"Germanien im strömenden Regen"

silesia

Moderator
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Gibt es abseits der antiken Quellen naturwissenschaftliche Publikationen, die sich mit dem Klima Germaniens, speziell den Niederschlagsmengen zur Römerzeit, auseinandersetzen?

Der Zeitraum um AD 9 gehörte zu einer ausgesprochenen Warmperiode mit Durchschnittstemperaturen höher (?) als heute.
Natürlich schwingt in der Frage die Vorstellungen über die Sommer seit 2003 vergleichsweise mit.
Ist das überhaupt vergleichbar?

(Die bedeutenden geologischen Faktoren, soweit klimatisch wichtig) dürften sich in den 2000 Jahren kaum verändert haben.)
 
Moin
Bin ja kein Fachmann, aber ich denke anhand einer Durchschnittstemperatur lässt sich noch keine Aussage über Niederschlagsmengen treffen. Schon gar nicht über die Intensität und Verteilung.
Oder hat hier jemand Indikatoren parat, anhand denen man Niederschläge vor 2000 Jahren festmachen kann?
Gruß
Andreas
 
Das sollte über die Jahresringe bei Bäumen nachvollziehbar sein. Das Problem ist nur, das man auch sicher sein muss, das das Holz aus der Gegend ist. Dicke Jahresringe deuten auf höhere Temperaturen und Niederschläge hin. Aber die Frage ist, ob es schon untersuchungen dazu gibt und die Ergebnisse schon veröffentlicht worden sind.
 
@Apvar
Klar kann man über Jahresringe Klimadaten abgreifen, aber eben nur Jahresdaten. Ich bezweifel, dass daraus eine Regenverteilung oder Intensität abzulesen ist!
 
Bei schlechten klimatischen Bedingungen, wie zu kalt oder zu trocknen, sind die Jahresringe dünner als normal. Der Umkehrschluss ist eigentlich, das mit optimaleren Bedingungen die Ringe dicker werden.
Nur wie gesagt, man braucht Holz aus der Gegend und auch entsprechendes Vergleichsmaterial.
 
Drei Aspekte treten hervor, wenn man für Mitteleuropa durchblättert: Gletscher, Seehöhen, Dendroklimatologische Untersuchungen.

Für Ägypten und den Nahen Osten (in der Zeit offenbar verregneter als heute) gibt es einige Analysen zu Seespiegeluntersuchungen und den Klimaabdruck in Jahresringen.
Für Mitteleuropa findet sich wenig.
 
Mit den Seespiegeluntersuchungen kommst du mir gerade zuvor, silesia, in Feuchtbodenmilieus (Seeuferbereiche, Sümpfe) lohnt sich auch die Bodenbeprobung: Anhand von eingelagerten Pollen kann man zwar auch keine Niederschlagsmenge messen, aber die Zusammensetzung und Dichte der Pflanzenpollen verrät uns a) etwas über den menschlichen Einfluss auf die Flora der Region als auch etwas über das Wetter. Feuchtigkeits- und trockenheitsliebende Pflanzen hinterlassen so, auch nach Jahrhunderten noch, ihre Visitenkarten im Feuchtbodenarchiv.
 
Ein große Bedeutung scheinen außerdem die Analysen zu den nordatlantischen und arktischen Großströmungen zu haben.
Diese weisen gravierende Veränderungen auf (ist bei der Wikingerdiskussion um Island/Grönland/Shetlands etc. angesprochen worden).

Die Strömungen bestimm(t)en das nordatlantische Großklima, bzw. präg(t)en die längeren Perioden, diese wiederum stehen in direktem Zusammenhang mit den zentraleuropäischen Klimaverhältnissen (Temp./Niederschl.).
 
@silesia, mir ist nicht ganz klar, was der Hintergrund deiner Fragestellung ist? Möchtest du Daten haben, ob und wie wahrscheinlich ein Starkregen zum Zeitpunkt des Varus-Ereignisses war (da du "um AD 9" erwähnt hast)?
 
Mir geht es nicht um Klimakontext für ein einzelnes, zu datierendes Ereignis, weil das zu beschreiben unmöglich ist.

Mit geht es um die Jahrhunderte, und möglicherweise auch um sich unterschiedliche Wahrnehmungen.

Zwischen 0/100 AD (nach dem Roman Climatic Optimum bzw. der Römischen Warmperiode) setzte eine 8 Jahrhunderte dauernde Abkühlung ein (bis zur mittelalterlichen Warmzeit). Den atlantischen Verschiebungen folgend, und in Anlehnung an Langzeituntersuchungen und auch verblüffend hohen Korrelationen (Stalagmiten-Wachstum - Niederschläge - Temperaturen etc.) zB für Schottland, könnte um 0 eine Durchschnittstemperatur von ca. 1 (bis 2?) Grad höher als heute geherrscht haben, mit für den genannten Bereich deutlich geringeren Niederschlägen. Das wären dekaden-stabile Verhältnisse wie 2003 oder 2018.

Um AD 200 müßte das dann wieder völlig anders ausgesehen haben, dekaden-stabile massive Abkühlung und Nässe.

Aber ich bin immer noch beim Ausgangspunkt: Klimafakten zur Germania um AD 1, oder "nördlich der Alpen bis zur Nordsee"
 
oder vielleicht noch eine Analogie:

ist die Germania der Römischen Warmzeit mit den Verhältnisse der Mittelalterlichen Warmzeit (nach 800) vergleichbar?
Die Gleichsetzung würde evt. die Einschätzung vereinfachen.
 
Aus dem von mir oft referenzierten weil auch für das Verständnis der Okkupationszeit wichtigen Wikipedia Artikel über das Klimaoptimum der Römerzeit:

„Der Klimatologe Christian-Dietrich Schönwiese entwarf 1979, unter Rückgriff auf Arbeiten von Hubert Lamb und Hermann Flohn, eine Periodisierung der Klimageschichte des Holozän. Darin kennzeichnete er mit dem Begriff „Optimum der Römerzeit“ – unter Verweis auf die Klimaverhältnisse im Alpenraum und in Nordafrika – eine Epoche von 300 v. Chr. bis 400 n. Chr. als niederschlagsreich und ähnlich warm oder wärmer als die Mittelalterliche Warmzeit.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Optimum_der_Römerzeit
 
Der Artikel ist bekannt, auch der englisch mit Verweisen, das hilft mir bei der Frage nicht weiter, aber Dank für den erneuten Hinweis.

Das betrifft den Mittelmeerraum (von Spanien bis Ägypten), der die inzwischen bestätigte Kombination warm/nass aufgewiesen hat. Mir ging es auch nicht um den Namensgeber der RWP/RCO.

Mit geht es um den mitteleuropäischen Raum nördlich der Alpen. Und dort die Frage: warm/trocken?
 
Ohne Zahlen aber eine Überlegung: Wenn es in Germanien damals wärmer gewesen wäre, hätten die Römer dann nicht linksrheinisch den Weinbau weiter nach Norden ausgedehnt?
 
Die referenzierten Veröffentlichungen im Wiki Artikel beziehen sich oftmals auf die gesamte nördliche Hemisphäre, ich denke schon dass du da auch für Nordwesteuropa fündig wirst. Das Problem bei den Referenzen ist allerdings dass man zum Abrufen der Dokumente oftmals irgendwelche Zugänge braucht.

Oder frag einfach mal Brian Dermody. Wer sich mit virtueller Wasserverteilung im Römischen Reich beschäftigt weiß bestimmt auch wieviel reales Wasser vor Ort vorhanden war, z. B. in Gallien. Brian wollte bei einer seiner nächsten Simulationen auch das Römeroptimum berücksichtigen.
 
Die Artikel habe ich gesehen, auf einige habe ich auch Zugriff.
Das ist allerdings recht unübersichtlich, von daher eben die Frage nach einer Referenz oder Zusammenfassung des Forschungsstandes.

@Solwac:
Ich habe keine Ahnung vom Weinbau, sind da nicht auch die Lagen/Böden ein Faktor (neben der Temp.)?
Man findet allerdings Aufsätze über römischen Weinbau in England.
 
Ohne Zahlen aber eine Überlegung: Wenn es in Germanien damals wärmer gewesen wäre, hätten die Römer dann nicht linksrheinisch den Weinbau weiter nach Norden ausgedehnt?
Nicht unbedingt, ist ja nicht umsonst so, dass die besten Weinanbaugebiete in Dtld. (die Sachsen und Franken werden mich dafür massakrieren) an Rhein und Mosel liegen, in den Steillagen des Rheinischen Schiefergebirges, direkt über den Flüssen, welche die Hitze des Tages speichern und in der Nacht abgeben. Schon in den Seitentälern von Rhein und Mosel findest du kaum noch Weingärten, eben weil die Wirkung des Flusses fehlt. Wenn man oben an den Kanten entlang läuft, kann man richtig spüren, wie von unten ein warmer Wind hochsteigt. Insofern spielt das Mikroklima eine ganz erhebliche Rolle.
 
Bei den Untersuchungen über die Veränderungen des Verlaufs der Nordseeküste im Bereich der heutigen Niederlande gibt es folgenden Text:

Lobrede auf Kaiser Constantius aus dem Sommer des Jahres 297.
Panegyricus Latinus 8,6:
... Das Gebiet, durch das die Schelde fließt [...], das durch deine göttlichen Kampagnen, Caesar, von Feinden befreit wurde, ... es ist eine Tatsache, dass dieses Land schwimmt auf dem, was es darunter gibt und [...] dass solche Gelände dienen kann Soldaten im Seekrieg Praxis üben zu lassen. [...]
Übersetzt nach Mynors, Nixon and Saylor Rodgers, S. 120-122

Zuvor war dieses Land bewohnt, insbesondere die Häfen Domburg und Ganuenta waren wichtige Stationen für den Handel mit Britannien und die Versorgung der dortigen Garnisonen. Solche Veränderungen können nicht ohne eine höhere Frequenz der Niederschläge und/oder höhere Temperaturen (Gletscherschmelze in den Alpen, höherer Wasserstand des Rheins) stattfinden.
 
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