Zahl der Kriegsfreiwilligen August 1914

Laura123

Mitglied
Hallo zusammen,

hat jemand von euch Zahlen/Schätzungen zur der Anzahl der deutschen Kriegsfreiwilligen im August 1914. Ich weiß, dass das "Augusterlebnis" in der Forschung kontrovers ist und gerade daher hätten mich Zahlen interessiert. Ich finde in meiner mir griffbereiten (und sicher nicht perfekt passenden) Literatur nur sehr vage Formulierung à la "viele Tausende". Hätte jemand eine genauere Einschätzung?

Vielen Dank,
Laura
 
In "To hell and back", S. 42, wird die Zahl mit ca. 250000 beziffert
"mehr als eine Viertelmillion Männer eilten in Deutschland als Freiwillige in den ersten Tagen des August zu den Waffen. Angesichts der Tatsache, dass nahezu die gesamte männliche Bevölkerung der Wehrpflicht unterlagen, die lediglich Personen des Alters unter 17 und über 50 ausnahm, ist das eine beeindruckende Zahl".
(Übersetzung durch mich)
Leider gibt Kershaw dazu, und auch ansonsten, keine Quellen an.
Vergleicht die Zahl von gut 250.000 mit der Britischen Zahl von 300.000 Freiwilligen im gesamten August 1914, wo keine Wehrpflicht besteht, mithin es überhaupt nur Freiwillige gibt und daher der mögliche Kreis alle umfasst, und nicht nur eine Minderheit, wie im DR.
Sehr bedauerlich bleibt, dass das Buch Kershaws völlig auf Quellenbelege verzichtet und lediglich auf eine Literaturliste verweist.
 
"mehr als eine Viertelmillion Männer eilten in Deutschland als Freiwillige in den ersten Tagen des August zu den Waffen. Angesichts der Tatsache, dass nahezu die gesamte männliche Bevölkerung der Wehrpflicht unterlagen, die lediglich Personen des Alters unter 17 und über 50 ausnahm, ist das eine beeindruckende Zahl".
(Übersetzung durch mich)
Leider gibt Kershaw dazu, und auch ansonsten, keine Quellen an.
Da wäre jetzt insgesamt ein Quellenbeleg sehr interessant um zu erfahren, wie sich die Zahl zusammensetzt. Das es die Wehrpflicht gab, wiederspricht ja nicht der Tatsache, dass nur ein Bruchteil der theoretisch Wehrpflichtigen überhaupt eingezogen werden konnte, weil der weitüberwiegende Teil ja doch an der "Heimatfront" zur Aufrechterhaltung der kriegswichtigen Wirtschaft benötigt wurden. Mit der späteren Rotation der Mannschaften durch das Todes- und verletzungsbedingte Ausscheiden von Mannschaften wurde dieser Anteil zwar stetig kleiner, aber in den ersten Tagen des August war der durchaus gegeben.
Deswegen wäre hier interessant, wie genau "freiwillig" definiert wird, denn selbstredend kann auch ein theoretisch Wehrpflichtiger, der aber aus welchem Grund auch immer nicht zum aktiven Dienst an der Waffe herangezogen wurde in freiwilliger Weise um Frontverwendung bitten.



Vergleicht die Zahl von gut 250.000 mit der Britischen Zahl von 300.000 Freiwilligen im gesamten August 1914, wo keine Wehrpflicht besteht, mithin es überhaupt nur Freiwillige gibt und daher der mögliche Kreis alle umfasst, und nicht nur eine Minderheit, wie im DR.
Sehr bedauerlich bleibt, dass das Buch Kershaws völlig auf Quellenbelege verzichtet und lediglich auf eine Literaturliste verweist.
Dann muss man aber auch berücksichtigen, dass die Briten durch ihr Berufsheer bereits vor dem August 1914 ein gewisses Potential an Freiwilligen in Form von stehenden Formationen ständig ausgeschöpft hatte. Ferner auch die im Vergleich mit Deutschland geringere Bevölkerungszahl und den zu diesem Zeitpunkt bereits virulenten Irland-Konflikt, der da sicherlich auch die Rekrutenreservn negativ beeinträchtigte, denn wozu hätten die Iren, die ja von Großbritannien weg wollten, sich in größerer Zahl verpflichten sollen für eben dieses Britannien zu kämpfen?

Naval scare hin oder her, schob die britische Bevölkerung auch sicherlich nicht in dem Umfang Einkreisungsobsessionen, wie das die Deutsche angesichts des russisch-französischen Bündnisses tat, wie auch das Prestige des Landheeres, dass in Deutschland ja nach wie vor gesellschaftliche wesentlich höher war, als in Großbritannien.
Insofern wäre da eine gewisse Differenz durchaus rational erklärbar und es ist demnach sehr schade, wenn Kershaw dazu keine konkreten Belege liefert.
Ich danke trotzdem.
 
250.000 (auch zB bei Showalter genannt) sind eine grobe Schätzung für 1914.
Da überwiegend sehr junge Männer, und nach einzelnen bekannten Regionen vorwiegend Städter, ist diese Zahl für die deutsche Kriegswirtschaft auch weniger desaströs als vielmehr die Aufstockung der stehenden Armee auf Kriegsstärke im durchgezogenen Mob.fall, durch Bildung der Reservedivisionen. Diese führte im Herbst 1914 zu den bekannten drastischen Folgen.

Verhey, The Spirit of 1914 - Militarism, Myth and Mobilization in Germany, 2004, S. 97-98, sowie Fußnote

Zitat:
On 4 August newspapers reported that vast crowds of young men were gathering in front of the barracks, volunteering for the army, and that vast crowds of young women were volunteering for the Red Cross. On 11 August newspapers reported that over 1,300,000 men had already vol- unteered. On 16 August the Norddeutsche Allgemeine Zeitung repeated this information, making it official, and it (or a larger number) would be repeated throughout the war, and in most history books up till the present day.
Yet the press vastly exaggerated. About 185,000 men volunteered in August 1914. (In 1926, the War History Division of the Prussian army did a study on manpower in the First World War. The author of this study – employing archival materials destroyed in the Second World War – wrote that up till 11 August 1914 the Prussian army reported that 260,672 had attempted to volunteer; of these 143,922 were accepted. If one adds up the figures for the other armies [32,000 for Bavaria, 8,619 for Wurttemberg, and probably around 10,000 for Saxony] one comes up with 185,000.(106)

Although the press vastly exaggerated, 185,000 is evidence of a broad enthusiasm among at least sections of Germany youth. In the war of 1870/1871, there were less than 10,000 volunteers in the whole North German Federation. The German army’s manpower needs were met through the draft, meaning that most young men could not volunteer – they were already assigned to a division. Only those under seventeen or over fifty, those who had had an exemption, or whose reserve division had not yet been called up, could volunteer. Moreover, the draft meant that those who did wish to volunteer had difficulties finding an army division with an opening.107 As most divisions were not accepting any volunteers, young men gathered in long queues in front of the few divisions that were. Recognizing this difficulty, the government provided prospective volun- teers with free train travel. As most youths visited many barracks before finding one with an opening, they were undoubtedly counted many times. Not surprisingly, many young men who grasped this opportunity had no intention of volunteering. Rather, as the War Ministry noted, they “have used this piece of paper to travel from one end of the country to the other.”

Fußnote 106
This “Denkschrift über die Ersatzgestellung für das Deutsche Heer von Mitte September bis Ende 1914,” prepared in 1926 by Schubert, can be found in the BA–MA, 15.17, Kriegsgeschichtliche Forschungs Anstalt, W-10/50902. See especially pp. 52 ff. In Bavaria, approximately 32,000 men volunteered for war in August 1914. (On 16 August 1914 the Bavarian War Ministry asked all army divisions to list the number of volunteers. I have added up the numbers in the replies. As two divisions did not respond, the number is approximate. HSTA Munich, Abt. IV – Kriegsarchiv, MKR, no. 13413.) In Württemberg, there were 8,619 volunteers in August and 2,204 in September. (“Denkschrift betr. die Erfahrungen bei der Mobilmachung,” written in 1918, in HStA Stuttgart M77/2, Bd. 4, pp. 19–20.) I was unable to find any figures for the Saxon army.
 
Für die Einkreisungsobsessionen der gewöhnlichen "Deutschen Bevölkerung" in Bezug auf FRA/RUS wäre ebenfalls eine Quelle interessant, diese möglichst unter Abgrenzung der Einkreisungsobssessionen der Presse, der militärischen, politischen und ökonomischen Eliten.
 
"Einkreisungsobsessionen", ist hier wahrscheinlich ein sehr ungeschickt gewählter Ausdruck gewesen.
Worum es mir im Kern eigentlich geht, sind keine abstrakten Obsessionen, sondern eher konkrete, reale Befürchtungen der Einwohnerschaften in den grenznahen Gebieten in Ost- und West, dass ihre Wohnstätte, Familie etc. in die Kriegshandlungen miteinbezogen werden könnte.
Eine Befürchtung, die jedenfalls in Ostpreußen, Posen, Schlesien, Elsass-Lothringen dem Rheinland und Baden alles
andere als unberechtigt war.
Den Begriff "Einkreisungsobsessionen" hatte ich hier zugegebenermaßen etwas zweckentfremdet, da geht es mir auch darum, das angesichts eines Konfliktes mit Frankreich und Russland der Grenzbevölkerung, vor allem im Osten klar gewesen sein muss, dass ein vollständiger Schutz sämmticher Grenzgebiete schon nummerisch nicht möglich sein konnte, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass da niemand in die näheren militärischen Planungen eingeweiht war.
In den ersten Tagen des August muss für die Bevölkerung auch sichtbar geworden sein, dass die deutsche militärische Schwerpunktbildung sich auf den Westen konzentrierte aber eben auch an der grenze zu Belgien und Luxemburg. Im Osten, wohin keine Züge rollten oder jedenfalls nicht annähernd genug um eine umfassende Grenzverteidigung gewährleisten zu können, musste man sich demgegenüber ziemlich ausgeliefert vorkommen.

Dann kommt für den August 1914 noch hinzu, dass sowohl das südliche Elsass in Form der "Grenzschlachten" und der zeitweiligen französischen Besetzung von Mülhausen, als auch bedeutende Teile Ostpreußens im Nachgang des Zusammenstoßes bei Stallupönen und Gumbinnen und Vorfeld der Schlacht von Tannenberg direkt in die Kriegshandlungen einbezogen wurden.
Die Tatsache dass dies geschah fiel ja nun auch nicht vom Himmel, sondern die Massierung der jeweiligen feindlichen Kräfte an den Grenzen und mindestens im Osten auch das Defizit an eigenen Truppen zur Abschirmung kann da nicht gänzlich verborgen geblieben sein.
Die sich dabei bahnbrechenden panischen Emotionen zeigten sich ja gerade in Ostpreußen in Form der, in Teilen wilden Flucht der Grenzbevölkerung, auch recht deutlich.

Wenn man sich über die Meldung von Freiwilligen im August 1914 näher auslässt, gehört das, meine ich, wenn man die Zahlen erklären möchte, gerade im Vergleich mit Großbritannien in die Kalkulation miteinbezogen, denn auch das sind ja Ereignise die sich selbst oder mindestens deren sichtbare Vorbereitungen sich durch die zweite Hälfte des August 1914 zogen.
In der Hinsicht ist es dann vermutlich überzogen von einem verstärkten Mobilisierungseffekt der gesammten Bevölkerung auszugehen, für die betroffenen Grenzregionen entbehrt dies aber sicherlich nicht einer gewissen Logik. Ob das in dieser Form zutreffend ist, würde sich wohl ergeben, wenn man die nähere regionale Zusammensetzung der Freiwilligen aufschlüsseln könnte, denn die müsste im Fall, dass es zutrifft in den Grenzgebieten und gerade im Osten überproportional hoch gewesen sein.
Entsprechendes Material um das nachweisen zu können, habe ich derzeit nicht zur Hand.
Für extrem wahrscheinlich halte ich es aus naheliegenden Gründen dennoch.

In Ermangelung einer Landgrenze und eines direkten Aufmarschgebietes, in dem sich Feindkräfte tatsächlich massieren können und mit Frankreich und Belgien als "Vorfeld" und Russland als potentieller zweiter Front sehe ich da unter rationalen Gesichtspunkten durchaus den Anlass einer vollkommen anderen psychischen Disposition bei der britischen Bevölkerung, als bei der der Kontinentalmächte in den grenznahen Territorien.


Näher belegen kann ich das ad hoc gerade leider nicht, werde mich zum Wochenende hin mit der Fragestellung aber mal in Richtung Bibliothek bewegen, vielleicht ergiebt sich da was.
 
Wenn ich mich korrekt an die Lektüre von Kurt Flasch, Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg, erinnere, dann kamen die Kriegsfreiwilligen vorwiegend aus dem bürgerlichen Lager. (Ist aber ein Buch gewesen, welches ich mir für eine Hausarbeit im dritten Semester gekauft habe, vor ca. 20 Jahren, ich würde meine Hand dafür nicht ins Feuer legen.)
 
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