusagen einfache Kausalkette - so ausgelegt, man habe von alliierter Seite quasi initiiert. Ob die Aufrufe (kausal-final) tatsächlich etwas mit den Aufständen zu tun hatten, ist außerhalb von Behauptungen in populären Darstellungen mW nicht/nirgends belegt.

Der Aufstand im Süden brach jedenfalls nach dem Waffenstillstand vermutlich im Vorbeizug geschlagener irakischer Truppen aus, die "randalierten", verstärkt durch desertierende Truppenteile auf der Seite der Aufständischen.

Andere Schuldzuweisungen an die Alliierten bezogen sich weniger darauf, dafür verantwortlich zu sein, als eher darauf, nicht die Ziele angesichts des Aufstandes "ausgeweitet" zu haben ("im Regen stehen lassen").
"Formalrechtlich" interessant an der Forderung ist, dass dies ein UN-Mandat ebenso überschritten hätte wie das 12 Jahre später der Fall war.
 
Das eigentliche Thema scheint nicht mehr im Blick zu sein. Deswegen auch im Hinblick auf den Irak die thematische Hinwendung.

Eine breitere Einordnung zum US-Exzeptionalismus erfolgte hier (vgl. #25)
https://geschichtsforum.de/thema/historische-verantwortung.49249/page-2#post-725903"

Im Prinzip ist die Strategie der USA in Deutschland nach 1945 und im Irak nach 2003 die gleiche. Das Übertragen zentraler Paradigmen, wie sie in #19 und 20 beschrieben worden sind und komplett in der Diskussion ignoriert wurden, war der Versuch der Umgestaltung von Gesellschaften. Und im Fall von Deutschland konnte diese Strategie an die demokratischen Traditionsbestände in Deutschland von vor 1933 erfolgreich anknüpfen.

Diese Sichtweise auf eine Umgestaltung von Gesellschaften im Sinne eines liberalen, kapitalistischen und demokratischen System ist explizit bei Lipset und Lakin noch einmal ausformuliert. Und man könnte erwähnen, dass regelmäßig Vertreter des Pentagon - in Uniform - bei den entsprechenden Panel beispielsweise der ISPP anwesend waren, die teilweise als "geheim" klassifiziert worden sind.

In Bezug auf den Irak-Krieg formuliert Bacevitch entsprechend:
„Das Vertrauen in die militärischen Fähigkeiten entsprach dem Vertrauen in die Universalität der amerikanischen Werte nach dem Ende des Kalten Krieges und verstärkte es zugleich. Zusammen ergaben sie eine Schlagkombination, gegen die kein Kraut gewachsen zu sein schien.“ (S. 152)

und fährt in diesem Sinne fort:

„Die Forderung nach Überlegenheit auf alle Ebenen spielte im militärischen Bereich dieselbe Rolle wie Francis Fukuyamas bekannte Proklamation vom „Ende der Geschichte“ auf dem Gebiet der Ideologie. Beide nahmen für sich in Anspruch, letzte Wahrheiten aufgedeckt zu haben. Für Fukuyama stellte der demokratische Kapitalismus das Endstadium der politisch ökonomischen Evolution dar. …“ (S. 153).

Die „Pazifizierungsstrategie“ der USA für den Irak lehnte sich explizit an die Blaupause in Deutschland und Japan nach 1945 an (Mann, S. 232). Es gab jedoch frühzeitig massiven Widerspruch von kompetenter Seite wie Chalmers Johnson, John Dower und Ian Buruma, die auf die gravierenden Unterschiede hinwiesen und ein Scheitern aufgrund der religiösen und kulturellen Unterschiede prognostizierten. Trotz engagierter Versuche der Pazifizierung durch einzelne Vertreter der US-Administration ist die Übertragung des US-Modells auf den Irak gescheitert.

Im Ergebnis waren ca. 4500 US-Soldaten (bis 15.12.211) gestorben (Schöllgen, S. 212), ca. eine halbe Million irakische Zivilisten getötet und die Region so destabilisiert, dass sie als eigenständiges geostrategisches Machtzentrum nicht in Erscheinung treten kann.

Bacevich, Andrew J. (2009): Grenzen der Macht. Das Ende des amerikanischen Traums? Hamburg: Hoffmann und Campe.
Lipset, Seymour Martin; Lakin, Jason M. (2004):The democratic century. Norman: University of Oklahoma Press
Mann, Michael (2006): Incoherent empire. Charlesbourg, Quebec: Braille Jymico Inc.
Schöllgen, Gregor (2019): Krieg. Hundert Jahre Weltgeschichte. München: Pantheon.
 
Zuletzt bearbeitet:
Eingesetzt in diesem Krieg werden (formal) erwachsene Kinder, deren Eltern ihre ethische Erziehung Ego Shootern überlassen haben, dementsprechend handeln diese GIs dann auch und ermorden teilweise unbewaffnete Leute auf der Straße, mit Distanzschussgewehren, aus Helikoptern oder via Drohnen.

Das geschieht in jedem Krieg. Wenn der Feind entmenschlicht wird (hadschi nennt der GI den Namenlosen der ja eh immer ein Feind ist) und dann noch so ein asymetrischer Konflikt mit dieser diffusen Bedrohungslage (eher Anschläge als wirklich Krieg) dazu kommt dann haben Computerspiele als Allerletztes damit zu tun.
 
Das würde ich so nicht sagen. Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass die Bereitschaft, einen Gegner zu töten seit dem Aufkommen der Ego-Shooter und inbesondere seitdem diese graphisch einigermaßen realistisch sind, zugenommen hat. Demnach ist das Verhältnis von abgefeuerten Schüssen zu tödlich verletzten Gegnern unabhängig von der Güte der Waffen seit dem Aufkommen der Ego Shooter exponentiell angestiegen. Es ist ja nicht von ungefähr so, dass die Armee der Vereinigten Staaten an manchen Ego Shootern auch finanziell beteiligt ist, teils natürlich, um Leute zu triggern.

Damit will ich keinesfalls Ego Shooter verteufeln oder einen Automatismus behaupten. Aber es gibt Menschen mit wenig gefestigten Charakteren, deren Konsum solcher Spiele so hoch ist, dass sie zwischen Realität und Spiel nicht mehr einwandfrei unterscheiden können. Das ist nur ein Teil der Gamer, betrifft bei weitem nicht die ganze Community, du kannst also weiter (wahrscheinlich) gefahrlos First Person Shooter spielen.


Zum Thema diffuse Bedrohungslage: Die hat es gegeben. Aber ein paar Leute, die sich auf der Straße unterhalten, die nicht einmal wissen, dass sie beobachtet werden, stellen keine diffuse Bedrohungslage dar, sie sind eher ganz konkret bedroht, wenn sie plötzlich aus der Distanz ermordet werden. Ich rede hier nicht von az-Zarkawis al-Qa'ida-Kombattanten, sondern von normalen 'Iraqis, die "nach" dem Krieg auf der Straße standen und für ein paar dumme Jungs gerade ein tolles Ziel abgaben. Diese Soldaten waren um keinen Deut besser, als die Gesäßviolinen von al-Qa'ida.
 
Der Prozentsatz an psychisch Gestörten die fiktion und realität nicht trennen können reicht nicht um eine Armee zu füllen.

in den 70/80ern waren es die Videofilme, danach MTV und Marilyn Manson und jetzt sind es die Computerspiele.

Das das töten aus der Distanz durch Kameras oder gar per Fernsteuerung etwas geändert hat ist richtig.
Dass das Bedienen eines joysticks/joypads meiner Generation leichter fällt ist auch richtig.

Aber z.b. in Neitzles "Soldaten" finden sich Charaktere die einfach Spaß am Sadismus haben - ganz ohne Egoshooter.
 
Natürlich. Aber es gibt diese Korrelation, und sie ist nicht damit von der Hand zu weisen, dass seit dem Aufkommen der Ego Shooter die Bereitschaft den Gegner auch zu treffen gewachsen ist, dass es immer auch Sadisten gegeben hat.
 
Liegt das nicht eher daran das der heutige Soldat viel besser motiviert und trainiert ist und auch freiwillig Soldat wurde?
 
Ich habe einen Artikel "zugespielt" bekommen, der - wie ich dem Abstract entnehme - meine Behauptung bzgl. Compterspielen zwar nicht völlig in Abrede stellt, aber zumindest die Methoden kritisiert, die angewandt wurden und die Schlussfolgerung, dass das Spielen von Ego Shootern bei einigen charakterlich ungefestigten Personen die Bereitschaft zu töten fördere, mit den bisher angewandten Methoden nicht zulässt. Wirklich gelesen habe ich ihn noch nicht.

The Myth of Blunted Gamers: No Evidence for Desensitization in Empathy for Pain after a Violent Video Game Intervention in a Longitudinal fMRI Study on Non-Gamers
 
Die massive Kontroverse zeigt sich an der Anderson-Studie 2010 (neben anderen)

Kritik:
Violent video games are theorized to be a significant cause of aggressive thoughts, feelings, and
behaviors. Important evidence for this claim comes from a large meta-analysis by Anderson and colleagues (2010), who found effects of violent games in experimental, cross-sectional, and longitudinal research. In that meta-analysis, the authors argued that there is little publication or analytic bias in the literature, an argument supported by their use of the trim-and-fill procedure. In the present manuscript, we re-examine their meta-analysis using a wider array of techniques for detecting bias and adjusting effect sizes. Our conclusions differ from those of Anderson and colleagues in three salient ways. First, we detect substantial publication bias in experimental research on the effects of violent games on aggressive affect and aggressive behavior. Second, after adjustment for bias, the effects of violent games on aggressive behavior in experimental research are estimated as being very small, and estimates of effects on aggressive affect are much reduced. In contrast, the cross-sectional literature finds correlations that appear largely unbiased. Third, experiments meeting the original authors’ criteria for methodological quality do not yield larger adjusted effects than other experiments, but instead yield larger indications of bias, indicating that perhaps they were selected for significance. We outline future directions for stronger experimental research. The results indicate the need for an open, transparent, and pre- registered research process to test the existence of the basic phenomenon.

Despite decades of research and hundreds of studies, however, the basic phenomena remain debated. For proponents, the effects are obvious, robust, and nearly ubiquitous. For skeptics, the research is not as clean nor the effects as obvious as has been presented. Instead, skeptics point to a host of issues including construct validity, null findings, and publication bias as undermining the evidence for violent game effects (see, for example, Elson & Ferguson, 2014).

Hilgard, Joseph, Christopher R. Engelhardt, and Jeffrey N. Rouder. Overstated evidence for short-term effects of violent games on affect and behavior: A reanalysis of Anderson et al.(2010).



Replik:
A large meta-analysis by Anderson et al. (2010) found that violent video games increased aggressive thoughts, angry feelings, physiological arousal, and aggressive behavior and decreased empathic feelings and helping behavior. Hilgard, Engelhardt, and Rouder (2017) reanalyzed the data of Anderson et al. (2010) using newer publication bias methods (i.e., precision-effect test, precision- effect estimate with standard error, p-uniform, p-curve). Based on their reanalysis, Hilgard, Engel- hardt, and Rouder concluded that experimental studies examining the effect of violent video games on aggressive affect and aggressive behavior may be contaminated by publication bias, and these effects are very small when corrected for publication bias. However, the newer methods Hilgard, Engelhardt, and Rouder used may not be the most appropriate. Because publication bias is a potential a problem in any scientific domain, we used a comprehensive sensitivity analysis battery to examine the influence of publication bias and outliers on the experimental effects reported by Anderson et al. We used best meta-analytic practices and the triangulation approach to locate the likely position of the true mean effect size estimates. Using this methodological approach, we found that the combined adverse effects of outliers and publication bias was less severe than what Hilgard, Engelhardt, and Rouder found for publication bias alone. Moreover, the obtained mean effects using recommended methods and practices were not very small in size. The results of the methods used by Hilgard, Engelhardt, and Rouder tended to not converge well with the results of the methods we used, indicating potentially poor performance. We therefore conclude that violent video game effects should remain a societal concern.
Kepes, Sven; Bushman, Brad J.; Anderson, Craig A. Violent video game effects remain a societal concern: Reply to Hilgard, Engelhardt, and Rouder (2017)


Einen ähnlich massiven Streit führt man um die Frage, ob kognitive Fähigkeiten (die nach anderen angeblich militärisch genutzt werden könnten) trainiert und erhöht werden.
 
Es würde ja schon reichen, wenn Ego-Shooter nicht mehr Gewaltbereitschaft verursachen, aber die Umsetzung von "das könnte ich doch mal machen, das wäre cool" in "das mache ich jetzt, das ist cool" verstärken. Wie viele moderne Technologie beschleunigt sich hier das Leben im Vergleich zu früheren Zeiten. Und während früher auch schon geträumt wurde, werden solche Träume heute durch Technik unterstützt, d.h. es reicht weniger Vorstellungsvermögen um bereits genauso tief in eine Welt einzutauchen.
 
Denken kann man sich vieles.

Mit Denkgebilden ("Evidenzen", "Offensichtlichkeiten") werden gern Debatten geführt, man könnte auch sagen: befeuert.
Skepsis gegenüber (nur) behaupteten Kausalketten ist anzuraten. Anderenfalls führt das nur dazu, dass andere Faktoren ausgeblendet werden. Was sind Fakten, was ist Fantasy?
 
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