Aber wer kann denn jetzt beweisen, welche beider Parteien nun recht hat? Ich denke mal, keiner.
Stimmt nicht und sowas kann man wohl auch nur schreiben, wenn man sich mit dem Thema nicht wirklich beschäftigt hat.
Rückblick auf die Zeit in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre und der empirischen Befunde! Also der Fakten, die das damalige Weltbild - auch der Politik - mit strukturiert haben. Zumal diejenigen, die diese Studien geschrieben haben, auch gleichzeitig Politikberatung der Spitzen der Parteien betrieben haben, wie Kaase, Klingemann etc.
1. Es war die Zeit des diagnostizierten Wertewandels und des Aufkommens eines aktiv partizipierenden, demokratiebejahenden Bürgers in den USA und West-Europa. Dem "Post-Materialisten" wie Inglehart es diagnostizierte.
2. Dieser Wertewandel spiegelte sich in einer kritischen Sicht auf Demokratiedefizite in vielen gesellschaftlichen Bereichen, die neben der Politik auch den wirtschaftlichen Bereich und die Hochschulen betrafen, wie Alemann resümiert.
3. Es gibt dabei eine enge Verbindung zwischen dem Aufkommen des Post-Materialismus und unterschiedlichen Formen der Partizipation. Wobei das Aufkommen der "unkonventionellen Partizipation", also auch gewaltbereiter Formen des politischen Protestes, der einzige Ansatz ist, um "eine Gefahr" für das politische System der BRD hätte darstellen zu können.
4. Faktisch hat sich dieser gewaltorientierte Protest in keine Form der Kooperation mit der RAF eingelassen. Und somit ergab sich keine Massenbasis, die die notwendige Voraussetzung für eine revolutionäre Veränderung gewesen wäre (vgl. dazu z.B. Tilly).
5. Stattdessen kann man eine Reihe von subkulturellen Milieus im linksextremistischen Umfeld erkennen, die in vielen Aspekten wenige Gemeinsamkeiten aufweisen, wie die Ergebnisse der Infratest-Studie es deutlich illustrieren. Und diese mangelhafte Homogenität wäre keine Basis gewesen, eine gefestigte Demokratie herauszufordern, die sich auf mehr als 90 Prozent Zustimmung zu ihren demokratischen Prinzipien berufen konnte. Wobei die gravierende Infragestellung der Demokratie in Bonn bereits auch damals - so die Sinus-Studie von 1981 "Wir sollten wieder einen Führer haben" - aus dem rechtsextremen Umfeld kam!!!
6. Dass sich die links-liberale Eliten vom radikalen Protest der Apo und noch deutlicher von der RAF distanzierten und ihnen so die publizistische Unterstützung nicht gewährten, ließ diese extremen Formen des Handelns als nicht mehr legitim erscheinen (vgl. #7). Und nach den Morden ohnehin nicht mehr.
7. Ergo, so konstatiert der Altmeister Wehler: "Die arg strapazierte Problembewältigungskapazität hatte dank einer glücklichen politischen Konstellation im Bonner Entscheidungszentrum und dank der realistischen Handlungsbereitschaft unter schwierigsten Bedingungen zur Bewältigung der Krise ausgereicht." (S. 320)
Es war eine "Krise", die die Bonner Demokratie vor neue Probleme gestellt hatte, die sie problemlos im Rahmen der GG-Vorgaben gelöst hat.
Der Rest an Gerede über "Gefährdung" der Demokratie ist Ideologie und man muss sich fragen, welche Intentionen damit verbunden sind.
Alemann, Ulrich von (Hg.) (1978): Partizipation - Demokratisierung - Mitbestimmung. Problemstand und Literatur in Politik, Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft. Eine Einführung. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Barnes, Samuel Henry; Kaase, Max (Hg.) (1979): Political action. Mass participation in five western democracies. Beverly Hills, London: Sage Publications.
Infratest Wirtschaftsforschung GmbH (1978): Politischer Protest in der Sozialwissenschaftlichen Literatur. Stuttgart: Kohlhammer.
Infratest Wirtschaftsforschung GmbH (1980): Politischer Protest in der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zur sozialempirischen Untersuchung des Extremismus. 2 Bände. Stuttgart: Kohlhammer.
Inglehart, Ronald (1977): The silent revolution. Changing values and political styles among Western publics.
Tilly, Charles (2014): The politics of collective violence. Cambridge: Cambridge University Press (Cambridge studies in contentious politics).
Wehler, Hans-Ulrich (2008): Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Fünfter Band, Bundesrepublik und DDR. 1949-1990. 5 Bände. München: Beck.