Aufklärung Recht folgt der Politik?

mtinatina

Neues Mitglied
Ich soll aus der Sicht der Philosophen der Aufklärung die Meinung eines österreichischen Politikers, der auch auf Nachfrage an dem Grundsatz festhält: „Das Recht muss Politik folgen, nicht Politik dem Recht.“ beurteilen.
Ich bin leider sehr schlecht in Geschichte und Politik, und weiß nicht wie :confused::eek:
 
Ich nehme mal an, da hier auch die Rede von Philosophen ist, es geht da um I. Kant.

Nun ist es aber so, Kant hat dies so nie gesagt.

Kant hat nicht gesagt „Das Recht muss der Politik folgen, nicht die Politik dem Recht“.

Kant hat es so gesagt: "Das Recht muß nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Recht angepaßt werden.“ (Aufsatz von I. Kant aus dem Jahre 1797).

Das richtige Kant Zitat wäre dann wohl eher logisch und verständlich.

Wie ich dem Netz entnehme ist wohl der Ausgangspunkt Herr Innenminister H. Kicki/FPÖ.
Da finde ich solche Aussagen wo das „nie“ und auch das "angepaßt" von Kant weggelassen wurde. Aber da hat User Chan schon Recht, wir kommen zur Gegenwartspolitik und passt hier nicht her.
 
Das richtige Kant Zitat wäre dann wohl eher logisch und verständlich.

Das Kant-Zitat stammt aus seinem Aufsatz "Über ein vermeintliches Recht, aus Menschenliebe zu lügen", in dem der ansonsten sehr verdienstvolle Philosoph völlig den Verstand verliert und behauptet, es sei ein Verbrechen, einen in Mordabsicht Verfolgten durch eine Lüge zu schützen. Kant wurde dafür auch allseits gescholten.

Gemeint ist mit dem österreichischen Zitat, dass Recht nicht in Stein gemeißelt ist, sondern neuen Situationen angepasst werden sollte, sofern eine Änderung vernünftig erscheint (worüber im politischen Diskurs zu entscheiden wäre). Ich vermute, dass sich der äußernde Politiker damit bewusst von Kant absetzt, statt ihn, wie Ralf anzunehmen scheint, zu paraphrasieren.

Man sollte aber den Kontext beachten, der bei Kant ein anderer ist als beim österreichischen Zitat, das, wie ich stark vermute, auf spezielle Gesetze abzielt. Bei Kant geht es dagegen um ein allgemeines (oder, laut Kant, "axiomatisches") rechtsphilosophisches Prinzip, das er auf die Formeln bringt:

"Zusammenstimmung der Freiheit eines jeden mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze"

"Freiheit und Gleichheit"

Diesen Rechtsprinzipien, so Kant, sollte sich die Politik immer anpassen. Jedenfalls interpretiere ich seine Argumentation so. Im Kontext des österreichischen Zitats geht es aber nicht um eine Infragestellung dieser Prinzipien, sondern bestimmter konkreter Gesetze, die der Politiker offensichtlich für anachronistisch hält, deren Für und Wider ich aus schon genannten Gründen hier aber nicht diskutieren will (bzw. darf).

Kant schreibt:

Um nun von einer Metaphysik des Rechts (welche von allen Erfahrungsbedingungen abstrahiert) zu einem Grundsatze der Politik (welcher diese Begriffe auf Erfahrungsfälle anwendet), und vermittelst dieses zur Auflösung einer Aufgabe der letzteren, dem allgemeinen Rechtsprinzip gemäß, zu gelangen: wird der Philosoph 1) ein Axiom, d.i. einen apodiktisch-gewissen Satz, der unmittelbar aus der Definition des äußern Rechts (Zusammenstimmung der Freiheit eines jeden mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze) hervorgeht, 2) ein Postulat (des äußeren öffentlichen Gesetzes, als vereinigten Willens aller nach dem Prinzip der Gleichheit, ohne welche keine Freiheit von jedermann Statt haben würde), 3) ein Problem geben, wie es anzustellen sei, daß in einer noch so großen Gesellschaft dennoch Eintracht nach Prinzipien der Freiheit und Gleichheit erhalten werde (nämlich vermittelst eines repräsentativen Systems); welches dann ein Grundsatz der Politik sein wird, deren Veranstaltung und Anordnung nun Dekrete enthalten wird, die, aus der Erfahrungserkenntnis der Menschen gezogen, nur den Mechanism der Rechtsverwaltung, und wie dieser zweckmäßig einzurichten sei, beabsichtigen. – – Das Recht muß nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Recht angepaßt werden.
 
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Gemeint ist mit dem österreichischen Zitat, dass Recht nicht in Stein gemeißelt ist, sondern neuen Situationen angepasst werden sollte, sofern eine Änderung vernünftig erscheint (worüber im politischen Diskurs zu entscheiden wäre). Ich vermute, dass sich der äußernde Politiker damit bewusst von Kant absetzt, statt ihn, wie Ralf anzunehmen scheint, zu paraphrasieren.
Und ist damit antiaufklärererisch und widerspricht jedem rechtstaatlichen Grundsatz.
 
Und ist damit antiaufklärererisch und widerspricht jedem rechtstaatlichen Grundsatz.

Das ist Interpretationssache und kann im Rahmen dieses Forums nicht hinreichend diskutiert werden.

Das XY mit seiner Absetzung von Kant theoretisch recht haben könnte, belegt Kant selbst, indem er das absurde Beispiel nennt, dass ein mit Mordabsicht Verfolgter nicht durch eine Lüge geschützt werden darf. Kants Begründung: Eine Lüge ist unmoralisch, auch gegenüber einer Person mit konkreter Mordabsicht. Kant will damit verdeutlichen, dass die Prinzipien von Gleichheit und Freiheit um jeden Preis einzuhalten sind.

Dagegen wendet sich XY, der eine Geltung dieser Prinzipien um jeden Preis nicht anerkennt. Man kann darüber im österreichischen Kontext (Abschiebung) so oder so denken - dass Kant durch sein Lügengleichnis Munition gegen eine unbedingte Geltung der Prinzipien liefert, ist nur schwer zu leugnen.

Bekannt ist ein anderes krasseres Dilemma von der gleichen Art: Darf eine Person gefoltert werden, von der man mit Sicherheit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiß, dass sie Informationen verheimlicht, deren Kenntnis dazu verhilft, den Tod vieler unschuldiger Menschen zu verhindern?

Kant würde sagen: "Nein", selbst wenn 1000 Menschen dabei draufgehen.

Natürlich ist dieser Kontext gravierender als der österreichische, aber die Frage ist die gleiche: Müssen Prinzipien um jeden Preis gelten, oder kann ihre Geltung relativiert werden, wenn politische Gründe dafür sprechen? (was im politischen Diskurs jeweils zu klären wäre).
 
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Das XY mit seiner Absetzung von Kant theoretisch recht haben könnte, belegt Kant selbst, indem er das absurde Beispiel nennt, dass ein mit Mordabsicht Verfolgter nicht durch eine Lüge geschützt werden darf. Kants Begründung: Eine Lüge ist unmoralisch, auch gegenüber einer Person mit konkreter Mordabsicht. Kant will damit verdeutlichen, dass die Prinzipien von Gleichheit und Freiheit um jeden Preis einzuhalten sind.
Darum geht es aber nicht. Es geht um die Frage, ob Recht der Politik zu folgen habe (was Willkür Tür und Tor öffnet und jegliche Rechtssicherheit in Frage stellt) oder die Politik dem Recht.
 
Darum geht es aber nicht. Es geht um die Frage, ob Recht der Politik zu folgen habe (was Willkür Tür und Tor öffnet und jegliche Rechtssicherheit in Frage stellt) oder die Politik dem Recht

Im Kontext des österreichischen Zitats geht es um konkrete Dinge und nicht nur um eine rechtsphilosophische Grundsatzdiskussion.

Sofern wir die Debatte auf letzteres eingrenzen, verweise ich auf die schlichte Tatsache, dass Gesetze immer wieder revidiert oder sogar abgeschafft werden (z.B. Verbot homosexueller Beziehungen). "Rechtssicherheit" ist also kein oberster Wert, aus dem einfachen Grund, weil Gesetze sich als veraltet oder schlecht fundiert herausstellen können.

Radbruch unterscheidet fünf Kategorien:

+ positives Recht
+ Gerechtigkeit
+ Gemeinnutz
+ Rechtssicherheit
+ Naturrecht

Gerechtigkeit und Naturrecht gehören zusammen: Gerechtigkeit ist Gleichheit vor dem Gesetz, wobei die Gleichheit von der Natur (oder der Vernunft, was Radbruch in diesem Fall gleichzusetzen scheint) vorgegeben ist. Die Grundsätze dieses natürlichen Gerechtigkeit bilden das Naturrecht.

Auch das positive Recht muss seinem Anspruch nach der Gerechtigkeit dienen. Laut Radbruch kann es bis zu einem gewissen Grad aber von der Gerechtigkeit abweichen, ohne vom Richter in Frage gestellt werden zu müssen. In solchen Fällen muss er zwischen der durch das positive Recht garantierten Rechtssicherheit einerseits und den Idealen der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls andererseits abwägen.

Ab einem bestimmten Grad aber muss positives Recht zugunsten der natürlichen Gerechtigkeit verworfen werden, nämlich dann, wenn wenn es ganz offensichtlich den Grundsätzen der Gerechtigkeit (= Gleichheit vor dem Gesetz) widerspricht. Das ist überall dort der Fall, wo Menschenrecht gezielt negiert wird, z.B. wenn es der Ermordung politischer Gegner dient, wenn es dem Gemeinnutzen schadet oder wenn grausame Strafen angedroht werden, die in keinem Verhältnis zum Delikt stehen.
 
Im Kontext des österreichischen Zitats geht es um konkrete Dinge und nicht nur um eine rechtsphilosophische Grundsatzdiskussion.

Sofern wir die Debatte auf letzteres eingrenzen, verweise ich auf die schlichte Tatsache, dass Gesetze immer wieder revidiert oder sogar abgeschafft werden (z.B. Verbot homosexueller Beziehungen). "Rechtssicherheit" ist also kein oberster Wert, aus dem einfachen Grund, weil Gesetze sich als veraltet oder schlecht fundiert herausstellen können.

Radbruch unterscheidet fünf Kategorien:

+ positives Recht
+ Gerechtigkeit
+ Gemeinnutz
+ Rechtssicherheit
+ Naturrecht

Gerechtigkeit und Naturrecht gehören zusammen: Gerechtigkeit ist Gleichheit vor dem Gesetz, wobei die Gleichheit von der Natur (oder der Vernunft, was Radbruch in diesem Fall gleichzusetzen scheint) vorgegeben ist. Die Grundsätze dieses natürlichen Gerechtigkeit bilden das Naturrecht.

Nun könnte man freilich darüber streiten, ob sowas wie Naturrecht und Gerechtigkeit realitier existieren oder aber nichts anderes als Fiktion sind.
Im Bezug auf "Gerechtigkeit" ist dies, würde ich meinen unstrittig.
Naturrecht ist kein von seinem gesellschaftlichen Kontext befreites recht, sondern es erwächst aus der Interpretation dessen, was in der jeweiligen Gesellschaft, die es postuliert für natürlich gehalten wird, was in erster Linie von dem Paradigma abhängt unter dem Mensch und Natur betrachtet werden sollten.
Demnach würde ich Naturrecht für eine Mischung aus auf Fiktionen beruhendem Gewohnheitsrecht und implizitem positiven Recht betrachten.

Auch das positive Recht muss seinem Anspruch nach der Gerechtigkeit dienen. Laut Radbruch kann es bis zu einem gewissen Grad aber von der Gerechtigkeit abweichen, ohne vom Richter in Frage gestellt werden zu müssen. In solchen Fällen muss er zwischen der durch das positive Recht garantierten Rechtssicherheit einerseits und den Idealen der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls andererseits abwägen.

Um das näher zu erörtern müsste man aber ganz konkret und unwiederlegbar geklärt haben, was "Gerechtigkeit" denn nun konkret meint.

Ab einem bestimmten Grad aber muss positives Recht zugunsten der natürlichen Gerechtigkeit verworfen werden, nämlich dann, wenn wenn es ganz offensichtlich den Grundsätzen der Gerechtigkeit (= Gleichheit vor dem Gesetz) widerspricht. Das ist überall dort der Fall, wo Menschenrecht gezielt negiert wird, z.B. wenn es der Ermordung politischer Gegner dient, wenn es dem Gemeinnutzen schadet oder wenn grausame Strafen angedroht werden, die in keinem Verhältnis zum Delikt stehen.

Da doch aber die Gleichheit vor dem Gesetz selbst Ausfluss positiven Rechts darstellt, da als rechtlicher Leitsatz festgehalten, wäre das eben keine Abweichung vom positiven Recht zu Gunsten naturrechtlicher Interpretationen, sondern ein Rekurs auf das positive Recht.
 
Nun könnte man freilich darüber streiten, ob sowas wie Naturrecht und Gerechtigkeit realitier existieren oder aber nichts anderes als Fiktion sind.
Im Bezug auf "Gerechtigkeit" ist dies, würde ich meinen unstrittig

Natürlich ist Naturrecht eine Fiktion, aber eine notwendige, während Gerechtigkeit ein praxisbezogenes Ideal ist. Die Idee des Naturrechts ist eine Säkularisierung der christlichen Idee vom Menschen als Ebenbild Gottes. Für die Fundierung des positiven Rechts ist die Idee eines Naturrechts eine zureichende und notwendige Grundlage. Selbst Rousseau gibt zu, dass der Mensch "frei geboren" ist, dass die Freiheit also seiner wahren Natur entspricht. "Freiheit" ist aber - juristisch gesehen, nicht philosophisch! - eine Fiktion, jedoch auch ein Ideal und funktioniert vernunftgemäß nach dem Prinzip "Du kannst tun und lassen, was du willst, solange es das Wohl anderer Menschen nicht beeinträchtigt" - analog zu Kants Kategorischem Imperativ. Kant nennt die Bejahung der Existenz von "Freiheit" eine "regulative Idee", sie ist also - rechtsphilosophisch, nicht ontologiephilosophisch gesehen - eine Fiktion, aber eine notwendige, und insofern sie ein praktisches Postulat ist, ein Ideal.

Um das näher zu erörtern müsste man aber ganz konkret und unwiederlegbar geklärt haben, was "Gerechtigkeit" denn nun konkret meint.

"Gerechtigkeit" gilt als Tugend, ist also ein Verhaltens-Ideal (ähnlich wie "Freiheit"). Daher sind Sprüche wie "Es gibt keine Gerechtigkeit" irrig, weil sie unterstellen, dass Gerechtigkeit unabhängig von menschlicher Praxis bestehen könnte oder sollte. Gerechtigkeit zu definieren ist sehr schwer, erstens wegen unterschiedlicher Kontexte (gerecht im Rahmen des positiven Rechts oder eines moralischen Rechts oder, wie bei Radbruch, eines Naturrechts), zweitens wegen der angewandten Kriterien, über die kein Konsens bestehen kann, und drittens wegen der Nichterkennbarkeit des vollständigen Zusammenhangs von Taten oder Urteilen, deren Gerechtigkeit zu bewerten ist. Dennoch ist dieses Ideal gesellschaftlich unverzichtbar.

Kurz: Gerechtigkeit ist keine Fiktion, sondern ein - wenn auch nur annäherungsweise erreichbares - praktisches Ideal. Sie eine Fiktion zu nennen, würde ihre ethische Kraft unterminieren.

Da doch aber die Gleichheit vor dem Gesetz selbst Ausfluss positiven Rechts darstellt, da als rechtlicher Leitsatz festgehalten, wäre das eben keine Abweichung vom positiven Recht zu Gunsten naturrechtlicher Interpretationen, sondern ein Rekurs auf das positive Recht.

Die "Gleichheit vor dem Gesetz" wird aus dem Naturrecht abgeleitet und gehört zu den Grundrechten, ist also kein positives Recht, welches die Grundrechte zur Basis hat und an diesen gemessen und kontrolliert wird.
 
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Natürlich ist Naturrecht eine Fiktion, aber eine notwendige, während Gerechtigkeit ein praxisbezogenes Ideal ist. Die Idee des Naturrechts ist eine Säkularisierung der christlichen Idee vom Menschen als Ebenbild Gottes. Für die Fundierung des positiven Rechts ist die Idee eines Naturrechts eine zureichende und notwendige Grundlage. Selbst Rousseau gibt zu, dass der Mensch "frei geboren" ist, dass die Freiheit also seiner wahren Natur entspricht. "Freiheit" ist aber - juristisch gesehen, nicht philosophisch! - eine Fiktion, jedoch auch ein Ideal und funktioniert vernunftgemäß nach dem Prinzip "Du kannst tun und lassen, was du willst, solange es das Wohl anderer Menschen nicht beeinträchtigt" - analog zu Kants Kategorischem Imperativ. Kant nennt die Bejahung der Existenz von "Freiheit" eine "regulative Idee", sie ist also - rechtsphilosophisch, nicht ontologiephilosophisch gesehen - eine Fiktion, aber eine notwendige, und insofern sie ein praktisches Postulat ist, ein Ideal.

Wenn man aber den Begriff der Freiheit so weit fasst, ist er komplett vom natürlichen oder nicht natürlichen Zustand losgelöst. Denn auch in einer nicht mehr natürlichen, sondern zivilisatorisch organisierten Gesellschaft hat der Mensch immer eine Wahl und wenn es nur die Freiheit ist sich von der nächsten Brücke zu stürzen oder nicht oder selbst in eiener Gefängniszelle zu suizidieren oder nicht (zynisch ausgedrückt).
Wenn man den Begriff Freiheit so weit fasst, kann Freiheit nicht genommen werden und deswegen auch nicht die Notwendigkeit naturrechtlicher Kategorien begründen.


"Gerechtigkeit" gilt als Tugend, ist also ein Verhaltens-Ideal (ähnlich wie "Freiheit"). Daher sind Sprüche wie "Es gibt keine Gerechtigkeit" irrig, weil sie unterstellen, dass Gerechtigkeit unabhängig von menschlicher Praxis bestehen könnte oder sollte. Gerechtigkeit zu definieren ist sehr schwer, erstens wegen unterschiedlicher Kontexte (gerecht im Rahmen des positiven Rechts oder eines moralischen Rechts), zweitens wegen der angewandten Kriterien, über die kein Konsens bestehen kann, und drittens wegen der Nichterkennbarkeit des vollständigen Zusammenhangs von Taten oder Urteilen, deren Gerechtigkeit zu bewerten ist. Dennoch ist dieses Ideal gesellschaftlich unverzichtbar.
Sie ist keine Tugend, sondern eine inhaltsleere Plattitüde, denn sonst müsste sie unbestreitbar auf konkrete Fälle in der Praxis anwendbar sein. Wäre sie das, würden wir keine Debatten darüber führen ob Gesetze angemessen sind oder nicht, denn dann wären sie eo ipso angemessen, weil Gerechtigkeit dann messbar wäre und es gleichsam Humbug wäre sich nicht nach einer messbaren Größe zu richten.
So, ist Gerechtigkeit einfach eine unausgefällte Hülle, die jeder mit den Vorstellungen füllt, die ihm zu dem Thema gerade durch den Kopf schießen. Daher ist "Gerechtigkeit" eine höchst subjektive Kategorie.

Kurz: Gerechtigkeit ist keine Fiktion, sondern ein - wenn auch nur annäherungsweise erreichbares - praktisches Ideal. Sie eine Fiktion zu nennen, würde ihre ethische Kraft unterminieren.
In ihrer Eigenschaft, als allgemeingültigkeit beanspruchende Rechtskategorie ist sie in meinen Augen genau das, weil sie inhaltlich unbestimmbar ist.

Um wieder auf das Thema zu kommen, bin ich der Meinung, dass @El Quijote das wesentliche bereits benannt hat.
Grundsätzlich kann die Politik am Recht orientiert oder das Recht zu Gunsten der Politik gebeugt werden. Letzterer Ansatz wurde im Ausgangszitat mehr oder minder klar angesprochen und dieser ist als restaurativ/reaktionär/antiaufklärerisch zu bezeichnen, da er das Recht an und für sich als eine zu vernachlässigende Größe ansieht, die nur dann von Bedeutung ist, wenn sie in der Lage ist die angestrebte Maßnahme zu rechtfertigen, während sie sonstigenfalls ihrer Bedeutung enthoben wird.
Das steht der Programmatik einer am Recht orientierten Gesellschaftsordnung, die sich über die Willkühr des Ancien Régime erhebt, wie sich das Seitens der Aufklärer gewünscht wurde, diametral entgegen.



Die "Gleichheit vor dem Gesetz" wird aus dem Naturrecht abgeleitet und gehört zu den Grundrechten, ist also kein positives Recht, welches die Grundrechte zur Basis hat und an diesen gemessen und kontrolliert wird.[/QUOTE]
 
Denn auch in einer nicht mehr natürlichen, sondern zivilisatorisch organisierten Gesellschaft hat der Mensch immer eine Wahl und wenn es nur die Freiheit ist sich von der nächsten Brücke zu stürzen oder nicht (zynisch ausgedrückt).
Wenn man den Begriff Freiheit so weit fasst, kann Freiheit nicht genommen werden und deswegen auch nicht die Notwendigkeit naturrechtlicher Kategorien begründen

Inwiefern habe ich den Freiheitsbegriff zu weit gefasst? Ich schrieb doch klipp und klar:

Freiheit ist "ein Ideal und funktioniert vernunftgemäß nach dem Prinzip "Du kannst tun und lassen, was du willst, solange es das Wohl anderer Menschen nicht beeinträchtigt".

(dabei ist die Zurechnungsfähigkeit der Person vorausgesetzt)

Und wie kommst du darauf, dass es so ohne weiteres eine "freie" Wahl gibt, sich von einer Brücke zu stürzen? Müssen zur Beurteilung des Maßes der "Freiheit" nicht die Umstände berücksichtigt werden? Ist die Person psychisch krank (also unzurechnungsfähig)? Hinterlässt sie Personen, die durch ihren Tod psychologisch geschädigt werden?

Sie ist keine Tugend, sondern eine inhaltsleere Plattitüde, denn sonst müsste sie unbestreitbar auf konkrete Fälle in der Praxis anwendbar sein. Wäre sie das, würden wir keine Debatten darüber führen ob Gesetze angemessen sind oder nicht, denn dann wären sie eo ipso angemessen, weil Gerechtigkeit dann messbar wäre und es gleichsam Humbug wäre sich nicht nach einer messbaren Größe zu richten.

So so - im nachfolgenden Zitat empörst du dich über die Äußerung des österreichischen Politikers und bezeichnest sie als "reaktionär" und "antiaufklärerisch".

Im obigen Zitat aber erklärst du den Begriff der Gerechtigkeit für eine "inhaltsleere Plattitüde".

Das erscheint mir sehr widersprüchlich. Die Idee der Gerechtigkeit als Nonsense abzutun, ist selbst antiaufklärerisch und läuft der Menschenrechtskonvention mindestens so sehr zuwider wie die Äußerung des österreichischen Politikers.

Wie groß wäre die Aufregung über den Politiker erst gewesen, wenn er wie du die Idee der Gerechtigkeit öffentlich als "inhaltsleere Plattitüde" bezeichnet hätte. Er hätte sofort seinen Hut nehmen müssen!

Deine Argumentation ist also unlogisch.

Um wieder auf das Thema zu kommen, bin ich der Meinung, dass @El Quijote das wesentliche bereits benannt hat.
Grundsätzlich kann die Politik am Recht orientiert oder das Recht zu Gunsten der Politik gebeugt werden. Letzterer Ansatz wurde im Ausgangszitat mehr oder minder klar angesprochen und dieser ist als restaurativ/reaktionär/antiaufklärerisch zu bezeichnen, da er das Recht an und für sich als eine zu vernachlässigende Größe ansieht, die nur dann von Bedeutung ist, wenn sie in der Lage ist die angestrebte Maßnahme zu rechtfertigen, während sie sonstigenfalls ihrer Bedeutung enthoben wird.
Das steht der Programmatik einer am Recht orientierten Gesellschaftsordnung, die sich über die Willkühr des Ancien Régime erhebt, wie sich das Seitens der Aufklärer gewünscht wurde, diametral entgegen.

Das Zitat wird von euch unangemessen dramatisiert, finde ich. Es geht hier ausschließlich um Fragen einer Ausgangssperre für Flüchtlinge und der zeitlichen Abwicklung von Abschiebungen.

Daraus einen Rückfall in das Ancien Régime zu konstruieren, halte ich für maßlos übertrieben.
 
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Shinigami hat Recht. Es ist möglich dieses Thema ohne tagespolitische Bezüge zu diskutieren. mtinatina dagegen muss natürlich - da Geschichstunterricht in der Schule immer einen Gegenwartsbezug hat - wissen, welche Lehren sie aus der Umkehrung des Zitats zieht. Weitere tagespolitische Beiträge werden umstandslos gelöscht.
 
Das Recht muß nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Recht angepaßt werden.
Das würde aber bedeuten, dass es ein gesellschaftsunabhängiges Ur-Recht gibt, welches nicht verändert werden darf.
 
Im Rahmen dieser merkwürdigen Diskussion wurden die zentralen Konstrukte, die Herleitung von Legitimität und die Rolle der Legalität, nicht betrachtet.

Zudem wird dieser Komplex im Rahmen der Kontrakt-Theorie diskutiert.

Ansonsten würden fast alle Herrscher aller Epochen negieren, dass das Recht der Politik zu folgen hätte. Ein FdG hätte nur den Kopf geschüttelt.
 
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